Tod­es­an­zeige des P–26-Kämp­fers

To­des­an­zei­ge des P–26-Kämp­fers reisst Grä­ben des Kal­ten Krie­ges auf

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Die an­kla­gen­de To­des­an­zei­ge des frü­he­ren Mit­glieds der Wi­der­stands­or­ga­ni­sa­ti­on P–26 sorgt für Wir­bel. Hi­sto­ri­ker Fe­lix Nö­thi­ger, der die An­zei­ge auf­gab und an der Re­ha­bi­li­ta­ti­on der P–26 ar­bei­tet, äus­sert Ver­ständ­nis. Ex-Na­tio­nal­rat Jo Lang sagt, der Bun­des­rat wei­ge­re sich, die Ge­schich­te auf­zu­ar­bei­ten.

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Für im­mer im Bun­ker

Der Wir­bel um die To­des­an­zei­ge eines P-26-Kämp­fers zeigt: Auch 26 Jah­re nach Auf­lö­sung der Wi­der­stands­or­ga­ni­sa­ti­on ist die Ge­schich­te noch nicht TOP über­wun­den.

Bunker

Be­que­me Kis­sen, Te­le­fon und Aschen­be­cher: Ar­beits­raum in einer Bun­ker­an­la­ge der P–26 bei Gstaad (1990).

Foto: Keystone

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Be­que­me Kis­sen, Te­le­fon und Aschen­be­cher: Ar­beits­raum in einer Bun­ker­an­la­ge der P–26 bei Gstaad (1990).

Foto: Keystone

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Philipp Loser

Un­ver­söhnt bis in den Tod. Und dar­über hin­aus. Der Zorn von Hans-Ru­dolf Stras­ser, Deck­na­me Franz, ist in je­der Zei­le sei­ner To­des­an­zei­ge zu spü­ren. Ver­fasst hat er sie sel­ber, vor über einem Jahr. Ih­ren Zweck hat sie er­füllt; Stras­ser, der wich­tig­ste Mit­ar­bei­ter von Ef­rem «Ri­co» Cat­te­lan, Chef der ge­hei­men Wi­der­stands­or­ga­ni­sa­ti­on P–26, hat mit sei­ner In­ter­ven­ti­on gar eine Re­ak­ti­on eines Alt-Bun­des­rats pro­vo­ziert.

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Und für eini­gen me­dia­len Auf­ruhr ge­sorgt: Ver­schie­de­ne Me­di­en be­rich­te­ten ge­stern über den An­griff von Stras­ser und sei­nen Freun­den auf den ehe­ma­li­gen Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster Kas­par Vil­li­ger, der un­ter einer «Fi­chen­psy­cho­se» ge­lit­ten und Stras­ser dar­um aus dem Amt ge­jagt ha­be. Vil­li­ger re­agier­te ver­hal­ten und mit Ver­ständ­nis. Die To­des­an­zei­ge zeu­ge vom über­zeug­ten En­ga­ge­ment und von der «nach­voll­zieh­ba­ren, bis heu­te an­dau­ern­den Ver­letzt­heit» (TA von ges­tern).

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Alte Verletzungen

Der Kopf hin­ter der An­zei­ge heisst Fe­lix Nö­thi­ger, ist Hi­sto­ri­ker und im Mu­sée Ré­si­stan­ce Suis­se en­ga­giert. Seit der Bun­des­rat 2009 die Schwei­ge­pflicht für die 400 Mit­glie­der der Wi­der­stands­or­ga­ni­sa­ti­on auf­ge­ho­ben hat, ar­bei­tet Nö­thi­ger an der Re­ha­bi­li­tie­rung der kal­ten Krie­ger. Er hat verschiedene kantonale (und von links heftig kritisierte) Ver­dan­kungs­an­läs­se or­ga­ni­siert und auch die To­des­an­zei­ge von Stras­ser auf­ge­ge­ben. «Ich kann sei­ne Bit­ter­keit ver­ste­hen», sagt Nö­thi­ger, der die An­zei­ge auch als Zei­chen an all je­ne ver­steht, die sich da­mals en­ga­giert hat­ten — und nicht dar­über spre­chen durf­ten. Nö­thi­ger sel­ber re­det nicht gern mit den Me­di­en, er ist miss­trau­isch und sagt das of­fen: «Und dann heisst es wie­der, die P–26 sei eine il­le­ga­le, du­bio­se Ge­heim­ar­mee ge­we­sen.» Die Ver­let­zun­gen, die so deut­lich in der To­des­an­zei­ge von Franz zu spü­ren sind — es sind auch die Ver­let­zun­gen von Nö­thi­ger.

