Illustration: Pleesz

Illustration: Michael Pleesz

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Die Schlüs­sel­fi­gu­ren (v.l.): Staats­an­wäl­tin Boil­lat, Her­vé Fal­cia­ni, Bun­des­rat Merz und Geor­gi­na Mi­kha­el.

Wie der franzö­si­sche Da­ten­dieb die Schwei­zer Be­hör­den dü­pier­te ➔ Fo­kus:

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Bube, Dame, Ass

Her­vé Fal­cia­ni sorg­te bei der HSBC Schweiz für den gröss­ten Bank­da­ten­dieb­stahl al­ler Zei­ten.

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Der ge­wief­te Po­ker­spie­ler ma­ni­pu­lier­te da­für rei­hen­wei­se Be­hör­den, Ban­ken und Frau­en. Dar­un­ter auch eine Staats­an­wäl­tin des Bun­des, die ihn be­reits ge­fasst hat­te — und wie­der TOP zie­hen liess.

Hervé Falciani

Ein Auf­tritt nach sei­nem Ge­schmack: Her­vé Fal­cia­ni, be­glei­tet von Per­so­nen­schüt­zern, im Ju­li 2013 in Pa­ris.

Foto: Corentin Fohlen/NYT/Redux/laif

Von Oli­ver Zihl­mann, Ti­tus Platt­ner
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Es sind nicht nur fünf DVDs, die Her­vé Fal­cia­ni in die­sem Mo­ment aus sei­ner Ta­sche zieht. Hier, in einem Bist­ro am Flug­ha­fen Niz­za Cô­te d’Azur, am 26. De­zem­ber 2008, hält der 36-jäh­ri­ge Fran­zo­se die ge­hei­men Schwei­zer Bank­da­ten von über 100'000 Men­schen in den Hän­den. Kon­ten im Um­fang von 100 Mil­li­ar­den Euro.

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Die Schei­ben ent­hal­ten Spu­ren der Fi­nan­ciers von Bin La­den. Sie ent­schlüs­seln die Ge­schäf­te der Dro­gen­dea­ler in Pa­na­ma, ent­hül­len die We­ge der Blut­dia­man­ten nach Ant­wer­pen, sie be­wei­sen, dass Tau­sen­de Ma­na­ger, Mo­dels, Po­li­ti­ker und Ade­li­ge welt­weit sys­te­ma­tisch ih­re Steu­ern hin­ter­zo­gen. Die ein­ge­brann­ten Da­ten sind fast eine Mil­li­ar­de Fran­ken wert. So viel zu­sätz­li­che Steu­er­ein­nah­men konn­ten Re­gie­run­gen von sie­ben Län­dern bis heu­te aus ih­nen ge­win­nen. Um zehn Uhr mor­gens TOP über­gibt Fal­cia­ni die DVDs dem fran­zö­si­schen Steu­er­fahn­der Jean-Pat­rick Mar­ti­ni. Er stürzt die Schweiz da­mit in eine di­plo­ma­ti­sche Kri­se, bringt den Bun­des­rat in Er­klä­rungs­not und be­schert dem Fi­nanz­platz Schweiz einen his­to­ri­schen Ima­ge­scha­den. Und er dü­piert die Schwei­zer Er­mitt­ler, de­nen er mit List und Char­me ent­wisch­te, und die mit ih­ren Ge­gen­mass­nah­men — oh­ne es zu wol­len — den gröss­ten Bank­da­ten­Skan­dal al­ler Zei­ten über­haupt erst mög­lich mach­ten.

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Der Haupt­dar­stel­ler die­ses Kri­mis: Her­vé Da­ni­el Fal­cia­ni, ge­bo­ren 1972 in Mo­na­co. Ein Fi­lou und Gam­bler. Ein Wo­ma­ni­zer, Ge­schäf­te­ma­cher und pa­ten­tier­ter Po­ker­spie­ler. Ein Da­ten­dieb, ge­jagt von In­ter­pol, ein Whist­le­blo­wer und ein Alb­traum für die Fi­nanz­eli­ten der Welt. Ein Mann, der je­den Ro­man­hel­den in den Schat­ten stellt. Mit 22 ar­bei­tet der jun­ge Her­vé als Crou­pi­er in den Spiel­ban­ken von Mo­na­co, im glei­chen Al­ter TOP stellt ihn die Ver­wal­tungs­ge­sell­schaft des Ca­si­nos von Mon­te Car­lo be­reits als Si­cher­heits­spe­zia­lis­ten an. Mit 28 wech­sel­te er 300 Me­ter wei­ter zur Mo­na­co-Fi­lia­le der Hong­kong & Shang­hai Ban­king Cor­po­ra­ti­on Hol­dings, kurz HSBC. Er ist klug, ge­witzt, ge­schmei­dig, be­liebt. Das In­ter­net wird ge­ra­de zum Mas­sen­me­di­um. Der jun­ge Her­vé rei­tet ge­konnt auf der Wel­le. Die Gen­fer Zen­tra­le der HSBC hört von dem fä­hi­gen jun­gen Mann und holt ihn 2004 nach Genf.

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Falciani hat zu der Zeit be­reits eine Schei­dung hin­ter sich. In Genf lebt er mit sei­ner neu­en, sie­ben Jah­re jün­ge­ren Freun­din Si­mo­na C. in einer be­schei­de­nen Vier­zim­mer­woh­nung an der Rue des Mou­et­tes 9 in Genf. Mie­te: 1820 Fran­ken.

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Ende 2005 be­kom­men die bei­den eine Toch­ter, Kim. Sie ist be­hin­dert, Si­mo­na küm­mert sich rund um die Uhr um das Mäd­chen. Fal­cia­ni ist der­weil viel weg — wie die Nach­barn be­mer­ken. Und das liegt nicht nur an sei­ner Ar­beit.

Der Mann hin­ter Swiss­leaks

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Im Fall Fal­cia­ni ha­ben Er­mitt­ler aus der Schweiz und Frank­reich bis heu­te fast 23'000 Sei­ten Un­ter­su­chungs­be­rich­te und Ein­ver­nah­me­pro­to­kol­le an­ge­häuft. Die Sonn­tags­Zei­tung konn­te den gröss­ten Teil die­ser Do­ku­men­te sich­ten und da­mit die Ge­schich­te des Da­ten­dieb­stah­les in der HSBC re­kon­struie­ren. Jour­na­lis­ten welt­weit ver­öf­fent­li­chen seit einer Wo­che Re­cher­chen auf­grund von Fal­cia­nis Da­ten.

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Im Herbst 2006 lernt er die 31-jäh­ri­ge Geor­gi­na Mi­kha­el aus der IT-Ab­tei­lung der HSBC ken­nen. Die at­trak­ti­ve Li­ba­ne­sin ar­bei­tet erst seit Sep­tem­ber in der Bank. Ab No­vem­ber ist sie be­reits Her­vés Ge­lieb­te. «Ich ha­be ihn ein­fach be­wun­dert», sagt Geor­gi­na spä­ter in «Le Mon­de». «Es war sei­ne In­tel­li­genz, die mich an­zog.»

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Falciani er­zählt der ver­lieb­ten Li­ba­ne­sin eine fan­tas­ti­sche Ge­schich­te: Er ha­be eine ge­hei­me Da­ten­bank mit wert­vol­len Kun­den­in­for­ma­tio­nen. Ge­mein­sam könn­te man die doch ver­kau­fen und ein neu­es Le­ben be­gin­nen. Was ge­nau das für Da­ten sind, ver­schweigt er.

Seit dem Ok­to­ber 2006 stiehlt Fal­cia­ni Kun­den­dos­si­ers der HSBC, und das gleich zu Zehn­tau­sen­den. Noch drei Jah­re spä­ter ist es Er­mitt­lern ein Rät­sel, wie er dies schaff­te, denn er hat­te als TOP Ent­wick­ler gar kei­nen Zu­griff auf Kun­den­da­ten.

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Foto: Jean Soliva
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Vom 10.März bis zum 4.August 2009 ver­nahm die Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei BKP elf Ma­na­ger und Tech­ni­ker der HSBC, dar­un­ter die Chefs der IT- und der Rechts­ab­tei­lung, so­wie Fal­cia­nis Kol­le­gen. Fa­zit: Der In­for­ma­ti­ker war teils al­lei­ne zu­stän­dig da­für, die Kun­den­da­ten der Bank in ein neu­es IT-Sys­tem zu über­füh­ren. «Er hat die neue Da­ten­bank al­lei­ne kon­stru­iert», be­stätigt HSBC-Pro­jekt­lei­ter Flo­rent D. bei sei­ner Ver­neh­mung.

