«Vertrag mit dem Volk» — eine Einrichtung totalitärer Regimes
An der Versammlung der SVP in Heiden wird theatralisch
ein Vertrag mit dem Volk unterzeichnet.
Der Text des Vertrages wird — auch wie in einem Strassentheater —
auf einem Transparent enthüllt.
Daran erstaunt lediglich, dass
der Text nicht in alter deutscher Fraktur
geschrieben ist.
Wie dem auch sei, anschliessend unterzeichnen
die Kandidaten der SVP für National- und Ständerat nicht wie üblich direkt den Vertrag,
sondern auf einer riesigen, leeren, weissen
Flipchart, ohne jeden Bezug zum Vertrag.
Nicht gerade rechtlich bindend; das
zeugt nicht mal davon, dass man ihn einhalten will.
Später erscheinen jede Menge Abbildungen als Inserat oder im Internet mit ein oder zwei dieser Unterschriften, mit oder ohne Foto des Unterzeichners. Haben diese Leute nun den selben Vertrag unterschrieben oder jeder seinen eigenen? Das kann unterschiedliches bedeuten.
Und wer ist das Volk, mit dem diese Leute angeblich einen Vertrag geschlossen zu haben meinen? So wie die Inserate daher kommen, muss man annehmen, die SVP selber betrachte sich als das Volk. Unterschrieben hat das Schweizer Volk nicht. Und die SVP — so sie sich selber meint — ist zum Glück mit Sympathisanten noch unter 30% der Wählenden, welche ihrerseits etwa 30% der Stimmberechtigten ausmachen. Und diese sind wiederum etwa 50% der gesamten Bevölkerung. Also ist dieser Club 30% von 30% von 50%: da bleiben noch gerade mal 4½% des Volkes; das ist ja bloss noch ein Zinssatz.
Falls also mit Volk das Schweizer Volk gemeint ist, dann ist dieser wohl gut gemeinte Vertrag Schall und Rauch, ungültig, weil kein Einverständnis des Volkes vorliegt.
Was kann der Vertag bedeuten aus der Sicht derjenigen, die ihn unterschrieben haben? Falls es sich um einen gemeinsamen Vertrag handelt, den sie alle unterschrieben haben, dann ist es ein Vertrag nur unter ihnen selber. Was kann er dann anderes bedeuten, als dass sie sich untereinander alle Pöstlein und Aufträge zuschanzen wollen.
Falls jeder seinen eigenen Vertrag unterschrieben hat, wie es in den Inseraten den Eindruck macht, dann sind es nur einseitige Verträge, ohne Partner, und jeder Unterzeichner kann ihn nach seinem eigenen Gutdünken interpretieren.
Wen wundert es da, dass diese Art von Schau-Verträgen in totalitären Staaten von den Regierenden gerne inszeniert werden.