Die HSBC Schweiz entsandte ihre Kundenberater in mindestens 25 Länder, um dort bestehende Kunden zu betreuen und neue anzuwerben. Alleine in den Jahren 2004/2005 wurden im Ausland mindestens 1645 Termine abgehalten. Dies ergibt eine TA-Analyse, basierend auf Daten aus dem Swissleaks-Fundus.
Solche Treffen sind aus zwei Gründen problematisch: Erstens fordern manche Staaten dafür eine Bewilligung — welche die HSBC-Bankiers laut französischen und US-Justizdokumenten oft nicht hatten. Zweitens kann eine Bank wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehung ins Visier der Behörden geraten. Bis heute haben deswegen fünf Staaten gegen die HSBC Schweiz ermittelt: Frankreich, Spanien, Belgien, Argentinien und die USA.
Diese Entwicklung betrifft nicht nur die HSBC. Vor zehn Jahren war es normal, dass Schweizer Banken global Kunden rekrutierten. «Die ‹Flying Relationship Manager› waren lange gang und gäbe», sagt Anwalt Alex Geissbühler, der beim Wirtschaftsprüfer KPMG arbeitete und heute eine Compliance-Firma führt. Ausländische Vorschriften? «Ein ##171;Gentleman-Delikt#187;, dem man zu wenig Beachtung schenkte.» Ebenso klar war, dass viele Kunden in der Schweiz ihr Geld vor dem Fiskus versteckten. Der Genfer Anwalt Alessandro Bizzozero war bei der Bankenkommission tätig und hat die «Bibel» zum Cross-Border-Finanzgeschäft verfasst. Er sagt: «Alle wussten das. Die Banken selbst wussten es, und auch der Regulator wusste es.»
Heute ist das Geschäft mit undeklarierten Konten ein Auslaufmodell. «Die meisten Banken haben ihre Hausaufgaben gemacht, besonders UBS und CS», sagt Alex Geissbühler.
Die Frage ist, ob damit auch alte Sünden im Ausland vergeben sind. Knackpunkt ist, wann dort allfällige Delikte verjähren. Die Antwort ist Juristenfutter: Jedes Land kennt eigene Regeln. Oft dauert es zwischen sechs und zehn Jahre, aber manche Staaten verlängern die Fristen. Und solange zwischen Kunde und Bank ein Vertrag bestehe, starte die Verjährung nicht, sagt Sophie Maillard, Partnerin in Alessandro Bizzozeros Agentur. Anders gesagt: Manche Altlasten sind inzwischen ungefährlich. Manche modern weiter in den Archiven.
Bei der Bankiervereinigung heisst es, man habe bei den Mitgliedern stets darauf hingewiesen, sich im Ausland an lokales Recht zu halten. «Wir wissen aber nicht im Detail, wie die Banken in einzelnen Ländern «geschäftet» haben», sagt Sprecher Thomas Sutter. «Die Möglichkeit besteht, dass es in weiteren Staaten zu Untersuchungen kommen könnte.» Immerhin könnten sich die Banken dann meistens vor Gerichten verteidigen — im Gegensatz zum Fall USA.
«Es ist ein rechtliches und gleichzeitig ein politisches Risiko», sagt Sophie Maillard. «Wir sind im Moment politisch in einer kritischen Phase. Wir müssen uns auf weitere Verfahren einstellen.»
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«Kunde ist ein wenig paranoid. Wann immer er nach ZH kam, flog er nach Paris und mietete ein Auto, um damit nach ZH zu fahren, um damit nicht sein finales Reiseziel offenzulegen.»
Kontakt: London, England
Notiz vom 9.5.2005
«Sein Büro ist in einer gefährlichen Zone. Der Taxifahrer will normalerweise nicht dorthin fahren.»
Kontakt: Fabrik des Kunden, Südamerika
Notiz vom 26.9.2005
«Ich bin nicht länger gewillt, mir für eine solche Person Mühe zu geben. Er hat seine Probleme durch seine Unsicherheit selbst verursacht.»
Kontakt: Nairobi, Kenia
Notiz vom 17.3.2005
«Sehr fordernder Kunde, spreche mindestens 4- bis 5-mal am Tag mit ihm.»