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Bei diesen Trans­fers wa­ren die Da­ten zwar im­mer noch ver­schlüs­selt, doch die Er­mitt­lun­gen zeig­ten, dass die Co­die­rung manch­mal aus­setz­te. Dann «ist es auch für einen Ent­wick­ler wie Fal­cia­ni mög­lich, al­le Da­ten un­ver­schlüs­selt her­un­ter­zu­la­den, zum Bei­spiel in der Form von Ex­cel-Ta­bel­len, und sie da­nach auf einem be­lie­bi­gen Da­ten­trä­ger zu spei­chern», so das Fa­zit im Ab­schluss­be­richt der Er­mitt­ler.

Es ist nicht rest­los ge­klärt, wa­rum Fal­cia­ni die Da­ten ko­pier­te. Klar ist nur, dass er fi­nan­zi­ell un­ter Druck stand und un­zu­frie­den war mit sei­nem Ge­halt.

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Ab Oktober 2006 be­ginnt die HSBC an den Wo­chen­en­den mit den Trans­fers der Kun­den­da­ten. Her­vé Fal­cia­ni sitzt an lan­gen Sonn­ta­gen Stun­den al­lei­ne vor sei­nem Ter­mi­nal in den Bü­ro­räu­men an der Noi­ret­tes 35 in Genf. Er ist in die­sem Mo­ment der Alb­traum je­des Si­cher­heits­ver­ant­wort­li­chen einer Bank: tech­nisch bril­lant, mit In­si­der­wis­sen, be­ruf­lich frust­riert, fi­nan­zi­ell am An­schlag, per­sön­lich in­sta­bil — ein Aben­teu­rer mit Drang zu Hö­he­rem. Was tut so einer, wenn die Ver­schlüs­se­lung zu­sam­men­bricht? Er fängt an zu ko­pie­ren.

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«Wir müs­sen auf­pas­sen, Ba­by»

Was führ­te Fal­cia­ni da­mals im Schil­de mit sei­ner Beu­te? Er be­haup­tet heu­te, er woll­te das Sys­tem der Steu­er­hin­ter­zie­hung bei HSBC ans Licht zer­ren. Fal­cia­nis Bru­der gibt spä­ter zu Pro­to­koll, Her­vé ha­be ihm ge­sagt, er wol­le die Da­ten ver­kau­fen. Geor­gi­na sag­te bei ih­rer Ver­neh­mung, Fal­cia­ni ha­be ihr ver­spro­chen, er wol­le mit ihr in den Li­ba­non zie­hen, in ih­re Hei­mat. Dort wür­den sie nur noch vom Geld aus dem Ver­kauf der Da­ten le­ben. Er brau­che das Geld drin­gend, um die Schei­dung von sei­ner Frau be­zah­len zu kön­nen. Fal­cia­ni be­strei­tet das al­les.

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Auf eine Kri­se mit sei­ner Le­bens­ge­fähr­tin Si­mo­na deu­tet we­nig hin. 2007, noch wäh­rend sei­ner Liai­son mit Geor­gi­na, hei­ra­tet Fal­cia­ni die Mut­ter sei­nes Kin­des. Gleich­zei­tig lässt er sich von sei­ner Ge­lieb­ten beim Da­ten­ver­kauf hel­fen. Sie ha­be für ihn eine SIM-Kar­te ge­kauft, da­mit Fal­cia­nis Na­me nicht auf den Rech­nun­gen auf­taucht, er­zählt Geor­gi­na spä­ter. Und sie soll­te vor­sich­tig mit Mails sein, weil sei­ne Frau die le­se.

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Hat die Li­ba­ne­sin ge­wusst, dass es sich um ge­stoh­le­ne Da­ten han­delt? Sie be­strei­tet das bis heu­te. Doch die Pro­to­kol­le der Sky­pe-Kon­tak­te zwi­schen den bei­den las­sen Zwei­fel auf­kom­men: «Hast du ge­fischt?», fragt die Li­ba­ne­sin im März 2007. Sie nennt sich Pa­lo­mi­no, das ist ein Pferd mit gol­de­nem Fell und weis­ser Mäh­ne. Geor­gi­na ist Pfer­de­när­rin.

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Sie will also wis­sen, ob Fal­cia­ni neue Da­ten be­schafft hat. «Drei Mo­na­te Up­da­tes für Ad­res­sen, Per­so­nen», ant­wor­tet der In­for­ma­ti­ker. Pa­lo­mi­no fragt be­sorgt: «Und du hast dich nicht er­wi­schen las­sen?» Fal­cia­ni ant­wor­tet kryp­tisch: «Es feh­len noch die ac­counts (?) (Be­trä­ge)», und hängt noch ver­schwö­re­risch an: «Wir müs­sen auf­pas­sen, Ba­by.»

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Spu­ren in Bei­rut

Am 17. Juni ver­su­chen die bei­den erst­mals ih­re Da­ten zu ver­kau­fen. Geor­gi­na schickt eine Mail an Ya­ser Bakr, Di­rek­tor der Di­rect Mar­ke­tings Ser­vi­ces in Jed­dah, Sau­di­ara­bi­en. Ih­re E-Mail-Ad­res­se lau­tet ‘whi­te­pa­lo­mi­no@hot­mail.com’. Sie bie­tet dem Sau­di «Fi­nanz­da­ten von Bank­kun­den» an, auf­ge­teilt nach Län­dern. Und sie nennt auch gleich einen Preis: 1000 Dol­lar pro Kun­de. Al­lein für die 812 Sau­dis im An­ge­bot hät­te Bakr fast eine Mil­li­on Dol­lar be­zah­len müs­sen.

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Was auffällt: Fal­cia­ni ver­steckt sich bei je­dem Kon­takt hin­ter Geor­gi­na. Er be­zahlt auch sel­ber nichts. Sei­ne li­ba­ne­si­sche Ge­lieb­te grün­det und fi­nan­ziert für ihn ab De­zem­ber 2007 die Web­si­te pa­lor­va.com, ein Kür­zel aus «PALO-mino», Geor­gi­nas Lieb­lings­pfer­den, aus «héR­Ve» und «geor­gi­nA».

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Für den Server, den Fal­cia­ni ext­ra für sein Pro­jekt kauft, muss ihm Geor­gi­na 1'000 Euro be­zah­len. Der In­for­ma­ti­ker sel­ber ar­bei­tet für sein Da­ten­pro­jekt kon­se­quent am pri­va­ten App­le-Lap­top sei­ner Frau Si­mo­na. Im­mer­hin soll Fal­cia­ni nun den lan­ge ge­plan­ten Trip nach Li­ba­non im Feb­ru­ar 2008 fi­nan­zie­ren. Er will dort die Da­ten end­lich an den Mann brin­gen. Doch auch hier knau­sert Fal­cia­ni. Er nimmt sich die Kre­dit­kar­te sei­ner Ehe­frau und bucht da­mit am 7. Ja­nu­ar 2008 last mi­nu­te für sich und sei­ne Ge­lieb­te zwei Flü­ge via Bu­da­pest nach Bei­rut. Kos­ten­punkt 705,78 Euro.

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Georgina küm­merte sich um die Lo­gis. Sie will ins Bel Azur, ein char­man­tes Vier­stern­ho­tel mit zwei Pools, di­rekt an der Mit­tel­meer-Ri­vie­ra. In der Nacht auf Sams­tag, 1. Feb­ru­ar, reist Fal­cia­ni al­so mit sei­ner Freun­din nach Bei­rut. Sei­ne Frau und sein klei­nes Mäd­chen blei­ben zu Hau­se.

