vom 17. April 2012, Seite 11
Markus Hofmann
• St. Gallen steht dieses Jahr im Zeichen des «Gallusjubiläums», Die Ostschweiz gedenkt des Stadtheiligen, der vor 1400 Jahren wirkte, und man erzählt sich wieder und wieder die Legende von Gallus und dem Bären. So lautet sie:
Eines Nachts tauchte ein Bär auf, doch Gallus zeigte keine Angst. Vielmehr befahl er dem Bären, Holz ins Feuer zu werfen, was dieser tat. Dann überreichte Gallus dem Bären ein Brot unter der Bedingung, dass er nie mehr zurückkomme, Der Bär gehorchte und ward nie mehr gesehen.
Nun wird ein überraschender Fund aus der Stiftsbibliothek St. Gallen gemeldet. Unter dem Staub von Jahrhunderten fand sich ein Blatt mit der Schilderung einer bisher unbekannten Bären-Legende. Sie wird hier zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Es begab sich, dass ein Bär zufrieden in den Wäldern der fernen Alpen lebte. Eines Tages tauchten Schreiberlinge auf. Es waren Gesandte des Hauses Ringerius in Turicum. Sie durchstreiften unermüdlich den Wald und stellten dem Bären nach. Wo immer der Bär war, waren die Scriptores nicht weit. Vorbei war es mit dem ruhigen Leben des Bären. Eines Nachts lockte der Bär die beiden zu seiner Höhle, Als sie ganz nahe bei ihm waren, richtete er sich auf und sagte: “Ihr dürft in meine Höhle kommen und Dreck daraus mit in euer Haus nehmen. Aber nur unter einer Bedingung: Ihr dürft nie wieder in meinen Wald eindringen.”
Die beiden Städter zitterten vor Angst wie Espenlaub und taten, wie ihnen geheissen. Sie rannten mit dem Bärendreck unter den Armen ins Tal und waren nie mehr gesehen. Der Bär aber lebte glücklich, und die Tiere des Waldes brachten ihm Beeren und Honig als Dank und lobten seinen Mut.
Die Anfänge der Siedlung St. Gallen gehen auf den Mönch St. Gallus (∗ um 550; † 620 oder 640) zurück, der als Schüler des irischen Missionars Columban von Luxeuil in das Gebiet der heutigen Schweiz gekommen war, um die Alemannen zum Christentum zu bekehren. 612 errichtete Gallus am Fluss Steinach eine Einsiedlerklause. Zu jener Zeit erstreckte sich der sogenannte Arboner Forst vom Appenzellerland bis zum Bodensee. Der Legende nach soll Gallus auf dem Weg Richtung Alpstein am Ausgang der Mülenenschlucht in einen Dornbusch gefallen sein. Er deutete dieses als Zeichen Gottes, an diesem Ort zu bleiben.
Auch hier der Bär:
Eine weitere Legende berichtet, Gallus sei in
jener Nacht von einem Bären überrascht worden.
Auf Geheiss des Mönchs warf dieser einige Scheite Holz ins Feuer.
Gallus gab dem Bären ein Brot und befahl ihm danach, nie mehr wiederzukehren.
Der Bär wurde fortan nicht mehr gesehen.
Auf diese Legende geht es zurück, dass der Bär
das Wappentier der Stadt St. Gallen geworden ist.
Gallus scharte einige Mönche um sich und baute in der
Nähe jener Stelle eine erste kleine Klosteranlage:
eine Kapelle und für jeden seiner Jünger eine einfache Holzhütte.
Zu dieser Zeit waren das heutige Fürstenland und Appenzell noch weitestgehend
unbesiedelt und von einem ausgedehnten Wald bedeckt.
Gallus und seine Jünger zogen in der Gegend umher und gewannen viele Leute für den christlichen Glauben. Er stand der Bevölkerung mit weisem Rat bei und heilte angeblich viele Kranke, darunter auch die Tochter des Herzogs von Schwaben. Dadurch drang die Kunde von den frommen Einsiedlern der Steinach weit ins Land hinaus. Gallus starb am 16. Oktober 640 oder 620 in Arbon. Er wurde in seiner Klause an der Steinach beigesetzt.
Nach seinem Tod zerfiel seine Zelle, Wallfahrer vom Bodensee besuchten jedoch regelmässig sein Grab. Im Jahr 719 gründete der alemannische Priester Otmar (689–759) zu Ehren von Gallus am Wallfahrtsort eine Abtei und gab ihr den Namen «Sankt Gallen» (Fürstabtei St. Gallen). Zunächst hat er seiner Bruderschaft wohl eine persönlich gestaltete Mischregel auferlegt. Im Jahre 747 führte Otmar auf Drängen des fränkischen Königs am Kloster die Regeln des Benedikt von Nursia ein. Der Frankenkönig Chilperich II. verlieh Otmar die Abtwürde. Bis zum Untergang der Abtei im Jahr 1805 war St. Gallen ein Benediktinerkloster. Es wurde im Frühmittelalter zu einer Zufluchtstätte für irische Gelehrte und Künstler, die ihre Heimat wegen der Einfälle der Wikinger und der Dänen verlassen hatten. St. Gallen liegt ausserdem am Jakobsweg von Rorschach nach Einsiedeln.
