Fünf Jahre nach dem Super-GAU in Fukushima
 

 
  Fünf Jahre nach dem Super-GAU in Fukushima
 

Radio­ak­ti­ve Hot­spots auch aus­ser­halb der Sperr­zo­nen

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Von Fuku­shi­ma geht nach wie vor Ge­fahr für die Be­völ­ke­rung aus. Gan­ze Re­gio­nen blei­ben un­be­wohn­bar.

Tomioka

To­mio­ka, wo einst 16'000 Men­schen leb­ten, ist seit dem Su­per-GAU eine Gei­ster­stadt.

Foto: Ken Ishii (Getty Images)

Tomioka

To­mio­ka, wo einst 16'000 Men­schen leb­ten, ist seit dem Su­per-GAU eine Gei­ster­stadt.

Foto: Ken Ishii (Getty Images)

Tomioka

To­mio­ka, wo einst 16'000 Men­schen leb­ten, ist seit dem Su­per-GAU eine Gei­ster­stadt.

Foto: Ken Ishii (Getty Images)

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Vincenzo Capodici

«Die Kern­ener­gie ist das Ri­si­ko nicht wert», ist Nao­to Kan über­zeugt. Kan war Ja­pans Mi­ni­ster­prä­si­dent, als es am 11. März 2011 zur AKW-Ka­ta­stro­phe von Fu­ku­shi­ma kam. Der ein­sti­ge Be­für­wor­ter der Kern­kraft ist seit der Ha­va­rie ein ve­he­men­ter Geg­ner. Ja­pan ha­be sehr gros­ses Glück ge­habt, dass es nicht noch schlim­mer ge­kom­men sei, er­klär­te Kan kürz­lich an einer In­for­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung in Zü­rich, an der Green Cross die Re­sul­ta­te eige­ner Ra­dio­ak­ti­vi­täts­mes­sun­gen TOP in der Prä­fek­tur Fu­ku­shi­ma prä­sen­tier­te. Die Bo­den­pro­ben, die die rus­si­sche Ra­dio­lo­gin Ma­ri­na Khwo­sto­wa nahm, stam­men aus To­mio­ka, einer ver­las­se­nen Stadt et­wa zehn Ki­lo­me­ter süd­lich von Fu­ku­shi­ma Daii­chi, so­wie aus der Stadt Ko­ri­ya­ma, die 70 Ki­lo­me­ter west­lich des ha­va­rier­ten Kern­kraft­werks liegt.

Karte
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Laut Ste­phan Ro­bin­son, Kern­phy­si­ker und Be­reichs­lei­ter bei Green Cross Schweiz, wur­de der höch­ste Strah­lungs­wert von 4,01 Mik­ro­sie­vert pro Stun­de in To­mio­ka ge­mes­sen. «Das ent­spricht einer Jah­res­do­sis von 35 Mil­li­sie­vert re­spek­ti­ve dem 35-fa­chen der in­ter­na­tio­na­len Do­sis­li­mi­te für die all­ge­mei­ne Be­völ­ke­rung», sag­te Ro­bin­son. Aber auch aus­ser­halb des Sperr­ge­biets von Fu­ku­shi­ma sei­en Hot­spots mit ho­her Ra­dio­ak­ti­vi­tät ge­mes­sen wor­den. So zum Bei­spiel eine Jah­res­do­sis von 20 Mil­li­sie­vert im Stadt­park von Ko­ri­ya­ma und 26 Mil­li­sie­vert an einer Stras­se in der­sel­ben Stadt. «Falls die kon­ta­mi­nier­te Er­de im Stadt­park von Ko­ri­ya­ma nicht er­setzt wird, wer­den die Men­schen noch wäh­rend Jahr­zehn­ten der Strah­lung aus­ge­setzt sein», warn­te Ro­bin­son.