Der Fehler

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Indem er nie sel­ber be­zahlt, spart Fal­cia­ni nicht nur Geld, er sorgt auch da­für, dass nur sei­ne Frau und sei­ne Ge­lieb­te Spu­ren hin­ter­las­sen. Er lässt Geor­gi­nas rich­ti­gen Na­men auf Vi­si­ten­kar­ten sei­ner Schein­fir­ma Pa­lor­va druc­ken, was die Er­mitt­ler spä­ter auf ih­re Spur bringt. Er sel­ber ver­steckt sich jetzt hin­ter einem Pseu­do­nym: Ru­ben Al-Chi­diack. Zwi­schen dem 2. und dem 4. Feb­ru­ar 2008 spre­chen die bei­den bei einer gan­zen Rei­he von Ban­ken in Bei­rut vor, dar­un­ter die Byb­los Bank, die FFA Pri­va­te Bank SAL und So­cié­té Gé­né­ra­le. Al­lein die Cre­dit Suis­se lehn­te ein Tref­fen ab.

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Falciani tritt je­weils als «Sa­les Ma­na­ger» Al-Chi­diack auf, legt sei­ne ge­fälsch­te Vi­si­ten­kar­te auf den Tisch und prä­sen­tiert am Lap­top sei­ner Frau sei­ne ge­stoh­le­nen Kun­den­lis­ten. Da­bei er­zählt er, wie ein­fach man an sol­che Da­ten kommt, in­dem man Fax-Über­mitt­lun­gen im «deep web» ab­fängt. Al­les voll­kom­men le­gal. Sei­ne Ge­sprächs­part­ner re­agie­ren ver­dat­tert bis ver­wirrt.

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Nur bei der Bank Au­di ver­läuft das Tref­fen an­ders. Aus Angst vor Ent­dec­kung woll­te sich Fal­cia­ni nur mit Li­ba­ne­sen tref­fen. Doch als Geor­gi­na die Tref­fen or­ga­ni­sier­te, be­merk­te sie nicht, dass die Au­di Bank sie an eine Fi­lia­le wei­ter­lei­te­te, die von einer Schwei­ze­rin ge­führt wird.

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Am Mon­tag 4. Feb­ru­ar, sitzt Fal­cia­ni al­so un­ver­mit­telt vor einer 47-jäh­ri­gen Da­me aus St. Gal­len. Sie starrt auf Fal­cia­nis Lap­top mit all die­sen Kun­den­da­ten einer Schwei­zer Bank. Sie sieht das HSBC-Lo­go auf den Lis­ten — und sie wird miss­trau­isch. Das sind doch kei­ne le­ga­len Fax­da­ten?

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Nach dem Treffen ver­stän­digt sie die Schwei­ze­ri­sche Ban­kier­ver­eini­gung. Ein ge­wis­ser Al-Chi­diack ha­be ihr ge­stoh­le­ne Bank­da­ten der HSBC an­ge­bo­ten.

Auf dem Daten-Bazar

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Am 7. März 2008, um 13.21, geht beim deut­schen Ge­heim­dienst BND eine Mail ein von ‘too­much­walls@yahoo.fr’, al­so «Zu vie­le Mau­ern». Text: «Ich ha­be die Lis­te al­ler Kun­den von einer der fünf gröss­ten Pri­vat­ban­ken der Welt.»

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Die Mail stammt von Fal­cia­ni. Der Trip nach Bei­rut brach­te ihm nichts. Doch we­ni­ge Ta­ge nach sei­ner Rück­kehr stand in der Zei­tung, dass der BND für 4,6 Mil­lio­nen Euro ge­stoh­le­ne Da­ten der Bank LGT ge­kauft hat. Der Prä­si­dent der Deut­schen Post, Klaus Zum­win­kel, wur­de so über­führt. Die TV-Bil­der sei­ner Ver­haf­tung am 14. Feb­ru­ar gin­gen um die Welt.

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Die Deut­schen zei­gen In­ter­es­se. Fal­cia­ni schreibt am 25. März von der Ad­res­se ‘ba­rack_j@yahoo’. co.uk an Mar­grit Ven­ter vom BND: «Hier ein paar Fak­ten dar­über was ich be­sit­ze.» Da­nach preist er sei­ne Wa­re an wie auf einem Ba­zar: «Kon­ten von 107'181 Per­so­nen, 20'130 Fir­men, 40 Ta­bel­len voll mit Da­ten, 70 Giga­byte Um­fang.»

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Auch dem Deut­schen Zoll­kri­mi­nal­amt ver­sucht Fal­cia­ni sei­ne Wa­re zu ver­kau­fen. Am Diens­tag, 15. April, um 13 Uhr mel­det sich eine «Gi­na» mit einem «ost­euro­pä­isch klin­gen­den Ak­zent» bei Zoll­amts­rä­tin Bar­ba­ra Neu­haus. Sie will Geld für Kun­den­da­ten. Es ist Geor­gi­na, ein­ge­pfercht mit Her­vé in einer Te­le­fon­zel­le ne­ben Fal­cia­nis Fit­ness­club in Genf. TOP «Gi­na» ver­sichert den Deut­schen spä­ter, dass sie die Wa­re nur ih­nen an­bie­tet.Doch da­vor ver­schick­te Fal­cia­ni sei­ne Wer­be-E-Mail an den bri­ti­schen Fis­kus, der ver­stän­digt hin­ter den Ku­lis­sen die Fran­zo­sen.

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Fotos: EPA/Key­sto­ne, Sa­mu­el Kirs­zen­baum pour «Le Monde», BIST/LMD
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Noch während Fal­cia­ni mit Ge­heim­diens­ten drei­er Län­der jong­liert, neh­men er­ste Spür­hun­de aus der Schweiz die Fähr­te auf.

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Der Fehler von Li­ba­non stellt sich jetzt als fa­tal her­aus. Nach dem Fall Zum­win­kel re­agie­ren die Ban­ker ner­vös auf die Mel­dung aus Bei­rut. Am 20. März ver­schickt die Ver­eini­gung einen Alarm, das Bun­des­amt für Po­li­zei be­ginnt mit Er­mitt­lun­gen. Bis­her ha­ben sie nur eine Spur: die Vi­si­ten­kar­ten des Duos aus Bei­rut.

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Die­ser Sa­les­ma­na­ger Al-Chi­diack ist un­auf­find­bar, aber Geor­gi­na Mi­kha­el ist so­fort er­mit­telt. Am 28. April ver­an­las­sen die Er­mitt­ler die Über­wa­chung des Han­dys der Li­ba­ne­sin. Am 29. Mai er­öff­net die Bun­des­an­walt­schaft ein Ver­fah­ren. Ver­dacht: Wirt­schaft­li­cher Nach­rich­ten­dienst.

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Im April 2008 ge­langt das An­lie­gen eines ge­wis­sen Ru­ben Al-Chi­diack via Lon­don und Pa­ris auf den Tisch von Ro­land Veil­le­peau, dem mäch­ti­gen und ge­fürch­te­ten Chef der ober­sten fran­zö­si­schen Steu­er­be­hör­de Di­rec­ti­on na­tio­na­le des en­quê­tes fis­ca­les, kurz DNEF. Veil­le­peau zeigt sich so­fort elek­tri­siert.

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Codenummer: bJ0$RY3T 62n_chxVBMzXRGka

Er ver­an­lasst eine «in­ten­si­ve Vor­re­cher­che» um her­aus­zu­fin­den, wer die­ser Al-Chi­diack ist. Ist er glaub­wür­dig? Ist es die Ma­fia, die Geld ma­chen will? Am 28. Ju­ni kommt es zum ers­ten Tref­fen in Frank­reich, gleich hin­ter der Schwei­zer Gren­ze. Die Fran­zo­sen schic­ken Jean-Pat­rick Mar­ti­ni, 55, Chef der Bri­ga­de für Son­der­er­mitt­lun­gen, einen der bes­ten Steu­er­fahn­der der Re­pub­lik. Sein Spitz­na­me: «L’Apé­ri­tif». Einer­seits heisst er eben Mar­ti­ni, wie der Cock­tail. An­de­rer­seits se­hen ihn die Steu­er­sün­der, die er auf­spürt, nur am An­fang. Er ist qua­si ihr Apé­ro. TOP Spä­ter folgt die Be­hör­de, der «Haupt­gang». Der wird in der Re­gel teu­er. Die Fahn­der war­ten, bei lau­en 27 Grad. Schliess­lich taucht der omi­nö­se Al-Chi­diack am Treff­punkt auf: loc­ke­res T-Shirt, Ruck­sack ge­schul­tert. Mar­ti­ni trägt ein Mik­ro­fon un­ter der Kra­wat­te. Aus­ser Sicht­wei­te ste­hen Spe­zia­lis­ten des fran­zö­si­schen Aus­land­ge­heim­diens­tes DGSE. Sie fo­to­gra­fie­ren Fal­cia­ni aus al­len Win­keln.