Kontakt: Telefon
Notiz vom 7.2.2005
Kontakt: Fabrik des Kunden, Südamerika
Notiz vom 26.9.2005
Kontakt: Nairobi, Kenia
Notiz vom 17.3.2005
Kontakt: Tel Aviv, Israel
Notiz vom 24.6.2005
«Er erwähnte, dass er plant, nach Dubai und China umzuziehen. Will aber auch, dass wir ihm ein Chalet in den Bergen suchen, das in zwei Stunden von Genf aus zu erreichen ist.»
«Kunde wollte wissen, ob die österreichischen Steuerbehörden HSBC nach den wirtschaftlich Berechtigten des Trusts fragen können. Ich erklärte, dass dies wegen des Bankgeheimnisses […] kein Problem sei.»
«Kundin fragte viele Male nach einer Spezialpräsentation, und jetzt, da ich sie gehalten habe, versteht sie es nicht. Ich verbrachte einen Nachmittag mit ihr.»
«Bitte 1 Aktie Linth & Sprüngli [sic] kaufen.»
Sie trafen ihre Kunden im Hotel Hilton in Tel Aviv. Im Franklin Roosevelt in Paris. In «seiner Sommerresidenz in Kopenhagen». In der flirrenden Hitze von Pointe-Noire im Kongo. In Nairobi, in Lomé, der Hauptstadt Togos, in Senegal, in Saudiarabien. Im Park Lane Hotel in Antwerpen sassen sie mit belgischen Diamantenhändlern zusammen. Und natürlich kamen die Klienten auch zu ihnen, in die Filialen nach Zürich, Genf und Lugano.
Die Kundschaft der HSBC Privatbank Schweiz verteilte sich auf 150 Länder, und danach richteten sich die «Relationship Manager» der Bank. «Einige verreisten für zwei Wochen, kamen zurück für zwei Tage — und machten sich gleich wieder auf den Weg», erinnert sich eine Ex-Angestellte.
Das Problem: Manche der Kundentreffen waren illegal. Und viele Entscheide, die in Hotelsalons und Gourmetrestaurants gefällt wurden, beschäftigen heute die Justiz. Die Vorwürfe gehen immer in dieselbe Richtung: Die HSBC Schweiz soll ihre Kunden bei Steuerdelikten unterstützt haben, und ihre Berater hätten illegal Kunden angeworben und/oder betreut. Bislang haben fünf Staaten gegen die Bank ermittelt: Frankreich, Spanien, Belgien, Argentinien und die USA.
Diese Liste könnte sich noch verlängern. Alleine in den Jahren 2004 und 2005 fanden in 25 Ländern mindestens 1645 Kundentermine statt, wie eine Auswertung des TA ergeben hat. Die Analyse basiert auf Kontodaten und elektronischen Notizen von Kundenterminen der Bankiers. Die Protokolle erstrecken sich über die Jahre 2004 bis 2007. Sie sind Teil der Datensammlung, die der französischen Zeitung «Le Monde» und dem International Consortium of Investigative Journalists zugespielt wurde.
Die Daten erlauben es, ins Gewebe der HSBC Schweiz hineinzuzoomen. So lässt sich beobachten, wie gut das «Cross-Border»-Geschäft funktionierte — und wie es die Bank ins Schlingern brachte.
Das Unheil begann mit fünf DVDs. Am 26. Dezember 2008 übergab Hervé Falciani die Silberscheiben am Flughafen von Nizza französischen Steuerfahndern. Der Informatiker hatte in der Bank heimlich Dateien kopiert, die Namen, Kontonummern und -stände enthielten, insgesamt über 100'000 Einträge. Ein Schatz für die Steuerbehörden, eine Katastrophe für die Bank. Und ein politisches Desaster: Die «Affaire Falciani» störte die französisch-schweizerischen Beziehungen — für die Schweiz war der Mann ein Datendieb, für Frankreich eine wertvolle Quelle.
Kommt dazu: Ab 2010 gaben die Franzosen die Files weiter, nach Belgien, Deutschland, Italien, Irland, Spanien, Kanada, Australien, in die USA. Eine beispiellose Jagd nach Steuersündern lief an. Spanien trieb mindestens 300 Millionen Euro an Steuergeldern ein, England 135 Millionen Pfund. In Griechenland führte die «Falciani-Liste» zu einem Skandal, weil auch Politiker darin auftauchten. Unter dem Druck der fiskalischen Treibjagd schnellten die Selbstanzeigen nach oben – alleine in Frankreich flossen 1,2 Milliarden Euro an den Staat.