Die St. Galler Mönche erhielten gegen den Willen des Bischofs von Konstanz vom Papst das Recht, ihren Abt selber wählen zu dürfen. Der Bischof liess deshalb Otmar gefangennehmen. Er wurde aufgrund der Aussage eines falschen Zeugen zu lebenslanger Haft auf der Insel Werd verurteilt. Ein halbes Jahr später starb Otmar (16. November 759). Er wurde auf der Werd begraben. Die Insignien Otmars sind der Bischofsstab und das Weinfässchen: Zehn Jahre nach Otmars Tod entschlossen sich elf Mönche von St. Gallen, den Leichnam ihres verehrten Abtes heimlich nach St. Gallen zu bringen. Sie fanden die sterblichen Überreste der Legende nach unversehrt. Während der Überfahrt über den Bodensee soll ein heftiger Sturm ausgebrochen sein. Die Männer waren ob der anstrengenden Ruderei sehr hungrig und durstig geworden. Ausser einem kleinen Fass Wein war jedoch nichts mehr zu essen oder zu trinken übrig. Als sie begannen, dieses auszuschenken, sei es nie leer geworden. Auch habe der Sturm dem Ruderboot nichts anhaben können, und die Fackeln, die sie angezündet hatten, hätten unbehelligt weiter gebrannt. So hätten die Mönche betend und Gott lobend den Hafen von Steinach erreicht. Otmar wurde darauf in St. Gallen zu seiner letzten Ruhe gebettet. Über den Grabstätten von Gallus und Otmar befindet sich heute die Stiftskirche St. Gallen, die Galluskrypta unter dem Chor und die Otmarskrypta unter der Empore. Zusammen sind sie die Schutzpatrone von Stadt und Bistum St. Gallen.
Noch war die Abtei aber vom Bistum Konstanz, dem sie unterstellt war, abhängig. So wurde durch Karl den Grossen bestätigt, dass das Kloster dem Bistum zu Tribut verpflichtet war. Einige der Nachfolger Otmars auf dem Abtstuhl waren auch gleichzeitig Bischöfe von Konstanz, unter ihnen Johannes, Wolfleoz und Salomo.
Die Kaiser auf dem Thron des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation waren dem Kloster in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts äusserst wohlgesinnt. So gewährte Ludwig der Fromme dem Kloster 818 die Immunität von der gräflichen Gerichtsbarkeit, Ludwig der Deutsche bestätigte dem Kloster die freie Abtwahl und seit 854 ist das Kloster dem Bistum nicht mehr zu Tribut verpflichtet. Noch heute zählt das Bistum St. Gallen zu den ganz wenigen Bistümern weltweit, die ihren Bischof selber wählen dürfen.
Im Jahr 612, also vor 1400 Jahren, hat Gallus den Steinachwald zum ersten Mal erkundet. Aus diesem Anlass feiert St. Gallen im Jahr 2012 den Beginn der Besiedelung im Gebiet der heutigen Stadt als «Gallus-Jubiläum».
Hier die wichtigsten Informationen von der Fest-Seite:
www.gallusjubilaeum.ch/stgallen/gallus/geschichte-gallus
Der Rückzug von Gallus ins Tal der Steinach legte den Grundstein für die Hochkultur des Klosters wie auch der Stadt St.Gallen, deren Namensgeber er ist. Auch der Kanton trägt seit 1803 seinen Namen.
Wahrscheinlich im Jahr 612, also vor 1400 Jahren, hat Gallus den Steinachwald zum ersten Mal erkundet. Dieser Zeitrahmen ergibt sich durch seine Verbindung mit dem irischen Abt Kolumban. Den frühesten Lebensbeschreibungen aus dem 7. bis 9. Jahrhundert zufolge war Gallus ein Mönch aus dem irischen Kloster Bangor. Als einer von zwölf Gefährten des Missionars Kolumban kam er um 590 zunächst nach Luxeuil in den Vogesen (heute Luxeuil-les-bains).