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Eine Stun­de lang um­krei­sen sich Mar­ti­ni und Al-Chi­diack. Dann ent­schei­den sie, dass der In­for­ma­ti­ker eine Stich­pro­be der Da­ten lie­fert. Fünf Ta­ge spä­ter, am 3. Ju­li 2008 um 22.17, er­hält Mar­ti­ni auf sei­ner pri­va­ten Ad­res­se eine E-Mail von ‘too­much­walls@yahoo.fr’. Betreff: «Von Ru­ben». Dar­in nur eine Da­tei «data.tc». Al­ler­dings schafft es der Steu­er­fahn­der nicht, den ver­schlüs­sel­ten An­hang zu öff­nen. Am 7.Ju­li schickt Mar­ti­ni von sei­nem pri­va­ten Han­dy eine SMS an «Ru­ben» und be­schwert sich, «Bon­jour, der Co­de funk­tio­niert nicht. Bit­te zu­rück­ru­fen für Prä­zi­sie­rung svp JPM.» Fal­cia­ni schickt jetzt den TOP Ent­schlüs­se­lungs­co­de per SMS zu­rück. Er lau­tet: bJ0$RY3T62n_chxVBMzXRGka.

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Fotos: Getty Images, Keystone
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Neugierig öff­net Mar­ti­ni die Da­ten­pro­be. Sie ent­hält eine Ta­bel­le mit sie­ben Na­men und Ad­res­sen von Fran­zo­sen samt ih­rem Ver­mö­gen bei der HSBC in Dol­lar. Noch bis ins Jahr 2010 hoff­te die HSBC, dies sei­en die ein­zi­gen Da­ten, die Fal­cia­ni ge­stoh­len hat. Sie er­wei­sen sich als ab­so­lut exakt bis auf den Dol­lar. Mar­ti­ni ist be­ein­druckt.

Zwei Affären — nebst Frau und Geliebter

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Zwischen Fal­cia­ni und Geor­gi­na stei­gen ab Som­mer 2008 die Span­nun­gen. Sie will wis­sen, wo der Ser­ver ist, den sie be­zahlt und nie ge­se­hen hat. Sie fängt an Fra­gen zu stel­len. Dann er­fährt die Ge­lieb­te von den Af­fä­ren.

Weil Fal­cia­ni sich die SIM-Kar­te von Geor­gi­na be­zah­len lässt, er­hält die Li­ba­ne­sin auch sei­ne Ab­rech­nun­gen, und sieht, mit wem er te­le­fo­niert. «Ich ha­be zwei Mäd­chen ge­fun­den, mit de­nen er aus­ging», sagt sie spä­ter dem Ma­ga­zin «Va­ni­ty Fair». «Mir hat er dann er­zählt, er müs­se an die­sen Aben­den zu Hau­se sein, weil sei­ne Frau sich nicht um das Kind küm­me­re und er für al­le ko­chen müs­se.»

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Die Polizei ver­nahm die bei­den Da­men spä­ter. Sa­rah*), 32, Psy­cho­lo­gie­stu­den­tin, be­stä­tig­te, Her­vé hät­te bei einem Po­ker­tur­nier mit ihr an­ge­bän­delt. Das war im April, un­mit­tel­bar nach dem Trip nach Li­ba­non. Sie be­zeich­ne­te ihn in der Ver­neh­mung als «Ma­ni­pu­la­tor». Mi­re­la*), 26, sag­te ge­gen­über der Po­li­zei, Her­vé ha­be sie im Schwimm­bad an­ge­spro­chen im Ju­li. TOP Zu der Zeit ver­han­del­te er ge­ra­de mit Mar­ti­ni und dem BND und ver­such­te, sei­ne Ge­lieb­te vor sei­ner Frau zu ver­stec­ken. Mi­re­la sag­te, er ha­be sie ge­be­ten, eine SIM-Kar­te für ihn zu kau­fen. Er sei ge­ra­de «sehr be­schäf­tigt». Am 11. De­zem­ber 2008 es­ka­liert die Si­tua­ti­on. Her­vé will an die­sem Abend nicht wie ver­spro­chen mit Geor­gi­na zum Ball der HSBC ge­hen. Sie zer­reisst die al­ten Vi­sa für den Li­ba­non, die sie noch sel­ber or­ga­ni­siert hat­te, und schmeisst sie auf sei­nen Ar­beits­tisch. «Ich konn­te nicht mehr, die Si­tua­ti­on war un­halt­bar», sagt sie spä­ter.

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Längst hat sich die Li­ba­ne­sin ent­schlos­sen, Her­vé zu ver­las­sen. Am 19. De­zem­ber kün­digt sie bei der HSBC. Die Schlüs­sel­über­ga­be für ih­re Woh­nung ist für den 26. De­zem­ber ge­plant.

Die Schweiz lässt ihn ziehen

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Laurence Boil­lat ist Po­li­zis­tin aus Lei­den­schaft. Sie ist Of­fi­zier der Schwei­zer Ar­mee. Mit 28 war sie be­reits Kom­man­dantin der Si­cher­heits­po­li­zei des Kan­tons Ju­ra. Bis 2008 stieg sie auf zur Staats­an­wäl­tin der Bun­des­an­walt­schaft. Sie ist es, die im Herbst 2008 die Fähr­te von Ru­ben Al-Chi­diack auf­nimmt.

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Am 23. Okto­ber ver­nimmt sie die Fi­li­al­lei­te­rin aus Bei­rut, und zeigt ihr ein Bild von Geor­gi­na Mi­khael. Die Ban­ke­rin iden­ti­fi­ziert sie so­fort. Bis zum 10. No­vem­ber for­dert Boil­lat die Han­dy­da­ten der Li­ba­ne­sin von der Gen­fer Po­li­zei. Von En­de Feb­ru­ar bis En­de Ju­li stand Mi­khael nicht we­ni­ger als 500-mal in Kon­takt mit einem ge­wis­sen Her­vé Fal­cia­ni, eben­falls An­ge­stell­ter der HSBC. Ist das der ge­such­te Al-Chi­diack?

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Dank der Telefon­über­wa­chung er­fährt Boil­lat En­de De­zem­ber, dass Mi­khael ih­re Woh­nung für den 26. De­zem­ber kün­digt. Sie hat den Ver­dacht, dass die Li­ba­ne­sin flüch­ten will — und han­delt.

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Am Montag, 22. De­zem­ber, mor­gens um 10:30 taucht sie mit einer Po­li­zei­es­kor­te am Ar­beits­platz von Geor­gi­na auf. Sie nimmt die Li­ba­ne­sin so­fort ins Kreuz­ver­hör. In­nert Mi­nu­ten ge­steht sie: Ja, Ru­ben Al-Chi­diack ist Her­vé Fal­cia­ni. Ja, sie wa­ren in Bei­rut. Ja, sie ha­ben der Au­di Bank Da­ten der HSBC an­ge­bo­ten. Aber der Kopf des Gan­zen, so Geor­gi­na, sei Fal­cia­ni ge­we­sen, nicht sie!

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Nach dem Ver­hör von Geor­gi­na knöpft sich die Staats­an­wäl­tin die­sen «Her­vé» vor. Wäh­rend die Po­li­zei sein Bü­ro durch­sucht, wird der In­for­ma­ti­ker ab­ge­führt zur Zen­tra­le der Gen­fer Kan­tons­po­li­zei am Che­min de la Gra­viè­re 5. Wäh­rend Stun­den wird er dort ver­hört. Doch Fal­cia­ni ist aus här­te­rem Holz als sei­ne Ge­lieb­te. Er gibt nichts zu.

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Kurz vor Mitter­nacht fängt Her­vé an zu jam­mern. Wie so oft schiebt er sei­ne Fa­mi­lie vor. Sei­ne klei­ne, drei­jäh­ri­ge Toch­ter sei doch be­hin­dert. Er müs­se zu ihr schau­en, er müs­se jetzt wirk­lich un­be­dingt nach Hause. Es sei doch Weih­nach­ten.