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Für die Wohn­be­völ­ke­rung in der Prä­fek­tur Fu­ku­shi­ma be­ste­he durch die Strah­lung vor al­lem die Ge­fahr von ge­sund­heit­li­chen Spät­schä­den wie Krebs und ge­ne­ti­sche Ano­ma­li­en. Das Ri­si­ko der Auf­nah­me von Ra­dio­ak­ti­vi­tät durch die Nah­rung sei hoch. Wie Ro­bin­son be­ton­te, sind die strah­len­den Hot­spots un­re­gel­mäs­sig wie Flec­ken auf einem Leo­par­den­fell ver­teilt. «Die­se un­re­gel­mäs­si­ge Ver­tei­lung macht es sehr schwie­rig, zu sa­gen, wo das Le­ben oder die Land­wirt­schaft un­ge­fähr­lich ist.»

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Todes­fälle durch Stress

Ge­mäss einer Stu­die der Uni­ver­si­ty of Sou­thern Ca­li­for­nia (USC) sind in der Prä­fek­tur Fu­ku­shi­ma bis zu 385'000 Mens­chen durch die AKW-Ka­ta­stro­phe in un­ter­schied­li­cher Wei­se er­höh­ter ra­dio­ak­ti­ver Strah­lung und ver­schie­de­nen Stress­fak­to­ren aus­ge­setzt. Da­mit ver­bun­den sind Kurz- und Lang­zeit­ge­fah­ren für die Ge­sund­heit der Be­trof­fe­nen. So sind ne­ben Krebs­er­kran­kun­gen auch neu­ro­psy­cho­lo­gi­sche Lang­zeit­fol­gen zu er­war­ten. Ge­mäss bis­he­ri­gen Er­kennt­nis­sen der USC-For­scher ste­hen rund 1700 To­des­fäl­le in Zu­sam­men­hang mit der Fu­ku­shi­ma-Ka­ta­stro­phe in­fol­ge von Stress, Er­schö­pfung und wid­ri­ger Le­bens­um­stän­de als Um­ge­sie­del­te.

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Green Cross kri­ti­siert die Plä­ne der ja­pa­ni­schen Re­gie­rung, auf An­fang 2018 einen Teil der 2011 be­stimm­ten Sperr­ge­bie­te wie­der als be­wohn­bar zu er­klä­ren. Dies be­trifft rund 50'000 Per­so­nen, für die die Kom­pen­sa­ti­ons­zah­lun­gen auf­ge­ho­ben wer­den sol­len. Sol­che Zah­lun­gen be­kom­men nur Fu­ku­shi­ma-Flücht­lin­ge, die auf Ge­heiss der Be­hör­den eva­ku­iert wor­den wa­ren. Green Cross ver­tritt die An­sicht, dass die ja­pa­ni­sche Re­gie­rung auch je­ne Men­schen un­ter­stüt­zen müss­te, die aus­ser­halb des Sperr­ge­biets in über­mäs­sig kon­ta­mi­nier­ten Ge­bie­ten le­ben. Von der Eva­ku­ie­rung nach der AKW-Ha­va­rie wa­ren meh­re­re Hun­dert­tau­send Men­schen be­trof­fen.

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Trotz der Fu­ku­shi­ma-Ka­ta­stro­phe und ge­gen den Wil­len der Be­völ­ke­rungs­mehr­heit setzt die jet­zi­ge Re­gierung von Mi­ni­ster­prä­si­dent Shin­zo Abe auf die Atom­kraft. Im ver­gan­ge­nen August ist im Sen­dai-Kern­kraft­werk im Sü­den Ja­pans erst­mals wie­der ein Mei­ler in Be­trieb ge­nom­men wor­den. Nach An­sicht von Abe sind die ver­schärf­ten Si­cher­heits­vor­schrif­ten für die ja­pa­ni­schen AKW die «si­cher­sten in der Welt». Auch in glo­ba­ler Per­spek­ti­ve ist die Ener­gie­wen­de, wie von der Schweiz und Deutsch­land be­schlos­sen, kein gros­ses The­ma. In 31 Län­dern sind 437 Re­ak­to­ren in Be­trieb. Da­zu kom­men knapp 70 Neu­bau­pro­jek­te, wo­bei Chi­na am mei­sten neue AKW plant.

