DEBATTE IM NATIONALRAT   ENERGIE­STRATEGIE TOP 2015

Nicht nur das Tempo des Aus­stiegs spal­tet den Na­tio­nal­rat

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Atom­aus­stieg ja oder nein? Wenn ja, wann? Und wie wol­len wir die Ener­gie­ver­sor­gung wen­den? Dar­über ent­schei­det der Na­tio­nal­rat ab heu­te in einer mehr­tä­gi­gen De­bat­te. FDP und SVP be­kämp­fen die neue Ener­gie­stra­te­gie, Lin­ke und Grü­ne wol­len sie schnel­ler um­set­zen.

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Die Ener­gie­stra­te­gie und die De­bat­te, die das Par­la­ment dar­über füh­ren wird, sind re­kord­ver­däch­tig: Schon die Ge­set­zes­vor­la­ge des Bun­des­ra­tes um­fasst vier­zig Sei­ten. For­mell sieht die­se eine Re­vi­si­on des Ener­gie-, des CO2-, des Atom­ge­set­zes und wei­te­re Ge­set­zes­än­de­run­gen vor. In­halt­lich be­an­tragt der Bun­des­rat zahl­rei­che Ge­bo­te, Ver­bo­te, För­der­ab­ga­ben, Sub­ven­tio­nen und we­ite­re Mass­nah­men mit dem Ziel, die Ener­gie­ef­fi­zi­enz zu stei­gern und den Um­stieg von nu­klea­rer und fos­si­ler auf er­neu­er­ba­re Ener­gie ein­zu­lei­ten.

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Rund 250 Anträge

Zu die­ser Mul­ti­vor­la­ge be­an­tragt die Ener­gie­kom­mis­si­on (Urek) dem Na­tio­nal­rat rund 250 Än­de­run­gen. Lin­ke und Grü­ne wol­len die Ener­gie­wen­de da­mit ver­stär­ken und be­schleu­ni­gen. An­trä­ge aus SVP und Frei­sinn hin­ge­gen ver­fol­gen die Ab­sicht, die Ener­gie­stra­te­gie Selbst nach dem op­ti­mis­ti­schen Fahr­plan des Bun­des kann die Vor­la­ge zur Ener­gie­wen­de frü­hes­tens 2017 in Kraft tre­ten. TOP des Bun­des­ra­tes zu ver­hin­dern oder zu­min­dest ab­zu­schwä­chen. Die Mit­te­par­tei­en sor­gen bei die­sen An­trä­gen für wech­seln­de Mehr- und Min­der­hei­ten (vgl. Ta­bel­le). Da­mit stellt sich die Fra­ge: Wie viel von der bun­des­rät­li­chen Ener­gie­stra­te­gie bleibt üb­rig, wenn sich al­le Mehr­heits­an­trä­ge der vor­be­ra­ten­den Kom­mis­si­on im Na­tio­nal­rat durch­set­zen?

«Et­wa 80 Pro­zent», ant­wor­te­te der Di­rek­tor des fe­der­füh­ren­den Bun­des­am­tes für Ener­gie, Wal­ter Stein­mann, ge­gen­über die­ser Zei­tung.

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Ab­stri­che dro­hen bei Mass­nah­men, mit de­nen der Bun­des­rat die Ener­gie­ef­fi­zi­enz stei­gern will. So lehnt es die Mehr­heit der Ener­gie­kom­mis­si­on un­ter an­de­rem ab, Strom­ver­käu­fer zu ver­pflich­ten, die Ener­gie­ef­fi­zi­enz ih­rer Kund­schaft zu för­dern. Eben­falls kei­ne Mehr­heit fand bei der Urek der An­trag des Bun­des­ra­tes, die CO2-Ab­ga­be auf fos­si­len Brenn­stof­fen von heu­te 36 auf min­des­tens 84 Fran­ken zu er­hö­hen. Da­mit beugt sie sich dem Druck der Öl- und Strom­lob­by.

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CO2-Ausstoss von neuen Autos

In vielen wesentlichen Punkten hingegen konnte sich den Bundesrat durchsetzen. So un­ter­stützt die Mehr­heit der Kom­mis­si­on un­ter an­de­rem die Vor­schrif­ten, die den Ener­gie­ver­brauch von neu­en Ge­rä­ten und An­la­gen oder den CO2-Aus­stoss von neu­en Autos be­gren­zen. Zu­sätz­lich ver­langt die Urek auch na­tio­na­le Min­dest­an­for­de­run­gen für Hei­zun­gen. Die För­der­mass­nah­men für er­neu­er­ba­re Ener­gie wer­den von der Urek­Mehr­heit eben­falls oh­ne we­sent­li­che Än­de­run­gen mit­ge­tra­gen.