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Selbst 26 Jah­re nach­dem die im Zu­ge der Fi­chen­af­fä­re ent­tarn­te P–26 auf­ge­löst wor­den ist, ent­zün­det sich beim The­ma der glei­che al­te Streit aus dem Kal­ten Krieg, mit den glei­chen Res­sen­ti­ments: Rech­te schimp­fen über lin­ke Lan­des­ver­rä­ter, Lin­ke über pa­ra­staat­li­che Un­ter­grund­kämp­fer. Für die einen war die P–26 eine Or­ga­ni­sa­ti­on von auf­rech­ten Schwei­zern, die in Zei­ten höch­ster Not Wi­der­stand ge­gen den Feind aus dem Os­ten ge­leis­tet hät­te. Für die an­de­ren eine de­mo­kra­tisch nicht le­gi­ti­mier­te Ge­heim­ar­mee mit einem rein ideo­lo­gi­schen Zweck.

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«Das wa­ren Pa­trio­ten», sagt Mar­tin Mat­ter über die Mit­glie­der der P–26. Mat­ter hat 2012 ein Buch über die Or­ga­ni­sa­ti­on ge­schrie­ben. Vie­le woll­ten sich je­doch par­tout nicht von der Vor­stel­lung lö­sen, dass die Wi­der­stands­or­ga­ni­sa­ti­on eine be­waff­ne­te Sol­da­tes­ka des rechts­bür­ger­li­chen Fi­chen­staa­tes war. Ob­wohl man es heu­te bes­ser wis­sen müss­te, meint Mat­ter.

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Sperrfrist bis 2040

Mit den «vie­len» meint Mat­ter vor al­lem Po­li­ti­ker aus dem lin­ken La­ger. Leu­te wie den Hi­sto­ri­ker und ehe­ma­li­gen Na­tio­nal­rat der Grü­nen, Jo­sef Lang. Der re­agier­te auf die To­des­an­zei­ge, in­dem er sei­ne zwei ab­ge­lehn­ten An­fra­gen zum The­ma ver­brei­te­te. 2005 und 2009 woll­te Lang per Vor­stoss vom Bun­des­rat die Her­aus­ga­be des als ge­heim klas­si­fi­zier­ten Cor­nu-Be­richts er­zwin­gen, in dem die Ver­bin­dun­gen zwi­schen der P–26 und ana­lo­gen Or­ga­ni­sa­tio­nen im Aus­land auf­ge­zeigt wer­den. Der Bun­des­rat lehn­te zwei­mal ab und ver­wies auf die of­fi­zi­el­le Sperr­frist von fünf­zig Jah­ren. Erst 2040 wird man den Be­richt und die of­fi­zi­el­len Ak­ten zur P–26 ein­se­hen kön­nen.

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Ein Staat im Staat

«Die P–26 war ein Staat im Staat. Der Bun­des­rat wei­gert sich bis heu­te, die­se Ge­schich­te rich­tig auf­zu­ar­bei­ten», sagt Lang. Er kön­ne die Ver­bit­te­rung der Mit­glie­der der Or­ga­ni­sa­ti­on ver­ste­hen. Auf einer per­sön­li­chen Ebe­ne, nicht einer po­li­ti­schen. «Sie ha­ben viel Zeit und Ener­gie für eine schlech­te Sa­che ge­op­fert.» Eine schlech­te und ge­fähr­li­che Sa­che: «Was hät­te die P–26 ge­macht, wenn es 1989 ein Ja zur GSoA-Ini­tia­ti­ve für eine Schweiz oh­ne Ar­mee ge­ge­ben hät­te? Für die mei­sten P–26-Mit­glie­der wa­ren Va­ter­land und Ar­mee iden­tisch.»