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ETH-Pro­fes­sor siehts an­ders

«Die Ri­si­ken eines Ver­zichts auf AKW sind grös­ser als die Rest­ri­si­ken von AKW», sag­te Horst-Mi­cha­el Pras­ser an der In­for­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung von Green Cross. Pras­ser ist Pro­fes­sor für Kern­ener­gie­sys­te­me an der ETH Zü­rich und La­bor­lei­ter am Paul-Scher­rer-In­sti­tut. Im Kampf ge­gen das CO2-Prob­lem kön­ne nicht auf die Kern­ener­gie ver­zich­tet wer­den. In Fu­ku­shi­ma ha­be die Si­cher­heits­kul­tur ver­sagt, be­tont er. Mit mo­dern­ster Tech­nik wä­re es nicht zur Ka­ta­stro­phe ge­kom­men.

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Pras­ser ist über­zeugt, dass der wis­sen­schaft­lich-tech­ni­sche Fort­schritt «eine ro­bu­ste Si­cher­heit von Kern­re­ak­to­ren rea­li­sier­bar» ma­che. Da­ge­gen sei die Um­welt­ver­nich­tung durch fos­si­le Ener­gie­trä­ger nicht be­herrsch­bar. Zu­dem sei­en er­neu­er­ba­re Ener­gie­quel­len nicht aus­rei­chend. Die Schwei­zer Ener­gie­wen­de, so Pras­ser, sei da­her Wunsch­den­ken.

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«Die Si­tua­ti­on in Fu­ku­shi­ma ist noch lan­ge nicht un­ter Kon­trol­le»

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Ja­pans ehe­ma­li­ger Pre­mier Nao­to Kan spricht über sei­ne Leh­ren aus der Ka­ta­stro­phe. Er kri­ti­siert die ak­tu­el­le Re­gie­rung.

Naoto Kan

Naoto Kan (69) war Japans Pre­mi­er von 2010 bis 2011. Er war im Amt, als sich die Ka­ta­stro­phe von Fu­ku­shi­ma er­eig­ne­te.

Heu­te ist er Ab­ge­ord­ne­ter des Un­ter­hau­ses.

Mit Naoto Kan sprach
Vincenzo Capodici

Naoto Kan, wie hat der Su­per-GAU Ih­re Sicht auf die Kern­kraft ver­än­dert?

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Ich hat­te es nie für mög­lich ge­hal­ten, dass ein De­sas­ter wie in Tscher­no­byl in Ja­pan pas­sie­ren könn­te, da un­se­re Tech­no­lo­gie sehr fort­ge­schrit­ten ist. Nach Fu­ku­shi­ma muss­te ich fest­stel­len, dass mei­ne Mei­nung falsch war. Ich hal­te die Kern­ener­gie für die ge­fähr­lich­ste Form der Ener­gie­ge­win­nung. Das Rest­ri­si­ko ist ein­fach zu gross. Atom­kraft­wer­ke sind nicht nur nicht si­cher, son­dern auch nicht wirt­schaft­lich. Be­rück­sich­tigt man die Kos­ten bei Un­fäl­len und die Kos­ten für die End­la­ge­rung, ist die Kern­ener­gie teu­rer als Öl und Erd­gas. Was die Atom­lob­by sagt, stimmt al­so nicht. Die Ka­ta­stro­phe von Fu­ku­shi­ma war schlimm, es hät­te aber noch schlim­mer kom­men kön­nen.

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Von wel­chem Worst­case-Sze­na­rio wa­ren Sie aus­ge­gan­gen?

