Vitus Huonder

Vi­tus Huon­der im bi­schöf­li­chen Schloss, Chur: «Ver­tre­te schlicht und ein­fach Leh­re der Kir­che»

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«Kirchen­aus­tritte muss man in Kauf neh­men»

Churer Bi­schof Huon­der wehrt sich erst­mals ge­gen Kri­tik an sei­nem Hir­te­nbrief

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VON NADJA PASTEGA, STÉPHANE BERNEY UND MARTIN SPIELER

CHUR/ZÜRICH Mit der For­de­rung, wie­der­ver­hei­ra­te­te Ge­schie­de­ne müss­ten von den Sak­ra­men­ten aus­ge­schlos­sen wer­den, sorgt Bi­schof Vi­tus Huon­der schweiz­weit für Em­pö­rung. Jetzt äus­serst sich der Vor­ste­her des Bis­tums Chur erst­mals zur Kri­tik an sei­nem Hir­ten­brief. «Ich ver­tre­te schlicht und ein­fach die Leh­re der Kir­che», ver­tei­digt er sich im Ex­klu­siv­in­ter­view mit der Sonn­tags­Zei­tung.

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Gemäss die­ser Leh­re leb­ten Wie­der­ver­hei­ra­te­te «ob­jek­tiv be­trach­tet in ei­ner un­ge­ord­ne­ten Si­tua­ti­on». Da­her dürf­ten sie zu Sak­ra­men­ten nicht zu­ge­las­sen wer­den. Das gilt nicht nur für die Kom­mu­ni­on. Auch bei der Beich­te ge­be es «Prob­le­me». Er stel­le in der Schweiz einen «Rie­sen­druck» fest, gän­gi­ge ge­sell­schaft­li­che Stan­dards in der Kir­che zu über­neh­men. Die­se dür­fe sich nicht von der Mehr­heit ab­hän­gig ma­chen. «Wenn sie ge­sell­schaft­li­chen Trends nach­lau­fen wür­de, wä­re sie nicht mehr rö­misch ka­tho­lisch.» Dass sich Gläu­bi­ge ab­wen­den, sei hin­zu­neh­men: «Man muss lei­der in Kauf neh­men, wenn es zu Kir­chen­aus­trit­ten kommt.»

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Kein Ver­ständ­nis für die An­sich­ten Huon­ders hat der Abt des Klos­ters En­gel­berg, Chris­tian Mey­er. «Kir­chen­recht­lich sind sie zwar kor­rekt, für die Seel­sor­ge aber sehr prob­le­ma­tisch.» Ei­ni­ge For­mu­lie­run­gen im Hir­ten­brief sei­en un­klug. «Mit sol­chen Äus­se­run­gen er­teilt Bi­schof Huon­der Ge­schie­de­nen ei­ne Ohr­fei­ge und eben­so Pries­tern, die sich um die­se Men­schen küm­mern.»

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Martin Spieler

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E D I T O R I A L

Martin Spieler

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Liebe Le­se­rin­nen und Leser

MARTIN SPIELER, CHEFREDAKTOR

«Wer oh­ne Sün­de ist, wer­fe den ers­ten Stein», sagte Je­sus den Schrift­ge­lehr­ten und Pha­ri­sä­ern, die ei­ne Ehe­bre­che­rin stei­ni­gen woll­ten.

