Offene Fragen zu Löchern in der AKW-Wand

Von Christian Brönnimann, Bern
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Noch ist un­klar, wie lan­ge die Stahl­wand des Re­ak­tors vom Atom­kraft­werk Leib­stadt be­reits löch­rig ist. Die sechs Lö­cher müs­sen bis nächs­te Wo­che zu­ge­schweisst wer­den.

Am Montag wur­de be­kannt, TOP dass beim Ein­bau von Feu­er­lö­schern Lö­cher in das pri­mä­re Con­tain­ment des Atom­kraft­werks Leib­stadt ge­trie­ben wor­den wa­ren. Ein Mit­ar­bei­ter des AKW hat­te die Be­schä­di­gung der stäh­ler­nen Re­ak­tor-Schutz­wand be­reits am 24. Ju­ni ent­deckt. Ob­wohl dies be­reits zwei Wo­chen zu­rück­liegt, blei­ben die Grün­de für den Feh­ler noch im­mer im Dun­keln. AKW-Spre­che­rin And­rea Port­mann ver­weist bei Nach­fra­gen auf lau­fen­de Ab­klä­run­gen. Ob die Lö­cher von eige­nen Mit­ar­bei­tern oder von einer Dritt­fir­ma ge­bohrt wur­den, bleibt da­mit ge­nau­so of­fen wie die Fra­ge, wie lan­ge das Si­cher­heits­ri­si­ko be­reits be­steht. Das pri­mä­re Con­tain­ment, eine Schutz­wand aus fast vier Zen­ti­me­ter dic­kem Stahl, ist eines der zen­tra­len Si­cher­heits­ele­men­te eines Re­ak­tors.

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Die Be­trei­ber des AKW Leib­stadt ha­ben bis En­de nächs­ter Wo­che Zeit, um die Lö­cher zu flic­ken. Die­se Frist setz­te das Eid­ge­nös­si­sche Nuk­le­ar­si­cher­heits­in­spek­to­rat (ENSI). Das ENSI kri­ti­sier­te das AKW Leib­stadt in einer Mit­tei­lung un­ge­wohnt scharf: «Der Feh­ler weist auf ein be­deu­ten­des De­fi­zit im or­ga­ni­sa­to­ri­schen Be­reich hin», ist da­rin zu le­sen. Laut ENSI-Spre­cher Da­vid Su­chet gab es zu­vor noch nie eine sol­che Ver­let­zung des pri­mä­ren Con­tain­ments eines Re­ak­tors in der Schweiz.

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Im Con­tain­ment des AKW Leib­stadt exi­stie­ren ins­ge­samt sechs Lö­cher, die für die Hal­te­rung von zwei Hand­feu­er­lö­schern ge­bohrt wur­den, wie Spre­che­rin Port­mann er­klärt. Der Durch­mes­ser der Lö­cher be­tra­ge sechs Mil­li­me­ter. Die Lö­cher wür­den nun mit einem zer­ti­fi­zier­ten Ma­te­ri­al von bei­den Sei­ten her wie­der zu­ge­schweisst, sagt Port­mann.

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Deutsche reagieren irritiert

Der Vor­fall hat bis ins an­gren­zen­de Deutsch­land Ir­ri­ta­tio­nen aus­ge­löst. Deut­sche Me­di­en zi­tier­ten aus einem Brief des Walds­hu­ter Land­rats Til­man Boll­acher an ENSI-Di­rek­tor Hans Wan­ner: «Ich bin über­rascht, dass ein der­ar­ti­ges Vor­komm­nis ein­tre­ten konn­te. (…) Bis­her sind wir, auch auf­grund der Fest­stel­lun­gen des ENSI, im­mer da­von aus­ge­gan­gen, dass der Si­cher­heits­stan­dard im Kern­kraft­werk Leib­stadt hoch ist und ent­spre­chen­de Vor­komm­nis­se eigent­lich nicht ein­tre­ten kön­nen», schrieb Boll­acher dem­nach.

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Auch Green­peace hält mit Kri­tik nicht zu­rück. Eine der­ar­ti­ge Be­schä­di­gung des Si­cher­heits­be­häl­ters sei haar­sträu­bend und müs­se so­fort zu einer Ab­schal­tung des AKW füh­ren, liess die Or­ga­ni­sa­ti­on ver­lau­ten. Das ENSI sieht aber da­von ab, Ein­schrän­kun­gen beim Be­trieb zu ver­lan­gen, wenn die Re­pa­ra­tur bis En­de nächs­ter Wo­che ab­ge­schlos­sen ist.