Unsere Re­gie­rung muss­te die Eva­ku­ie­rung von To­kio und Um­ge­bung in Be­tracht zie­hen. Man hät­te rund 50 Mil­lio­nen Men­schen eva­ku­ie­ren müs­sen, wenn es in den ha­va­rier­ten Re­ak­tor­blöc­ken nicht eine Rei­he glück­li­cher Zu­fäl­le ge­ge­ben hät­te. Wä­re das Aus­mass der Ka­ta­stro­phe nur ein we­nig grös­ser ge­we­sen, hät­te dies das ganze Land für Jahr­zehn­te ins Chaos ge­stürzt. Es be­stand die Ge­fahr, dass Ja­pan kol­la­biert. Das wä­re ein Zus­tand ge­we­sen wie nach einer ver­nich­ten­den Kriegs­nie­der­la­ge.

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Sie sind stu­dier­ter Phy­si­ker. Ha­ben Sie den Glau­ben an Wis­sen­schaft und Tech­nik ver­lo­ren?

Die Ge­fah­ren der Kern­ener­gie las­sen sich nicht komp­lett be­sei­ti­gen. Si­cher­heit hängt nicht nur von der Tech­no­lo­gie ab, son­dern auch vom Men­schen. Voll­stän­di­ge Si­cher­heit ist eine Il­lu­si­on. Die Kon­trol­le von Ra­dio­ak­ti­vi­tät ist sehr schwie­rig. Plu­to­ni­um zum Bei­spiel hat eine Halb­werts­zeit von 24'000 Jah­ren. Wie soll das kon­trol­liert wer­den? Und ob­wohl Wahr­schein­lich­keits­rech­nun­gen et­was ganz an­de­res sa­gen, gab es in den letz­ten Jahr­zehn­ten schon drei gros­se Ha­va­ri­en: Vor Fu­ku­shi­ma (2011) und Tscher­no­byl (1986) pas­sier­te dies be­reits 1979 in Three Mi­le Is­land (USA).

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Wo steht Ja­pan bei der Be­wäl­ti­gung der Fol­gen der Ka­ta­stro­phe von Fu­ku­shi­ma?

In drei Re­ak­tor­blöc­ken kam es zu Kern­schmel­zen. Die­ses ge­schmol­ze­ne Ma­te­ri­al be­fin­det sich im­mer noch in den Re­ak­tor­be­häl­tern, und muss täg­lich mit Was­ser ge­kühlt wer­den. Im Re­ak­tor­block 2 ha­ben wir eine Ra­dio­ak­ti­vi­tät von 70 Sie­vert — bei die­sem Wert wä­re ein Mensch in­ner­halb von fünf Mi­nu­ten tot. Zu­dem mischt sich kon­ta­mi­nier­tes Was­ser mit dem Grund­was­ser und wird ins Meer ab­ge­lei­tet. Pre­mi­er Shin­zo Abe sagt, dass man die Si­tua­ti­on un­ter Kon­trol­le ha­be. Das stimmt aber nicht, wie auch vie­le Wis­sen­schaft­ler und Ex­per­ten sa­gen. Die Ka­ta­stro­phe ist noch lan­ge nicht be­wäl­tigt — we­der in den An­la­gen von Fu­ku­shi­ma Daiichi noch aus­ser­halb da­von.

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Wie be­ur­tei­len Sie die S­itua­ti­on der Fu­ku­shi­ma-Flücht­lin­ge? Und was sa­gen Sie zum Plan der Re­gie­rung, einen Teil der Sperr­ge­bie­te in drei Jah­ren für die ehe­ma­li­gen Be­woh­ner wie­der frei­zu­ge­ben?

