Bahnhof Luzern
Bahn­hof Lu­zern: Der Bil­lett­schal­ter be­fin­det sich neu ab­seits der Pas­sa­gier­strö­me.   Foto: Stefano Schroeder

SBB ver­ban­nen Billett­schalter in ab­ge­le­gene Ecken

TOP

Selbst gros­se Bahn­höfe wer­den um­ge­nutzt — die Bahn er­höht da­mit ih­re Miet­ein­nah­men

Pirmin Schilliger

Bern — In meh­re­ren gros­sen Bahn­hö­fen ver­schie­ben die SBB die be­dien­ten Schal­ter an den Rand. Da­mit ver­bun­den ist ein Lei­stungs­ab­bau im Kern­ge­schäft, zum Är­ger vie­ler Kun­den.

TOP

Bei­spiel Lu­zern: Der Bahn­hof war einst Vor­bild einer klu­gen Len­kung der Fuss­gän­ger­strö­me. Die Ar­chi­tek­ten plan­ten das Ge­bäu­de so, dass die Bahn­kun­den auf dem Weg zu den Zü­gen die Bil­lett­schal­ter ent­we­der auto­ma­tisch pas­sier­ten. Oder sie konn­ten, wenn sie eben­er­dig den Bahn­hof be­tra­ten, die Schal­ter im Un­ter­ge­schoss so­fort se­hen und leicht fin­den.

TOP

Die­ses kun­den­freund­li­che Kon­zept der Be­die­nung am zen­tra­len Dreh- und An­gel­punkt der Bahn­hof­hal­le ist seit An­fang Jahr Ver­gan­gen­heit. An­stel­le der SBB-Schal­ter rei­hen sich jetzt ent­lang der at­trak­ti­ven Pas­san­ten­la­ge Ge­schäf­te wie H & M, Ca­li­da, The Bo­dy Shop und Mo­bi­le­zo­ne. Rei­sen­de, die wei­ter­hin an einen be­dien­ten SBB-Schal­ter möch­ten, müs­sen sich gut um­se­hen. Un­auf­fäl­li­ge Schild­chen wei­sen zwei Stock­wer­ke hö­her in die hin­ter­ste Ec­ke des Ober­ge­schos­ses. Dort be­fin­det sich das neue Rei­se­zen­trum der SBB mit sei­nen fünf­zehn be­dien­ten Schal­tern.

«Vier von fünf Kunden lösen das Billett nicht mehr am Schalter»

TOP

Den Rück­zug in den ver­steck­ten, von un­ten kaum ein­seh­ba­ren Win­kel be­grün­det SBB-Spre­cher Da­nie­le Pal­lec­chi mit dem tech­ni­schen und ge­sell­schaft­li­chen Wan­del. «Vier von fünf Kun­den lö­sen heu­te das Bil­lett am Auto­ma­ten oder via Smart­pho­ne, Te­le­fon oder In­ter­net. Da­mit ent­fällt der Gang an den Schal­ter.» Zu­dem könn­ten die Kun­den jetzt «bei Ta­ges­licht be­dient wer­den, was im Un­ter­ge­schoss nicht der Fall war».

TOP

Ka­rin Blätt­ler, Prä­si­den­tin der Kun­den­or­ga­ni­sa­ti­on Pro Bahn Zen­tral­schweiz, kann sol­chen Ar­gu­men­ten nichts ab­ge­win­nen. Die SBB-Ver­ant­wort­li­chen wür­den aus­blen­den, dass der Wunsch nach be­dien­ten Schal­tern bei den Bahn­kun­den wei­ter­hin sehr gross sei. «Beim Um­zug in die hin­ter­ste Ec­ke wer­den die Be­dürf­nis­se der Kun­den ig­no­riert, der Ser­vi­ce pub­lic bleibt auf der Strec­ke.» Ein ent­rü­ste­ter Bahn­kun­de meint: «Die Mass­nah­me zeigt ein­mal mehr, dass wir für die SBB nur noch Stör­fak­to­ren sind, die dum­me Fra­gen stel­len und Ko­sten ver­ur­sa­chen.» SBB-Spre­cher Pal­lec­chi spielt den Ball zu­rück und sagt: «Letzt­lich ent­schei­det die Kun­din oder der Kun­de, wel­che Dienst­lei­stun­gen an einem Bahn­hof am stärk­sten nach­ge­fragt sind.»

