Vitus Huonder im bischöflichen Schloss, Chur: «Vertrete schlicht und einfach Lehre der Kirche»
FOTO: R. RUIS
CHUR/ZÜRICH Mit der Forderung, wiederverheiratete Geschiedene müssten von den Sakramenten ausgeschlossen werden, sorgt Bischof Vitus Huonder schweizweit für Empörung. Jetzt äusserst sich der Vorsteher des Bistums Chur erstmals zur Kritik an seinem Hirtenbrief. «Ich vertrete schlicht und einfach die Lehre der Kirche», verteidigt er sich im Exklusivinterview mit der SonntagsZeitung.
Gemäss dieser Lehre lebten Wiederverheiratete «objektiv betrachtet in einer ungeordneten Situation». Daher dürften sie zu Sakramenten nicht zugelassen werden. Das gilt nicht nur für die Kommunion. Auch bei der Beichte gebe es «Probleme». Er stelle in der Schweiz einen «Riesendruck» fest, gängige gesellschaftliche Standards in der Kirche zu übernehmen. Diese dürfe sich nicht von der Mehrheit abhängig machen. «Wenn sie gesellschaftlichen Trends nachlaufen würde, wäre sie nicht mehr römisch katholisch.» Dass sich Gläubige abwenden, sei hinzunehmen: «Man muss leider in Kauf nehmen, wenn es zu Kirchenaustritten kommt.»
Kein Verständnis für die Ansichten Huonders hat der Abt des Klosters Engelberg, Christian Meyer. «Kirchenrechtlich sind sie zwar korrekt, für die Seelsorge aber sehr problematisch.» Einige Formulierungen im Hirtenbrief seien unklug. «Mit solchen Äusserungen erteilt Bischof Huonder Geschiedenen eine Ohrfeige und ebenso Priestern, die sich um diese Menschen kümmern.»
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Martin Spieler
Martin Spieler
«Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein», sagte Jesus den Schriftgelehrten und Pharisäern, die eine Ehebrecherin steinigen wollten.
An diese Bibelworte musste ich denken, als ich den Hirtenbrief von Bischof Vitus Huonder las, der heute in den katholischen Kirchen des Bistums Chur verkündet werden soll. Jede Scheidung sei ein menschliches Drama für Eheleute und betroffene Kinder, räumt Huonder ein. Umso unverständlicher ist, dass er für Geschiedene, die wieder geheiratet haben, den Ausschluss von den Sakramenten fordert. Wie sehr er damit nicht nur die Gefühle von Christen verletzt, sondern auch kirchenintern im Abseits steht, zeigt die Tatsache, dass sich viele Priester weigern, den Hirtenbrief zu verlesen. Damit Sie sich selbst ein Urteil bilden können, hatten wir ihn als Fastenhirtenbrief (www.zumkuckcuksei.net/PDF/2012_Fastenhirtenbrief.pdf) aufgeschaltet und Bischof Huonder mit der Kritik (Seiten 6/7 und Kommentar von Weihbischof Grichting [www.zumkuckcuksei.net/PDF/BistumChur-241.pdf]) konfrontiert. Er möchte die Menschen zum Glauben hinführen und ihnen helfen, verteidigt sich Bischof Huonder im Exklusivinterview mit der SonntagsZeitung. Mit seiner harten Linie nimmt er bewusst Kirchenaustritte in Kauf. Anders als Jesus, der sich mit Gesetzesbrechern, dem unehrlichen Zöllner Zachäus und Prostituierten an einen Tisch setzte, stösst Huonder mit seiner unbarmherzigen Haltung jene, die seelische Unterstützung brauchen, vor den Kopf. Statt die Arme weit für Menschen in Not zu öffnen, verschliesst er ihnen mit Verweis auf die kirchliche Lehre den Zugang zu den Sakramenten. Nicht einmal die Beichte will der Bischof angeblichen Sündern, die oft wieder Familien mit Kindern haben, vorbehaltlos abnehmen. Dabei sagt Jesus: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Für gläubige Christen ist die Fastenzeit eine Zeit der Einkehr und des Friedens. Mit dem Hirtenbrief sät Bischof Huonder Unfrieden und brüskiert Gläubige. Der Widerstand von Priestern stimmt immerhin optimistisch, da es in der katholischen Kirche viele Kräfte gibt, die nicht auf Dogmen bauen, sondern den Fokus auf Menschen und ihre Nöte legen. Von einem Bischof darf man erwarten, dass er sich nicht nur dogmatisch auf eine rückwärtsgewandte Lehre beruft, sondern Antworten bietet auf die realen Sorgen der Gläubigen.