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Auch das Ver­bot von neu­en Atom­kraft­wer­ken, wel­ches das Par­la­ment schon frü­her be­schlos­sen hat­te, fand in der Urek er­neut eine Mehr­heit. Gleich­zei­tig leh­nen es Bun­des­rat und Urek-Mehr­heit wei­ter­hin ab, die Lauf­zeit von al­ten Atom­kraft­wer­ken zu be­gren­zen. Das viel dis­ku­tier­te «Lang­zei­tbe­triebs­kon­zept», das die Mehr­heit der Urek neu be­an­tragt, ver­än­dert zwar die Be­wil­li­gungs­pra­xis, bringt aber eben­falls kei­ne Al­ters­gren­ze für al­te AKW.

Dar­um wer­den die Grü­nen ihre «Aus­stiegs­ini­tia­ti­ve» kaum zu­rück­zie­hen; die­se er­laubt für die be­ste­hen­den AKW in der Schweiz ma­xi­mal 45 Jah­re Lauf­zeit.

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Vor einer Monsterdebatte

Für die De­bat­te und die Be­schluss­fas­sung zur neu­en Ener­gie­stra­te­gie hat al­lein der Na­tio­nal­rat in der Win­ter­ses­si­on ab heu­te ins­ge­samt zwan­zig Stun­den Zeit ein­ge­plant. Da­nach wird der Stän­de­rat dar­über strei­ten. Falls die be­rei­nig­te Stra­te­gie im Par­la­ment eine Mehr­heit fin­det und das fa­kul­ta­ti­ve Re­fe­ren­dum Bun­des­rat und Kom­mis­si­ons­mehr­heit leh­nen es wei­ter­hin ab, TOP die Lauf­zeit von al­ten Atom­kraft­wer­ken zu be­gren­zen. ge­gen Tei­le der Vor­la­ge er­grif­fen wird, ent­schei­det das Volk dar­über. Selbst nach dem op­ti­mis­ti­schen Fahr­plan des Bun­des kann die Vor­la­ge zur Ener­gie­wen­de frü­hes­tens 2017 in Kraft tre­ten.

«Zie­le» oder «Richt­wer­te»?

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Eini­ge der 250 Mehr- und Min­der­heits­an­trä­ge wir­ken sich nur sprach­kos­me­tisch aus. Zum Bei­spiel: Wäh­rend der Bun­des­rat «Zie­le» für den Ener­gie­ver­brauch und die Strom­pro­duk­ti­on aus er­neu­er­ba­rer Ener­gie fest­leg­te, mach­te die Ener­gie­kom­mis­si­on dar­aus «Richt­wer­te». Oder sie er­setzt die bun­des­rät­li­che For­mu­lie­rung «ra­tio­nell» durch­ge­hend durch «ef­fi­zi­ent». Bei an­dern An­trä­gen und Ge­gen­an­trä­gen hin­ge­gen geht es um Sein oder Rück­wei­sung der neu­en Stra­te­gie oder letzt­lich um die Fra­ge, ob die Schwei­zer Ener­gie­po­li­tik kon­se­quent oder nur halb­bat­zig ge­wen­det wird.

Hans­peter Gug­gen­bühl

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Tabelle

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Fukushima

Fukushima 2011: Die Nuk­le­ar­ka­ta­stro­phe in Ja­pan war der Aus­lö­ser da­für, dass auch die Schweiz die Wei­chen auf Atom­aus­stieg ge­stellt hat.

(Keystone)

AKW-Be­trei­ber ha­ben zu gros­sen TOP Ein­fluss

Fukushima
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Fukushima 2011: Die Nuk­le­ar­ka­ta­stro­phe in Ja­pan war der Aus­lö­ser da­für, dass auch die Schweiz die Wei­chen auf Atom­aus­stieg ge­stellt hat.

(Keystone)

FINANZ­KONTROLLE

Die AKW-Still­le­gungs- und Ent­sor­gungs­fonds sind zu we­nig stark do­tiert. Zu­dem ha­ben die Be­trei­ber der Kern­kraft­wer­ke einen zu gros­sen Ein­fluss dar­auf.