Die ja­pa­ni­sche Re­gie­rung treibt zwar die Ent­kon­ta­mi­nie­rung von Wohn­ge­bie­ten und Land­wirt­schafts­flä­chen vor­an. Das hat aber kei­nen nach­hal­ti­gen Ef­fekt, weil die Quel­le der Ra­dio­ak­ti­vi­tät in Fu­ku­shi­ma Daiichi nicht be­sei­tigt ist und im­mer wie­der Cä­si­um her­an­ge­tra­gen wird. Die Men­schen, die we­gen ih­rer Eva­ku­ie­rung An­spruch auf Ent­schä­di­gungs­zah­lun­gen ha­ben, aber nicht in an­geb­lich de­kon­ta­mi­nier­te Ge­bie­te zu­rück­ge­hen wol­len, sol­len wei­ter­hin fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung er­hal­ten. Mehr als 100'000 Men­schen sind im­mer noch eva­ku­iert. Die Re­gie­rung muss sie ern­ster neh­men.

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Seit En­de 2012 ist ein Be­für­wor­ter der Atom­kraft, Shin­zo Abe, Ja­pans Pre­mi­er, ob­wohl die Mehr­heit der Ja­pa­ner den Aus­stieg wünscht. Wie sehr sind Sie über Abes Po­li­tik ver­är­gert?

Die Ener­gie­po­li­tik von Abe ist falsch; ich wi­der­spre­che ihm ganz klar. Er­klä­ren lässt sich die­se Po­li­tik mit den In­ter­es­sen der In­du­strie und der Strom­kon­zer­ne. Von den über 50 Atom­mei­lern Ja­pans, die wäh­rend zwei Jah­ren ab­ge­schal­tet wa­ren, hat die Re­gie­rung bis­her drei wie­der in Be­trieb ge­nom­men. Abe will ganz zur Atom­kraft zu­rück — das wird er aber nicht schaf­fen, weil sich Wi­der­stand in der Be­völ­ke­rung for­miert. AKW-Neu­bau­ten oder Lauf­zeit­ver­län­ge­run­gen wür­den auf hef­ti­ge Pro­tes­te stos­sen. Selbst zwei von Abes eng­sten Ver­bün­de­ten sind ge­gen sei­ne AKW-Po­li­tik: Die eine Per­son ist sei­ne Ehe­frau, Akie Abe, die an­de­re Per­son ist der frü­he­re Pre­mi­er Ju­ni­chi­ro Koi­zu­mi.

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Glauben Sie dar­an, dass ein Ja­pan oh­ne Kern­kraft­wer­ke eines Ta­ges Rea­li­tät sein wird?

Ja, mit­tel­fris­tig wer­den sie ver­schwin­den. Nach Fu­ku­shi­ma wis­sen wir, wel­che ho­hen Ri­si­ken Kern­kraft­wer­ke ber­gen. Und wir ha­ben be­gon­nen, er­neu­er­ba­re Ener­gi­en zu för­dern. In vier bis fünf Jahr­zehn­ten wer­den in Ja­pan kei­ne Kern­kraft­wer­ke mehr in Be­trieb sein — nicht zu­letzt aus Grün­den der Wirt­schaft­lich­keit. Dass Ja­pan auch oh­ne Kern­kraft­wer­ke ganz gut funk­tio­nie­ren kann, ha­ben die zwei Jah­re ge­zeigt, in de­nen al­le Atom­mei­ler ab­ge­schal­tet wa­ren. Das hat­te prak­tisch kei­nen ne­ga­ti­ven Ein­fluss auf das Le­ben der Men­schen und auf den Gang der Wirt­schaft.

(Interview: Vincenzo Capodici)

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Fuku­shima be­stätigt erst­mals einen Krebs­kran­ken

Nach der Atom­ka­ta­stro­phe 2011 er­krank­ten meh­re­re AKW-Ar­bei­ter an Krebs. Die Re­gie­rung stritt im­mer einen di­rek­ten Zu­sam­men­hang ab — TOP bis jetzt.