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Charmeur Fal­cia­ni zieht bei Staats­an­wäl­tin Boil­lat nun al­le Re­gis­ter — und er ge­winnt. In die­sen Mi­nu­ten trifft sie die wohl fol­gen­schwers­te Ent­schei­dung ih­rer Kar­rie­re: Sie lässt Fal­cia­ni zie­hen — und ver­passt die letz­te Ge­le­gen­heit, den Ab­fluss der Da­ten ins Aus­land zu ver­hin­dern.

Er solle sich doch mor­gen früh um 9:30 wie­der mel­den, und das Land dür­fe er nicht ver­las­sen, ver­langt sie noch. Aber sie wird Fal­cia­ni nie wie­der in ih­re Ge­walt be­kom­men.

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Der schnappt sich sein Trot­ti­nett, mit dem er stets zur Ar­beit fährt. In­nert sie­ben Mi­nu­ten ist er zu Hau­se. Er packt has­tig al­les zu­sam­men, nimmt Toch­ter und Frau an die Hand und flieht aus der Woh­nung, den Schlüs­sel lässt er von aus­sen stec­ken. Stun­den nach dem Ver­hör ist er mit einem Mo­bi­li­ty-Auto über der fran­zö­si­schen Gren­ze.

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Warum lässt Boil­lat Fal­cia­ni zie­hen? Die Bun­des­an­walt­schaft sagt, es ha­be zu we­nig vor­ge­le­gen für eine Ver­haf­tung. Zu die­sem Zeit­punkt ha­be Boil­lat auch noch nicht ge­wusst, wie vie­le Da­ten Fal­cia­ni tat­säch­lich ge­stoh­len hat, und ob es nicht nur ein paar ge­fälsch­te Screen­shots wa­ren, die er in Li­ba­non zeig­te. Ju­ris­tisch wä­re eine vor­läu­fi­ge Fest­nah­me wohl mög­lich ge­we­sen, oder zu­min­dest eine Über­wa­chung des Ver­däch­ti­gen zu Hau­se.

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Ein Beteiligter sagt spä­ter, Char­meur Fal­cia­ni ha­be ein­fach er­folg­reich «an die Ge­füh­le» von Staats­an­wäl­tin Boil­lat ap­pel­liert — sein Ta­lent mit den Frau­en ha­be Fal­cia­ni letzt­lich ge­ret­tet.

Das Weih­nachts­ge­schenk

Es ist der 26. De­zem­ber, 10 Uhr mor­gens. Her­vé Fal­cia­ni hat die fünf DVDs in den Hän­den. Ihm ge­gen­über sitzt Steu­er­fahn­der Jean-Pat­rick Mar­ti­ni, den Mil­li­ar­den­schatz in Griff­wei­te.

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Seit Martini die sie­ben Na­men aus der HSBC er­hal­ten hat, sind fast sechs Mo­na­te ver­gan­gen. In die­ser Zeit hat der Steu­er­fahn­der al­les ge­macht, um in den Be­sitz von Fal­cia­nis Da­ten zu kom­men.

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Er hatte mehr­fach herz­li­che Mails ge­schrie­ben an «Ru­ben», wie er ihn nun freund­schaft­lich nann­te. Er um­garn­te ihn. Zwei­mal hat er sich mit dem In­for­ma­ti­ker noch per­sön­lich ge­trof­fen. Das letz­te Mal am 6. De­zem­ber in St. Ju­li­en na­he der Schwei­zer Gren­ze. Für die­ses Tref­fen brach­te er so­gar eine Pro­fi­le­rin vom Aus­land­ge­heim­dienst DGSE mit, eine Spe­zia­lis­tin für die Re­kru­tie­rung und Aus­wer­tung von «Quel­len». An­dert­halb Stun­den re­de­ten sie auf «Ru­ben» ein, da­nach häng­ten sie noch ein spä­tes Früh­stück dran. Auch die­ses Ge­spräch wur­de heim­lich ge­filmt. Mar­ti­ni schlug ihm da­mals so­gar vor, ihn aus der Schweiz her­aus­zu­ho­len — ver­geb­lich.

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Doch am 24. De­zem­ber um 15 Uhr rief der wen­di­ge Ru­ben un­er­war­tet auf Mar­ti­nis pri­va­tem Han­dy an. Dies­mal war er in Angst. Er sei auf der Flucht, er brau­che Hil­fe. Und jetzt nann­te er auch end­lich sei­nen rich­ti­gen Na­men: Er heis­se Her­vé, Her­vé Fal­cia­ni. Die bei­den sind so­fort beim «Du». Die HSBC ha­be ihn ges­tern ge­feu­ert, er­zählt Her­vé. Die Schwei­zer Staats­an­wäl­tin ru­fe ihn dau­ernd an, er wer­de ge­jagt wie ein Wild. Ist das die lan­ge er­sehn­te Ge­le­gen­heit für Mar­ti­ni?

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Der Steuer­fahn­der dräng­te Fal­cia­ni, ihm sein Ma­te­ri­al so­fort zu über­ge­ben. Er or­ga­ni­sier­te so­gar einen An­walt für den Da­ten­dieb. Fal­cia­ni wil­lig­te schliess­lich ein, Mar­ti­ni am 26. De­zem­ber am Flug­ha­fen Niz­za zu tref­fen. Und hier sit­zen sie al­so. Es ist der Mo­ment, wo Her­vé nach Mo­na­ten Ver­hand­lung die fünf DVDs in Jean-Pat­ricks Hand drückt. Zwei­fel­los ein hüb­sches Weih­nachts­ge­schenk für die Re­pub­lik — doch das Schick­sal hat noch ein zwei­tes Ge­schenk für «L’Apé­ri­tif» pa­rat.

Mit freund­li­cher Hil­fe der Bun­des­an­walt­schaft

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Bei den Schwei­zer Er­mitt­lern ist man sich nach den Fei­er­ta­gen einig, dass man Fal­cia­ni nicht mehr kriegt. Am 5. Ja­nu­ar schrei­ben sie ihn bei In­ter­pol zur Fahn­dung aus. Er steht nun in den Da­ten­ban­ken von Schen­gen und Ri­pol. An je­dem Zoll auf dem Kon­ti­nent wür­de man ihn fest­hal­ten.

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Sie vermuten zu Recht, Fal­cia­ni ver­stec­ke sich im Fe­rien­haus sei­ner El­tern bei Niz­za. Am 9.Ja­nu­ar schic­ken sie ein drin­gen­des Rechts­hil­fe­ge­such an den Staats­an­walt von Niz­za. Der weiss noch nichts von Fal­cia­nis Da­ten und hilft be­rei­twil­lig. Staats­an­wäl­tin Boil­lat reist so­fort mit einem Kom­mis­sar und einem In­spek­tor der Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei nach Süd­frank­reich. Am 20.Ja­nu­ar um 7:10 fährt das Schwei­zer Trio mit einer gan­zen Ka­ra­wa­ne fran­zö­si­scher Po­li­zei­ka­ros­sen vor das Fe­ri­en­haus von Fal­cia­nis El­tern an der Rou­te de la Con­da­mine in Cas­tel­lar an der ita­lie­nisch-fran­zö­si­schen Gren­ze. Die Be­am­ten kom­men mit Durch­su­chungs­be­fehl, be­schlag­nah­men Fal­cia­nis Apple-Lap­top G4, sein No­tiz­buch, sein neu­es iPhone 3G, 16 Giga­byte, ein Sie­mens-Han­dy SL 65, TOP ver­steckt in der lin­ken Schub­la­de sei­nes Ti­sches und sei­nen Qbic-Ser­ver. — Dass die Com­pu­ter auch die ge­stoh­le­nen Bank­da­ten der HSBC-Kun­den ent­hal­ten, wis­sen die Po­li­zis­ten aus Niz­za nicht.

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Fotos: EPA/Keystone, Vincent Boisot/Riva Press/laif
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Falciani wird auf die Gen­dar­me­rie der na­he ge­le­ge­nen Stadt Men­ton ab­ge­führt. Auf der Fahrt drängt er einen Po­li­zis­ten, doch Steu­er­fahn­der Mar­ti­ni vom DNEF Be­scheid zu ge­ben, da­mit er ihm hilft. Er raunt dem Mann zu, es sei­en Da­ten auf sei­nem Ser­ver, die für Frank­reich wich­tig sind. Im Ver­hör mit Boil­lat ver­wei­gert Fal­cia­ni je­de Aus­sa­ge zu Mar­ti­ni.