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An die­se Bi­bel­wor­te muss­te ich den­ken, als ich den Hir­ten­brief von Bi­schof Vi­tus Huon­der las, der heu­te in den ka­tho­li­schen Kir­chen des Bis­tums Chur ver­kün­det wer­den soll. Je­de Schei­dung sei ein mensch­li­ches Dra­ma für Ehe­leu­te und be­trof­fe­ne Kin­der, räumt Huon­der ein. Um­so un­ver­ständ­li­cher ist, dass er für Ge­schie­de­ne, die wie­der ge­hei­ra­tet ha­ben, den Aus­schluss von den Sak­ra­men­ten for­dert. TOP Wie sehr er da­mit nicht nur die Ge­füh­le von Chris­ten ver­letzt, son­dern auch kir­chen­in­tern im Ab­seits steht, zeigt die Tat­sache, dass sich vie­le Pries­ter wei­gern, den Hir­ten­brief zu ver­le­sen. Da­mit Sie sich selbst ein Ur­teil bil­den kön­nen, hat­ten wir ihn als Fastenhirtenbrief (www.zumkuckcuksei.net/PDF/2012_Fastenhirtenbrief.pdf) auf­ge­schal­tet und Bi­schof Huon­der mit der Kri­tik (Seiten 6/7 und Kom­men­tar von Weih­bi­schof Grich­ting [www.zumkuckcuksei.net/PDF/BistumChur-241.pdf]) kon­fron­tiert. Er möch­te die Men­schen zum Glau­ben hin­füh­ren und ih­nen hel­fen, ver­tei­digt sich Bi­schof Huon­der im Ex­klu­siv­in­ter­view mit der Sonn­tags­Zei­tung. Mit sei­ner har­ten Li­nie nimmt er be­wusst Kir­chen­aus­trit­te in Kauf. An­ders als Je­sus, der sich mit TOP Ge­set­zes­bre­chern, dem un­ehr­li­chen Zöll­ner Za­chä­us und Pros­ti­tu­ier­ten an ei­nen Tisch setz­te, stösst Huon­der mit sei­ner un­barm­her­zi­gen Hal­tung je­ne, die see­li­sche Un­ter­stüt­zung brau­chen, vor den Kopf. Statt die Ar­me weit für Men­schen in Not zu öff­nen, ver­schliesst er ih­nen mit Ver­weis auf die kirch­li­che Leh­re den Zu­gang zu den Sak­ra­men­ten. Nicht ein­mal die Beich­te will der Bi­schof an­geb­li­chen Sün­dern, die oft wie­der Fa­mi­li­en mit Kin­dern ha­ben, vor­be­halt­los ab­neh­men. Da­bei sagt Je­sus: Nicht die TOP Ge­sun­den brau­chen den Arzt, son­dern die Kran­ken. Für gläu­bi­ge Chris­ten ist die Fas­ten­zeit ei­ne Zeit der Ein­kehr und des Frie­dens. Mit dem Hir­ten­brief sät Bi­schof Huon­der Un­frie­den und brüs­kiert Gläu­bi­ge. Der Wi­der­stand von Pries­tern stimmt im­mer­hin op­ti­mis­tisch, da es in der ka­tho­li­schen Kir­che vie­le Kräf­te gibt, die nicht auf Dog­men bau­en, son­dern den Fo­kus auf Men­schen und ih­re Nö­te le­gen. Von ei­nem Bi­schof darf man er­war­ten, dass er sich nicht nur dog­ma­tisch auf ei­ne rück­wärts­ge­wand­te Leh­re be­ruft, son­dern Ant­wor­ten bie­tet auf die rea­len Sor­gen der Gläu­bi­gen.

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«Beliebt waren auch die 10 Ge­bo­te nie»

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Vi­tus Huon­der, Chu­rer Bi­schof, über «christ­li­che Essen­tials», Selbst­hilfe­grup­pen für wie­der­ver­hei­ra­te­te Ge­schie­de­ne und Prie­ster als Seel­sor­ger

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VON NADJA PASTEGA, STÉPHANE BERNEY TEXT UND RENÉ RUIS FOTO
Martin Spieler

Bischof Huon­der: «Bei wie­der­ver­hei­ra­te­ten Ge­schie­de­nen gibt es ein Prob­lem»

Foto: M. Spieler

v. Martin Spieler

Bischof Huon­der: «Bei wie­der­ver­hei­ra­te­ten Ge­schie­de­nen gibt es ein Prob­lem»

Foto: M. Spieler

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CHUR Bi­schof Vi­tus Huon­der, Vor­ste­her des Bis­tums Chur, sorgt mit einem Hir­ten­brief für Auf­re­gung. Jetzt nimmt er erst­mals da­zu Stel­lung.

Herr Bi­schof, wür­den Sie sich als hart be­zeich­nen?

Nein. Ich will das auch nicht sein. Ich möch­te die Men­schen zum Glau­ben hin­füh­ren und ih­nen hel­fen. Viel­leicht wirkt das nach aus­sen manch­mal hart.

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Sie for­dern in ei­nem Hir­ten­brief, dass Wie­der­ver­hei­ra­te­te von den Sak­ra­men­ten aus­ge­schlos­sen wer­den. Vie­le Pfar­rer wei­gern sich, Ih­ren Brief zu ver­le­sen.

Das kommt auch bei an­de­ren Hir­ten­brie­fen vor. Da greift der Bi­schof nicht ein. Wir ha­ben heu­te auch an­de­re Mög­lich­kei­ten, den Hir­ten­brief zu pub­li­zie­ren, sei es auf der Ho­me­pa­ge oder über ein ka­tho­li­sches Ra­dio wie Ra­dio Ma­ria oder Ra­dio Glo­ria.

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Was sa­gen Sie zum Vor­wurf, Ihr Brief sei ein «ge­wal­ti­ger Rück­schritt».

