Magazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES
«Die Entsorgungskosten steigen, die Beiträge1) aber sinken», heisst es in der neuesten Schätzung zu den Silllegungs- und Entsorgungskosten für die Schweizer AKW. Was paradox tönt, ist der neueste Anlauf der Atombranche, Kosten abzuwälzen. Das Verursacherprinzip bleibt auf der Strecke.
Von Nils Epprecht SES-Projektleiter Atom & Strom nils.epprecht@energiestiftung.ch |
Von Nils Epprecht SES-Projektleiter Atom & Strom nils.epprecht @energiestiftung.ch |
Stellen Sie sich vor, Sie bauen ein Haus. Nun eröffnet Ihnen Ihr Architekt, der Baubeginn verzögere sich. Er sei in der Planung zu rasch vorgegangen und müsse zuerst weitere Abklärungen treffen. Ein ärgerliches Unterfangen, das für Architekten im Normalfall teuer wird.
Bei der Entsorgung der radioaktiven Abfälle verläuft es ähnlich: Das Tiefenlager verspätet sich um 10 bis 15 Jahre bis mindestens ins Jahr 2060. Die mit Standortsuche und Bau beauftragte Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) wurde in den letzten Jahren mehrmals zurückgepfiffen. Nicht zuletzt, weil sie, um Kosten zu sparen, Standorte zu früh ausscheiden lassen wollte — zuletzt wieder im Fall von Nördlich Lägern.
Die Nagra gehört den AKW-Betreibern und wird durch diese finanziert. Per Gesetz müssen sie als Verursacher des Abfalls für sämtliche Kosten der Entsorgung aufkommen (Verursacherprinzip). Um den Bau des Tiefenlagers dereinst zu bezahlen, leisten die AKW-Betreiber jährlich Beiträge in den Entsorgungsfonds. Dort wird das Geld angelegt und spielt Zinsen ein, die ebenfalls für den Bau verwendet werden können. Da die Zinserträge stark schwanken, ist im Gesetz festgelegt, dass für die Berechnung der Beiträge ein Zins von 3,5 % einkalkuliert werden darf. Mit der Verspätung des Tiefenlagers fallen die Baukosten später an. Das Geld liegt länger im Fonds und bringt mehr Zinsen ein.
Im Dezember publizierte swissnuclear, der Branchenverband der AKW-Betreiber, in ihrer neusten Kostenstudie KS16 (siehe Textbox) einen moderaten Kostenaustieg. Da sie erstmals die gestiegenen Zinseinnahmen aufgrund der Verzögerungen berücksichtigte, nahmen die Beiträge im Verhältnis zu den Gesamtkosten ab. Oder um auf Ihr Haus zurückzukommen: Anstatt wie der Inhaber eines Architekturbüros für die Verzögerung eine Strafe zu bezahlen, profitieren die Besitzer der AKW finanziell für Verspätungen ihrer Nagra.
Eigentlich eine Win-win-Situation: Die in wirtschaftlichen Nöten befindlichen AKW-Betreiber müssen weniger Geld beiseite legen und weder die Eigner-Kantone noch der Bund müssen dafür einspringen. Das «fehlende» Geld wird einfach an der Börse eingespielt.
Doch was, wenn die Kostenschätzung und damit auch die Rückstellungen für die Entsorgung zu tief liegen? Die Entwicklung der Kostenschätzungen in den letzten Jahrzehnten (siehe Grafik) zeigt, dass grosse Skepsis angebracht ist: Wirklich angespart wird erst, seit die AKWBetreiber nach der Jahrtausendwende gesetzlich dazu verpflichtet wurden. Doch mit den Rückstellungen steigen seither genauso konstant auch die geschätzten Kosten. Der Fehlbetrag in den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds ist dadurch über die Jahre gesehen trotz höherer Beiträge praktisch gleich geblieben: 6 Milliarden Franken. Mehr noch: Die Fondsbestände sind nur wenig höher als die bis heute von den Betreibern direkt bezahlten Beträge für die Zwischenlagerung der abgebrannten Brennelemente sowie zur Finanzierung der Nagra. Und dies, obwohl die wirklich kostenintensiven Etappen beim Tiefenlager-Bau erst kommen.
Um dieser konstanten «Finanzierungslücke» in den Fonds entgegenzuwirken, hat die eidgenössische Finanzkontrolle vor drei Jahren deshalb einen sogenannten Sicherheitszuschlag von 30% auf die Beiträge gemäss Kostenstudie 2011 (KSll) veranlasst. Dieser Zuschlag hat die Rechnung der finanziell gebeutelten Betreiber jedoch deutlich verteuert und gesalzen.
