Vor­wür­fe an das ENSI we­gen AKW Leib­stadt

Die Atom­auf­sichts­be­hör­de ENSI hat stets je­de Mit­ver­ant­wor­tung ab­ge­lehnt, nach­dem im letz­ten Ju­ni in der Schutz­hül­le des AKW Leib­stadt sechs Bohr­lö­cher ent­deckt wur­den. Es sei der Feh­ler der Be­trei­ber­kan­to­ne Zü­rich und Bern — das ENSI üb­te in un­ge­wohnt schar­fem Ton Kri­tik: Noch nie ha­be es eine sol­che Ver­let­zung des Schutz­man­tels ge­ge­ben. Ein Be­richt des Schwei­ze­ri­schen Ver­eins für tech­ni­sche In­spek­tio­nen wi­der­spricht die­ser Ein­schät­zung und schreibt dem ENSI eine Mit­schuld zu: Ge­mäss die­sem Be­richt müs­sen die In­spek­to­ren die Schutz­hül­le min­des­tens al­le vier Jah­re von Auge prü­fen. Die Bohr­lö­cher wa­ren 2008 an­ge­bracht wor­den, sie hät­ten al­so spä­tes­tens 2012 ent­deckt wer­den müs­sen. Das ENSI weist wei­ter­hin je­de Schuld von sich, Kri­ti­ker las­sen das nicht gel­ten: Die Be­hör­de wür­de vi­su­el­le Kon­trol­len mit ge­schlos­se­nen Augen durch­füh­ren, sagt ein Atom­ex­per­te bei Green­pea­ce.

(sth)

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In­spek­to­ren müs­sen die Schutz­hül­le von Auge TOP prü­fen

AKW Leibstadt AKW Leibstadt

Die Bohr­lö­cher im AKW Leib­stadt sind in­zwi­schen re­pa­riert, doch die Un­ter­su­chung des Vor­falls dau­ert an.

Foto: Mike Scheiwiller (EQ Images)

AKW Leibstadt

Die Bohr­lö­cher im AKW Leib­stadt sind in­zwi­schen re­pa­riert, doch die Un­ter­su­chung des Vor­falls dau­ert an.

Foto: Mike Scheiwiller (EQ Images)

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Die Schutz­wand des AKW Leib­stadt wies jah­re­lang sechs Bohr­lö­cher auf. Die Atom­auf­sichts­be­hör­de ENSI strei­tet je­de Mit­ver­ant­wor­tung ab. Die Prüf­re­geln für In­spek­to­ren deu­ten aber auf Ver­säum­nis­se hin.

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Stefan Häne

«Fest­le­gung NE-14». So kryp­tisch die­ser Ti­tel klingt, das Do­ku­ment, das ihn trägt, hat es in sich. Das Re­gel­werk hält auf 66 Sei­ten ak­ri­bisch fest, wel­chen si­cher­heits­tech­ni­schen An­for­de­run­gen Atom­kraft­wer­ke ge­nü­gen müs­sen. Und wie die In­spek­to­ren vor­zu­ge­hen ha­ben, um eben­die­se Si­cher­heit zu tes­ten. Ver­fasst hat das Pa­pier der Schwei­ze­ri­sche Ver­ein für tech­ni­sche In­spek­tio­nen (SVTI), der pri­vat or­ga­ni­siert ist und im Auf­trag der Atom­auf­sichts­be­hör­de des Bun­des ENSI die über­wa­chungs­pflich­ti­gen Kom­po­nen­ten von Atom­kraft­wer­ken über­prüft. Da­zu ge­hört ge­mäss Do­ku­ment, die zu­gäng­li­chen Pas­sa­gen des so­ge­nann­ten Con­tain­ments «auf ih­ren All­ge­mein­zu­stand zu prü­fen», von Auge und im Mi­ni­mum al­le vier Jah­re. Das Con­tain­ment ist je­ne Schutz­hül­le, die den Aus­tritt von Ra­dio­ak­ti­vi­tät ver­hin­dern soll.

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Von Be­deu­tung ist die­se Vor­schrift im Zu­sam­men­hang mit einem spek­ta­ku­lä­ren Fund im Atom­kraft­werk Leib­stadt. Dort war am 24. Ju­ni die­ses Jah­res ein AKW-Mit­ar­bei­ter in der be­sag­ten Schutz­hül­le zu­fäl­lig auf sechs Lö­cher mit einem Durch­mes­ser von sechs Mil­li­me­tern ge­stos­sen. Ge­bohrt hat­te die­se (in­zwi­schen re­pa­rier­ten) Lö­cher eine ex­ter­ne Fir­ma für die Mon­ta­ge zwei­er Feu­er­lö­scher — im Jahr 2008.