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Der Kon­flikt zwi­schen Ver­tei­di­gern und Geg­nern der P–26 sei der glei­che, der bei je­der Dis­kus­si­on über die Ar­mee auf­tau­che, sagt der Ba­sel­bie­ter SP-Stän­de­rat Clau­de Jan­iak, der als lang­jäh­ri­ges Mit­glied der Ge­schäfts­prü­fungs­de­le­ga­ti­on für Ge­heim­dienst­the­men sen­si­bi­li­siert ist. In Sa­chen P–26 ist sein Ur­teil klar: «Was aus­ser­halb einer de­mo­kra­ti­schen Kon­trol­le steht, lässt sich rechts­staat­lich un­mög­lich recht­fer­ti­gen.»

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Das ist auch der Kon­nex zur po­li­ti­schen Ak­tua­li­tät, zum Nach­rich­ten­dienst­ge­setz, über das wir im Sep­tem­ber ab­stim­men und das dem Ge­heim­dienst Mög­lich­kei­ten ver­schafft, die sich die Mit­glie­der der P–26 nicht ein­mal er­träumt hät­ten. «Es ist eine Fra­ge der Trans­pa­renz», sagt der ehe­ma­li­ge CVP-Stän­de­rat Car­lo Schmid (AI), der die par­la­men­ta­ri­sche Un­ter­su­chung zur P–26 ge­lei­tet hat. «Im Herbst kön­nen wir se­hen­den Auges über mehr oder we­ni­ger Über­wa­chung ab­stim­men. Das konn­ten wir bei der P–26 nicht.»

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«Das war nicht der be­waff­ne­te Arm des Schnüf­fel­staats»

Mar­tin Mat­ter hat ein Buch über die P–26 ge­schrie­ben. Eine Re­ha­bi­li­tie­rung der Or­ga­ni­sa­ti­on sei TOP an­ge­bracht.

Mit Martin Matter
sprach Philipp Loser

Kön­nen Sie die To­des­an­zei­ge von Wi­der­stands­kämp­fer Hans-Ru­dolf Stras­ser nach­voll­zie­hen?

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Die Bit­ter­keit ist nach­zu­voll­zie­hen, ja. Die Dia­bo­li­sie­rung von da­mals, als die P–26 nach der Ent­tar­nung als kri­mi­nel­le Ban­de von aus­ge­flipp­ten Ram­bos dar­gestellt wur­de, hat Spu­ren bei den Mit­glie­dern hin­ter­las­sen. Wer da­mals da­bei war, so mein Ein­druck aus vie­len Ge­sprä­chen, war über­zeugt, sich für eine gu­te Sa­che ein­zu­set­zen. Das wa­ren Pa­trio­ten.

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Patrio­ten mit einem ge­spal­te­nen Ver­hält­nis zum Staat. An­ders sind die An­grif­fe auf den ehe­ma­li­gen Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster Kas­par Vil­li­ger kaum zu er­klä­ren.

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Die An­zei­ge liest sich wie eine letz­te Kriegs­er­klä­rung. Dar­aus spricht die gros­se Ent­täu­schung über den man­geln­den Sup­port der da­ma­li­gen Po­li­ti­ker und der Wunsch nach Re­ha­bi­li­tie­rung.

Ist denn eine Re­ha­bi­li­tie­rung der P–26 tat­säch­lich nö­tig?