Screening

Erster Fall von Leu­kä­mie be­stätigt: Ein Ar­bei­ter un­ter­zieht sich einem Strah­len-Scree­ning. (20. Feb­ru­ar 2012)

Bild: Issei Kato/AFP

Leukämie

Obwohl meh­re­re Ar­bei­ter an Krebs er­krank­ten, sah die Re­gie­rung kei­nen Zu­sam­men­hang mit der Ka­ta­stro­phe.
(28. Feb­ru­ar 2012)

Bild: Yoshikazu Tsuno/AFP

Screening

Obwohl meh­re­re Ar­bei­ter an Krebs er­krank­ten, sah die Re­gie­rung kei­nen Zu­sam­men­hang mit der Ka­ta­stro­phe.
(28. Feb­ru­ar 2012)

Bild: Issei Kato/AFP

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Viereinhalb Jahre nach der Atom­ka­ta­stro­phe von Fu­ku­shi­ma hat die ja­pa­ni­sche Re­gie­rung erst­mals of­fi­zi­ell be­stä­tigt, dass ein frü­he­rer An­ge­stell­ter des Kraft­werks auf­grund der ra­dio­ak­ti­ven Strah­lung nach der Kern­schmel­ze an Krebs er­krankt ist. «Der Fall er­füllt die Kri­te­ri­en», sag­te ein Ver­tre­ter des Ge­sund­heits­mi­ni­ste­ri­ums in To­kio.

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An­de­re Krank­heits­ur­sa­chen könn­ten aus­ge­schlos­sen wer­den. Bei dem Mann, der nach der Ha­va­rie 2011 in dem Atom­kraft­werk ge­ar­bei­tet ha­be, sei Leu­kä­mie dia­gno­sti­ziert wor­den. Der Ex-An­ge­stell­te, der Me­di­en­be­rich­ten zu­fol­ge 41 Jah­re alt ist, wird nach An­ga­ben des Mi­ni­ste­ri­ums­ver­tre­ters fi­nan­zi­ell ent­schä­digt.

Leukämie
Obwohl meh­re­re Ar­bei­ter an Krebs er­krank­ten, sah die Re­gie­rung kei­nen Zu­sam­men­hang mit der Ka­ta­stro­phe.> (28. Feb­ru­ar 2012)

Bild: Yoshikazu Tsuno/AFP

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Wei­te­re Fäl­le noch in der Un­ter­su­chung

Nach dem Un­glück er­krank­ten meh­re­re in der An­la­ge im Nord­os­ten Ja­pans tä­ti­ge Ar­bei­ter an Krebs. Bis­lang wur­de ein di­rek­ter Zu­sam­men­hang zwi­schen der Atom­ka­ta­stro­phe und den Krebs­dia­gno­sen aber of­fi­zi­ell nicht be­stä­tigt. In drei Fäl­len dau­ert die Prü­fung noch an.

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Im Atom­kraft­werk Fu­ku­shi­ma war in­fol­ge eines schwe­ren Erd­be­bens und eines Tsu­na­mis am 11. März 2011 das Kühl­sys­tem aus­ge­fal­len, wor­auf­hin es in meh­re­ren Re­ak­to­ren zur Kern­schmel­ze kam. Drei der sechs Re­ak­to­ren wur­den bei der Ka­ta­stro­phe zer­stört und das um­lie­gen­de Ge­biet ra­dio­ak­tiv ver­seucht. Die Auf­räum­ar­bei­ten sol­len noch vier Jahr­zehn­te dau­ern. Zehn­tau­sen­de Men­schen muss­ten da­mals die ver­strahl­te Ge­gend in und um Fu­ku­shi­ma ver­las­sen.

(slw/AFP)

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Ra­dio­ak­ti­ve Ver­seu­chung auch aus­ser­halb der Sperr­zo­ne

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Die Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on Green Cross prä­sen­tier­te in Zü­rich knapp fünf Jah­re nach dem Re­ak­tor­un­fall in Fu­ku­shi­ma neue Mess­re­sul­ta­te.

Inspektion

Ge­fahr von ge­sund­heit­li­chen Spät­schä­den: Ar­bei­ter und Jour­na­li­sten in­spi­zier­ten im Ok­to­ber 2015 die Un­fall­stel­le in Fu­ku­shi­ma.