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ENSI kri­ti­sier­te AKW-Be­trei­ber

In un­ge­wöhn­lich schar­fen Wor­ten be­an­stan­de­te das ENSI in der Fol­ge die­sen Feh­ler, der of­fen­bar sechs Jah­re lang un­be­merkt ge­blie­ben war und einer Pre­miere gleich­kam. Noch nie, be­ton­te das ENSI, ha­be es in einem Schwei­zer Re­ak­tor eine sol­che Ver­let­zung des pri­mä­ren Con­tain­ments ge­ge­ben. Die Schul­di­gen wa­ren schnell ge­fun­den: die Be­trei­ber des AKW Leib­stadt, an dem die Kan­to­ne Zü­rich (via Ax­po) und Bern (via BKW) Be­tei­li­gun­gen hal­ten. Die Auf­sichts­be­hör­de sprach of­fen von or­ga­ni­sa­to­ri­schen Män­geln in den Rei­hen der AKW-Be­trei­ber. Ge­org Schwarz, beim ENSI Lei­ter des Auf­sichts­be­reichs Kern­kraft­wer­ke, stell­te klar: «Ein sol­ches Vor­komm­nis darf nicht pas­sie­ren.» Die Leib­stadt-Be­trei­ber re­agier­ten durch­aus selbst­kri­tisch, ver­si­cher­ten aber wie das ENSI, es sei­en zu kei­ner Zeit ra­dio­ak­ti­ve Stof­fe nach aus­sen ge­langt.

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Andreas Pfeiffer

Der Di­rek­tor des AKW Leib­stadt sitzt im Vor­stand der AKW-Prü­fer

Der Schwei­ze­ri­sche Ver­ein für tech­ni­sche In­spek­tio­nen (SVTI) be­zeich­net sich sel­ber als «pri­va­tes, un­ab­hän­gi­ges Un­ter­neh­men», das hier­zu­lan­de rund 50'000 tech­ni­sche An­la­gen und Ge­rä­te über­wacht, so auch Tei­le des AKW Leib­stadt. Im Vor­stand des Ver­eins sitzt An­dre­as Pfeif­fer, der zu­gleich das AKW Leib­stadt lei­tet. Als Di­rek­tor und Kraft­werks­lei­ter ver­ant­wor­tet er seit 2010 die nuk­le­are Si­cher­heit der An­la­ge. Eine Tren­nung zwi­schen Auf­sicht und Be­auf­sich­tig­ten liegt al­so nicht vor, wie Flo­ri­an Kas­ser von Green­peace kri­ti­siert. Die Be­trei­ber von Leib­stadt und der SVTI se­hen in Pfeif­fers Dop­pel­rol­le in­des kein Prob­lem: Der SVTI-Vor­stand sei für über­ge­ord­ne­te stra­te­gi­sche Auf­ga­ben zu­stän­dig, sagt eine Leib­stadt-Spre­che­rin. Die ope­ra­ti­ven Pro­jek­te wür­den je­doch von den zu­stän­di­gen Fach­stel­len des SVTI ver­ant­wor­tet. «Dar­auf nimmt der Vor­stand kei­nen Ein­fluss.» So­mit sei­en die Auf­ga­ben des «Prü­fers» und des «Ge­prüf­ten» klar ge­trennt.

(sth)

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Die Kri­ti­ker ver­moch­te die­se Nach­richt nicht zu be­sänf­ti­gen. Die Grü­ne Par­tei warf dem ENSI vor, sei­ne Auf­sichts­funk­ti­on viel zu pas­siv wahr­zu­neh­men, und for­der­te eine Ver­schär­fung der Si­cher­heits­vor­schrif­ten für AKW. Aus Deut­schland schwapp­ten em­pör­te Re­ak­tio­nen über den Rhein, an wel­chem das AKW Leib­stadt liegt. Po­li­ti­ker for­der­ten eine un­ab­hän­gi­ge Un­ter­su­chung durch das ba­den-würt­tem­ber­gi­sche Um­welt­mi­ni­ste­ri­um. Der da­ma­li­ge Walds­hu­ter Land­rat Til­man Boll­acher (CDU) zeig­te sich über­rascht: Bis­her sei er da­von aus­ge­gan­gen, dass der Si­cher­heits­stan­dard im AKW Leib­stadt hoch sei und ent­spre­chen­de Vor­komm­nis­se eigent­lich nicht ein­tre­ten könn­ten. Boll­acher for­der­te ENSI-Di­rek­tor Hans Wan­ner auf, die Atom­auf­sichts­be­hör­de sol­le das «Men­schen­mög­li­che» da­zu bei­tra­gen, dass die Si­cher­heits­kul­tur wei­ter ver­bes­sert wer­de und der­ar­ti­ge Feh­ler künf­tig nicht mehr auf­trä­ten.