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Lö­cher ge­flickt — Brand noch nicht ge­löscht

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Das AKW Leib­stadt weist seit 2008 Lö­cher auf. Die Re­pa­ra­tur schrei­tet vo­ran, den Be­trei­bern bleibt die dro­hen­de Zwangs­ab­schal­tung da­mit wohl er­spart. Doch Green­peace kri­ti­siert nun die Atom­auf­sichts­be­hör­de des Bun­des.

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Von Stefan Häne
AKW Leibstadt

Der Fehler im AKW Leib­stadt hät­te der Atom­auf­sicht auf­fal­len müs­sen, sagt Green­peace. Fo­to: Ales­san­dro Del­la Bel­la

(Keystone)

AKW Leibstadt

Der Fehler im AKW Leib­stadt hät­te der Atom­auf­sicht auf­fal­len müs­sen, sagt Green­peace.

Fo­to: Ales­san­dro Del­la Bel­la (Keystone)

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Die Ar­bei­ten lau­fen auf Hoch­tou­ren. Fach­leu­te ha­ben ges­tern je­ne un­dich­ten Stel­len im Atom­kraft­werk Leib­stadt zu­sam­men­ge­schweisst, die ein AKW-Mit­ar­bei­ter am 24. Ju­ni zu­fäl­lig ent­deckt hat: sechs Lö­cher mit einem Durch­mes­ser von rund sechs Mil­li­me­tern, ge­or­tet im so­ge­nann­ten Con­tain­ment, je­ner Schutz­hül­le aus Stahl, die den Aus­tritt von Ra­dio­ak­ti­vi­tät ver­hin­dern soll. Ge­bohrt hat die­se Lö­cher eine ex­ter­ne Fir­ma für die Mon­ta­ge zwei­er Feu­er­lö­scher – vor sechs Jah­ren.

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Dass die­se Lecks so lan­ge un­be­merkt ge­blie­ben sind, hat letz­te Wo­che hef­ti­ge Kri­tik pro­vo­ziert. Nicht nur von sei­ten der Um­welt­or­ga­ni­sa­ti­on Green­pea­ce. In un­ge­wöhn­lich deut­li­chen Wor­ten be­an­stan­de­te auch das Eid­ge­nös­si­sche Si­cher­heits­in­spek­to­rat (ENSI) das Ver­säum­nis, sprach of­fen von or­ga­ni­sa­to­ri­schen Män­geln. Die Atom­auf­sichts­be­hör­de setz­te den AKW-Be­trei­bern in der Fol­ge eine Frist. Die Lö­cher, in einem ers­ten Schritt pro­vi­so­risch ab­ge­dich­tet, müs­sen bis mor­gen Frei­tag ge­flickt sein. An­dern­falls wer­de das AKW Leib­stadt ab­ge­schal­tet. So wie es aus­sieht, kön­nen die AKW-Be­trei­ber die­se Auf­la­ge er­fül­len. «Wir sind mit den Ar­bei­ten auf Kurs», sagt TOP Kom­mu­ni­ka­ti­ons­lei­te­rin Ka­rin Gia­co­muz­zi auf An­fra­ge.

Sicherheitshülle
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Inspektionen auch nach 2008

Weiter­hin un­ge­klärt bleibt je­doch, wie es zu die­sem Feh­ler kom­men konn­te. Gia­co­muz­zi äus­sert sich da­zu mit Ver­weis auf die lau­fen­den Ab­klä­run­gen nicht. Letz­te Wo­che hat­ten sich die AKW-Be­trei­ber selbst­kri­tisch ge­zeigt und ein­ge­räumt, «dass so et­was in einem Kern­kraft­werk nicht pas­sie­ren darf». Green­pea­ce sieht das Ver­sa­gen aber nicht nur bei den Be­trei­bern des AKW Leib­stadt, an dem in­di­rekt die Kan­to­ne Zü­rich (via Ax­po) und Bern (via BKW) be­tei­ligt sind. «Eine Mit­ver­ant­wor­tung trägt auch die Atom­auf­sichts­be­hör­de ENSI», sagt Flo­ri­an Kas­ser, Atom­ex­per­te bei Green­pea­ce. De­ren Si­cher­heits­in­spek­to­ren müss­te ein solch «haar­sträu­ben­der Feh­ler» auf­ge­fal­len sein, und zwar im Rah­men der «Si­cher­heits­tech­ni­schen Stel­lung­nah­me zur Pe­rio­di­schen Si­cher­heits­über­prü­fung (PSÜ)», die im Jahr 2009 ih­ren Ab­schluss ge­fun­den hat­te, nach der Mon­ta­ge der Feu­er­lö­scher al­so. Doch das ENSI at­tes­tier­te den AKW-Be­trei­bern da­mals, TOP die Vor­aus­set­zun­gen für einen si­che­ren Be­trieb zu er­fül­len.