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Die Eid­ge­nös­si­sche Fi­nanz­kon­trol­le (EFK) kommt in einem ges­tern ver­öf­fent­lich­ten Be­richt zum Schluss, dass der Ein­fluss der AKW-Be­trei­ber auf den AKW-Still­le­gungs- und Ent­sor­gungs­fonds zu be­deu­tend sei. Der Fonds sei aus­ser­dem zu we­nig stark do­tiert. Die EFK schlägt des­we­gen die Schaf­fung einer un­ab­hän­gi­gen öf­fent­li­chen Ein­rich­tung vor. Die vom Bundesrat im Juni be­schlos­se­ne Re­vi­si­on der Still­le­gungs- und Ent­sor­gungs­fonds­ver­ord­nung wer­de zwar ab dem 1. Ja­nu­ar 2015 merk­li­che Ver­bes­se­run­gen in der Fra­ge der fi­nan­zi­el­len Mit­tel brin­gen, schreibt die EFK im Be­richt. Die Bei­trä­ge der AKW-Be­trei­ber sei­en al­ler­dings auf der Ba­sis eines idea­len Sze­na­ri­os be­rech­net.

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Nicht berück­sich­tig­te Ri­si­ken

Risi­ken wie Rechts­un­si­cher­heit oder Kos­ten­stei­ge­run­gen sei­en in den bis­he­ri­gen Be­rech­nun­gen noch nicht be­rück­sich­tigt wor­den. Die EFK schlägt dem Eid­ge­nös­si­schen De­par­te­ment für Um­welt, Ver­kehr, Ener­gie und Kom­mu­ni­ka­ti­on (Uvek) in ih­rem Be­richt des­halb vor, neue Kos­ten­stu­di­en mit ver­schie­de­nen Sze­na­ri­en zu rech­nen.

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Der Fonds für die Still­le­gung von Kern­an­la­gen ent­hielt En­de 2013 Mit­tel in Hö­he von rund l,7 Mil­li­ar­den Fran­ken. Nach den Schät­zun­gen einer vom Bund in Auf­trag ge­ge­be­nen und 2011 ver­öf­fent­lich­ten Kos­ten­stu­die sind aber rund 2,9 Mil­li­ar­den er­for­der­lich. Im Fonds für die Ent­sor­gung der Nuk­le­ar­ab­fäl­le wer­den ge­mäss der­sel­ben Stu­die für die Kos­ten ab Aus­ser­be­trieb­nah­me rund 8,4 Mil­li­ar­den be­nö­tigt. Ver­füg­bar sind heu­te erst 3,6 Mil­li­ar­den Fran­ken.

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Bund müsste einspringen

Kämen die AKW-Be­trei­ber ih­ren fi­nan­zi­el­len Ver­pflich­tun­gen bei bei­den Fonds nicht nach, lau­fe der Bund Ge­fahr, die feh­len­den Mittel be­reit­stel­len zu müs­sen, stellt die EFK fest. Auch bei der Ver­wal­tung der Fonds schlägt die EFK Än­de­run­gen vor. Sie ist der Mei­nung, dass die AKW-Ver­tre­ter in der Kom­mis­si­on und an­de­ren Or­ga­nen der Fonds zu viel Ein­fluss ha­ben. Die­ses Un­gleich­ge­wicht kann nach An­sicht der EFK durch die Über­füh­rung der bei­den Fonds in eine recht­lich selbst­stän­di­ge und von un­ab­hän­gi­gen, Ver­tre­tern ge­führ­te öf­fent­li­che Ein­rich­tung be­ho­ben wer­den. Zu­dem em­pfiehlt die EFK dem Uvek, die Zu­stän­dig­kei­ten für den Voll­zug und die Auf­sicht zu ent­flech­ten.

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Das Eid­ge­nös­si­sche Nuk­le­ar­si­cher­heits­in­spek­to­rat (Ensi) hat Kon­se­quen­zen ge­zo­gen und ist An­fang Sep­tem­ber aus dem Kos­ten­aus­schuss des Still­le­gungs- und Ent­sor­gungs­fonds aus­ge­tre­ten, wie die Atom­auf­sichts­be­hör­de ges­tern be­kannt gab. Als Grund gibt das Ensi sei­ne Kon­troll­funk­ti­on an.

Die Be­trei­ber der Kern­kraft­wer­ke di­stan­zie­ren sich in einer Mit­tei­lung vom EFK-Prüf­be­richt. Die zen­tra­len Dar­stel­lun­gen und Schluss­fol­ge­run­gen und die dar­aus ab­ge­lei­te­ten Em­pfeh­lun­gen trä­fen nicht zu, weil sie auf fal­schen Prä­mis­sen be­ruh­ten. Das fi­nan­ziel­le Ri­si­ko für den Bund sei äus­serst ge­ring, schreibt Swiss­elec­tric, die Or­ga­ni­sa­ti­on der gros­sen schwei­ze­ri­schen Strom­ver­bund­un­ter­neh­men.

sda.

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