«Der Ka­pita­lis­mus wird die Di­gi­ta­li­sie­rung nicht über­le­ben»

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Leon­hard Fi­scher, Ex-Chef der Win­ter­thur-Ver­si­che­rung, warnt vor den Mo­no­po­len von Goog­le & Co.

Leonhard Fisvher Leonhard Fisvher Leonhard Fisvher
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«Wachs­tum wird auf Pump fi­nan­ziert», sagt Leon­hard Fi­scher

Foto: Sabina Bobst

Mit Leonhard Fischer sprach Holger Alich

Vor dem Jah­res­wech­sel blic­ken Ih­re Ex-Kol­le­gen von den Ban­ken vol­ler Zu­ver­sicht auf das neue Jahr. Sie nicht. Wa­rum?

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Ich bin skep­tisch, weil die Pro­ble­me, die zur Kri­se von 2008 ge­führt ha­ben, nicht ver­schwun­den sind, son­dern sich ver­schlim­mert ha­ben. Da­mals ist eine rie­si­ge Schul­den­bla­se ge­platzt. Doch statt zu sin­ken, hat die Ver­schul­dung seit 2008 welt­weit neue Höchst­stän­de er­reicht. So­gar Län­der wie Chi­na ma­chen da mitt­ler­wei­le mit. Welt­weit hat die Ver­schul­dung fast das Drei­fache der Wirt­schafts­lei­stung er­reicht. So et­was kann auf Dau­er nicht gut ge­hen.

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Wie ist dem Schul­den­prob­lem bei­zu­kom­men?

Es gibt eigent­lich nur drei Mög­lich­kei­ten: Er­stens, die Schul­den­quo­te sinkt, da das Wachs­tum stark an­zieht. Zwei­tens kön­nen die Schul­den durch In­fla­ti­on im Wert ver­min­dert wer­den, oder die An­pas­sung er­folgt drit­tens durch eine har­te De­fla­ti­on mit einer ent­spre­chen­den Plei­te­wel­le bei Haus­hal­ten und Un­ter­neh­men. Ich wüss­te nicht, wo­her eine star­ke Wachs­tums­be­schleu­ni­gung kom­men soll, al­so blei­ben nur die Va­ri­an­ten über In­fla­ti­on oder De­fla­ti­on.

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Infla­ti­on ist aber der­zeit kein The­ma, vor al­lem hier in der Schweiz nicht …

Das stimmt nicht. Die No­ten­ban­ken mes­sen die Teue­rung nur falsch. Ba­sis ist der Kon­sumen­ten­preis-In­dex. Ich la­de je­den ein, ein­mal zu schau­en, wie stark die­ser Wa­ren­korb mit sei­ner Le­bens­wirk­lich­keit über­ein­stimmt. Fak­to­ren wie die stei­gen­den Ge­sund­heits­ko­sten oder Aus­bil­dungs­ko­sten für Kin­der und Schu­len und Hoch­schu­len so­wie die stei­gen­den Im­mo­bi­li­en­prei­se sind dort nicht aus­rei­chend re­flek­tiert. Mir kann doch nie­mand sa­gen, dass ein Uni-Ab­sol­vent, der in Zü­rich eine Woh­nung kau­fen will, mit sei­nem Ein­kom­men die glei­chen Mö­glich­kei­ten hat, wie je­mand, der vor 30 oder 40 Jah­ren sein Eigen­heim kauf­te. Die In­fla­ti­on heu­te zeigt sich nicht in Gü­ter­prei­sen, son­dern in Sach­wer­ten wie Im­mo­bi­li­en, Ak­ti­en, Kunst und in­zwi­schen so­gar in Schwach­sinn wie Bit­coins.

