Tages-Anzeiger von 11. Juni 2015:

TA-Schaad

Etappensieg für die Anwälte von Ex-Diktatoren

Der Nationalrat schwächt das Gesetz zum Umgang mit Geldern von Potentaten.

«Die Schweiz wird sich die Fin­ger ver­bren­nen, wenn sie nichts macht.» So ein­dring­lich warb Aus­sen­mi­ni­ster Di­dier Burk­hal­ter ge­stern im Na­tio­nal­rat für das Po­ten­ta­ten­gel­der­ge­setz. Da­bei geht es um die Ver­mö­gen, die ge­stürz­te Dik­ta­to­ren und de­ren Clans auf Schwei­zer Ban­ken ha­ben. Das Ge­setz soll re­geln, un­ter wel­chen Um­stän­den die Schweiz die Gel­der sper­ren, ein­zie­hen und an die Staa­ten zu­rück­er­stat­ten kann. Burk­hal­ters Wer­ben war um­sonst. Der Na­tio­nal­rat hiess das Ge­setz zwar gut, schwäch­te es aber in zwei ent­schei­den­den Punk­ten ab.

Die bür­ger­li­che Mehr­heit aus CVP, FDP und SVP über­nahm Em­pfeh­lun­gen des An­walts­ver­ban­des: Der Kreis der be­trof­fe­nen «Po­li­tisch ex­po­nier­ten Per­so­nen» (PEP) soll ein­ge­schränkt wer­den. Und die Schweiz soll un­recht­mäs­sig er­wor­be­ne Dik­ta­to­ren­gel­der nur so lan­ge ein­zie­hen dür­fen, wie die Straf­ta­ten der ge­stürz­ten Macht­ha­ber nicht ver­jährt sind. Je nach Straf­tat et­wa Be­ste­chung, Geld­wä­sche­rei oder Dieb­stahl — be­tra­gen die Ver­jäh­rungs­fri­sten zwi­schen 5 und 20 Jah­re. Schafft es die Schweiz nicht, die oft auf­wen­di­gen Ver­fah­ren mit den Her­kunfts­län­dern vor­her ab­zu­schlies­sen, muss sie die Gel­der den Po­ten­ta­ten zu­rück­ge­ben. Nun geht das Ge­setz in den Stän­de­rat.

Kritiker sind em­pört über das Lob­by­ing des An­walts­ver­ban­des, das den In­ter­es­sen ein­zel­ner Kanz­lei­en die­ne. «Die gan­zen Man­da­te rund um die Po­ten­ta­ten­gel­der sind für ein­zel­ne An­walts­kanz­lei­en eine Gold­gru­be ge­wor­den», sagt Oli­vi­er Long­champ, Fi­nanz­spe­zia­list bei der Er­klä­rung von Bern. Man wol­le sich die­ses «Mords­ge­schäft» of­fen­bar nicht ver­mie­sen las­sen. (bua)

Potenentaten-Schutz bis Demokratur

Es ist un­glaub­lich, wie viele Na­tio­nal­rä­te sich als Un­ter­stüt­zer von Dik­ta­to­ren und Po­ten­ta­ten outen.

Sie ent­schei­den al­len Erns­tes, ge­stürz­te Dik­ta­to­ren mit Samt­hand­schu­hen an­zu­fas­sen. Ih­re un­recht­mäs­si­gen Ma­chen­schaf­ten, wie sie sich il­le­gal be­rei­cher­ten und das Geld in der Schweiz hor­ten, sol­len in­nert re­la­tiv kur­zer Zeit ver­jäh­ren und ih­nen dann ge­hö­ren, auf je­den Fall ra­scher, als sich in ih­rem Hei­mat­land wie­der ein Rechts­sys­tem auf­bau­en lässt, da­mit über­haupt ge­klärt wer­den kann, wem die­se Ver­mö­gens­tei­le wirk­lich ge­hö­ren.

