TAGES ANZEIGER Der Sonntag, Nr. 48, 4. Dezember 2011     ◊     MEINUNG     ◊     Seite 13    

Plädoyer für den Kondukteur

Peter Burkhadt
Peter Burkhadt

VON PETER BRUKHARDT


Die Nachricht: Die SBB müs­sen spa­ren. Auf sie­ben Schnell­zugs­li­nien gibt es künf­tig kei­ne Kon­duk­teu­re mehr.

Der Kommentar: Die SBB spa­ren am fal­schen Ort. Seit sie 1994 im Re­gio­nal­ver­kehr da­mit be­gon­nen ha­ben, die Zug­be­glei­ter ab­zu­schaf­fen, ha­ben sich in den S-Bah­nen Ser­vi­ce, Si­cher­heit und Sau­ber­keit deut­lich ver­schlech­tert.

Es wäre zwar über­trie­ben zu sa­gen, der Van­da­lis­mus ha­be in den Schwei­zer Bah­nen über­hand­ge­nom­men. Doch die Ge­walt ge­gen Pas­sa­gie­re und Per­so­nal ist ge­stie­gen, das Schwarz­fah­ren nimmt auf viel be­fah­re­nen Strec­ken zu, und viele un­be­glei­te­te Zü­ge wir­ken schmud­de­lig. Schwei­zer Qua­li­tät sieht an­ders aus.

Ich ver­mis­se den gu­ten al­ten Kon­duk­teur, der mit so­no­rer Stim­me klar­macht, wer der Chef an Bord ist. Nur schon die­ses auto­ri­tä­re, aber kei­nes­wegs un­sym­pa­thi­sche Auf­tre­ten sorg­te für Ru­he und Ord­nung. Noch viel wich­ti­ger: Kon­duk­teu­re sind hilfs­be­reit, ge­ben Aus­kunft, ver­kau­fen Bil­let­te, Klas­sen- und Strec­ken­wech­sel, ge­ben Orts­un­kun­di­gen Aus­kunft, hel­fen Be­hin­der­ten, Be­tag­ten und Rei­sen­den mit Klein­kin­dern oder schwe­rem Ge­päck beim Ein­stei­gen. Und so wei­ter.

Das al­les wol­len die SBB nun auch bei Schnell­zü­gen über Bord wer­fen — selbst in Zü­gen, in de­nen man über eine Stun­de un­ter­wegs ist. Die Bahn­chefs schwö­ren statt­des­sen auf Bil­lett­auto­ma­ten, Vi­deo­über­wa­chung, pri­va­te Si­cher­heits­diens­te und die Trans­port­po­li­zei. Sie kön­nen aber den Kon­duk­teur nie­mals er­set­zen.

Bin ich ein un­ver­bes­ser­li­cher Nos­tal­gi­ker? Dass es auch an­ders geht, zeigt aus­ge­rech­net der frü­he­re SBB-Chef Be­ne­dikt Wei­bel: In sei­ner pri­va­ten West­bahn in Ös­ter­reich fährt in je­dem Zug min­des­tens ein Kon­duk­teur mit, der Bil­let­te kon­trol­liert und ver­kauft. Wie­so nicht auch bei uns?


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