Die Nagra-Messfahrzeuge sind im Jestetter Zipfel unerwünscht.
Foto: PD
Die Nagra-Messfahrzeuge sind im Jestetter Zipfel unerwünscht.
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Die deutsche Grenzgemeinde Jestetten weigert sich, seismische Messungen der Nagra auf ihrem Gebiet zuzulassen. Anfang kommenden Jahres will die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) mit einer Serie von Messungen beginnen, um den Untergrund am möglichen Standort für ein atomares Endlager im Zürcher Weinland näher zu untersuchen. Nach Auskunft des Nagra-Geophysikers Marian Hertrich geht es darum, den Kenntnisstand über die Geologie zu erhöhen und ein detailliertes dreidimensionales Abbild des Untergrundes zu erstellen. Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen, werde dann der optimale Lagerperimeter festgelegt.
Im Januar hatte die Nagra bekannt gegeben, dass sie das Weinland und Jura-Ost (Aargau) für die geeignetsten Standorte für ein Tiefenlager halte. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) und die Kantone Aargau und Zürich analysieren derzeit die Unterlagen, in denen dieser Entscheid begründet wird. Da die Gemeinden im sogenannten Jestetter Zipfel nur wenige Kilometer von Benken und Marthalen entfernt liegen, wurden sie bislang in das Beteiligungsverfahren des Bundesamtes für Energie (BFE) mit einbezogen.
Wie einem Konzept des BFE vom Mai 2015 zu entnehmen ist, soll das für die dritte Etappe des Suchverfahrens für einen Endlagerstandort nicht mehr gelten. Beteiligt werden sollen gemäss dem Papier «Abgrenzung und Aufgaben der Standortregionen in Etappe 3» nur noch die Gemeinden, unter oder auf deren Boden das rund 500 Meter tiefe Lager mit seinen Oberflächenanlagen dereinst gebaut werden soll.
Die deutschen Gemeinden Jestetten und Lottstetten, die bisher in der Regionalkonferenz für das Tiefenlager Zürich-Nordost vertreten waren, sollten nicht mehr mitreden können. Dasselbe gilt auch für die Kantonshauptstadt Schaffhausen und die Schweizer Gemeinden Neuhausen am Rheinfall und Feuerthalen. Für die Jestetter Gemeindepräsidentin Ira Sattler ist das ein Widerspruch. «Wenn man bei uns messen will, heisst das, dass wir vom Tiefenlager geologisch betroffen sind. Aber dann muss man auch unsere Anliegen ernst nehmen», sagte Sattler am Samstag am Rande einer Informationsveranstaltung für die Jestetter Bevölkerung.
Im Juni 2015 beschloss der Gemeinderat, unter den gegebenen Voraussetzungen keine weiteren geologischen Vermessungen zuzulassen. Auch Neuhausen liess das BFE wissen, dass weitere Gesuche von Nagra und BFE erst behandelt würden, wenn die Gemeinde weiter am Verfahren beteiligt werde.
Das BFE, das das sogenannte Sachplanverfahren organisiert, und die Nagra halten an den Messungen auf deutschem Gebiet fest. «Wir haben darum auch den Kontakt zu übergeordneten deutschen Stellen gesucht», sagt der Leiter der Sektion Radioaktive Abfälle im BFE, Michael Aebersold.
Nach mehreren Gesprächen sagte das Bundesamt für Energie im Oktober zu, die fraglichen Gemeinden auch in der dritten Phase des Suchverfahrens mit einzubeziehen.
Aebersold geht heute davon aus, dass Jestetten, Neuhausen und die Stadt Schaffhausen auch in der Etappe 3 beteiligt werden. Allerdings betont er, dass darüber nicht das BFE entscheide, sondern der Bundesrat, und das voraussichtlich im Jahr 2017. Der Neuhauser Gemeinderat liess sich so weit überzeugen, dass er am 3. November beschloss, dass die «Voraussetzungen für eine Prüfung von Gesuchen für Abklärungen auf Neuhauser Gebiet im Zusammenhang mit einem atomaren Tiefenlager Zürich-Nordost erfüllt seien». Allerdings betont er, «dass das noch keine Zustimmung bedeutet».
Sattler sieht die Situation so: «Ich habe keinen Grund, an der Aufrichtigkeit der Zusagen des leitenden BFE-Beamten zu zweifeln.» Ihr sei jedoch bewusst, dass es letztendlich in der Kompetenz des Bundesrats liege, die Gemeinde weiter am Suchverfahren zu beteiligen oder sie davon auszuschliessen. Der Jestetter Gemeinderat hat die seismischen 3-D-Untersuchungen auch in einem zweiten Beschluss abgelehnt.
Gemeindepräsidentin Sattler geht davon aus, dass das Lager für schwach- und mittelradioaktive Atomabfälle in Benken und Marthalen unter Umständen weiter von der Landesgrenze weg gebaut werden müsste, wenn das deutsche Jestetten die geplanten Messungen weiterhin ablehnt.
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