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Dass in einem Rechts­staat Straf­ta­ten je nach ih­rer Schwe­re ver­jäh­ren kön­nen, das ist ja nor­mal. Die­se Po­ten­ta­ten ha­ben in ih­rem Land ent­we­der den Rechts­staat ab­ge­schafft oder sich und ih­ren Clan ein­fach über das Recht ge­stellt und so ihr Land aus­ge­beu­tet. Es liegt in der Na­tur der Sa­che, in den je­wei­li­gen Län­dern nach einem Sturzt eines Dik­ta­tors ein funk­tio­nie­ren­des Rechts­sys­tem erst wie­der auf­ge­baut wer­den muss, was oft schwie­rig und lang­wie­rig ist. Und soll die Schweiz al­len Erns­tes die­sen Ver­bre­chern Schutz ge­wäh­ren und ih­nen hel­fen, mög­lichst rasch mit ih­rem Ver­mö­gen ab­zu­schlei­chen oh­ne ab­zu­klä­ren, ob da­von über­haupt et­was ih­nen ge­hört.

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Haben die­se Par­la­men­ta­ri­er sel­ber nach­ge­dacht? Oder ha­ben sie sich von Lob­by­is­ten über­re­den las­sen, ein­fach so? Oder ha­ben sie von be­trof­fe­nen Po­ten­ta­ten oder ih­ren An­wäl­ten fi­nan­zi­el­le Vor­tei­le ver­spro­chen er­hal­ten? Oder sol­len den Ban­ken und den An­wäl­ten ih­re grau­en Ge­schäf­te ge­schützt wer­den? Das sind Fra­gen über Fra­gen, auf die wir Bür­ger Ant­wor­ten möch­ten.

Eine andere Interpretation

Haben die­se Par­la­men­ta­ri­er ein Flair für Di­kta­tu­ren?
Wür­den sie das eigent­lich auch für die Schweiz an­stre­ben?

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Noch eine andere Interpretation

Gibt es etwa in Bun­des-Bern Par­tei­en, die da­mit lieb­äugeln, so stark zu wer­den, dass sie einen Dik­ta­tor stel­len kön­nen. Der wür­de dann al­les be­stim­men, sei­ne Günst­lin­ge über das Recht stel­len und ih­nen Pöst­chen und Auf­trä­ge zu­schan­zen

Das könn­te al­ler­dings schief ge­hen, wie wir die­ser Ta­ge in der Tür­kei deut­lich se­hen. Oder auch in Un­garn?

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Oder geht es bloss um eine Demokratur

Es gibt ver­schie­de­ne Staats­for­men, die sich al­le De­mo­kra­tie nen­nen. Da­bei müs­sen wir nicht mal auf ex­tre­me Bei­spiele zu­rück­grei­fen. Die Stär­ke der Schweiz ist ih­re Kom­pro­miss-De­mo­kra­tie mit viel Pro­porz­wahl­recht. Da gibt es nicht nur eine Mei­nung, die gilt. Auch Min­der­hei­ten ha­ben Rech­te. Und Lö­sun­gen wer­den aus­ge­han­delt, manch­mal bes­ser, manch­mal schlech­ter, aber im­mer­hin. Die mei­sten Län­der Euro­pas ha­ben ein mehr­heit­li­ches Ma­jorz­recht, d.h. eine Par­tei (oder Ko­ali­ti­on) braucht die Mehr­heit im Par­la­ment und re­giert dann. Die an­de­ren sind dannn die Op­po­si­ti­on und ha­ben eigent­lich nicht viel zu sa­gen.

In Demo­kra­ti­en à la USA gilt ganz of­fen der Grund­satz «the win­ner ta­kes it all» (in meh­re­ren Teil­staa­ten er­hält die Par­tei mit den mei­sten Stim­men al­le Man­da­te. Min­de­stens die­se Form kann man auch «Dik­ta­tur der Mehr­heit» nen­nen.

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Original-Bericht des Tages-Anzeigers

Tages-Anzeiger Bericht [PDF]

www.zumkuckucksei.net/PDF/TA-2015-06-11.pdf [PDF]