Leon­hard Fi­scher
Vom Wun­der­kind zum Mah­ner

Der 54-jäh­ri­ge Deut­sche galt einst als Ban­ken-Wun­der­kind: 1999 zog er mit ge­ra­de 36 Jah­ren in die Ge­schäfts­lei­tung der Dresd­ner Bank ein. Nach de­ren Über­nah­me durch die Al­li­anz wech­sel­te er 2002 in die Schweiz an die Spit­ze der Win­ter­thur-Ver­si­che­rung, die da­mals der Cre­dit Suis­se (CS) ge­hör­te. Nach de­ren Ver­kauf an die fran­zö­si­sche Axa wech­sel­te Fi­scher 2007 in die Füh­rung der Be­tei­li­gungs­ge­sel­le­schaft RJH In­ter­na­tio­nal. Die­se kauf­te die Klein­wort Ben­son und die deut­sche BHF Bank; nach einem Streit mit dem chi­ne­si­schen Co-In­ve­stor Fo­sun um die Macht wur­de BHF Klein­wort Ben­son 2016 an die fran­zö­si­sche Od­do ver­äus­sert. Zu­letzt hat Fi­scher ein Buch über die Fi­nanz­kri­se («Es wa­ren ein­mal Ban­ker») ge­schrie­ben und will mit dem Ex-«Bild»-Chef Kai Diek­mann einen neuen Fonds für deut­sche Spa­rer auf­le­gen, da­mit die ihr Geld nicht zu Null­zin­sen auf dem Spar­buch lie­gen las­sen. (ali)

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Bit­coin ist Schwach­sinn? Ist das nicht ein sehr har­tes Ur­teil?

Wie­so hart? Bit­coins sind für mich das per­fek­te Sym­bol die­ser Zeit des mo­ne­tä­ren Wahn­sinns mit sei­nen ab­sur­den Preis­stei­ge­run­gen. Bit­coins sind für mich ein In­stru­ment, das nie­mand wirk­lich braucht, aus­ser viel­leicht Gau­ner zur Geld­wä­sche. Bit­coins und die da­mit ver­bun­de­nen Trans­ak­tio­nen ver­brau­chen un­nö­tig eine Un­men­ge an Ener­gie, und sie er­rei­chen Preis­stei­ge­run­gen, die nie­mand er­klä­ren kann, da ein Bit­coin an sich kei­nen Wert hat.

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Den­noch ma­chen in­zwi­schen so­gar etab­lier­te Bör­sen­an­bie­ter mit und bie­ten Fu­tures auf Bit­coins an. Ist das kein Zei­chen der An­er­ken­nung?

Nein. Denn wenn das so wä­re, dann wä­re ja auch das Auf­le­gen von Fu­tures auf US-Sub­pri­me-Kre­di­te im Jahr 2007 ein Zei­chen für die Qua­li­tät von US-Sub­pri­me-Kre­di­ten ge­we­sen. Ich dre­he das Ar­gu­ment um: Die Tat­sa­che, dass die Ver­ant­wort­li­chen der Bör­sen nun auf Bit­coins Fu­tures ein­füh­ren, ist ein wei­te­rer Be­weis da­für, dass wir es wie­der mit einem spe­ku­la­ti­ven Wahn­sinn zu tun ha­ben.

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Soll­ten Bit­coins des­halb re­gu­liert wer­den?

Aber si­cher. Es kann doch nicht sein, dass ein Bür­ger kein Kon­to mehr auf­ma­chen kann, oh­ne da­bei kom­plett durch­leuch­tet zu wer­den, wäh­rend man mit Bit­coins il­le­ga­le Gel­der re­la­tiv ri­si­ko­los über den gan­zen Pla­ne­ten trans­fe­rie­ren kann. Bit­coins sind der letz­te Be­weis da­für, dass wir in einer kom­plett ent­kop­pel­ten Welt le­ben, in der wir In­fla­ti­on ha­ben, sie aber nicht rich­tig mes­sen.

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Im Unter­schied zu Sach­an­la­gen wie Im­mo­bi­li­en sind Preis­stei­ge­run­gen bei den Gü­ter­prei­sen aber nicht zu se­hen. Wa­rum?

Das hat zwei Grün­de: die Glo­ba­li­sie­rung und die Di­gi­ta­li­sie­rung. Für durch­schnitt­li­che Kon­sum­gü­ter ha­ben wir so­gar ein de­fla­tio­nä­res Um­feld, das wir nicht ein­mal rich­tig mes­sen kön­nen.

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Was mei­nen Sie da­mit?

