«Unser Haus wird kaputt­ge­schützt»

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Seit zehn Mo­na­ten hat das Haus des Ehe­paars Tho­mas-Fehr im Kreis 5 kein Dach. Schuld ist ein Streit TOP mit der Denk­mal­pfle­ge.

Heinrichstr. 37

Sie ge­rieten in die Müh­len der Bau­äm­ter: Bern­hard und Ruth Tho­mas-Fehr vor ihrem Haus im Industriequartier. — Foto: Reto Oeschger

Heinrichstr. 37
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Sie ge­rieten in die Müh­len der Bau­äm­ter: Bern­hard und Ruth Tho­mas-Fehr vor ih­rem Haus im In­du­strie­quar­tier.

— Foto: Reto Oeschger

Von Beat Metzler
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Zürich — Das Haus mit­ten im Kreis 5 wirkt wie eine Bau­rui­ne: ent­kernt, ei­ni­ge Fens­ter feh­len, das Dach ist weg. Ei­ne Plas­tik­pla­ne deckt den obers­ten Stock ab. Von der Sei­te her reg­net es hin­ein, die Feuch­tig­keit lässt den Mör­tel bröc­keln und Holz­bal­ken an­fau­len. Manch­mal über­nach­ten Jun­kies an der Hein­rich­stras­se 37.

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Grund für den seit zehn Mo­na­ten an­dau­ern­den Zu­stand ist nicht Geld­man­gel, son­dern aus­ge­rech­net das Be­stre­ben, die Lie­gen­schaft zu be­wah­ren. «Un­ser Haus wird ka­putt­ge­schützt», sagt Be­sit­ze­rin Ruth Tho­mas-Fehr. Wie es da­zu kam, do­ku­men­tie­ren zahl­lo­se Brie­fe, Ver­fü­gun­gen und Pro­test­schrei­ben. Die Hein­rich­stras­se 37 ge­hört zu den Fierz-Häu­sern, Zü­richs ers­ter ge­nos­sen­schaft­li­cher Sied­lung aus den 1870­er-Jah­ren. Es sind en­ge, zwei­stöc­ki­ge Dop­pel­häu­ser, die kaum den heu­ti­gen Idea­len von Woh­nen ent­spre­chen. In den 1970­er-Jah­ren woll­te sie ein In­ves­tor durch eine Gross­über­bau­ung er­set­zen, der Ab­bruch schei­ter­te am Wi­der­stand aus dem Quar­tier. En­de 80­er-Jah­re wur­de die Sied­lung ins In­ven­tar schüt­zens­wer­ter Bau­ten auf­ge­nom­men, zu dem in Zü­rich über 800 Häu­ser zäh­len.

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Ruth Tho­mas-Fehrs Mann kauf­te die Hein­rich­stras­se 37 im Jahr 1980. Spä­ter zü­gel­te die Fa­mi­lie nach Us­ter — aus Platz­grün­den. 2009, als die Kin­der aus­ge­zo­gen wa­ren, woll­te das Ehe­paar zu­rück in ihr Stadt­haus, das sie bis an­hin an eine WG ver­mie­tet hat­ten. Doch ein lan­ger, brei­ter Mau­er­riss ver­wies auf den de­so­la­ten Zu­stand. «Der Riss ver­grös­ser­te sich stän­dig. Un­ser Haus droh­te weg­zu­bre­chen», sagt Ruth Tho­mas-Fehr. Ein Ein­griff liess sich nicht län­ger hin­aus­schie­ben.

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Stadt ver­füg­te Bau­stopp

Erst kommt die Pla­nung gut vor­an. Mit den Be­hör­den er­ar­bei­ten die Tho­mas-Fehrs eine Bau­ein­ga­be, auf An­ra­ten der Denk­mal­pfle­ge ver­zich­ten sie auf einen An­bau, der das 85 Quad­rat­me­ter-Häus­chen ver­grös­sert hät­te. Doch dann teilt ih­nen die Stadt per E-Mail mit, dass sie die Be­wil­li­gung nur dann er­tei­le, wenn die Bes­it­zer einen Schutz­ver­trag für ihr Haus un­ter­schrei­ben. Ei­nen sol­chen hät­ten die Be­hör­den wäh­rend ein­ein­halb Jah­ren nie er­wähnt, sagt Ruth Thomas-Fehr. Der Ver­trag dik­tiert zu­dem stren­ge Be­din­gun­gen, selbst den Um­gang mit der In­nen­ein­rich­tung schreibt er vor.