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Bischof Huonder: «Bei wiederverheirateten Geschiedenen gibt es ein Problem»
Foto: M. Spieler
Bischof Huonder: «Bei wiederverheirateten Geschiedenen gibt es ein Problem»
Foto: M. Spieler
CHUR Bischof Vitus Huonder, Vorsteher des Bistums Chur, sorgt mit einem Hirtenbrief für Aufregung. Jetzt nimmt er erstmals dazu Stellung.
Herr Bischof, würden Sie sich als hart bezeichnen?
Nein. Ich will das auch nicht sein. Ich möchte die Menschen zum Glauben hinführen und ihnen helfen. Vielleicht wirkt das nach aussen manchmal hart.
Sie fordern in einem Hirtenbrief, dass Wiederverheiratete von den Sakramenten ausgeschlossen werden. Viele Pfarrer weigern sich, Ihren Brief zu verlesen.
Das kommt auch bei anderen Hirtenbriefen vor. Da greift der Bischof nicht ein. Wir haben heute auch andere Möglichkeiten, den Hirtenbrief zu publizieren, sei es auf der Homepage oder über ein katholisches Radio wie Radio Maria oder Radio Gloria.
Was sagen Sie zum Vorwurf, Ihr Brief sei ein «gewaltiger Rückschritt».
Wenn die Wahrheit auf den Tisch kommt, ist das immer ein Fortschritt. Ich vertrete schlicht und einfach die Lehre der Kirche, diese ist zeitlos gültig.
Geschiedene, die nicht allein bleiben wollen, leben in Sünde?
Nach der Lehre der katholischen Kirche leben sie objektiv betrachtet in einer ungeordneten Situation. Was dies in ihrem Gewissen und vor Gott bedeutet, weiss nur Gott. Aber die Kirche muss sich an die von Christus überlieferte Lehre halten.
Können Sie sich vorstellen, dass die von Ihnen vertretenen Regeln auf Unverständnis stossen?
Beliebt waren auch die 10 Gebote nie, aber sie gehören zu den christlichen Essentials.
Befürchten Sie nicht, dass Ihre Aussagen zu noch mehr Kirchenaustritten führen?
Natürlich gibt es Menschen, die auf solche Hinweise negativ reagieren. Es gibt aber auch jene, die dankbar sind. Man muss leider in Kauf nehmen, wenn es zu Austritten kommt. Denn nochmals: Ich vertrete einfach die Lehre der Kirche. Ich kann nicht anders.
Viele Pfarrer finden, man solle auch Wiederverheirateten im Namen der Barmherzigkeit die Sakramente spenden.
Ich weise in meinem Brief auf das Bedürfnis einer Stärkung der Seelsorge für diese Menschen hin, das ist das Hauptanliegen in der Frage der Barmherzigkeit. Es gibt diesbezüglich zu wenig Angebote. Deshalb wurde im Hirtenbrief ein Blatt mit Referenzen gegeben. Man muss helfen, aber richtig!
Auf dem Blatt stehen Adressen von Selbsthilfegruppen …
Da ist einiges geschehen in den letzten Jahren. Wiederverheiratete Geschiedene haben Gruppen gebildet, die von Geistlichen geleitet werden. Sie sollen spüren, dass sie nicht abgelehnt werden.
Warum haben Sie das Thema der Geschiedenen gewählt?
Ich wurde in letzter Zeit vermehrt darauf angesprochen. Es ist ein brennendes Thema. Schliesslich ist die Ehe die Keimzelle unserer Gesellschaft.
Finden Sie, die Kirche in der Schweiz sei zu weich geworden und nehme sich zu viele Freiheiten von den Glaubensdogmen?
