Bern — Als Student verdiente Andreas Meyer sein Geld als Wagenreiniger bei den SBB. Nun entlässt das von ihm geführte Unternehmen jene Mitarbeiter, die in den Zügen für Sauberkeit sorgen, Zeitungen entsorgen, WCs putzen und Abfallkübel leeren. Aus immer mehr Ecken der Schweiz werde bekannt, dass temporär angestellte Wagenreiniger auf die Strasse gestellt würden, sagt Peter Moor, Sprecher der Eisenbahner-Gewerkschaft SEV. «Dabei werden fadenscheinige Begründungen und haarsträubende Ausreden aus den Fingern gesogen, um die Entlassung langjähriger, verdienter Mitarbeiter zu begründen.»
In St.Gallen und Romanshorn erhielten im April und Mai drei langjährige Temporärmitarbeiter die Kündigung. Einer hat acht Dienstjahre, die anderen dreieinhalb und drei. In Genf wurden Ende Jahr sechs von acht Mitarbeitern eines Reinigungsteams entlassen. Einer arbeitete seit 2009 bei den SBB. In Olten wurden drei Mitarbeiter ausgemustert — einer hat fünfeinhalb Dienstjahren.
Der SEV wirft den SBB vor, den neuen Gesamtarbeitsvertrag zu hintertreiben, der Anfang Jahr in Kraft trat. Er enthält eine wesentliche Besserstellung für die temporär Angestellten: Nach vier Jahre andauerndem Temporäreinsatz bei den SBB muss die Bahn den betroffenen Mitarbeitern eine Festanstellung anbieten.
Stattdessen werden nun viele dieser Leute gekündigt. «Es liegt auf der Hand: Die SBB sprechen diese dreckigen Kündigungen nur aus, um eine Festanstellung zu umgehen», sagt Peter Moor. «Ausgerechnet die Mitarbeitenden, welche die Schmutzarbeit im Dienste der Kunden verrichten, werden von den SBB mit solchen Methoden um ihre erworbenen Rechte betrogen.»
Letzte Woche hat der SEV unter den SBB-Angestellten in der Ostschweiz eine Petition an die Konzernleitung gestartet, in der sie die Rücknahme der Kündigungen, die Wiederanstellung der drei Kollegen und deren schnellstmögliche Überführung in eine Festanstellung durch die SBB fordern. Gleichzeitig hat die Gewerkschaft bei der kantonalen Schlichtungsstelle für Arbeitsverhältnisse eine Klage gegen die Personalverleiherin Das Team AG eingereicht. Diese hatte auf Betreiben der SBB einen 59-jährigen Mitarbeiter entlassen, der insgesamt acht Jahre als Wagenreiniger gearbeitet hat.
Da sich die Vorwürfe an die SBB richteten, könne er zur Klage keine Stellung nehmen, sagt Claudio Sulser, Chef der Ausleihfirma. Laut dem Ostschweizer Gewerkschaftssekretär Felix Birchler prüft der SEV nun, wie er die SBB direkt rechtlich belangen könne.
Gegen zwei weitere Kündigungen hat die Gewerkschaft beim Personalverleiher Adecco Einsprache erhoben. Sie droht mit Klagen, falls diese Entlassungen nicht zurückgenommen werden. Adecco reicht den Ball an die SBB weiter. «Adecco handelt im Auftrag ihrer Kunden und kann somit weder die Kündigungen zurückziehen noch eine Wiedereinstellung veranlassen», sagt Sprecher José San José. «Wir wurden seitens der SBB gebeten, den zwei Mitarbeitern zu künden, was wir nach Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben ausgeführt haben.»
SBB-Sprecherin Lea Meyer sagt, die Entlassungen hätten «absolut nichts» mit dem neuen Gesamtarbeitsvertrag zu tun. «Ich dementiere in aller Vehemenz, dass wir systematisch temporäre Mitarbeitende entlassen. Es handelt sich schlicht und einfach um Verträge, die nicht verlängert werden.» Die Mitarbeiter in St.Gallen und Romanshorn seien wegen mangelnder Leistung und aufgrund ihres Verhaltens entlassen worden. Bei den Mitarbeitern in Genf sei der Einsatz beendet worden, weil es seit dem Fahrplanwechsel 2014 weniger Arbeit gebe.
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Bern — Die SBB haben seit 2009 einen Kundenbeirat. Im Gremium treffen sich zwei Dutzend per Los ausgewählte Fahrgäste sowie Konsumentenorganisationen mit Kadern der Bahn. Anfangs galten die Treffen als Alibiübung, inzwischen hat das Gremium aber an Wirkung gewonnen. Nun wird es neu organisiert, wie SBB-Sprecherin Lea Meyer bestätigt. «Wir wollen den Kundenbeirat stärken», sagt sie — und tritt damit Befürchtungen entgegen, dass das Gremium zurückgestutzt wird. Der Beirat soll neu «über konkrete Vorschläge der SBB Abstimmungen durchführen». Die Entscheidungen sind nicht final, die Empfehlung des Kundenbeirats wird aber in die Vorlagen aufgenommen, auf deren Basis die Geschäftsleitung Entscheide fällt. Die Idee ist, dass das Gremium Einfluss nimmt, bevor die SBB neue Produkte einführen, wie zum Beispiel den Swiss Pass.
Neu ist auch, dass Interessenvertretungen wie Pro Bahn oder das Konsumentenforum nicht mehr im Kundenbeirat sitzen werden. Sie erhalten ein eigenes Gefäss, in dessen Rahmen sie zweimal pro Jahr zusammenkommen, um «auf höchster Ebene der SBB konkrete Geschäfte von strategischer Bedeutung zu besprechen», wie Lea Meyer sagt. Die Organisationen können danach Empfehlungen zuhanden der Konzernleitung aussprechen.
Vertreter der Kundenorganisationen begrüssen den Schritt. Laut Michel Rudin vom Konsumentenforum dominierten die Konsumentenvertreter bisher die Beratungen im Kundenbeirat, weil sie im Thema SBB deutlich beschlagener waren. Dank der Neuorganisation erhalten die Passagiere gemäss Rudin nun mehr Raum. Die Frage sei aber, ob sich der Beirat zu «einer schlagkräftigen Truppe» entwickeln könne.
Auch Kurt Schreiber von Pro Bahn begrüsst die Neuorganisation. Die SBB müssten aber Mitglieder für den neuen Beirat auswählen, die «den Mut haben, Einfluss zu nehmen». Auch für den abtretenden Kundenbeirats-Sprecher Michael Brandenberger ist es wichtig, dass weiterhin Personen im Beirat sitzen, die sich aktiv mit den Themen auseinandersetzen.
Jürg Meier