Während die Verhandlungen mit der EU noch laufen, bereitet sich der Kanton Genf schon auf die absehbare Abschaffung der steuerlichen Sonderbehandlung von Holding-Gesellschaften vor. Das Verschwinden dieser Gesellschaften hätte für die Genfer Wirtschaft einen Verlust von 3,7 Milliarden Franken zur Folge, warnte die Regierung gestern.
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Die Steuerprivilegien für ausländische Firmen sind bedroht. Nun plant auch Genf, die Gewinnsteuern für alle Gesellschaften zu senken.
Welche Vorteile bringen Rohstoffhandelsfirmen wie Vitol, Socar, Glencore oder Trafigura jenen Kantonen, die sie mit Steuergeschenken angelockt haben? Der Kanton Genf, der zusammen mit Zug am meisten solche Gesellschaften beherbergt, hat am Donnerstag neue Zahlen präsentiert. Demnach weisen die 945 steuerprivilegierten Firmen sowie weitere 136 Unternehmen, die mit ihnen verbunden sind, knapp 20'000 Vollzeitstellen aus oder rund 8 Prozent der kantonalen Beschäftigung. Sie tragen 4 Milliarden Franken zur Wertschöpfung bei. Die Steuereinnahmen belaufen sich auf über eine Milliarde Franken. Davon entfallen 576 Millionen Franken auf die Firmen, was einem Anteil von 35 Prozent an den kantonalen Unternehmenssteuern entspricht.
Werden auch die indirekten Auswirkungen miteinbezogen (Wirtschaftssektoren, die indirekt profitieren), steigt die Zahl der Beschäftigten auf 50'000 Vollzeitstellen und die Wertschöpfung auf 10 Milliarden Franken. Das zur Uni Lausanne gehörende Wirtschaftsforschungsinstitut Crea, das die Berechnungen im Auftrag der Genfer Regierung gemacht hat, betont, dass die tatsächlichen Werte noch höher sein dürften.
Verlasse auch nur ein grösserer Player Genf, dann sei das für den Kanton ein «ökonomischer Schock», warnte die Genfer Regierung am Donnerstag. Das Warnsignal richtet sich unüberhörbar an Bern, das mit Brüssel über die Besteuerung von Multis und die von der EU stark kritisierten Steuerprivilegien von Holdings, gemischten Gesellschaften und Domizilgesellschaften verhandelt.
Wie fragil die Situation für die betroffenen Schweizer Kantone ist, machte die Warnung von Vitol-Topmanager David Fransen klar. Am 18. September sagte er anlässlich einer Firmenpräsentation in Genf, er sorge sich um die Zukunft in der Schweiz. Dabei nannte er explizit die Gefahr von höheren Steuern und einer stärkeren Regulierung des Rohstoffsektors. Andere Staaten würden seine Firma «aktiv» umwerben.
Irland als Mass aller Dinge
Um welche Summen es auf nationaler Ebene geht, zeigen Angaben der Eidgenössischen Steuerverwaltung zum Reingewinn, den steuerprivilegierte Gesellschaften in der Schweiz deklarieren. 2009 waren es 62,152 Milliarden Franken, auf denen der Bund eine direkte Bundessteuer von 3,8 Milliarden Franken kassierte. Das ist fast die Hälfte der Bundessteuer von 7,7 Milliarden Franken, die der Bund auf den Reingewinnen aller Gesellschaften, also auch der nicht steuerprivilegierten, 2009 eintrieb. Nicht berücksichtigt sind Beteiligungsgewinne, die laut verfügbaren Zahlen von 2008 rund 195 Milliarden Franken ausmachten und weder vom Bund noch von den Kantonen besteuert werden.
Um Rohstoffmanager wie David Fransen nicht auf dumme Gedanken zu bringen, will Genf die effektive Gewinnsteuerbelastung (Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern) von derzeit 24 Prozent drastisch senken. Und zwar nicht auf 15 Prozent, wie der Genfer Finanzminister David Hiler kürzlich noch angekündigt hat, sondern gleich auf 13 Prozent. Die Regierung will den Anschluss an andere Kantone nicht verlieren, welche die effektive Gewinnbesteuerung bereits heute auf Sätze unter 15 Prozent gedrückt haben. Dazu gehören Luzern, Glarus und Zug.
Wer macht den nächsten Dreh nach unten an der Steuerschraube? Niemand mehr, wenns um die Genfer Regierung ginge: Es solle den Kantonen verboten werden, die EU-Untergrenze von 12,5 Prozent zu unterschreiten, die derzeit von Irland offeriert wird, heisst es im Forderungskatalog der Genfer.
Ob die 13 Prozent im Kanton Genf geschluckt werden, ist offen. Gemäss Steuerverwaltung entsteht durch die Satzreduktion ein Loch von 457 Millionen Franken. Das nach Ansicht der Regierung teilweise durch Bern kompensiert werden muss.
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Zürich: FDP-Finanzdirektorin Ursula Gut will Gewinnsteuern halbieren. |
Basel-Stadt: SP-Regierungsrätin Eva Herzog erwartet Steuerausfälle von 350 Millionen. |
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Fotos: Keystone |
Zürich: FDP-Finanzdirektorin Ursula Gut will Gewinnsteuern halbieren.