(Bild: Kimimasa Mayama/Keystone)

Inspektion

Ge­fahr von ge­sund­heit­li­chen Spät­schä­den: Ar­bei­ter und Jour­na­li­sten in­spi­zier­ten im Ok­to­ber 2015 die Un­fall­stel­le in Fu­ku­shi­ma.

(Bild: Kimimasa Mayama/Keystone)

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Knapp fünf Jah­re nach dem Re­ak­tor­un­fall in Fu­ku­shi­ma sind auch Ge­bie­te aus­ser­halb der Sperr­zo­ne noch ra­dio­ak­tiv ver­seucht. Das zei­gen Mes­sun­gen von Green Cross, die am Sams­tag an der ETH Zürich an­läss­lich einer Ta­gung prä­sen­tiert wur­den.

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Der höch­ste Strah­lungs­wert von 4,01 Mi­kro­sie­vert pro Stun­de wur­de in der ver­las­se­nen Stadt To­mio­ka ge­mes­sen, wie die Um­welt­or­ga­ni­sa­ti­on Green Cross Schweiz mit­teil­te. Laut dem Kern­phy­si­ker Ste­phan Ro­bin­son ent­spricht dies einer Jah­res­do­sis von 35 Mil­li­sie­vert oder dem 35-fa­chen der in­ter­na­tio­na­len Do­sis­li­mi­te für die Be­völ­ke­rung.

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Aber auch aus­ser­halb des Sperr­ge­bie­tes sei­en Do­sis­ra­ten von bis zu 20 Mil­li­sie­vert pro Jahr ge­mes­sen wor­den, stell­te der Be­reichs­lei­ter (Was­ser, Ab­rüs­tung) von Green Cross fest. Die Ana­ly­sen der Bo­den­pro­ben zeig­ten zu­dem eine mas­si­ve Über­schrei­tung der Grenz­wer­te bei Al­pha- und Be­ta­strah­lern. Dies­e sei­en be­son­ders ge­fähr­lich, wenn sie über Le­bens­mit­tel in den Kör­per ge­lang­ten.

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Ri­si­ko für Heim­keh­rer

Eine Rück­kehr in Ge­bie­te aus­ser­halb der Sperr­ge­bie­te sei auch heu­te noch mit Ri­si­ken ver­bun­den. Lo­ka­le Er­zeug­nis­se sei­en durch ra­dio­ak­ti­ve Stof­fe be­droht, die sehr lang­le­big und «un­re­gel­mäs­sig wie Flec­ken auf einem Leo­par­den­fell» ver­teilt sei­en.

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Für die Be­völ­ke­rung be­ste­he die Ge­fahr von ge­sund­heit­li­chen Spät­schä­den wie Krebs und ge­ne­ti­schen Ano­ma­li­en. Dies vor al­lem des­halb, weil die Men­schen nicht ho­hen Strah­len­do­sen aus­ge­setzt sei­en, aber chro­nisch be­las­tet wür­den und das Ri­si­ko der Auf­nah­me von Ra­dio­ak­ti­vi­tät durch die Nah­rung hoch sei.

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Laut Ro­bin­son wer­den Kom­pen­sa­ti­ons­zah­lun­gen nur im Fall von Eva­ku­ie­run­gen ge­lei­stet. Dies gel­te der­zeit für die im Jahr 2011 er­las­se­nen Sperr­ge­bie­te, je­doch nicht für an­de­re, sicht­lich be­la­ste­te Ge­bie­te, wie Ko­ri­ya­ma in der Prä­fek­tur Fu­ku­shi­ma, aus dem zwei Pro­ben von Green Cross stam­men.