«Wären die Lö­cher bei un­se­rer Prü­fung vor­han­den ge­we­sen, hätten wir das be­merkt.»

Da­vid Su­chet, Atom­auf­sichts­be­hör­de ENSI

«Wären die Lö­cher bei un­se­rer Prü­fung vor­han­den ge­we­sen, hätten wir das be­merkt.»

Da­vid Su­chet, Atom­auf­sichts­be­hör­de ENSI

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Das ENSI weist die Kri­tik von Green­pea­ce zu­rück. Die PSÜ ha­be sich auf den Zeit­raum von 1996 bis 2006 be­zo­gen, sagt Spre­cher Da­vid Su­chet. «Einen sol­chen Scha­den hät­te man nur bei einem so­ge­nann­ten 10-jähr­li­chen in­te­gra­len Leck­ra­ten­test ent­dec­ken kön­nen.» Der ent­spre­chen­de Test fand laut ENSI letzt­mals im August 2008 statt. Hier­bei wird das Con­tain­ment un­ter Druck ge­setzt. Ein ab­sin­ken­der Druck zeigt an, dass der Man­tel un­dicht ist. Doch dies war laut ENSI nicht der Fall. Das ENSI hat­te die­sen Test ge­mäss eige­nen An­ga­ben am 26. und 27. Au­gust 2008 in­spi­ziert. Die Mon­ta­ge der Feu­er­lö­scher er­folg­te je­doch erst im No­vem­ber je­nes Jah­res; dies zu­min­dest ver­si­chern die Be­trei­ber des AKW Leib­stadt. Prä­zi­ser wer­den sie nicht. ENSI-Spre­cher Su­chet stellt zu­dem klar: «Wä­ren die Lö­cher schon bei un­se­rer Prü­fung im August vor­han­den ge­we­sen, hät­ten wir das be­merkt.»

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Green­peace hält gleich­wohl an sei­ner Kri­tik fest. Auch nach 2009 ha­be das ENSI In­spek­tio­nen im AKW Leib­stadt durch­ge­führt, oh­ne et­was be­merkt zu ha­ben. Das ENSI ent­geg­net, die In­spek­to­ren gin­gen je­weils mit einem be­stimm­ten Un­ter­suc­hungs­ziel in einen Be­trieb, das «be­obach­te­te Pro­blem», die Lö­cher, hät­ten sie nicht un­ter­su­chen müs­sen.

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Externe Untersuchung gefordert

Ungewöhnlich mu­tet an, dass die Lö­cher ge­bohrt wur­den, wäh­rend das Atom­kraft­werk lief. Dass dies ein ris­kan­tes Un­ter­fan­gen ist, be­strei­ten die AKW-Be­trei­ber ve­he­ment. Ra­dio­ak­ti­vi­tät konn­te laut Spre­che­rin Ka­rin Gia­co­muz­zi nicht ent­wei­chen, weil im Con­tain­ment bei Nor­mal­be­trieb Un­ter­druck herrscht, al­so we­der Luft noch ra­dio­ak­ti­ve Stof­fe nach aus­sen ent­wei­chen kön­nen. Und selbst bei einem Stör­fall wä­ren die ge­setz­li­chen Grenz­wer­te ein­ge­hal­ten wor­den, so Gia­co­muz­zi. Auch das ENSI ver­si­chert, es sei «we­gen des Vor­komm­nis­ses zu kei­ner Kon­ta­mi­na­ti­on der Um­ge­bung ge­kom­vvmen».