Gleich an drei Fronten kämpfen sie seither dagegen an: Vor Gericht bekämpfen sie den Zuschlag an sich. Im Parlament versuchen sie, den Zuschlag wieder aus dem Gesetz zu entfernen. Und in der neusten KS16 wagen sie ein besonderes Husarenstück: So war bis und mit KSl1 unklar, wie Prognoseunsicherheiten und Risiken in den Kostenschätzungen berücksichtigt wurden. In der KS16 musste SWISSNUCLEAR diese nun mit 28,6 % der Gesamtkosten transparent ausweisen. Doch um die Beiträge der Betreiber zu berechnen, zieht SWISSNUCLEAR diese 28,6% gleich wieder ab und schlägt stattdessen den gesetzlichen 30%-Zuschlag hinzu. Begründung: Unsicherheiten und Risiken würden vom Sicherheitszuschlag ja bereits abgedeckt.
Alle fünf Jahre ist die sogenannte Kostenstudie zu aktualisieren. Darin werden vom Branchenverband SWISSNUCLEAR die Kosten für die Stilllegung der AKW und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle ge-schätzt. Auf deren Basis fordert das UVEK von den AKW-Betreibern Rückstellungen in die beiden staatlichen Fonds für Stilllegung bzw. Entsorgung. Referenzen für die Kostenschätzungen gibt es bisher nur im Bereich der Stilllegung, bei der Entsorgung stehen teure Misserfolge zu Buche. Auch ohne Geld für solche Misserfolge zurückzulegen, weist die neuste Kostenstudie 2016 im Vergleich zur Kostenstudie 2011 wiederum einen Kostenanstieg von 10% auf 22,6 Mrd. Franken auf. Der Löwenanteil davon, knapp 14 Milliarden, muss dereinst aus den Fonds bezahlt werden. Die übrigen Kosten fallen bereits heute an und werden direkt von den Betreibern über den laufenden Betrieb der AKW bezahlt.
Doch SWISSNUCLEAR vermischt so zwei unterschiedliche Dinge: Die 28,6% betreffen Unsicherheiten und Risiken des Bauprojekts Tiefenlager im Rahmen der Kostenschätzung — der 30 %-Sicherheitszuschlag betrifft aber die Ungenauigkeit der Kostenschätzung als solche und isteine politische Reaktion auf die ständig ansteigenden Kostenschätzungen der letzten Jahrzehnte.
Der Sicherheitszuschlag garantiert also, dass noch genügend Geld für die Entsorgung zurückgestellt wird, solange die AKW laufen und Atomstrom verkauft wird. Er ist im Sinne eines echten Verursacherprinzips zu lesen, zu dem sich auch SWISSNUCLEAR auf seiner Website bekennt: «Dank der konsequenten Anwendung des Verursacherprinzips sollen keine finanziellen Lasten an die nachfolgenden Generationen übertragen werden.» Sollte sich nämlich herausstellen, dass die Kostenschätzungen für die Endlager auch mit der KS16 zu optimistisch waren, kann das fehlende Geld angesichts der nahenden Stilllegung der Schweizer AKW nicht mehr über den Atomstromverkauf eingespielt werden. Das gleiche passiert, wenn der Zins über die nächsten Jahre weniger hoch ist, als «per Gesetz vorgesehen» — was im Tiefzinsumfeld der letzten Jahre teilweise der Fall war. In diesem Fall bezahlen nicht die heutigen AKW-Betreiber, sondern die nachfolgenden Generationen die Rechnung.
SWISSNUCLEAR hat den Sicherheitszuschlag mit ihrem rechnerischen Kunstgriff de facto wieder aufgehoben und schafft es sogar, aus dem Kostenanstieg der Entsorgungskosten eine Kostenreduktion für die AKW-Betreiber zu errechnen. Das ist eine grobe und fahrlässige Missachtung des Verursacherprinzips!
Die Kostenstudie 2016 wird in den nächsten Monaten durch das Eidgenössische. Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI und Finanzspezialisten geprüft. Bleibt zu hoffen, dass sie wissen, wie man ein Haus baut und die Trickserei und List entlarvt. Die SES wird ihrerseits eine Begutachtung vornehmen.»
¹) | Gemeint ist hier der Beitrag der AKW-Betreiber in die Fonds für die Stilllegung und die Entsorgung. |