TOP

Tat­sa­che ist, dass die SBB mit der Di­gi­ta­li­sie­rung nicht mehr zwin­gend die be­sten La­gen in den eige­nen Bahn­hö­fen sel­ber be­set­zen müs­sen. Die frei wer­den­den Flä­chen las­sen sich dann dem Meist­bie­ten­den teu­er ver­mie­ten. Da­mit ver­wan­delt sich der Bahn­hof in ein Shop­ping­cen­ter, und zwar nicht nur in Lu­zern.

Grafik
TOP

Bei­spiel So­lo­thurn: Die Hal­le beim Haupt­por­tal be­set­zen Ca­fés, Lä­den und Bou­ti­quen, der Bil­lett­schal­ter ist in einen Sei­ten­flü­gel ver­bannt. Nach die­sem Mu­ster sind auch die Bahn­hö­fe in Win­ter­thur, St.Gal­len, Biel, Lu­ga­no und in wei­te­ren Städ­ten der Deutsch- und West­schweiz um­ge­nutzt wor­den. Wie viele es ge­nau sind, ver­rät SBB-Spre­cher Pal­lec­chi nicht. «Un­se­re Bahn­hö­fe be­fin­den sich schweiz­weit in einem ste­ten Wan­del», sagt er ein­zig.

TOP

Wirt­schaft­lich ist die Stra­te­gie der SBB nach­voll­zieh­bar. Die Er­trä­ge aus ver­mie­te­ten Im­mo­bi­li­en stei­gen lau­fend, seit 2005 um 43 Pro­zent, auf 433 Mil­lio­nen Fran­ken im letz­ten Jahr. Die Im­mo­bi­li­en­spar­te er­wirt­schaf­tet zwar nur 5 Pro­zent des Um­sat­zes. Doch sie ist, im Ge­gen­satz zum Kern­ge­schäft der Bahn, hoch­pro­fi­ta­bel: Al­lein im er­sten Halb­jahr er­ziel­te sie einen Ge­winn von 173 Mil­lio­nen Fran­ken, wäh­rend der Ge­winn des ge­sam­ten Kon­zerns nur 72 Mil­lio­nen be­trug. «Die Dritt­ein­nah­men aus der Ver­mie­tung von Bahn­hof­flä­chen ent­la­sten die Rech­nung der SBB, kom­men dem Sys­tem Bahn zu­gu­te und re­du­zie­ren die Be­la­stung des Steu­er­zah­lers», so Pal­lec­chi. Die SBB ver­wen­den den gröss­ten Teil des Im­mo­bi­li­en­ge­winns zur Sa­nie­rung der Pen­si­ons­kas­se und zur Fi­nan­zie­rung ih­rer In­fra­struk­tur.

TOP

Profi­tabel — aber nicht fürs Ima­ge der Bun­des­bah­nen

Die Zah­len spre­chen al­so für sich, doch für das Ima­ge ist der Rück­zug der SBB in Sei­ten­flü­gel und hin­te­re Ec­ken pro­ble­ma­tisch. Die Prä­senz der Bil­lett­schal­ter im Zen­trum der Bahn­hö­fe ist je­den­falls vie­ler­orts pas­sé. Um­so auf­fäl­li­ger leuch­ten nun, so in der Bahn­hof­hal­le Lu­zern, die ro­ten Lo­gos von H & M. Als ob der schwe­di­sche Klei­der­kon­zern nicht nur Platz­hirsch, son­dern auch Haus­herr ge­wor­den wä­re. «Gut, dass es noch Glei­se und Zü­ge gibt, die auf einen Bahn­hof hin­wei­sen», sagt Ka­rin Blätt­ler von Pro Bahn.

⋆ ⋆ ⋆