Google und Face­book zum Bei­spiel stel­len doch Gü­ter und Dienst­lei­stun­gen zur Ver­fü­gung, die schein­bar kei­nen Preis ha­ben. Da­mit tau­chen die­se Lei­stun­gen im Kon­su­men­ten­preis-In­dex gar nicht auf. Und dass die Tech-Rie­sen hin­ter­her die Nut­zer­da­ten ver­kau­fen, taucht auch in kei­nem Preis-In­dex auf.

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Wie gross se­hen Sie die Ge­fahr, dass Google und Face­book zu neu­en Mo­no­po­li­sten wer­den?

Die Ge­fahr ist sehr gross. Ich den­ke so­gar, dass der In­du­strie­ka­pi­ta­lis­mus, wie wir ihn ken­nen ge­lernt ha­ben, die Di­gi­ta­li­sie­rung nicht über­le­ben wird. Für «Bit­coins sind für mich das per­fek­te Sym­bol die­ser Zeit des mo­ne­tä­ren Wahn­sinns.» mich ist die ein­zig span­nen­de Fra­ge, ob die De­mo­kra­tie da­bei über­le­ben wird. Es ist e­ben so, dass die di­gi­ta­le Wirt­schaft einer Platt­form­lo­gik folgt, bei der Nut­zer den An­reiz ha­ben, die gröss­te Platt­form zu nut­zen, so­dass die­se im­mer grös­ser und mäch­ti­ger wird und am En­de ein Mo­no­pol ent­steht.

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Mono­po­le hat es doch schon öf­ters ge­ge­ben. Wa­rum sind Google und Face­book gleich eine Ge­fahr für den Ka­pi­ta­lis­mus?

Weil die­se di­gi­ta­len Mo­no­po­le an­ders als die klas­si­sche In­du­strie qua­si zu Grenz­ko­sten von null ope­rie­ren. Wenn VW für einen Kun­den ein wei­te­res Auto baut, so braucht VW da­für zwar kei­ne neue Fer­ti­gungs­stras­se zu bau­en, muss aber Stahl und an­de­re Tei­le an­schaf­fen. Google da­ge­gen kann mit mi­ni­men Zu­satz­ko­sten einem Neu­kun­den einen Mail-Ac­count an­bie­ten. Und da die­se di­gi­ta­len Mo­no­po­li­sten da­mit de fac­to Grenz­ko­sten von null ha­ben, ist auch TOP ihr Ka­pi­tal­be­darf viel ge­rin­ger. Die Tat­sa­che, dass die Zin­sen so lan­ge na­he null lie­gen, ist da­her nicht al­lein die Schuld der Zen­tral­ban­ken. Es liegt auch da­ran, dass die Di­gi­tal­wirt­schaft we­ni­ger Ka­pi­tal nach­fragt und so­mit den Preis für Ka­pi­tal drückt. Das stellt den Fi­nanz­ka­pi­ta­lis­mus, wie wir ihn ken­nen, in­fra­ge.

Das heisst, die Markt­wirt­schaft ge­rät aus den Fu­gen?

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Das fürch­te ich, ja. Ne­ben die Fol­gen der Di­gi­ta­li­sie­rung tritt die Ma­ni­pu­lie­rung der Fi­nanz­märk­te durch die No­ten­ban­ken seit der Kri­se von 2008. Gros­se Tei­le der Staats­schul­den in Ja­pan und Euro­pa sind im Be­sitz der je­wei­li­gen No­ten­bank. Die­ser mas­si­ve Auf­kauf von Staats­an­lei­hen drückt die Zin­sen und treibt um­ge­kehrt die Prei­se für Ak­ti­en, Im­mo­bi­li­en und an­de­re An­la­gen. Das hat doch nicht mehr viel mit Markt­wirt­schaft zu tun. Wir le­ben in einer Zeit des ge­steu­er­ten Fi­nanz­ka­pi­ta­lis­mus, von dem eini­ge we­ni­ge pro­fi­tie­ren und bei dem mas­siv Ver­mö­gen von Gläu­bi­gern zu Schuld­nern trans­fe­riert wird. Wachs­tum wird auf Pump fi­nan­ziert. Heu­te liegt das Pro­blem nicht mehr bei den Ban­ken, son­dern bei den Zen­tral­ban­ken.

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