Das war die erste Phase. In manchen Ländern läuft diese bis heute; Indien etwa hat sich ebenfalls Zugriff auf die Daten besorgt und durchleuchtet nun 627 Namen. Andere Staaten haben die Recherchen abgeschlossen. So hat Deutschland gemäss Justizquellen alle 1136 Einträge abgearbeitet.
Während die Öffentlichkeit sich mit Namen und Kontoständen der Prominenz beschäftigte, die im Zuge der Ermittlungen hochgespült wurden, lief im Hintergrund die zweite Phase an: die Attacke gegen die Bank selbst. Auch hier spielt Frankreich — neben den USA — die Rolle des Anführers. Am 18. November 2014 verkündeten die französischen Staatsanwälte offiziell, die Bank werde untersucht. Vorab verlangten sie eine Kaution von 50 Millionen Euro.
Die Ermittler werfen der HSBC vor, ihre Relationship Manager seien ohne die nötige Bewilligung in Frankreich aktiv gewesen. Polizisten identifizierten 24 Banker, die sich in Frankreich mit Kunden getroffen hatten. Dabei ging es nicht nur darum, im lockeren Rahmen Beziehungen zu pflegen es ging ums Geschäft, wie die Notizen der Berater zeigen: «Paris, 6.1.2005: Klient wollte mich sehen, um über die Schliessung von zwei Konten bei der Barclays Bank und der UBS und den Transfer des Gelds zu uns zu reden. Habe mir die Portfolios angeschaut, wir sollten ein Vermögen von 1 Million USD erhalten.»
Nicht alle Kunden waren Millionäre. Je weniger Geld jemand der Bank brachte, desto besser mussten seine Kontakte sein. Damit konnte der Chef einer Kleiderboutique in Marseille punkten: «Kleiner Kunde bei uns, aber gutes Povtenzial wegen seiner Mutter und seiner Brüder», notierte der Berater. Oder ein Klient in Barcelona, der rund 700'000 Dollar bei der Bank deponiert hatte: Trotz eines Herzinfarkts kurz zuvor lud er «seinen» Banker zum Dinner ein, begleitet von «mehreren Freunden und Geschäftspartnern». Als Dank offerierte die Bank ihm und seinem Sohn eine Einladung an ein Formel-1-Rennen. Der Kunde zeigte sich laut Eintrag in seiner Fiche «sehr erfreut». Den Bankern war klar, dass sie sich auf gefährlichem Terrain bewegten. «Die Relationship Manager hatten spezielle Mobiltelefone, um diskret ihr Büro anrufen zu können, während sie im Ausland waren», sagt ein Ex-Angestellter der Bank zum «TagesAnzeiger». «Eines Tages wurde einer am Zoll gestoppt. Danach durften sie keine Laptops mehr mitnehmen.»
Der zweite Vorwurf der Franzosen an die Bank dreht sich um Steuerhinterziehung. Die HSBC soll ihren Kunden als «organisierte Bande» beim Verstecken von Steuergeld geholfen haben. Die Falciani-Files zeigen: Die HSBC funktionierte als eine Art «Offshore Outlet». Sie bot ihren Klienten «ab Stange» Gesellschaften in Steuerparadiesen an, um eine neue Abgabe zu umgehen. Ab Sommer 2005 mussten europäische Kunden von Schweizer Banken auf die Zinsgewinne ihrer Anlagen eine Steuer zahlen, zuerst 15 Prozent, später 35 Prozent. Es gebe aber «Möglichkeiten», diese Steuer zu umgehen, teilte die Bank ihren Klienten mit. Was das bedeutete, schilderte ein Kunde den französischen Ermittlern. Er hatte knapp 400'000 Euro auf ein Konto eingezahlt: «Die Bank schlug mir vor, in Panama oder auf den britischen Jungferninseln eine OffshoreFirma zu übernehmen. Für solche Firmen galt die neue Steuer nicht. Den Namen ‹meiner› Offshore-Firma wählte ich auf einer Liste aus. Die Bank bereitete alle Papiere vor, ich musste nur noch unterschreiben. Es gab verschiedene Varianten, auch einen Trust oder eine Stiftung bot die Bank an, die Preise bewegten sich zwischen 2500 und 6000 Dollar pro Jahr. Ich entschied mich für die 2500-Dollar-Option.»