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Die Tho­mas-Fehrs wol­len sich «nicht er­pres­sen las­sen» und zie­hen die Bau­ein­ga­be zu­rück. Auf ei­ne Sa­nie­rung der Fas­sa­de ver­zich­ten sie, nicht je­doch auf In­nen­re­no­va­tion und Sta­bi­li­sie­rung. «Wir in­for­mier­ten die Denk­mal­pfle­ge. Das Sta­bi­li­sie­ren sei un­se­re Pflicht, hiess es. Von einer Bau­ein­ga­be hat nie­mand ge­spro­chen», sagt Ruth Tho­mas-Fehr. So star­ten sie oh­ne of­fi­ziel­le Er­laub­nis. Die Ar­bei­ten grei­fen tief. Denn das Flach­dach, das 1917 hin­zu­ge­fügt wor­den war, droht ein­zu­stür­zen. «Der In­ge­ni­eur riet uns, al­le Bal­ken aus­zu­wech­seln», sagt Ruth Tho­mas-Fehr. TOP Al­so lässt das Paar das Dach ent­fer­nen, in der Ab­sicht, es iden­tisch zu er­set­zen. Nun schrei­tet die Denk­mal­pfle­ge ein, alar­miert durch Nach­barn, wie Tho­mas-Fehr ver­mu­tet. Oh­ne Be­wil­li­gung dürf­ten bei einem in­ven­ta­ri­sier­ten Ob­jekt kei­ne grös­se­ren Ver­än­de­run­gen vor­ge­nom­men wer­den, auch nicht im In­nern. Im Juli 2011 ver­fügt die Stadt einen Bau­stopp. «Sie zer­stö­ren un­ser Kul­tur­gut», ha­be ein Denk­mal­pfle­ger ge­sagt.

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Dut­zen­de Brie­fe ha­ben seit­her zwi­schen den Tho­mas-Fehrs und ver­schie­de­nen Äm­tern hin- und her­ge­wech­selt, selbst And­ré Oder­matt (SP), Vor­ste­her des Hoch­bau­de­par­te­ments, schrieb zu­rück. Al­le Be­tei­lig­ten tra­fen sich zu ei­nem run­den Tisch. Trotz­dem hat das Haus bis heu­te kein Dach. «Als bra­ve Bür­ger ha­ben wir beim Bau­stopp ge­horcht. Ob­wohl uns die Bus­se fürs Wei­ter­bau­en wohl we­ni­ger ge­kos­tet hät­te als die Ver­lus­te, die wir jetzt ma­chen.»

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Die Eigen­tü­mer se­hen es nicht als Feh­ler, das Dach oh­ne Be­wil­li­gung ab­ge­bro­chen zu ha­ben. «Wäh­rend des Ver­fah­rens wur­den die Be­din­gun­gen stän­dig ver­schärft. Erst hiess es, das sei in Ord­nung. Dann ging es plötz­lich nicht mehr.» Die Denk­mal­pfle­ge sei zu­dem über­for­dert mit Häu­sern, die sich in bau­fäl­li­gem Zu­stand be­fän­den. «Bür­ger­häu­ser kann man leicht schüt­zen, weil ih­re Sub­stanz trägt. Die bil­lig ge­bau­ten Fierz-Häu­ser da­ge­gen stür­zen ir­gend­wann ein, wenn man sie nicht komp­lett er­neu­ert.»

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Das Hoch­bau­de­par­te­ment ver­tei­digt den Bau­stopp: «Die Eigen­tü­mer hät­ten das Dach nicht ein­fach ab­reis­sen dür­fen», sagt Spre­cher Urs Spin­ner. «Grös­se­re Um­bau­ten brau­chen eine Be­wil­li­gung — bei in­ven­ta­ri­sier­ten Ob­jek­ten so­wie­so. Das soll­ten Eigen­tü­mer wis­sen.» Wer eine in­ven­ta­ri­sier­te Lie­gen­schaft be­sit­ze, müs­se mit ei­nem län­ge­ren Ver­fah­ren re­chnen. Nicht weil die Stadt Eigen­tü­mer schi­ka­nie­re, son­dern weil sie das In­ter­es­se der Öf­fent­lich­keit durch­set­ze, wert­vol­le Bau­ten zu er­hal­ten. «Das kann läs­tig sein. Aber wir kön­nen nicht die­je­ni­gen be­loh­nen, die uns vor vol­len­de­te Tat­sa­chen stel­len.»

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Ver­fah­ren wur­de stren­ger

Den Ein­druck, dass sich die Be­wil­li­gungs­pra­xis ver­schärft ha­be, be­stä­tigt Spin­ner hin­ge­gen. Lan­ge sei die Stadt ei­nen prag­ma­ti­schen Weg ge­gan­gen, bis sie 2010 in ei­nem Pro­zess ge­gen den Zür­cher Hei­mat­schutz un­ter­lag. Das Bau­rekurs­ge­richt rüg­te das schnel­le Ver­fah­ren in Be­zug auf ei­nen Vil­len­gar­ten am Zü­rich­berg. Künf­tig müs­se die Stadt vor je­der Ver­än­de­rung einer in­ven­ta­ri­sier­ten Lie­gen­schaft um­fas­sen­de Schutz­ab­klä­run­gen tref­fen. «Wir ver­lie­ren sel­ten vor Ge­richt. Aber wenn, dann zie­hen wir un­se­re Leh­ren da­raus», sagt Spin­ner.