Wenn die Wahr­heit auf den Tisch kommt, ist das im­mer ein Fort­schritt. Ich ver­tre­te schlicht und ein­fach die Leh­re der Kir­che, die­se ist zeit­los gül­tig.

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Ge­schie­de­ne, die nicht al­lein blei­ben wol­len, le­ben in Sün­de?

Nach der Leh­re der ka­tho­li­schen Kir­che le­ben sie ob­jek­tiv be­trach­tet in ei­ner un­ge­ord­ne­ten Si­tua­ti­on. Was dies in ih­rem Ge­wis­sen und vor Gott be­deu­tet, weiss nur Gott. Aber die Kir­che muss sich an die von Chris­tus über­lie­fer­te Leh­re hal­ten.

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Kön­nen Sie sich vor­stel­len, dass die von Ih­nen ver­tre­te­nen Re­geln auf Un­ver­ständ­nis stos­sen?

Be­liebt wa­ren auch die 10 Ge­bo­te nie, aber sie ge­hö­ren zu den christ­li­chen Es­sen­tials.

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Be­fürch­ten Sie nicht, dass Ih­re Aus­sa­gen zu noch mehr Kir­chen­aus­trit­ten füh­ren?

Na­tür­lich gibt es Men­schen, die auf sol­che Hin­wei­se ne­ga­tiv rea­gie­ren. Es gibt aber auch je­ne, die dank­bar sind. Man muss lei­der in Kauf neh­men, wenn es zu Aus­trit­ten kommt. Denn noch­mals: Ich ver­tre­te ein­fach die Leh­re der Kir­che. Ich kann nicht an­ders.

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Vie­le Pfar­rer fin­den, man solle auch Wie­der­ver­hei­ra­te­ten im Na­men der Barm­her­zig­keit die Sak­ra­men­te spen­den.

Ich wei­se in mei­nem Brief auf das Be­dürf­nis ei­ner Stär­kung der Seel­sor­ge für die­se Men­schen hin, das ist das Haupt­an­lie­gen in der Fra­ge der Barm­her­zig­keit. Es gibt dies­be­züg­lich zu we­nig An­ge­bo­te. Des­halb wur­de im Hir­ten­brief ein Blatt mit Re­fe­ren­zen ge­ge­ben. Man muss hel­fen, aber rich­tig!

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Auf dem Blatt ste­hen Ad­res­sen von Selbst­hil­fe­grup­pen …

Da ist eini­ges ge­sche­hen in den letz­ten Jah­ren. Wie­der­ver­hei­ra­te­te Ge­schie­de­ne ha­ben Grup­pen ge­bil­det, die von Geist­li­chen ge­lei­tet wer­den. Sie sol­len spü­ren, dass sie nicht ab­ge­lehnt wer­den.

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Wa­rum ha­ben Sie das The­ma der Ge­schie­de­nen ge­wählt?

Ich wur­de in letz­ter Zeit ver­mehrt dar­auf an­ge­spro­chen. Es ist ein bren­nen­des The­ma. Schliess­lich ist die Ehe die Keim­zel­le un­se­rer Ge­sell­schaft.

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Fin­den Sie, die Kir­che in der Schweiz sei zu weich ge­wor­den und neh­me sich zu vie­le Frei­hei­ten von den Glau­bens­dog­men?

Ich stel­le fest, dass in der Schweiz of­fen­bar ein Rie­sen­druck herrscht, gän­gi­ge ge­sell­schaft­li­che Stan­dards auch in der Kir­che zu über­neh­men. Da­bei hat sich die Kir­che nie von der Mehr­heit ab­hän­gig ge­macht. Wir sind als rö­misch­ka­tho­li­sche Kir­che Teil der Welt­kir­che und ke­ine Na­tio­nal­kir­che. Wir müs­sen auch ge­sell­schaft­li­che, zeit­be­ding­te Stan­dards hin­ter­fra­gen.

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Heu­te wird in der Schweiz fast je­de zwei­te Ehe ge­schie­den.

Die Kir­che müss­te um­den­ken.

Seit 2000 Jah­ren ist die ka­tho­li­sche Kir­che der Wei­sung Je­su ge­folgt. Wenn sie ge­sell­schaft­li­chen Trends nach­lau­fen wür­de, wä­re sie nicht mehr rö­misch ka­tho­lisch, son­dern nur noch re­la­tiv ka­tho­lisch.

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Könn­te es ir­gend­wann zu ei­ner Spal­tung der ka­tho­li­schen Kir­che in der Schweiz kom­men?