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Das ENSI sel­ber stritt je­de Mit­ver­ant­wor­tung ab. «Einen sol­chen Scha­den hät­te man nur bei einem so­ge­nann­ten 10-jähr­li­chen in­te­gra­len Leck­ra­ten­test ent­dec­ken kön­nen», sag­te da­mals ein Spre­cher. Der ent­spre­chen­de Test ha­be letzt­mals im August 2008 statt­ge­fun­den. Hier­bei wird das Con­tain­ment un­ter Druck ge­setzt. Ein ab­sin­ken­der Druck zeigt an, dass der Man­tel un­dicht ist. Mon­tiert wur­den die Feu­er­lö­scher laut ENSI je­doch erst im No­vem­ber je­nes Jah­res. Der Test ha­be denn auch kei­ne Schwach­stel­len auf­ge­zeigt, ver­si­cher­te die TOP Atom­auf­sichts­be­hör­de.

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Test war bis Herbst 2012 fällig

Test war bis Herbst 2012 fällig

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Das SVTI-Re­gel­werk wi­der­spricht je­doch die­ser Dar­stel­lung. Die In­spek­tio­nen der SVTI-Fach­leu­te fal­len in den Zu­stän­dig­keits­be­reich der Atom­auf­sichts­be­hör­de, nicht in je­nen der Leib­stadt-Be­trei­ber. Die Fra­ge nach der Mit­ver­ant­wor­tung stellt sich um­so mehr, als das ENSI nach der Mon­ta­ge der Feu­er­lö­scher Hun­der­te von In­spek­tio­nen durch­ge­führt hat­te. Die­sen Ein­wand hat­te das ENSI bis­lang mit dem Ar­gu­ment ge­kon­tert, je­ne Prü­fun­gen hät­ten stets im Rah­men an­de­rer spe­zi­fi­scher Auf­trä­ge statt­ge­fun­den.

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Doch wie das Re­gel­werk des SVTI be­legt, müs­sen die In­spek­to­ren die Schutz­hül­le min­des­tens al­le vier Jah­re von Auge prü­fen. An­ge­nom­men, sie hät­ten dies kurz vor der Mon­ta­ge der Feu­er­lö­scher im Herbst 2008 ge­tan, hät­te die näch­ste Kon­trol­le spä­tes­tens im Herbst 2012 er­fol­gen müs­sen. Der SVTI be­stä­tigt auf An­fra­ge bloss, die­se Prü­fung vor­schrifts­ge­mäss durch­zu­füh­ren. Wann zu­letzt und mit wel­chem Re­sul­tat, lässt der Ver­ein of­fen und ver­weist auf das ENSI, das sei­ner­seits wei­ter je­de Schuld von sich weist: «Bei vi­su­el­len Prü­fun­gen wer­den je­ne Ober­flä­chen in­spi­ziert, die sicht­bar sind.» Die Bohr­lö­cher im Stahl­con­tain­ment sei­en je­doch durch die Feu­er­lö­scher­hal­te­run­gen ver­deckt und so­mit nicht sicht­bar ge­we­vsen.

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Vorschrift: «Sehfähigkeit»

Für Kri­ti­ker ist diese Ant­wort eine fau­le Aus­re­de: «Die Auf­sicht führt vi­su­el­le Kon­trol­len mit ge­schlos­se­nen Augen durch», sagt Flo­ri­an Kas­ser, Atom­ex­per­te bei Green­peace. Re­le­vant sei ein­zig, dass sich seit 2008 of­fen­bar we­der vom ENSI noch vom SVTI je­mand ge­fragt ha­be, wie die­se Feu­er­lö­scher be­fes­tigt sei­en. «Da­bei müss­te man eigent­lich er­war­ten, dass die In­spek­to­ren die Ober­flä­che des Con­tain­ments auch eini­ge Zen­ti­me­ter um die Kas­ten der Feu­er­lö­scher her­um vi­su­ell kon­trol­liert ha­ben», sagt Kas­ser. Im Reg­le­ment steht da­zu, das Prüf­per­so­nal müs­se qua­li­fi­ziert sein so­wie «aus­rei­chen­de Seh­fä­hig­keit» nach­wei­sen. Das ENSI äus­sert sich nicht wei­ter da­zu und ver­weist auf die lau­fende Un­ter­su­chung des Vor­falls.

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ENSI rüf­felt or­ga­ni­sa­to­ri­sche Män­gel beim AKW Leib­stadt

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Das AKW Leib­stadt muss ex­ter­ne Mit­ar­bei­ter bei Re­vi­sions­ar­bei­ten bes­ser be­treu­en und schu­len. Das ver­langt die Atom­auf­sichts­be­hör­de ENSI. 2008 hat­te eine ex­ter­ne Fir­ma am AKW-Pri­mär­con­tain­ment sechs Lö­cher für die Hal­te­rung von Feu­er­lö­schern ge­bohrt. Die Lö­cher wur­den erst letz­ten Ju­ni ent­deckt. Green­peace wirft dem ENSI vor, «sich aus der Ver­ant­wor­tung zu steh­len». Seit der Mon­ta­ge der Feu­er­lö­scher sei­en Dut­zen­de von In­spek­tio­nen durch­ge­führt wor­den.

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