Auch wer es nicht gerne hört, es gibt immer wieder Hinweise auf einen starken Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten von Amerika:
vom 18.2.2012:
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Er habe, sagte Charlie Chaplin einmal, nie eine Revolution anzetteln, sondern nur ein paar gute Filme drehen wollen. Das nahm ihm US-Senator Joseph McCarthy nicht ab. Chaplin war für McCarthy wie für FBI-Boss Edgar Hoover ein gefährlicher «Salon-Bolschewik». Vor Chaplin wollten sie Amerika bewahren.
Als der Hollywoodstar 1952 mit seiner Familie zur Londoner Premiere von «Limelight» über den Atlantik dampfte, ordneten die US-Behörden für den Zeitpunkt seiner Rückkehr eine Vorführung ganz anderer Art an. Der Brite, der jahrzehntelang in den USA gelebt hatte, ohne je US-Bürger werden zu wollen, war plötzlich zur Unperson geworden — wie so viele andere. Die Wiedereinreise wurde ihm versagt.
Amerika machte Druck
In London angekommen, begriff Chaplin schnell, dass es wenig Zweck hatte, gegen die «Säuberer» in Washington anzukämpfen. Er würde, wetterte er, «nicht mal mehr in die Staaten zurückkehren, wenn Jesus Christus Präsident dort wäre». Nur ein einziges Mal, 1972, sahen die Amerikaner Chaplin bei sich wieder, als ihm Hollywood für sein Lebenswerk einen speziellen Oscar zuerkannte und seine Filme neu ins Kino kamen.
Was allerdings erst jetzt bekannt wurde, ist die Hartnäckigkeit, mit der Hoover Chaplin seinerzeit bis in die Alte Welt verfolgen liess. Gestern veröffentlichte britische Geheimdienstdokumente aus den 50er-Jahren belegen diesen Druck auf London: Das «Büro» drängte die Kollegen von MI5 kontinuierlich, ihm belastendes Material zu Chaplin zu überstellen.
2000 Seiten Material
Die Amerikaner wollten wissen, mit welchen Feinden der Freiheit Chaplin in England Kontakt hielt, und ob sein Pass sowjetische Einreisestempel enthalte. Ob man ihm ausserdem irgendwelche moralischen Verfehlungen anhängen könne. Und ob es wahr sei, dass er gar nicht aus England, sondern aus Frankreich stamme. «US-Regierung kann Parteizugehörigkeit Chaplins nicht nachweisen», drahtete das FBI verzweifelt nach London. Die MI5-Leute scheinen recht verblüfft gewesen zu sein von dieser Art von Anfragen. Sie hielten Chaplin nicht für sonderlich gefährlich. Von «antikommunistischer Paranoia in Washington» war bei MI5 die Rede. 2000 Seiten US-«Beweismaterial» gegen Chaplin, hiess es in der Geheimdienstakte PF 710549, hätten den Secret Service in London «wenig beeindruckt».
Den Briten war relativ gleichgültig, ob Chaplin Sympathien für den Kommunismus hatte: «Den uns vorliegenden Informationen zufolge ist er jedenfalls nicht mehr als ein Progressiver oder ein Radikaler». Und vor einem Radikalen fürchtete man sich an der Themse nicht. Ein Telegramm an Chaplin, das Hoovers Leuten hätte verdächtig vorkommen können, übermittelte man so gar nicht erst nach Washington. 1958 versicherte der damalige MI5-Boss Sir Percy Sillitoe einer Gruppe auswärtiger Geheimdienstler, Chaplin habe «keine Spur (eines Verdachts) in unseren Unterlagen hinterlassen». Man betrachte ihn nicht als ein Sicherheitsrisiko — und könne ihn getrost seiner Wege ziehen lassen.
Geburt bei Gypsy Queen
Immerhin entsandte Sillitoes Behörde, um Hoover zufriedenzustellen, einen Agenten nach Frankreich, um dort nach Chaplins Geburtsurkunde zu forschen. Dass sich keine solche fand, kam MI5-Leuten nicht weiter sonderbar vor: allein schon weil Chaplins Mutter Hannah Hill aus einer Familie stammte, die dem «fahrenden Volk» zugehörte. Der neuesten Theorie zufolge soll Chaplin sogar im Wohnwagen einer Gypsy Queen, in einem Roma-Camp namens Black Patch nahe Birmingham, das Licht der Welt erblickt haben. Aber dazu hat noch kein Geheimdienst etwas herausgefunden.
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