Noch ist unklar, wie lange die Stahlwand des Reaktors vom Atomkraftwerk Leibstadt bereits löchrig ist. Die sechs Löcher müssen bis nächste Woche zugeschweisst werden.
Am Montag wurde bekannt, dass beim Einbau von Feuerlöschern Löcher in das primäre Containment des Atomkraftwerks Leibstadt getrieben worden waren. Ein Mitarbeiter des AKW hatte die Beschädigung der stählernen Reaktor-Schutzwand bereits am 24. Juni entdeckt. Obwohl dies bereits zwei Wochen zurückliegt, bleiben die Gründe für den Fehler noch immer im Dunkeln. AKW-Sprecherin Andrea Portmann verweist bei Nachfragen auf laufende Abklärungen. Ob die Löcher von eigenen Mitarbeitern oder von einer Drittfirma gebohrt wurden, bleibt damit genauso offen wie die Frage, wie lange das Sicherheitsrisiko bereits besteht. Das primäre Containment, eine Schutzwand aus fast vier Zentimeter dickem Stahl, ist eines der zentralen Sicherheitselemente eines Reaktors.
Die Betreiber des AKW Leibstadt haben bis Ende nächster Woche Zeit, um die Löcher zu flicken. Diese Frist setzte das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI). Das ENSI kritisierte das AKW Leibstadt in einer Mitteilung ungewohnt scharf: «Der Fehler weist auf ein bedeutendes Defizit im organisatorischen Bereich hin», ist darin zu lesen. Laut ENSI-Sprecher David Suchet gab es zuvor noch nie eine solche Verletzung des primären Containments eines Reaktors in der Schweiz.
Im Containment des AKW Leibstadt existieren insgesamt sechs Löcher, die für die Halterung von zwei Handfeuerlöschern gebohrt wurden, wie Sprecherin Portmann erklärt. Der Durchmesser der Löcher betrage sechs Millimeter. Die Löcher würden nun mit einem zertifizierten Material von beiden Seiten her wieder zugeschweisst, sagt Portmann.
Der Vorfall hat bis ins angrenzende Deutschland Irritationen ausgelöst. Deutsche Medien zitierten aus einem Brief des Waldshuter Landrats Tilman Bollacher an ENSI-Direktor Hans Wanner: «Ich bin überrascht, dass ein derartiges Vorkommnis eintreten konnte. (…) Bisher sind wir, auch aufgrund der Feststellungen des ENSI, immer davon ausgegangen, dass der Sicherheitsstandard im Kernkraftwerk Leibstadt hoch ist und entsprechende Vorkommnisse eigentlich nicht eintreten können», schrieb Bollacher demnach.
Auch Greenpeace hält mit Kritik nicht zurück. Eine derartige Beschädigung des Sicherheitsbehälters sei haarsträubend und müsse sofort zu einer Abschaltung des AKW führen, liess die Organisation verlauten. Das ENSI sieht aber davon ab, Einschränkungen beim Betrieb zu verlangen, wenn die Reparatur bis Ende nächster Woche abgeschlossen ist.
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Der Fehler im AKW Leibstadt hätte der Atomaufsicht auffallen müssen, sagt Greenpeace. Foto: Alessandro Della Bella
(Keystone)
Der Fehler im AKW Leibstadt hätte der Atomaufsicht auffallen müssen, sagt Greenpeace.
Foto: Alessandro Della Bella (Keystone)
Die Arbeiten laufen auf Hochtouren. Fachleute haben gestern jene undichten Stellen im Atomkraftwerk Leibstadt zusammengeschweisst, die ein AKW-Mitarbeiter am 24. Juni zufällig entdeckt hat: sechs Löcher mit einem Durchmesser von rund sechs Millimetern, geortet im sogenannten Containment, jener Schutzhülle aus Stahl, die den Austritt von Radioaktivität verhindern soll. Gebohrt hat diese Löcher eine externe Firma für die Montage zweier Feuerlöscher – vor sechs Jahren.