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Japan pla­ne je­doch An­fang 2018 die Auf­he­bung des Eva­ku­ie­rungs­be­fehls für meh­re­re kon­ta­mi­nier­te Sperr­ge­bie­te. Da­mit wür­den für 50'000 Per­so­nen die Kom­pen­sa­ti­ons­zah­lun­gen auf­ge­ho­ben. Dies sei aus Sicht von Green Cross nicht ver­tret­bar, sag­te Ro­bin­son.

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Den Glau­ben an Kern­ener­gie ver­lo­ren

Bis zur Fu­ku­shi­ma-Ka­ta­stro­phe ha­be er ge­glaubt, die Kern­ener­gie sei eine fort­ge­schrit­te­ne Tech­no­lo­gie und man müs­se nur sorg­fäl­tig da­mit um­ge­hen, sag­te der frü­he­re Pre­mi­er­mi­ni­ster von Ja­pan, Nao­to Kan, an der Green Cross-Ta­gung. Der Un­fall ha­be sei­ne Sicht­wei­se grund­le­gend ver­än­dert. Heu­te hal­te er die Atom­ener­gie für die ge­fähr­li­ch­ste Form der Ener­gie­ge­win­nung.

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«Ein­deu­tig falsch» sei auch die Be­haup­tung, Kern­ener­gie sei gün­sti­ger als Öl oder Erd­gas. Rech­ne man die Ent­schä­di­gungs­gel­der bei Un­fäl­len oder die Kos­ten für die End­la­ge­rung mit ein, sei sie teu­rer als Öl oder Erd­gas.

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Hät­te der Un­fall von Fu­ku­shi­ma nur et­was grös­se­re Aus­mas­se ge­habt, hät­te man laut Kan Men­schen in einem Um­kreis von 250 Ki­lo­me­tern lang­fris­tig eva­ku­ie­ren müs­sen. Da­mit wä­ren der Raum To­kio und 50 Mil­lio­nen Men­schen be­trof­fen ge­we­sen. «Die­se Er­kennt­nis», so der ehe­ma­li­ge Pre­mi­er­mi­ni­ster, «soll­ten da­zu füh­ren, die Atom­ener­gie auf­zu­ge­ben, weil sie we­der wirt­schaft­lich, sau­ber noch si­cher ist».

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Drei schwe­re Un­fäl­le in 60 Jah­ren

Laut Vla­di­mir Kus­net­sow von der rus­si­schen Aka­de­mie der Na­tur­wis­sen­schaf­ten ist die «Wahr­schein­lich­keit von wei­te­ren Re­ak­tor­un­fäl­len zu­neh­mend». Die hy­po­the­ti­sche An­nah­me, dass die Wahr­schein­lich­keit einer gros­sen Ha­va­rie mit Aus­tritt einer er­heb­li­chen Men­ge ra­dio­ak­ti­ver Stof­fe nicht grös­ser sei als ein Fall auf 20'000 Re­ak­tor­jah­re, ha­be sich als falsch er­wie­sen.

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Inner­halb von nicht ein­mal 60 Jah­ren sei es bei einer Ge­samt­be­triebs­dau­er der Kern­ener­gie­blöc­ke der Atom­kraft­wer­ke von knapp über 15'000 Re­ak­tor­jah­ren zu drei schwe­ren Un­fäl­len ge­kom­men, bei de­nen die ak­ti­ve Zo­ne der Kern­re­ak­to­ren ge­schmol­zen sei. Die dar­aus ent­stan­de­nen wirt­schaft­li­chen Schä­den be­zif­fer­te Kus­net­sow auf hun­der­te Mil­lio­nen Dol­lar.

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Green Cross wur­de vom ehe­ma­li­gen so­wje­ti­schen Prä­si­den­ten Mi­chail Gor­ba­tschow ge­grün­det. Die Um­welt­or­ga­ni­sa­ti­on hat sich zum Ziel ge­setzt, Fol­ge­schä­den von In­du­st­rie- und Mi­li­tär­ka­ta­stro­phen wie et­wa der Atom­ka­ta­stro­phe von Tscher­no­byl zu lin­dern.

(nag/sda)

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