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Ja, dar­um ha­be ich auch mein Buch ge­schrie­ben. Bei der da­ma­li­gen Be­ur­tei­lung der P–26 la­gen Me­di­en und Po­li­tik völ­lig falsch. Das war kein be­waff­ne­ter Arm des Schnüf­fel­staa­tes. Der ehe­ma­li­ge SP-Prä­si­dent Hel­mut Hub­acher be­haup­tet bis heu­te, dass die P–26 bei einem erd­rutsch­ar­ti­gen Sieg der Lin­ken bei den Na­tio­nal­rats­wah­len los­mar­schiert wä­re. Ha­ba­kuk! Die P–26 war kei­ne Ge­heim­ar­mee, sie war eine Or­ga­ni­sa­ti­on, die aus Kleinst­zel­len be­stand, oh­ne Kon­takt un­ter­ein­an­der, sie wäre auch im Ernst­fall nie als Ein­heit auf­ge­tre­ten.

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Zellen, bis an die Zäh­ne be­waff­net.

Auch das ist ein fal­sches Bild. Über Waf­fen ver­füg­te nur der klein­ste Teil der 400 Mit­glie­der der P–26. Nur bei einer Be­set­zung der Schweiz wä­re die P–26 ak­tiv ge­wor­den. Vor al­lem mit psy­cho­lo­gi­scher Kriegs­füh­rung, zum Bei­spiel mit Schwei­zer-Kreuz-Bal­lo­nen, die über­all in den Him­mel ge­stie­gen wä­ren. Das mag heu­te lä­cher­lich klin­gen, hät­te aber in einem be­setz­ten und un­ter­drück­ten Land, wo auf das His­sen der Schwei­zer Fah­ne die To­des­stra­fe ge­stan­den wä­re, gros­se Wir­kung ge­habt. Zu­dem hät­ten die P–26-Leu­te Sa­bo­tage­ak­te ver­übt.

Matter

Martin Matter

Der ehe­ma­li­ge Jour­na­list (72) ist Autor des 2012 er­schie­ne­nen Buchs über die P–26: «Die Ge­heim­ar­mee, die kei­ne war».

Matter

Martin Matter

Der ehe­ma­li­ge Jour­na­list (72) ist Autor des 2012 er­schie­ne­nen Buchs über die P–26: «Die Ge­heim­ar­mee, die kei­ne war».

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Die Kri­tik liegt auf der Hand: Es war ein ideo­lo­gi­sches Pro­jekt.

Die P–26 war ein Kind des Kal­ten Krie­ges. Ih­re Mit­glie­der wa­ren Pa­trio­ten, vor­ab aus dem rech­ten po­li­ti­schen Spek­trum. Aber hat­ten sie Putsch­ab­sich­ten, wie es heu­te im­mer noch über­all heisst? Nein.

Rechts­staat­lich ein­wand­frei war die Or­ga­ni­sa­ti­on nicht.

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Ja, es fehl­te ein Er­mäch­ti­gungs­ge­setz. Aber stel­len Sie sich mal vor: Der Na­tio­nal­rat be­schliesst in einem Ge­setz, dass die Schweiz eine Ge­heim­ar­mee or­ga­ni­siert und fi­nan­ziert, al­le De­tails aber ge­heim sind. Das wä­re nie­mals ge­gan­gen! Na­tür­lich ope­rier­te die P–26 in einer recht­li­chen Grau­zo­ne, aber kri­mi­nell war das nicht. Der ge­sam­te Bun­des­rat wur­de mehr­mals in­for­miert, und auch die Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster wuss­ten Be­scheid. Sie ha­ben sich ein­fach un­ter­schied­lich in­ten­siv da­mit be­schäf­tigt.

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Sie wur­den für Ihr Buch kri­ti­siert: Sie hät­ten die P–26 rein­ge­wa­schen.

Das hat mit dem Feind­bild zu tun, das hart­näc­kig in den Köp­fen bleibt. Man will sich par­tout nicht von der Vor­stel­lung ent­fer­nen, dass die P–26 eine be­waff­ne­te Sol­da­tes­ka des rechts­bür­ger­li­chen Fi­chen­staa­tes war. Ob­wohl man es heu­te bes­ser weiss, sind vie­le nicht be­reit, sich von die­sem Bild zu lö­sen.

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