Dass diese Lecks so lange unbemerkt geblieben sind, hat letzte Woche heftige Kritik provoziert. Nicht nur von seiten der Umweltorganisation Greenpeace. In ungewöhnlich deutlichen Worten beanstandete auch das Eidgenössische Sicherheitsinspektorat (ENSI) das Versäumnis, sprach offen von organisatorischen Mängeln. Die Atomaufsichtsbehörde setzte den AKW-Betreibern in der Folge eine Frist. Die Löcher, in einem ersten Schritt provisorisch abgedichtet, müssen bis morgen Freitag geflickt sein. Andernfalls werde das AKW Leibstadt abgeschaltet. So wie es aussieht, können die AKW-Betreiber diese Auflage erfüllen. «Wir sind mit den Arbeiten auf Kurs», sagt Kommunikationsleiterin Karin Giacomuzzi auf Anfrage.
Weiterhin ungeklärt bleibt jedoch, wie es zu diesem Fehler kommen konnte. Giacomuzzi äussert sich dazu mit Verweis auf die laufenden Abklärungen nicht. Letzte Woche hatten sich die AKW-Betreiber selbstkritisch gezeigt und eingeräumt, «dass so etwas in einem Kernkraftwerk nicht passieren darf». Greenpeace sieht das Versagen aber nicht nur bei den Betreibern des AKW Leibstadt, an dem indirekt die Kantone Zürich (via Axpo) und Bern (via BKW) beteiligt sind. «Eine Mitverantwortung trägt auch die Atomaufsichtsbehörde ENSI», sagt Florian Kasser, Atomexperte bei Greenpeace. Deren Sicherheitsinspektoren müsste ein solch «haarsträubender Fehler» aufgefallen sein, und zwar im Rahmen der «Sicherheitstechnischen Stellungnahme zur Periodischen Sicherheitsüberprüfung (PSÜ)», die im Jahr 2009 ihren Abschluss gefunden hatte, nach der Montage der Feuerlöscher also. Doch das ENSI attestierte den AKW-Betreibern damals, die Voraussetzungen für einen sicheren Betrieb zu erfüllen.
«Wären die Löcher bei unserer Prüfung vorhanden gewesen, hätten wir das bemerkt.»
David Suchet, Atomaufsichtsbehörde ENSI
«Wären die Löcher bei unserer Prüfung vorhanden gewesen, hätten wir das bemerkt.»
David Suchet, Atomaufsichtsbehörde ENSI
Das ENSI weist die Kritik von Greenpeace zurück. Die PSÜ habe sich auf den Zeitraum von 1996 bis 2006 bezogen, sagt Sprecher David Suchet. «Einen solchen Schaden hätte man nur bei einem sogenannten 10-jährlichen integralen Leckratentest entdecken können.» Der entsprechende Test fand laut ENSI letztmals im August 2008 statt. Hierbei wird das Containment unter Druck gesetzt. Ein absinkender Druck zeigt an, dass der Mantel undicht ist. Doch dies war laut ENSI nicht der Fall. Das ENSI hatte diesen Test gemäss eigenen Angaben am 26. und 27. August 2008 inspiziert. Die Montage der Feuerlöscher erfolgte jedoch erst im November jenes Jahres; dies zumindest versichern die Betreiber des AKW Leibstadt. Präziser werden sie nicht. ENSI-Sprecher Suchet stellt zudem klar: «Wären die Löcher schon bei unserer Prüfung im August vorhanden gewesen, hätten wir das bemerkt.»
Greenpeace hält gleichwohl an seiner Kritik fest. Auch nach 2009 habe das ENSI Inspektionen im AKW Leibstadt durchgeführt, ohne etwas bemerkt zu haben. Das ENSI entgegnet, die Inspektoren gingen jeweils mit einem bestimmten Untersuchungsziel in einen Betrieb, das «beobachtete Problem», die Löcher, hätten sie nicht untersuchen müssen.
