In den meisten Ländern dieser Welt ist die Verfassung das höchste und damit das wichtigste, fundamentalste Gesetz, so auch in der Schweiz. Und darum ist es so wichtig: “Wer darf daran etwas ändern?” Gerade in Demokratien, sind die Hürden, hier daran etwas zu ändern, besonders gross. (In Diktaturen ändert sie der Diktator nach eigenem belieben.)
In «parlamentarischen» Demokratien ist es in aller Regel die gesetzgebende Behörde, das Parlament. Doch während alle anderen Beschlüsse meist durch einfache Mehrheit entschieden werden, braucht es in fast allen solchen Ländern ein «qualifiziertes Mehr», meist zwei Drittel oder drei Viertel der Abgeordneten müssen einer Verfassungsänderung zustimmen, damit sie gültig wird. Hier besteht dann die Gefahr, dass Minderheiten nicht mehr angehört werden, wenn eine Partei genügend Abgeordnete stellen kann.
Die Schweiz ist eine «direkte» Demokratie, mit stark ausgebauten politischen Rechten der Bürger. Hier ist die Hürde für eine Verfassungsänderung eine andere: Hier gibt es zwingend eine Volksabstimmung; und da braucht es eine «doppelte» Mehrheit, sowohl die Mehrheit aller Stimmenden im Land, aber auch die Mehrheit in mindestens der Hälfte der Stände (Kantone) {Das wurde absichtlich als Minderheitenschutz eingeführt, damit die grossen Kantone die kleinen nicht einfach immer überstimmen können.}. Die Änderung kann zudem auf zwei Arten aufgegleist werden:
Und jetzt kommt es zur obligatorischen Volksabstimmung, mit einfachem Mehr, aber Volks- und Ständemehr. Diese Abstimmung kann nicht verhindert werden. Im Falle eines Gegenvorschlages müssen auf dem Stimmzettel drei Fragen beantwortet werden:
Jeder Bürger nimmt unter diesen Voraussetzungen an, dass das, was in der Verfassung steht, auch gilt. — Dem ist aber nicht so. In der Verfassung steht nämlich in Artikel 190: «Bundesgesetze und Völkerrecht sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend.»
Das heisst nichts anderes als: Das Parlament kann Bundesgesetze erlassen, die der Verfassung widersprechen. Und dieses Gesetz gilt; die Gerichte müssen sich daran halten, auch wenn sie eine Verfassungsverletzung feststellen. Um sich dagegen zu wehren, kann das Volk rechtzeitig (d.h. vor Inkrafttreten) das Referendum ergreifen, dann muss darüber abgestimmt werden. Ist das Gesetz mal in Kraft, kann nur das Parlament eine Änderung erwirken.
Der Schweiz fehlt die in anderen Ländern übliche Verfassungsgerichtsbarkeit. Dort gibt es ein Verfassungsgericht, das ein Gesetzt für ungültig erklären kann und muss, wenn es die Verfassung verletzt. Es kann auch Verfassungsänderungen annullieren, wenn durch die Änderung in der Verfassung Widersprüche entstehen.
Um gewisse Gesetze zu erlassen, bräuchte es eben vorher eventuell eine Verfassungsänderung. Dazu gibt es aber überall einen vorgesehenen Weg. Was es aber nur in der Schweiz gibt, ist dass man mit einem einfachen Gesetz die Verfassung ausser Kraft setzen kann. Und wir können mit einer Verfassungsänderung kein Gesetz ungültig machen oder erzwingen (was die aktuellen Abstimmungen 2016 deutlich zeigen). Da sind wir dem Willen des Parlaments ausgeliefert. Wir können höchstens in 4 Jahren jemand anderes ins Parlament wählen, wenn wir dann noch wissen, wer uns welches Gesetz eingebrockt hat.
Es bräuchte auch in der Schweiz ein Gericht (z.B. das Bundesgericht), das folgende Kompetenzen (und Aufträge) hat:
Es ist wichtig, dass das eine unabhängige Behörde ist, die nicht befangen ist, weil sie im Gesetzgebungsprozess beteiligt ist. Saubere Gewaltentrennung ist das oberste Gebot eines Rechtsstaates.
Das Bürgerrecht, eine Initiative zu ergreifen, ist ein sehr wichtiges Instrument Es ermöglicht den Bürgern, eine Änderung im Grundgesetz, der Verfassung, vorzuschlagen. Dieses Recht wurde auf Bundesebene eingeführt, um auch den Personen, die sich im Parlament nicht vertreten fühlen, Anstösse für politische Anliegen zu geben. Zuvor konnten das nur die im Parlament vertretenen Gruppierungen tun. Es ging dabei um einen klaren Minderheitenschutz.
Eigenartigerweise wird heute dieses wichtige Instrument der Bürgerrechte ausgerechnet vor allem von den im Parlament vertretenen Gruppierungen — den Parteien im Parlament — missbraucht, um Dauerwahlkampf zu betreiben. Das sind genau diejenigen Leute, die wir ins Parlament bestellt (gewählt) haben, damit sie Gesetze machen, die Regierung beaufsichtigen und, wo nötig, Verfassungsänderungen vorschlagen.