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Greenpeace gibt sich da­mit nicht zu­frie­den. Die Um­welt­or­ga­ni­sa­ti­on for­dert, die Auf­sichts­tä­tig­keit des ENSI sei von einer ex­ter­nen Stel­le zu un­ter­su­chen. Ener­gie­mi­nis­te­rin Do­ris Leut­hard (CVP) müs­se die­sen Schritt un­ver­züg­lich ein­lei­ten. Doch ihr De­par­te­ment, das Uvek, stellt klar, die Zu­stän­dig­keit da­für lie­ge beim ENSI-Rat, einem vom Bun­des­rat ge­wähl­ten Fach­gre­mi­um. Für eine Stel­lung­nah­me war dort ges­tern Abend nie­mand er­reich­bar.

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AKW Leib­stadt ent­geht Zwangs­ab­schal­tung

Stefan Häne
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Die Löcher im AKW Leib­stadt sind ge­flickt. Die Dis­kus­si­on um die Si­cher­heit hält an.

Das Atom­kraft­werk Leib­stadt muss sei­nen Be­trieb nicht ein­stel­len. TOP Recht­zei­tig bis ges­tern ha­ben die Be­trei­ber die sechs – zu­fäl­lig ent­deck­ten – Bohr­lö­cher im so­ge­nann­ten Con­tain­ment des AKW zur Zu­frie­den­heit der Atom­auf­sichts­be­hör­de des Bun­des (ENSI) re­pa­riert. Die Schweiss­ar­bei­ten an je­ner Schutz­hül­le aus Stahl ha­ben un­ter Auf­sicht des Schwei­ze­ri­schen Ver­eins für tech­ni­sche In­spek­tio­nen statt­ge­fun­den. Die an­schlies­send durch­ge­führ­ten Qua­li­täts­prü­fun­gen ver­lie­fen ge­mäss ENSI «zu­frie­den­stel­lend». Ge­bohrt hat­te die­se Lö­cher eine ex­ter­ne Fir­ma für die Mon­ta­ge zwei­er Feu­er­lö­scher – vor sechs Jah­ren. Trotz zahl­rei­cher In­spek­tio­nen des ENSI im AKW Leib­stadt blie­ben sie bis zum Ju­ni die­ses Jah­res un­be­merkt.

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Die Atom­auf­sichts­be­hör­de will den Fall da­mit aber noch nicht ad ac­ta le­gen. Bis nächs­ten Don­ners­tag müs­sen die AKW-Be­trei­ber einen Be­richt mit De­tail­an­ga­ben zum Vor­komm­nis ein­rei­chen und We­ge auf­zei­gen, wie sich sol­che Vor­fäl­le künf­tig ver­hin­dern las­sen. Das ENSI wird ge­mäss eige­nen An­ga­ben in der Fol­ge über­prü­fen, ob die dar­in dar­ge­leg­ten Mass­nah­men da­für ge­eig­net sind. Falls nicht, wird es zu­sätz­li­che Auf­la­gen ma­chen. Die Atom­auf­sichts­be­hör­de stellt in Aus­sicht, über die Auf­ar­bei­tung des Vor­falls zu be­rich­ten.

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Der­weil er­neu­ert die Um­welt­or­ga­ni­sa­ti­on Green­pea­ce ih­re For­de­rung, Bun­des­rä­tin Do­ris Leut­hard als Vor­ste­herin der Be­wil­li­gungs­be­hör­de Uvek müs­se eine un­ab­hän­gi­ge Un­ter­su­chung ein­lei­ten, um zu ver­hin­dern, dass das ENSI «wei­ter­hin im Dun­keln tappt und gra­vie­ren­de Feh­ler wie im AKW Leib­stadt über­sieht». Das Uvek in­des hat­te schon bei frü­he­rer Ge­le­gen­heit er­klärt, da­für zu­stän­dig sei der ENSI-Rat, ein vom Bun­des­rat ge­wähl­tes Fach­gre­mi­um, das als stra­te­gi­sches und in­ter­nes Auf­sichts­or­gan des ENSI fun­giert.

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Der Vor­fall wirft nun auch po­li­tisch Wel­len. Die Grü­ne Par­tei for­dert eine Ver­schär­fung der AKW-Si­cher­heits­vor­schrif­ten. Das ENSI kon­trol­lie­re viel zu pas­siv und ge­wich­te die öko­no­mi­schen In­ter­es­sen der AKW-Be­trei­ber hö­her als das In­ter­es­se der Be­völ­ke­rung, vor nuk­lea­ren Ri­si­ken ge­schützt zu wer­den, kri­ti­siert die Par­tei.

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