HSBC Schweiz entschied angesichts der Anschuldigungen, mit den französischen Behörden zu kooperieren. Dem TA liegen mehrere Einvernahmeprotokolle des Chefjuristen vor. Der sagte, die Bank werde sich überlegen, den Streit mit Frankreich mit einem Schuldeingeständnis zu beenden. Es wäre nicht die erste solche Anerkennung: In den USA hat HSBC Schweiz bereits im November 2014 eine Summe von 12,5 Millionen Dollar an die US-Börsenaufsicht bezahlt.
«Kunde extrem zufrieden»: Im Hotel Hilton in Tel Aviv trafen die Mitarbeiter von HSBC Schweiz Dutzende Klienten.
Foto: Walter Bibikow (Mauritius Images)
Die belgische Justiz hat gestern Montag im Verfahren gegen die HSBC Schweiz den Druck erhöht. Ein Staatsanwalt in Brüssel hat laut einem Communiqué vor zwei Monaten bei den Schweizer Behörden ein Rechtshilfegesuch gestellt. Bis heute habe man aus der Schweiz «noch keinerlei Antwort» erhalten. Der Staatsanwalt droht nun damit, gegen das frühere Direktorium der Bank internationale Haftbefehle auszustellen, sollte keine «wirksame Kooperation» mit der Schweiz möglich sein. Eventuell würden die Haftbefehle auch auf das aktuelle Management ausgeweitet. Hintergrund ist die Untersuchung gegen HSBC Schweiz wegen Steuerhinterziehung und illegaler Ausübung von Finanzaktivitäten, die seit dem 17. November 2014 läuft. Einen Teil der Informationen haben die belgischen Behörden von der Bank selbst erhalten; andere sind nur über den Rechtshilfeweg erhältlich. Das Bundesamt für Justiz bestätigte am Montag gegenüber dem TA den Eingang des Gesuchs. Es werde zurzeit geprüft, sagte ein Sprecher. Die Prüfung sei aber noch nicht abgeschlossen, weshalb auch noch keine Antwort erfolgt sei.
HSBC Schweiz nahm zur Drohung keine Stellung. CEO Franco Morra ergänzte in einem gestern verschickten Statement nur die Position, welche die Bank bereits publik gemacht hatte: «Wir haben keinen Appetit auf Kunden, die unsere Compliance-Standards nicht einhalten. Die aktuellen Enthüllungen sind eine Erinnerung daran, dass das alte Geschäftsmodell des Schweizer Private Banking nicht länger akzeptabel ist.» (ms)
Auch damals gab sie zu, dass ihre Berater ohne Bewilligung Kunden angeworben und betreut hatten.
Eine Einigung mit Frankreich würde nur eines von vielen Feuern löschen. In den USA wird das Justizdepartement wohl wegen Steuerdelikten eine Millionenbusse gegen die Bank verhängen, HSBC selbst rechnet mit einer «signifikanten Strafe». Und zwischen Madrid, Brüssel und Paris ist eine Ermittler-Allianz entstanden: Belgier und Spanier haben mit den Franzosen je ein gemeinsames Team gegründet und tauschen Beweismaterial aus. Spanien hat die Bank bislang nicht formell angeschuldigt; die belgischen Staatsanwälte dagegen taten dies im November 2014, fast im Gleichschritt mit Frankreich. Ein Blick in die Daten zeigt, dass die Banker 2004 und 2005 über 80-mal nach Antwerpen gereist waren. Viele Klienten waren Diamantenhändler — und auch sie interessierten sich für preiswerte Offshore-Konstrukte. Ein Banker notierte: «Antwerpen, 2.3.05. Wir trafen die Kundin in ihrem Büro. Wir verkaufen ihr eine simple Panama-Gesellschaft für 1200 Dollar. Ich sagte ihr, dass wir sie warnen werden, wenn die Gesellschaft ihren Steuerzweck nicht mehr erfüllt […]. Wir würden dann die Struktur entsprechend anpassen.»
Der HSBC-Chefjurist deutete in seiner Befragung vorsichtig an, auch den Streit mit Belgien einvernehmlich beenden zu wollen, wenn alle Fakten bekannt seien. Doch selbst dann wird die Bank die Akte Falciani noch nicht schliessen können. Die Kundenbetreuer arbeiteten auf vier Kontinenten, die TA-Analyse offenbart Treffen in Marokko, Italien, der Türkei, Südafrika oder Israel. Viele dieser Länder haben die Falciani-Files bislang noch nicht erhalten; Frankreich scheint aber nach wie vor gewillt, die Daten mit anderen Staaten zu teilen.