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Die Staats­an­wäl­tin wie­der­um ver­sucht zu er­rei­chen, dass die Po­li­zei in Niz­za ihr Fal­cia­nis Com­pu­ter mit­gibt. Was da drauf ist, sagt sie nicht so ge­nau. Die Schwei­zer sei­en nicht so of­fen ge­we­sen, was sich auf dem Ser­ver be­fand, steht im Be­richt des fran­zö­si­schen Par­la­ments: «Sie be­ton­ten im­mer die Af­fä­re in Li­ba­non, oh­ne klar zu sa­gen, um was für ge­stoh­le­ne Da­ten es sich eigent­lich han­delt.»

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Boillat hat wohl Angst, dass die Fran­zo­sen den Wert der Da­ten er­ken­nen — und ge­nau das pas­siert. Nach stun­den­lan­gem Ver­hör darf Fal­cia­ni in einer Pau­se te­le­fo­nie­ren. Um 15 Uhr 18 wählt er «Jean­pat­rick» auf sei­nem Han­dy, doch Mar­ti­ni nimmt nicht ab. Erst zwei Minu­ten spä­ter kommt er durch.

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Der Steuer­fahn­der ver­an­lasst so­fort, dass der Chef des DNEF beim Staats­an­walt von Niz­za in­ter­ve­niert. Noch wäh­rend Boil­lat Fal­cia­ni vor­sich­tig ver­hört, er­fah­ren die fran­zö­si­schen Po­li­zis­ten um sie, was für einen Schatz sie ge­ho­ben ha­ben. Als Boil­lat den Ser­ver schliess­lich in die Schweiz mit­neh­men will, leh­nen die Po­li­zis­ten ab. Be­grün­dung: Hö­he­re In­ter­es­sen des fran­zö­si­schen Staa­tes.

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Doch es sollte noch schlim­mer kom­men für die Schweiz.

Martini steht nach der Über­ga­be der DVDs vor un­lös­ba­ren ju­ris­ti­schen Prob­le­men. Er weiss zwar nun, wer die mut­mass­li­chen Steu­er­sün­der sind, aber nach fran­zö­si­schem Recht darf er ge­stoh­le­ne Da­ten vor Ge­richt nicht ein­set­zen.

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Doch mit ih­rem Rechts­hil­fe­ge­such hat die Schweiz der fran­zö­si­schen Jus­tiz einen amt­li­chen Grund ge­lie­fert, Fal­cia­nis Da­ten auf des­sen Com­pu­ter zu be­schlag­nah­men. Nach fran­zö­si­schem Recht darf man amt­lich be­schlag­nahm­te Be­weis­mit­tel ver­wen­den, auch wenn sie aus einem Ver­bre­chen stam­men. Der par­la­men­ta­ri­sche Un­ter­su­chungs­be­richt ver­merkt spä­ter trium­phie­rend: «Man kann al­so mit einer et­was flap­si­gen For­mu­lie­rung sa­gen, dass der Staats­an­walt von Niz­za Fal­cia­nis Da­ten "ge­wa­schen" hat».

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Boillat geht nach dem Ver­hör mit lee­ren Hän­den zu­rück. Fal­cia­ni muss die Nacht auf der Gen­dar­me­rie ver­brin­gen, doch bei den Po­li­zis­ten hat sich die Stim­mung ge­wen­det. Her­vé kriegt die VIP-Zel­le. Am Mor­gen, pünkt­lich um acht, brin­gen die Wa­chen mit dem üb­li­chen Kaf­fee noch fri­sche Crois­sants, «mit Em­pfeh­lung der na­tio­na­len Steu­er­be­hör­de».

Das Schokoladen-Team

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Kaum ist Fal­cia­ni aus dem Ge­fäng­nis be­freit, star­tet die fran­zö­si­sche Steu­er­fahn­dung ein bis da­to ein­ma­li­ges Gross­proj­ekt, um die HSBC-Da­ten aus­zu­schlach­ten. Code­wort: «Ope­ra­ti­on Cho­co­lat».

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Ein ganzes Team be­ste­hend aus zwei Bri­ga­den mit über 20 Spe­zia­lis­ten und Tech­ni­kern wird im Feb­ru­ar 2009 nach Niz­za ver­legt und mie­tet sich dort in einem Ho­tel ein. Zeit­wei­se wer­den noch drei wei­te­re Bri­ga­den bei­ge­zo­gen, das Team er­reicht fast Kom­pa­nie­stär­ke. Für die Ope­ra­ti­on wird eine eige­ne, hoch­spe­zia­li­sier­te Soft­ware an­ge­schafft, für 300'000 Euro.

Die Atmos­phäre ist an­ge­spannt. Die Spe­zia­lis­ten füh­len sich von aus­län­di­schen Ge­heim­diens­ten ver­folgt. Mar­ti­ni läuft gar mit Po­li­zei­schutz her­um.

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Zu Beginn sind die Tech­ni­ker von Fal­cia­nis Da­ten kom­plett über­for­dert: «Man muss­te erst mal die Co­des die­ser Bank ver­ste­hen», er­zählt Chef­tech­ni­ker Thi­bault L. spä­ter einem Un­ter­su­chungs­aus­schuss. Der Ein­zi­ge, der letzt­lich hel­fen konn­te, war Fal­cia­ni sel­ber. Nicht weni­ger als 102-mal muss­ten ihn die Tech­ni­ker in­ner­halb der sechs­mo­na­ti­gen Ent­schlüs­se­lungs­ar­beit an­ru­fen und um Rat fra­gen. «Oh­ne Fal­cia­ni hät­ten wir kei­ne Chan­ce ge­habt», sagt Mar­ti­ni spä­ter.

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Erst nach Mo­na­ten fo­ren­si­scher Klein­ar­beit ge­lingt es Fal­cia­ni und dem «Team Cho­co­lat», die Da­ten der Ver­mö­gen mit den Na­men der Kun­den zu ver­bin­den. Sie er­stel­len schliess­lich eine Lis­te mit 106'682 Per­so­nen und 20'129 Fir­men mit ih­rem je­wei­li­gen Ver­mö­gen zwi­schen dem 9. No­vem­ber 2006 und dem 31. März 2007.

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Dies sind letzt­lich die Fal­cia­ni-Da­ten, die sich in den kom­men­den fünf Jah­ren zur Su­per­waf­fe der Steu­er­fahn­der in zehn Län­dern ent­wic­keln wer­den. In Frank­reich be­gin­nen die Be­hör­den schon im August 2009, ge­gen 2956 Per­so­nen zu er­mit­teln.

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Nichtsahnend von der gi­gan­ti­schen Ope­ra­ti­on, ver­han­delt der Schwei­zer Fi­nanz­minis­ter Hans-Ru­dolf Merz der­weil ein neu­es Steu­er­ab­kom­men mit Frank­reich. Pa­ris soll er­laubt wer­den, bei Ver­dacht auf Steu­er­hin­ter­zie­hung um Amts­hil­fe zu bit­ten. Aber was ist, wenn der Ver­dacht auf ge­stoh­le­nen Da­ten be­ruht? Der Bun­des­an­walt­schaft schwant Un­heil. Sie in­for­miert am 26. Ja­nu­ar die Eid­ge­nös­si­sche Steu­er­ver­wal­tung im Fi­nanz­de­par­te­ment von Merz, dass ein Dieb Da­ten der HSBC dem fran­zö­si­schen Fis­kus über­gab. Dort nimmt das nie­mand ernst. Als ein Ju­rist bei der Steu­er­ver­wal­tung an­fragt, ob man denn nicht Da­ten­dieb­stahl beim neu­en A­bkom­men aus­klam­mern müs­se, winkt die Be­hör­de ab — ob­wohl sie zu der Zeit be­reits von Fal­cia­nis Dieb­stahl weiss.

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Bundesrat ist ahnungslos

Am 27. August 2009 un­ter­zeich­net ein stol­zer Bun­des­rat Merz im Licht­saal des Ber­ner­ho­fes fei­er­lich das neue Steu­er­ab­kom­men mit Pa­ris. An­ge­reist ist auch die fran­zö­si­sche Wirt­schafts­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne La­gar­de. Sie ver­si­chert, Frank­reich wer­de kei­ne Fisch­zü­ge nach Steu­er­sün­dern star­ten, son­dern die Schweiz nur an­fra­gen, wenn sie kon­kre­te Na­men und Ad­res­sen von Ver­däch­ti­gen ha­be.