Ungewöhnlich mutet an, dass die Löcher gebohrt wurden, während das Atomkraftwerk lief. Dass dies ein riskantes Unterfangen ist, bestreiten die AKW-Betreiber vehement. Radioaktivität konnte laut Sprecherin Karin Giacomuzzi nicht entweichen, weil im Containment bei Normalbetrieb Unterdruck herrscht, also weder Luft noch radioaktive Stoffe nach aussen entweichen können. Und selbst bei einem Störfall wären die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten worden, so Giacomuzzi. Auch das ENSI versichert, es sei «wegen des Vorkommnisses zu keiner Kontamination der Umgebung gekomvvmen».
Greenpeace gibt sich damit nicht zufrieden. Die Umweltorganisation fordert, die Aufsichtstätigkeit des ENSI sei von einer externen Stelle zu untersuchen. Energieministerin Doris Leuthard (CVP) müsse diesen Schritt unverzüglich einleiten. Doch ihr Departement, das Uvek, stellt klar, die Zuständigkeit dafür liege beim ENSI-Rat, einem vom Bundesrat gewählten Fachgremium. Für eine Stellungnahme war dort gestern Abend niemand erreichbar.
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Die Löcher im AKW Leibstadt sind geflickt. Die Diskussion um die Sicherheit hält an.
Das Atomkraftwerk Leibstadt muss seinen Betrieb nicht einstellen. Rechtzeitig bis gestern haben die Betreiber die sechs – zufällig entdeckten – Bohrlöcher im sogenannten Containment des AKW zur Zufriedenheit der Atomaufsichtsbehörde des Bundes (ENSI) repariert. Die Schweissarbeiten an jener Schutzhülle aus Stahl haben unter Aufsicht des Schweizerischen Vereins für technische Inspektionen stattgefunden. Die anschliessend durchgeführten Qualitätsprüfungen verliefen gemäss ENSI «zufriedenstellend». Gebohrt hatte diese Löcher eine externe Firma für die Montage zweier Feuerlöscher – vor sechs Jahren. Trotz zahlreicher Inspektionen des ENSI im AKW Leibstadt blieben sie bis zum Juni dieses Jahres unbemerkt.
Die Atomaufsichtsbehörde will den Fall damit aber noch nicht ad acta legen. Bis nächsten Donnerstag müssen die AKW-Betreiber einen Bericht mit Detailangaben zum Vorkommnis einreichen und Wege aufzeigen, wie sich solche Vorfälle künftig verhindern lassen. Das ENSI wird gemäss eigenen Angaben in der Folge überprüfen, ob die darin dargelegten Massnahmen dafür geeignet sind. Falls nicht, wird es zusätzliche Auflagen machen. Die Atomaufsichtsbehörde stellt in Aussicht, über die Aufarbeitung des Vorfalls zu berichten.
Derweil erneuert die Umweltorganisation Greenpeace ihre Forderung, Bundesrätin Doris Leuthard als Vorsteherin der Bewilligungsbehörde Uvek müsse eine unabhängige Untersuchung einleiten, um zu verhindern, dass das ENSI «weiterhin im Dunkeln tappt und gravierende Fehler wie im AKW Leibstadt übersieht». Das Uvek indes hatte schon bei früherer Gelegenheit erklärt, dafür zuständig sei der ENSI-Rat, ein vom Bundesrat gewähltes Fachgremium, das als strategisches und internes Aufsichtsorgan des ENSI fungiert.
Der Vorfall wirft nun auch politisch Wellen. Die Grüne Partei fordert eine Verschärfung der AKW-Sicherheitsvorschriften. Das ENSI kontrolliere viel zu passiv und gewichte die ökonomischen Interessen der AKW-Betreiber höher als das Interesse der Bevölkerung, vor nuklearen Risiken geschützt zu werden, kritisiert die Partei.
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