(und Referenden)
Gerade am 28. Februar 2016 ist wieder über nicht nur umstrittene, sondern auch höchst problematische Initiativen abzustimmen. Auch hier geht es wieder ‘nur’ um Initiativtexte — also Verfassungstexte —, die mit Garantie von den Bundesgesetzen wieder ausgehebelt werden, weil sie nicht umgesetzt werden können oder nicht umgesetzt werden wollen.
Und die Gesetze machen wieder die Parlamentarier, obwohl die Initiativen von Parlamentsparteien ergriffen wurden. Dass dabei das passieren wird, was dem Bürger vorgegaukelt wird, ist überhaupt nicht anzunehmen.
Schon die Ausschaffungsinitiative wurde sehr knapp, aber eben doch angenommen. Sie hatte bereits an einigen von der Schweiz eingegangenen, internationalen Verträgen gekratzt, welche man wohl bei konsequenter Umsetzung hätte kündigen müssen, wozu sich dann aber keine Mehrheit im Parlament fand.
Inzwischen ist diese Initiative umgesetzt, nicht ganz zur Zufriedenheit der Initianten, die lieber gleich noch ein paar rechtsstaatliche Prinzipien duch die Hintertür ausser Kraft gesetzt hätten. Trotzdem wäre jetzt eine Durchsetzungsinitiative überholt.
Dennoch stimmen wir über eine Durchsetzungsinitiative ab, die nicht nur das Original verschärfen will, sondern gleich auch noch den Richtern verwehren will, den verfassungsmässigen Spielraum der Verhältnismässigkeit zu nutzen, der übrigens weltweit zu einem Rechtsstaat zwingend gehört.
Auch wird da eine willkürliche Ausgrenzung vorgenommen. Es sollen also Ausländer für Bagatellen automatisch ausgeschafft werden. Das mag ja der Volkswille sein. Ob es auch diskriminierend ist, ist eine andere Frage. Aber willkürlich ist die Begrenzung auf Secondos, Terzi (Kinder der Secondo) sind nicht betroffen. Das ist doch Willkür. Oder soll da unser Superpatriot und heimliche König geschützt werden, der ja auch ein Enkel eines Einwanderers ist. Bis jetzt galt das doch nicht als Stigma.
Und ein solcher Text soll in unsere Verfassung, dem rechtlichen Aushängeschild unseres Landes. Wir machen uns zum Gespött der Welt. Und nützen wird der Artikel rein gar nichts. Es ändert nichts. Wie oben festgehalten, müssen sich die Gerichte an die Bundesgesetze halten; und diese zu ändern dürfte im Parlament trotz neuen Mehrheiten nicht einfach werden, es sei denn, die grösste Partei beschiesst wieder mal alle Andersdenkenden auszuschliessen.
Blöde Frage: Werden wir schon bald an der Urne abstimmen, ob ein Falschparkierer geköpft oder belohnt wird.
Und es hat sich wohl niemand die Frage gestellt, was passieren soll, wenn kein Land den Auszuschaffenden aufnehmen wird.
Siehe auch:
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Tages-Anzeiger©
www.zumkuckucksei.net/Politik/exzs/TA-20160206.html
Tages-Anzeiger©
vom 6. Februar 2016.
Werbewirksame Mogelpackung. Nur besserverdiende würden profitieren. Schlecht verdienende und Paare, wo nur eines Einkommen hat, würden gar schlechter fahren, wenn die Initiative angenommen (und korrekt umgesetzt) würde.
Hier geht es um eine Änderung eines Bundesgesetzes, die vom Parlament beschlossen wurde. Dagegen wurde das Referendum ergriffen, weil es mit einer kleinen weiteren Änderung erlauben würde, den Alpenschutzartikel der Verfassung auszuhebeln.
Längst ist bekannt, dass die Sanierung des alten Tunnels sachlich nicht so schlimm ist, wie mitgeteilt, und auch bei weitem nicht so dringend.
Kreise, die den Ausbau auf vier Spuren erzwingen wollen, obwohl das der Verfassung widerspricht (eben Bundesgesetze sind wichtiger!), die möchten diesen Schritt durchboxen. Wenn die Röhre mal gebaut ist, kommt der Druck, alle vier Spuren zu öffnen so sicher wie das Amen in der Kirche.
Das Prinzip ist ganz einfach. Es braucht eine minimale weitere Änderung dieses Gesetzes, und schon gibt es vier Spuren, was auch eindeutig der Absicht widerspricht, den Alpenquerenden Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Und wenn die Röhre gebaut ist und das Parlament die erneute Änderung des Gesetzes beschliesst, wer soll dann noch die Kraft aufbringen, ein Referendum zu ergreifen, Unterschriften zu sammeln, Werbung zu finanzieren? Das Öffnen kostet ja nichts mehr.
Pikantes Detail: Sogar die Direktion der SBB befürwortet die 2. Röhre. Sie hat zwar die Milliarden teure NEAT erhalten, damit die Verlagerung auf die Schiene möglich wird. Aber jetzt soll der Tunnel nicht für Güter- oder Autozüge genutzt werden! (sondern nur für Zeit hamsternde Personen.)
Siehe auch: ➔ 2. Röhre www.zumkuckucksei.net/Politik/realpol/gotth-2.html (2. Röhre)