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48 Stunden spä­ter ver­kün­det der fran­zö­si­sche Bud­get­mi­nis­ter zum Ent­set­zen der Schweiz, er sei im Be­sitz von 3000 kon­kre­ten Na­men und Ad­res­sen von ver­däch­ti­gen Steu­er­sün­dern mit Bank­kon­ten in der Schweiz. Der CEO der HSBC tut das noch ab als «Lärm der fran­zö­si­schen Be­hör­den».

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Einige Wochen spä­ter, am 9. De­zem­ber 2009, ent­hüllt die Zei­tung «Le Pa­ri­si­en», die 3000 Na­men kä­men von der HSBC. Vier Ta­ge spä­ter lä­chelt de­ren Ex-In­for­ma­ti­ker Her­vé Fal­cia­ni in die Ka­me­ras und er­klärt der Welt: Ich bin der Dieb. Bun­des­rat, Par­tei­en, Ban­ken re­agie­ren kon­ster­niert.

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Finanzminister Merz droht, das Ab­kom­men nicht mehr zu ra­ti­fi­zie­ren. Er will nun auch kei­ne Amts­hil­fe mehr ge­wäh­ren bei ge­stoh­le­nen Da­ten, was sein De­par­te­ment im Som­mer noch gut­hiess.

Es kommt zu erns­ten Span­nun­gen zwi­schen Frank­reich und der Schweiz. Erst nach ul­ti­ma­ti­ven For­de­run­gen aus Bern lie­fert Frank­reich Ko­pi­en der Da­ten von Fal­cia­ni via Bot­schaft in Pa­ris in die Schweiz.

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Erst jetzt er­kennt man in Bern und Genf, welch gi­gan­ti­sches Leck die HSBC hat. Die Da­ten ge­hen in den fol­gen­den Mo­na­ten nach Spa­ni­en, Bel­gi­en, Gross­bri­tan­ni­en, In­di­en, USA, Ka­na­da, Aus­tra­li­en, Ir­land, Grie­chen­land und Ar­gen­ti­ni­en. Über die Jah­re ent­wic­keln sie die Wir­kung einer Bom­be in Zeit­lu­pe: Sie lö­sen Tau­sen­de Steu­er­ver­fah­ren welt­weit aus. In zwei Län­dern lau­fen Straf­ver­fah­ren ge­gen die HSBC als Bank. Mehr wer­den fol­gen. Mitt­ler­wei­le ist es ein Wirt­schafts­krieg, der sich hier ab­spielt, und Her­vé Fal­cia­ni, der Po­ker­spie­ler aus Mo­na­co, ist bei al­le­dem nur noch Zaun­gast. 2012 sorg­te er noch ein­mal für Schlag­zei­len, als ihn die Spa­ni­er nach einer Rei­se mit einem Boot am Ha­fen von Bar­ce­lo­na fest­nah­men — auf­grund des in­ter­na­tio­na­len Haft­be­fehls von TOP Boil­lat. Er dach­te, es gä­be am Ha­fen kei­ne Kon­trol­len. Sechs Mo­na­te schmor­te er im Ge­fäng­nis von Val­de­mo­ro bei Mad­rid. Die Bun­des­an­walt­schaft schöpf­te da­mals noch ein­mal Hoff­nung. Aber am 8. Mai 2013 lies­sen ihn die Spa­ni­er frei. Zu viel hat­ten ihm die Steu­er­be­hör­den auf der gan­zen Welt zu ver­dan­ken. Am 11. De­zem­ber 2014 er­hob die Bun­des­an­walt­schaft An­kla­ge ge­gen Her­vé Fal­cia­ni. Es blieb ihr nichts an­de­res mehr üb­rig. Im Feb­ru­ar 2012 hat­ten sich zwei Bun­des­an­wäl­te noch ein­mal mit Fal­cia­ni ge­trof­fen, um einen Deal aus­zu­lo­ten. Doch der lehn­te ab. 2015 wird es wohl zu einem Pro­zess in sei­ner Ab­we­sen­heit kom­men.

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Heute lebt Fal­cia­ni an einem ge­heim ge­hal­te­nen Ort in Frank­reich. Von was ge­nau er lebt, ist nicht be­kannt. Er sel­ber und al­le fran­zö­si­schen Be­hör­den ha­ben stets ver­si­chert, er sei nicht be­zahlt wor­den. Ge­wiss­heit herrscht nicht.

Am 15. Dezember konn­te auch ein Re­por­ter­team von «Le Mon­de» ein wei­te­res Mal ein In­ter­view mit dem Da­ten­dieb füh­ren. Er hat sei­ne Ver­si­on der Er­eig­nis­se da­bei er­neut ge­än­dert. Aber dar­auf ach­tet kaum noch je­mand. Zu viel hat er schon ge­blufft und ge­spielt mit der Wahr­heit.

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Doch letztlich hat er nicht schlecht ge­po­kert mit den Kar­ten, die er hat­te. Am En­de der gan­zen Ge­schich­te hat das Schick­sal ihm eine Rol­le zu­ge­schrie­ben, die ihm pas­sen dürf­te: Für die meis­ten ist er der Held.

*) Namen geändert

* * *

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«Täg­lich wer­den gros­se Sum­men ge­wa­schen»

Swiss­leaks: Drei Ex­per­ten er­klä­ren, wa­rum noch heu­te viel schmut­zi­ges Geld auf Schwei­zer Ban­ken lan­det

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Von Da­ni­el Glaus, Mar­tin Stoll und Oli­ver Zihl­mann
HSBC

HSBC-Fi­lia­le in Genf: Oft wer­de das Prü­fen der Geld­her­kunft mit Scheu­klap­pen an­ge­gan­gen, sa­gen Schwei­zer Fi­nanz­ex­per­ten.

Foto: M.Henley/Panos

HSBC

HSBC-Fi­lia­le in Genf: Oft wer­de das Prü­fen der Geld­her­kunft mit Scheu­klap­pen an­ge­gan­gen, sa­gen Schwei­zer Fi­nanz­ex­per­ten.

Foto: M.Henley/Panos

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Bern — Ban­ken in­ves­tie­ren in die Jagd nach Geld­wä­schern jähr­lich Hun­der­te Mil­lio­nen Fran­ken. Tau­sen­de so­ge­nann­te Alerts lan­den täg­lich auf den Schir­men der Comp­li­ance-Ab­tei­lun­gen. Sie wer­den auto­ma­tisch ge­ne­riert von Sys­te­men, mit de­nen die Ban­ken die Trans­ak­tio­nen ih­rer Kun­den lau­fend über­wa­chen. Die Soft­wa­re schlägt bei vor­de­fi­nier­ten Kri­te­ri­en Alarm, zum Bei­spiel, wenn häu­fi­ge Über­wei­sun­gen aus dem Aus­land kom­men.

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Erscheint ein Alert auf dem Ra­dar, durch­stö­bern die Comp­li­ance-Spe­zia­lis­ten so­fort Kun­den­dos­si­ers, re­cher­chie­ren in der welt­wei­ten Da­ten­bank World Check, in der so­ge­nannt po­li­tisch ex­po­nier­te Per­so­nen (PEP) und wei­te­re Ri­si­ko­kun­den ver­zeich­net sind — oder ma­chen sich bei Goog­le schlau: Lässt sich die Zah­lung plau­si­bel er­klä­ren — oder bahnt sich hier ein Geld­wä­sche­rei­ri­si­ko an?

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Die Ban­ken wür­den oft mit Scheu­klap­pen prü­fen

Der Auf­wand ist gross. Doch nach­dem Jour­na­lis­ten aus 45 Län­dern, dar­un­ter je­ne der Sonn­tags­Zei­tung, die Kun­den der Pri­vat­bank HSBC aus dem Jahr 2007 un­ter die Lu­pe nah­men, herrscht Er­nüch­te­rung. Sie sties­sen auf Dut­zen­de Klien­ten, die in Ter­ror­fi­nan­zie­rung, Dro­gen- und Waf­fen­han­del in­vol­viert wa­ren.