Nach der Vertreibung der Mönche aus Luxeuil war Gallus unter der Führung von Kolumban mit einer Gruppe von Mönchen auf Umwegen in die Gegend zwischen Zürichsee und Bodensee gekommen, zuerst nach Tuggen am oberen Ende des damaligen Zürichsees, dann über Bregenz nach Arbon. In Tuggen und Bregenz unternahm Kolumban mit seinen Gefährten unter der dortigen Bevölkerung Missionsversuche. In Tuggen wurden sie aber vertrieben, und auch Bregenz mussten sie verlassen, da Kolumban nach der Niederlage Theudeberts II. von Austrasien gegen seinen Halbruder Theuderich II. von Burgund (der Kolumban schon aus Luxeuil vertrieben hatte) den politischen Rückhalt verloren hatte.
Wie in Bregenz gab es auch in Arbor Felix (dem heutigen Arbon) eine christliche Siedlung. Die Galluslegende berichtet, Gallus habe wegen einer schweren Krankheit in Arbor Felix bleiben müssen. Tatsächlich war es wohl ein ernstes Zerwürfnis mit Kolumban, der seinen Schüler mit einem Mess- und Predigtverbot belegt hatte, das Gallus zu Lebzeiten von Kolumban auch nicht zu übertreten wagte.
Nach einem längeren Aufenthalt in Arbor Felix beschloss Gallus 612, zusammen mit seinem Gefährten Hiltibod dem in den Lacus Brigantinus (Bodensee) mündenden Fluss Steinach zu folgen. Sie zogen den Bach entlang in den Steinachwald hinein (das ganze Gebiet vom Bodensee bis zum Appenzellerland war damals Urwald) und kamen an den Wasserfall bei der Mühleggschlucht. Hier stolperte Gallus und fiel in einen Dornbusch. Dies deutete er als göttliches Zeichen, hier zu bleiben. Die irischen Mönche suchten — nach dem Vorbild der orientalischen Mönche — die Nähe zu Gott in der Einsamkeit. Sie glaubten sich Gott umso näher, je mehr sie sich von allem Irdischen lösten.
Eine bekannte Legende über Gallus berichtet über die folgende Nacht: Während Hiltibod schlief, war Gallus noch wach, als plötzlich ein Bär auftauchte. Gallus liess sich nicht einschüchtern, auch dann nicht, als der Bär sich aufrichtete. Gallus befahl dem Bären im Namen des Herrn, ein Stück Holz ins Feuer zu werfen. Der Bär gehorchte und trug das Holz zum Feuer. Anschliessend gab Gallus dem Bären ein Brot, unter der Bedingung, dass er sich nie mehr blicken lasse. Hiltibod, der mitgehört hatte, sagte zu Gallus: «Jetzt weiss ich, dass der Herr mit dir ist, wenn selbst die Tiere des Waldes deinem Wort gehorchen.» Der Bär tauchte nie wieder auf. Der Bär wurde später zum Wappentier der Stadt St. Gallen. Der Bär ist auch Gallus’ wichtigstes Insignium, er wird fast immer mit einem Bären an seiner Seite dargestellt.
Gallus baute im Steinachtal eine Klause. Gallus war kein Einsiedler im eigentlichen Sinn. Er hatte Gefährten um sich. Männer, die mit ihm das Leben in der «Einöde» teilten. Als der Alemannenherzog Gunzo eine Synode aller Stammesfürsten und wichtigen Kleriker einberief, um den vakanten Stuhl des Bischofs von Konstanz wieder neu zu besetzen, wollte er Gallus zum Bischof machen. Vielleicht auch, weil Gallus seine Tochter von einer schweren Krankheit geheilt hatte. Gallus wollte nicht Bischof werden und kam bereits mit einem anderen Mönch, Johannes, zu dieser Tagung, um ihn als Bischof vorzuschlagen. Der Herzog ging auf diesen Wunsch ein, und nach dreijähriger Ausbildung durch Gallus soll Johannes Bischof von Konstanz geworden sein.
An einem 16. Oktober wohl zwischen 640 und 650 starb Gallus nach seiner letzten Predigt in Arbon. Dieser Tag, der Gallustag, wird heute noch gefeiert. Gallus wurde bei seiner Klause bestattet. Sein Grab wurde zum Wallfahrtsort, und er wurde vor allem im süddeutschen Raum, dem Elsass und der deutschsprachigen Schweiz verehrt, seinem Hauptwirkungsraum.
In jüngster Zeit ist über die in den Lebensgeschichten verbürgte irische Herkunft von Gallus eine Kontroverse entstanden. Weil Gallus gut alemannisch sprach, vermutet Gerold Hilty eine Herkunft aus den Vogesen, eine Meinung, die auch von Max Schär geteilt wird. Walter Berschin und andere halten jedoch nach wie vor eine irische Herkunft für wahrscheinlich.
Ob Gallus aus Irland oder aus dem Elsass stammt, ist letztlich von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend ist, dass er im Geist des irischen Mönchtums herangebildet wurde. Die Beziehung zu Irland war immer ein wichtiger Teil der Gallus-Erinnerung. Sie soll auch im Rahmen dieses Jubiläums gepflegt und vertieft werden.