Wie schnell es gehen kann, zeigt der Fall Argentinien: Ende September 2014 schickten die Franzosen die Daten, schon im November griffen die Steuerfahnder durch. HSBC habe für 4'040 argentinische Kunden ein «Matrioschka-System» aus Offshore-Firmen aufgebaut, sagte ein Fahnder vor der Presse.
HSBC antwortete nicht auf Fragen des TA zu den Reisen ihrer Relationship Manager. In einer allgemeinen Stellungnahme schreibt die Bank, die Schweizer Privatbankindustrie habe früher ganz anders funktioniert als heute. Man anerkenne «vergangene Compliance- und Kontrollfehler». Die Bank kooperiere mit den «relevanten Behörden», welche diese «Angelegenheiten» untersuchten.
Zu diesen «Angelegenheiten» gehört der Fall eines belgischen Börsenhändlers. Am 4. Januar 2005 speicherte ein HSBC-Banker folgenden Eintrag in der internen Datenbank: «Wir haben ein Verbot, den Kunden anzurufen. Er ruft immer uns an. Hat heute angerufen. Er nennt oft den Namen eines Fussballspielers («Zidane», «Cruyf»[sic]); will den Kaviarpreis wissen, das heisst, den Stand seines Vermögens.»
Der höchste «Kaviarpreis» 2006/2007 betrug exakt 1'249'672,00 Dollar.
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Mitglieder von Herrscherfamilien und Spitzenpolitiker aus Staaten, in denen Korruption grassiert, sind Hochrisikokunden für jedes Geldinstitut. Die Gefahr ist gross, dass Vermögen aus zwielichtigen Geschäften in die Bank geschleust werden — und diese sich plötzlich mitten in einem Korruptionsskandal wiederfindet. Recherchen zeigen, dass die HSBC Schweiz Millionensummen von genau dieser Klientel annahm. Die Bankenaufsicht Finma musste schliesslich einschreiten.
Sprecher Tobias Lux bestätigt: «Wir haben bei der HSBC Schweiz Massnahmen angeordnet, unter anderen ein Verbot, neue PEP-Beziehungen einzugehen.» Mit PEP sind «politisch exponierte Personen» gemeint: Politiker und hohe Funktionäre in Verwaltung, Justiz oder Militär. Und deren Umfeld.
Die Swissleaks-Daten offenbaren, dass die HSBC Schweiz Konten für Risikokunden aus der ganzen Welt führte. Zum Beispiel für die Chinesin Li Xiaolin, Tochter von Li Peng. Der Funktionär war als «Schlächter vom Tiananmen-Platz» bekannt geworden. Er war 1989 als Premierminister einer der Verantwortlichen für die Massaker an Mitgliedern der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Von 1998 bis 2003 war er die Nummer zwei der Kommunistischen Partei.
Seine Tochter geriet 2001 in China unter Korruptionsverdacht. Die Behörden untersuchten ihre Firma China Power Investment Corp. Dennoch eröffnete die HSBC im September 2001 ein Konto für sie, das via eine Firma in Panama lief. Die Chinesin lagerte dort bis 2006 fast 2,5 Millionen Dollar. Xiaolin reagierte auf Anfragen zu ihrem Konto nicht.
Seit September 2014 analysieren rund 140
Journalisten Kundendaten
der Privatbank HSBC Schweiz. Federführend ist das International
Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).
Diese Woche publizieren
über 40 Medien ihre Recherchen,darunter «Le Monde»,
«Süddeutsche Zeitung»
und «Guardian».In der Schweiz sind der TA, «Bund»,
«SonntagsZeitung», «Le
Matin Dimanche», «L’Hebdo» und «Le
Temps» beteiligt. Die Schweizer
Recherchen werden auch auf
www.swissleaks.net
veröffentlicht.
Bereits erchienen:
Die kriminellen Kunden der HSBC Schweiz
Gestern Montag, 9. Februar 2015
Nächste Folge:
Wie die HSBC-Kunden ticken — ein Sittenbild
Morgen Mittwoch, 11. Februar 2015
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Das vollständige Swissleaks-Dossier
swissleaks.tagesanzeiger.ch
Es ist einer Schweizer Bank grundsätzlich nicht verboten, PEP wie Xiaolin als Kunden anzunehmen und zu betreuen. Doch nach den grossen Korruptionsaffären um die Schweizer Konten der afrikanischen Diktatoren Abacha und Mobutu hat das Parlament die Regeln verschärft. Seit 1998 sind die Banken verpflichtet, die Herkunft der Gelder von PEP genau zu überprüfen und ihre Transaktionen zu überwachen. Das Management muss jährlich für jeden PEP einzeln entscheiden, ob die Bank die Geschäftsbeziehung weiterführt.