Ich stelle fest, dass in der Schweiz offenbar ein Riesendruck herrscht, gängige gesellschaftliche Standards auch in der Kirche zu übernehmen. Dabei hat sich die Kirche nie von der Mehrheit abhängig gemacht. Wir sind als römischkatholische Kirche Teil der Weltkirche und keine Nationalkirche. Wir müssen auch gesellschaftliche, zeitbedingte Standards hinterfragen.
Heute wird in der Schweiz fast jede zweite Ehe geschieden.
Die Kirche müsste umdenken.
Seit 2000 Jahren ist die katholische Kirche der Weisung Jesu gefolgt. Wenn sie gesellschaftlichen Trends nachlaufen würde, wäre sie nicht mehr römisch katholisch, sondern nur noch relativ katholisch.
Könnte es irgendwann zu einer Spaltung der katholischen Kirche in der Schweiz kommen?
Wir haben seit Jahren verschiedene Positionen. Das war schon immer so. Sie kommen jetzt vielleicht mehr zur Geltung. Ich habe keine Angst, dass es zu einer Spaltung kommt. Aber es gibt verschiedene Lager, das ist klar.
Welche anderen Sakramente sind bei Zweitehen verboten?
Es geht nicht um Verbote. Sakramente können im Gläubigen nur dann fruchtbar und wirksam werden, wenn sie gemäss dem Glauben der Kirche empfangen werden. Das gilt für alle Sakramente.
Zum Beispiel?
Die Beichte ist mit gewissen Auflagen verbunden. Es gilt immer, dass man den Zustand, der nicht geordnet ist, ändert. Hier gibt es bei wiederverheirateten Geschiedenen Probleme.
Haben Sie nicht geahnt, dass Ihr Hirtenbrief für Wirbel sorgen wird?
Ich war mir bewusst, dass es ein delikates Problem ist. Und dass man wahrscheinlich den ganzen Kontext vergisst und etwas herauspickt. Deshalb möchte ich betonen, dass man den Brief als Ganzes sehen muss. Wenn man dessen Anliegen versteht, hat man es auch nicht nötig, den Verfasser fertigzumachen.
Was passiert mit Pfarrern, die bei Zweitehen weiterhin die Sakramente spenden?
Es gilt die Regel, dass der Priester dem Gläubigen die Kommunion spendet, der hinzutritt. Er kann über die Verfassung der Person nicht urteilen. Er darf auch niemanden blossstellen. Es ist aber seine Aufgabe, im seelsorglichen Gespräch darauf hinzuweisen, unter welchen Bedingungen ein fruchtbarer Empfang der Kommunion möglich ist. Dazu braucht es, wie ich im Brief erwähne, besonderes Feingefühl. Diese seelsorgliche Haltung erwarte ich von den Priestern.
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ZÜRICH — 53 Seelsorger des Dekanats Winterthur haben bis zum Samstag den Brief von Hugo Gehring mitunterzeichnet. Sie zeigen sich solidarisch mit dem Dekan, der sich im Namen der katholischen Seelsorger von Bischof Huonders Hirtenbrief «deutlich distanziert». Im Dekanat Uri sorgte der Hirtenbrief für hitzige Debatten. Daniel Krieg, Dekan von Uri: «Wir haben die Diskussion abgebrochen, weil ich als Dekan nicht will, dass diese Frage einen Keil zwischen uns treibt.» Einige Pfarrer in Uri lesen den Brief vor, andere verzichten darauf.
Eine klare Position vertritt der Abt des Klosters Engelberg, Christian Meyer: «Ich habe entschieden, dass wir den Hirtenbrief bei uns nicht verlesen.» Das Schreiben werde aber aufgelegt, damit sich Gläubige selbst ein Urteil bilden können. Einige Formulierungen im Hirtenbrief seien unklug. «Kirchenrechtlich sind sie zwar korrekt, für die Seelsorge aber sehr problematisch», sagt der Abt. «Mit solchen Äusserungen erteilt Bischof Huonder Geschiedenen eine Ohrfeige und ebenso Priestern, die sich um diese Menschen kümmern.»
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