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Experten sind über­zeugt, dass die HSBC kein Ein­zel­fall ist und die Prob­le­me bis heu­te be­ste­hen. «Täg­lich wer­den in un­se­ren Ban­ken gros­se Sum­men ge­wa­schen, nur merkt das nie­mand, weil das Geld be­reits im Aus­land vor­ge­wa­schen wur­de», sagt der Ber­ner Comp­li­ance-Ex­per­te Mi­cha­el Kunz. Bis es in der Schweiz zu einer Ver­ur­tei­lung we­gen Geld­wä­sche­rei kom­me, müss­ten bis zu 100'000 Alar­me ver­ar­bei­tet wer­den, sagt der Rechts­an­walt, der einst als Un­ter­su­chungs­rich­ter den Wirt­schafts­kri­mi­nel­len Wer­ner K. Rey zur Strec­ke brach­te.

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Auch für Daniel The­les­klaf, Di­rek­tor der Liech­ten­stei­ner Anti-Geld­wä­sche­rei­be­hör­de Fi­nan­cial In­tel­li­gence Unit (FIU), ist es nur eine Fra­ge der Zeit, bis der nächs­te Geld­wä­sche­rei­skan­dal hoch­ge­spült wird. «Die HSBC ist nicht der letz­te Fall, da wer­den wir noch mehr se­hen», sagt er. Was läuft schief? Es ge­be drei Mög­lich­kei­ten, wie Geld von Kri­mi­nel­len in eine Schwei­zer Bank kom­me, er­klärt Da­vid Zol­lin­ger, einst Staats­an­walt und Ban­ker, heu­te selbst­stän­di­ger Le­gal-Risk-Ma­na­ger. «Es gibt ers­tens Kun­den, die man nicht als Prob­lem er­ken­nen kann, weil sie ext­rem gut ge­tarnt auf­tre­ten und eine lüc­ken­lo­se Ge­schich­te prä­sen­tie­ren. Ge­gen die­se ist man macht­los und im­mer erst im Nach­hin­ein klü­ger.

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Michael Kunz macht ein Bei­spiel: «Wenn ein rus­si­scher Oli­garch mit drei­stel­li­gen Mil­lio­nen­be­trä­gen in der Schweiz vor­stel­lig wird, ist der Be­leg, dass es sich um kri­mi­nel­les Geld han­delt, für eine Schweizer Bank schwie­rig.» Wenn er dann noch nach­wei­sen kön­ne, dass es sich um den Ge­winn aus einem Roh­stoff­ge­schäft hand­le, an dem er be­tei­ligt war, sei er fein raus. Kunz: «Dann bleibt Ban­kern nur noch das Bauch­ge­fühl – und die­ses neigt ger­ne zum Geld.»

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Banken und er­mit­teln­de Be­hör­den ste­hen in einem stän­di­gen Wett­lauf mit der Fi­nanz­un­ter­welt, war­nen die Ex­per­ten. «Die­sen Wett­lauf ha­ben wir noch lan­ge nicht ge­won­nen», sagt The­les­klaf, denn Kri­mi­nel­le könn­ten wei­ter­hin auf die Dienst­leis­tun­gen von ver­sier­ten Fi­nanz­spe­zia­lis­ten zäh­len.

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Es gibt zwei­tens je­doch auch Fäl­le, in de­nen eine Bank kri­mi­nel­le Kun­den ent­dec­ken kann — wenn sie gut ge­nug hin­schaut. Ex­per­te Zol­lin­ger macht ein Bei­spiel:

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«Wenn ein Kun­de aus Zen­tral­asi­en kommt und einen Mil­lio­nen­be­trag an­le­gen möch­te, dann braucht es eben einen Rus­sisch spre­chen­den Comp­lian­ce-Ex­per­ten, der auch in Da­ten­ban­ken und auf Web­si­tes des Hei­mat­lan­des sucht.» Soll­te sich dann er­ge­ben, dass es sich um einen Po­li­ti­ker han­delt, um eine PEP, dann kön­ne man sich nicht zu­frie­den­ge­ben, wenn er noch eine Han­dels­fir­ma füh­re und so an Geld kam. «Man muss in sol­chen Fäl­len ab­chec­ken, wo­her das Start­ka­pi­tal stammt und ob es po­li­ti­sche Be­güns­ti­gun­gen gab», so Zol­lin­ger. Meh­re­re Geld­wä­sche­rei­fäl­le der letz­ten Jah­re hät­ten sich so ver­hin­dern las­sen.

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In der Pra­xis, so die Ex­per­ten, schaue man aber zu schnell weg. Oft wer­de das Prü­fen mit Scheu­klap­pen an­ge­gan­gen, sagt Mi­cha­el Kunz: «Das nicht se­hen zu wol­len, ist teils im­mer noch Stra­te­gie eini­ger Ban­ken.»

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Manchmal sitzen die Kriminellen gleich selbst in der Bank

Dies stimmt vor al­lem beim drit­ten Kun­den­typ, bei dem selbst ein­fa­che Ab­klä­run­gen er­ge­ben wür­den, dass er ver­däch­tig sei. Bei der HSBC fan­den Jour­nalis­ten er­schrec­kend vie­le sol­cher Kun­den, die noch 2007 dort ein Kon­to hat­ten. Et­wa den Dia­man­ten­händ­ler Em­ma­nu­el Shal­lop, der in einem Be­richt des UNO-Si­cher­heits­ra­tes ge­nannt wur­de, weil er den Han­del mit Blut­dia­man­ten fi­nan­ziert ha­be. Shal­lop sag­te sei­nem Kun­den­be­ra­ter so­gar sel­ber, dass ge­gen ihn er­mit­telt wer­de. Trotz­dem nahm die Bank wei­ter Mil­lio­nen von ihm an. Spä­ter wur­de er zu fünf Jah­ren Haft ver­ur­teilt.

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Es gibt so­gar Ext­rem­fäl­le, in de­nen die Kri­mi­nel­len in der Bank sel­ber sit­zen — wie in je­nem Fall einer ost­euro­päi­schen Bank, die zwei Kor­res­pon­denz­kon­ten bei einer bel­gi­schen Bank ein­rich­te­te. Erst nach­dem durch die­se Ka­nä­le über eine Mil­li­ar­de Euro ge­flos­sen wa­ren, wur­de bel­gi­schen Fi­nanz­er­mitt­lern klar, dass zahl­rei­che Kun­den der Ost­euro­pa-Bank Gel­der aus Kor­rup­ti­on und or­ga­ni­sier­ter Kri­mi­na­li­tät ver­scho­ben hat­ten.

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In sol­chen Fäl­len spie­le die Un­ter­neh­mens­kul­tur eine wich­ti­ge Rol­le, sagt Zol­lin­ger. «Es ist letzt­lich eine Fra­ge der Li­ni­en­füh­rung, wen man aus­wählt, wie ge­nau man hin­schaut und wo man auch mal drauf­klopft.» Doch es ge­be noch heu­te an vie­len Stel­len eine prob­le­ma­ti­sche Kul­tur, die lau­tet: «Ab­leh­nen nur dann, wenn ganz kon­kre­te Prob­le­me dro­hen. Re­agie­ren erst, wenn es nicht an­ders geht. Neu­geld ist fast im­mer gut, denn ab­ge­lehn­tes Neu­geld kommt der Kon­kur­renz zu­gu­te.»

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Steuer­äm­ter welt­weit ver­lan­gen nun die Da­ten

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Bern — Seit Mon­tag ver­langt ein hal­bes Dut­zend Län­der von Frank­reich Zu­griff auf die ge­stoh­le­nen Kon­to­in­for­ma­tio­nen der HSBC Schweiz. Ba­sie­rend auf die­sen Da­ten be­rich­ten Jour­na­lis­ten aus über 45 Staa­ten, dar­un­ter «Ta­ges-An­zei­ger» und Sonn­tags­Zei­tung, über Schwarz­gel­der, die 2007 bei der HSBC la­gen. Frank­reich hat die Da­ten mit 10 Län­dern ge­teilt. Ös­ter­reich, Dä­ne­mark, Schwe­den, Nor­we­gen und Is­ra­el ver­lan­gen jetzt eben­falls Zu­griff. Grie­chen­land und Deutsch­land for­dern zu­sätz­li­che De­tails.

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