Man müsse vor allem dann aufpassen, wenn ein PEP einer Bank grosse Summen bringen wolle, erklärt David Zollinger. Der Ex-Staatsanwalt arbeitet heute als selbstständiger Experte für Compliance und Wirtschaftskriminalität. Er sagt: «Bei einem Regierungsmitarbeiter, der Millionenbeträge einzahlt — und der dazu noch aus einem korruptionsanfälligen Land kommt —, besteht immer das Risiko, dass man als Bank illegal erworbene Vermögen aufnimmt.»
Derartige Konstellationen sind auch bei der HSBC dokumentiert. Das zeigt der Fall des Ägypters Rachid Mohammed Rachid. Im September 2003 nahm ihn die Bank als Kunden auf. Er deponierte bei HSBC Schweiz über 31 Millionen Dollar. Wenige Monate später wurde er Handels- und Industrieminister Ägyptens — und damit zum PEP.
Die Bank führte die Beziehung mindestens bis 2006 weiter. Heute sind die Gelder von Rachid in der Schweiz eingefroren. Der Grund: Im Juni 2011 wurde er von einem ägyptischen Gericht wegen Veruntreuung von öffentlichen Geldern zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
Dass die Kontrolle der PEP bei der HSBC nicht funktionierte, ist heute zumindest in einem Fall erwiesen. Am 26. April 2013 erteilte die Bankenaufsicht Finma der HSBC eine Rüge, weil sie die Angehörigen des ehemaligen tunesischen Machthabers Ben Ali zu wenig exakt überprüft hatte.
Der Ben-Ali-Clan hat via HSBC Dutzende von Millionen Franken an Korruptionsgeldern verschoben. In der Folge hat die Bundesanwaltschaft am 19. Januar 2011 62 Millionen Franken sperren lassen, darunter Gelder von Ben Alis Schwager Belhassen Trabelsi. Laut Swissleaks-Dokumenten führte er bei der HSBC bis 2006 zwei Konten in der Höhe von fast 25 Millionen Dollar.
Neben China, Ägypten und Tunesien findet sich in den Daten auch Spitzenpersonal aus Haiti, Russland, Mexiko, dem Libanon, der Ukraine und Rumänien — Staaten, die in Korruptionsindizes regelmässig schlecht wegkommen.
Auch Rami Makhlouf, Cousin des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, unterhielt bei der HSBC ein Konto. Er gehört zu den reichsten Männern Syriens und hat direkte Verbindungen zum Herrscherzirkel. In Wikileaks finden sich Depeschen der US-Botschaft in Damaskus aus dem Jahr 2006, die beschreiben, wie Makhlouf seinen Einfluss nutzt, um Geschäftsrivalen auszuschalten. 2008 wurde er vom US-Finanzministerium wegen Korruption angeklagt, seit 2013 steht er auf der Seco-Sanktionsliste der Schweiz. Mindestens bis 2006 verwaltete die HSBC 27 Millionen Dollar für ihn.
Für Makhloufs Bruder Eyad führte die HSBC bis 2006 Konten über 1,3 Millionen Dollar. Ein Berater notierte in dessen Kundenprofil, er sei «Hauptmann in der syrischen Armee». Wie dieser es als Berufsmilitär schaffte, zu so viel Geld zu kommen, schrieb der Berater nicht. Auch Eyad steht seit November 2013 auf der Sanktionsliste der Schweiz. Grund: «Beteiligung am gewaltsamen Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung.»
Die HSBC äusserte sich auf Anfrage nicht zu einzelnen Kunden. Sie schreibt aber in einer Stellungnahme, sie habe ihre Kontrollen betreffend PEP drastisch erhöht: «Wir prüfen alle politisch exponierten Persönlichkeiten heute jährlich auf der höchsten Ebene unserer Firmengruppe, unser Finanzinformationsdienst unterstützt diesen Prozess.» Ausserdem habe sich die Bank aus Märkten zurückgezogen, in welchen sie bei der Kundenprüfung keine genügend hohen Standards aufrechterhalten könne.
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