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Wie lan­ge die Hein­rich­stras­se 37 oh­ne Dach bleibt, ist un­klar. Die Tho­mas-Fehrs rech­nen da­mit, dass bis zur nach­träg­li­chen Be­wil­li­gung noch meh­re­re Mo­na­te ver­ge­hen. Die Stadt hat ih­nen ge­ra­ten, das pro­vi­so­ri­sche Dach so­lid zu ver­an­kern und gut ab­zu­dich­ten. «Da das Ver­fah­ren an die Un­ter­schutz­stel­lung der gan­zen Sied­lung ge­kop­pelt ist», so Urs Spin­ner, «kann es noch viel Zeit be­an­spru­chen.»

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Quartier­verein be­fürch­tet «we­sent­li­chen Ein­griff in die Eigen­tums­frei­heit»

Stadt­rat will al­le Fierz-Häu­ser unter Schutz stel­len

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Zürich — Die rund 40 Eigen­tü­mer al­ler Fierz-Häu­ser be­ka­men En­de April einen Brief vom Hoch­bau­de­par­te­ment. Vor­ste­her An­dré Oder­matt ha­be die bis­her in­ven­ta­ri­sier­ten Häu­ser vor­sorg­lich un­ter Schutz ge­stellt, heisst es da­rin. «Auf­grund ih­rer Aus­deh­nung er­reicht die Sied­lung eine ho­he städ­te­bau­li­che Präg­nanz und bil­det eine grü­ne Oa­se mit über­durch­schnitt­li­cher Wohn­qua­li­tät.» In den nächs­ten Mo­na­ten wer­den Ex­per­ten eine de­fi­ni­ti­ve Un­ter­schutz­stel­lung prü­fen, sagt Urs Spin­ner. Theo­re­tisch wä­re auch eine Ent­las­sung mög­lich.

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Die­se Prü­fung an­ge­stos­sen hat das Ver­fah­ren an der Hein­rich­stras­se 37, wie Urs Spin­ner Ver­mu­tun­gen aus dem Quar­tier be­stä­tigt. Al­ler­dings nicht, weil die Tho­mas-Fehrs ihr Dach oh­ne Be­wil­li­gung er­set­zen woll­ten. Die Hein­rich­stras­se 37 bil­de seit Jah­ren das ers­te grös­se­re Um­bau­vor­ha­ben an einem der Fierz-Häu­ser. «Die­se sind vor al­lem als En­semb­le schüt­zens­wert. Des­halb er­gibt die Ab­klä­rung eines ein­zel­nen Hau­ses nur im Ge­samt­kon­text Sinn», sagt Urs Spin­ner. Die­ses Vor­ge­hen ist auch die Fol­ge eines Ge­richts­ur­teils, das bei Än­de­run­gen an in­ven­ta­ri­sier­ten Ob­jek­ten um­fas­sen­de Ab­klä­run­gen for­dert.

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Nach einer Un­ter­schutz­stel­lung dürf­ten Eigen­tü­mer kaum mehr et­was an ih­ren Häu­sern än­dern, oh­ne vor­her die Zu­stim­mung der Denk­mal­pfle­ge ein­zu­ho­len. Die Mass­nah­me be­deu­te des­halb einen «we­sent­li­chen Ein­griff in die Eigen­tums­frei­heit», schreibt der Quar­tier­ve­rein in einem Brief. Er kri­ti­siert das «ab­rup­te» Vor­ge­hen der Stadt, die auf Ge­sprä­che mit den Be­trof­fe­nen ver­zich­tet ha­be. Aus­ser­dem wirk­ten die Be­hör­den un­glaub­wür­dig, weil nicht sie, son­dern der Quar­tier­ve­rein die ers­ten Schutz­mass­nah­men durch­ge­setzt ha­be.

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Auch bei einer Un­ter­schutz­stel­lung wer­de man kei­ne Glas­gloc­ke über die Sied­lung sen­ken, sagt Urs Spinn­ner. «Wir wür­den ein kla­res Ent­wick­lungs­kon­zept er­ar­bei­ten, das auf­zeigt, was mög­lich wä­re und was nicht mehr.» Ge­gen ver­ord­ne­te Schutz­mass­nah­men kön­nen die Eigen­tü­mer ge­richt­lich vor­ge­hen. Wes­halb der Pro­zess wohl Jah­re dau­ern dürf­te.

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