Wir ha­ben seit Jah­ren ver­schie­de­ne Po­si­tio­nen. Das war schon im­mer so. Sie kom­men jetzt viel­leicht mehr zur Gel­tung. Ich ha­be kei­ne Angst, dass es zu ei­ner Spal­tung kommt. Aber es gibt ver­schie­de­ne La­ger, das ist klar.

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Wel­che an­de­ren Sak­ra­men­te sind bei Zweit­ehen ver­bo­ten?

Es geht nicht um Ver­bo­te. Sak­ra­men­te kön­nen im Gläu­bi­gen nur dann frucht­bar und wirk­sam wer­den, wenn sie ge­mäss dem Glau­ben der Kir­che em­pfan­gen wer­den. Das gilt für al­le Sak­ra­men­te.

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Zum Beispiel?

Die Beich­te ist mit ge­wis­sen Auf­la­gen ver­bun­den. Es gilt im­mer, dass man den Zu­stand, der nicht ge­ord­net ist, än­dert. Hier gibt es bei wie­der­ver­hei­ra­te­ten Ge­schie­de­nen Prob­le­me.

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Ha­ben Sie nicht ge­ahnt, dass Ihr Hir­ten­brief für Wir­bel sor­gen wird?

Ich war mir be­wusst, dass es ein de­li­ka­tes Prob­lem ist. Und dass man wahr­schein­lich den gan­zen Kon­text ver­gisst und et­was her­aus­pickt. Des­halb möch­te ich be­to­nen, dass man den Brief als Gan­zes se­hen muss. Wenn man des­sen An­lie­gen ver­steht, hat man es auch nicht nö­tig, den Ver­fas­ser fer­tig­zu­ma­chen.

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Was pas­siert mit Pfar­rern, die bei Zweit­ehen wei­ter­hin die Sak­ra­men­te spen­den?

Es gilt die Re­gel, dass der Pries­ter dem Gläu­bi­gen die Kom­mu­ni­on spen­det, der hin­zu­tritt. Er kann über die Ver­fas­sung der Per­son nicht ur­tei­len. Er darf auch nie­man­den bloss­stel­len. Es ist aber sei­ne Auf­ga­be, im seel­sorg­li­chen Ge­spräch dar­auf hin­zu­wei­sen, un­ter wel­chen Be­din­gun­gen ein frucht­ba­rer Em­pfang der Kom­mu­ni­on mög­lich ist. Da­zu braucht es, wie ich im Brief er­wäh­ne, be­son­de­res Fein­ge­fühl. Die­se seel­sorg­li­che Hal­tung er­war­te ich von den Pries­tern.

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Wider­stand wächst

Im­mer mehr Prie­ster kri­ti­sie­ren Huon­der

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R. REY, P. WESSALOSWKI, M. SPIELER

ZÜRICH — 53 Seel­sor­ger des De­ka­nats Win­ter­thur ha­ben bis zum Sams­tag den Brief von Hu­go Geh­ring mit­un­ter­zeich­net. Sie zei­gen sich so­li­da­risch mit dem De­kan, der sich im Na­men der ka­tho­li­schen Seel­sor­ger von Bi­schof Huon­ders Hir­ten­brief «deut­lich di­stan­ziert». Im De­ka­nat Uri sorg­te der Hir­ten­brief für hit­zi­ge De­bat­ten. Dan­i­el Krieg, De­kan von Uri: «Wir ha­ben die Dis­kus­si­on ab­ge­bro­chen, weil ich als De­kan nicht will, dass die­se Fra­ge ei­nen Keil zwi­schen uns treibt.» Ei­ni­ge Pfar­rer in Uri le­sen den Brief vor, an­de­re ver­zich­ten dar­auf.

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Eine kla­re Po­si­ti­on ver­tritt der Abt des Klos­ters En­gel­berg, Chris­tian Mey­er: «Ich ha­be ent­schie­den, dass wir den Hir­ten­brief bei uns nicht ver­le­sen.» Das Schrei­ben wer­de aber auf­ge­legt, da­mit sich Gläu­bi­ge selbst ein Ur­teil bil­den kön­nen. Ei­ni­ge For­mu­lie­run­gen im Hir­ten­brief sei­en un­klug. «Kir­chen­recht­lich sind sie zwar kor­rekt, für die Seel­sor­ge aber sehr prob­le­ma­tisch», sagt der Abt. «Mit sol­chen Äus­se­run­gen er­teilt Bi­schof Huon­der Ge­schie­de­nen ei­ne Ohr­fei­ge und eben­so Pries­tern, die sich um die­se Men­schen küm­mern.»

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Inter­view mit Bischof Vi­tus Huon­der (Er­gän­zung zum ab­ge­druck­ten Text in der Zei­tung)

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