Foto: Keystone
Basel-Stadt: SP-Regierungsrätin Eva Herzog erwartet Steuerausfälle von 350 Millionen.
Foto: Keystone
Es handelt sich bis jetzt nur um Planspiele. Aber am Horizont braut sich ein Donnerwetter zusammen. Es geht um die Frage, wie radikal Zürich, Genf, Basel und Waadt ihre Firmensteuern für Schweizer Unternehmen senken müssen, um die von der EU kritisierten Steuerprivilegien für gewisse Unternehmen aufheben zu können. Es geht also um die Frage, wie viel Steuerausfälle tragbar sind und wer die Zeche bezahlt.
Lange hielten sich die Kantone bedeckt. Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Letzten Donnerstag präsentierte Genf eine umfassende Studie über Pläne und Folgen einer radikalen Steuersenkung (TA vom Freitag). Die Ausfälle wurden vom Genfer Finanzdirektor David Hiler auf rund 450 Millionen Franken veranschlagt. Gestern liess die Zürcher Finanzdirektorin Ursula Gut über die NZZ verlauten, dass dem Kanton Zürich eine starke Steuersenkung bevorstehe mit Ausfällen von rund 850 Millionen Franken. Und schliesslich präzisierte die Finanzdirektorin des Kantons Basel-Stadt, Eva Herzog, gestern auf Anfrage, welche Ausfälle sie «modelliert»: Bei einer vergleichbaren Senkung der Gewinnsteuerbelastung wie in Genf und Zürich rechnet der Kanton mit Ausfällen von rund 350 Millionen Franken. Jetzt fehlt nur noch die Klärung des Waadtlands. Der Waadtländer Finanzdirektor Pascal Broulis wolle sich momentan nicht dazu äussern, sagte eine Sprecherin.
Auch ohne die Waadt ist die Summe der potenziellen Steuerausfälle mit rund 1,65 Milliarden Franken beachtlich. Versucht man den Ausfall der Waadt zu schätzen, mit einer Senkung von heute 23 auf 15 Prozent, von der rund 29'000 ordentlich besteuerte Firmen profitieren würden, so käme man auf weitere rund 300 bis 400 Millionen Franken.
Summa summarum dürfte die vom Bund vor vier Wochen eingesetzte Arbeitsgruppe zur Unternehmensteuerreform über einen potenziellen Steuerausfall von 2 Milliarden diskutieren.
Mehrere Varianten im Spiel
Die vier Kantone haben klargemacht, dass sie solche Steuersenkungen — welche die Gespräche mit der EU enteisen würden — nur veranlassen, wenn der Bund und die übrigen Kantone ihnen substanziell entgegenkommen. Gemessen an den heutigen jährlichen Ausgleichszahlungen der Kantone von 4,7 Milliarden Franken im nationalen Finanzausgleich, wären die Folgen für einige Kantone beträchtlich, etwa für Bern, das allein 1,2 Milliarden Franken daraus bezieht. Für diesen und die übrigen 16 Nehmerkantone würden sich die Zuschüsse drastisch reduzieren. Deshalb stehen seit Donnerstag verschiedene Kompensationsmassnahmen zur Diskussion:
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Lieber so lange an den Steuerprivilegien für Holdings herumschrauben, bis sie der EU passen, statt die Unternehmenssteuern generell zu senken: Das war bisher die Haltung der Zürcher Regierung im Steuerstreit. Doch diese ist seit gestern Geschichte: Finanzdirektorin Ursula Gut (FDP) preschte mit dem Plan vor, die Gewinnsteuersätze faktisch zu halbieren, wenn die Sonderkonditionen für Spezialgesellschaften fallen — von heute rund 27 auf 14 bis 16 Prozent.
Die EU verlangt von der Schweiz die Aufhebung «schädlicher Steuerpraktiken». Dazu zählt sie die hierzulande selektiv gehandhabte Besteuerung von Unternehmensgewinnen: Im Ausland anfallende werden tiefer oder gar nicht besteuert, während inländische zum ordentlichen Satz besteuert sind. So kann es sein, dass eine Firma mit Sitz in Basel im Inland erzielte Gewinne zum Satz von 28,5 Prozent versteuert, während sie die im Ausland erzielten zu einer tiefen zweistelligen Prozentzahl besteuert erhält.
Die Lösung der Schweiz wäre nun, die inländischen, ordentlichen Steuersätze auf das Niveau der steuerprivilegierten Firmen zu senken. Damit würden Steuerprivilegien fast verschwinden. Im Visier der EU stehen Holdinggesellschaften. Sie beteiligen sich an ausländischen Firmen, ohne im Inland tätig zu sein. Umstritten sind auch gemischte Gesellschaften, die Beteiligungen verwalten und in der Schweiz produzieren, forschen, entwickeln oder Dienste erbringen, aber «überwiegend auslandorientiert» sind. Und strittig sind Domizilgesellschaften, auch Briefkastenfirmen genannt.
Die Finanzdirektorin agiert bisher ohne Rückendeckung der Gesamtregierung, wenn sie für 2013 eine entsprechende Vorlage in Aussicht stellt. Laut Gut handelt es sich erst um ihre «persönliche Einschätzung», bei der sie aber mit den Finanzdirektoren der anderen Zentrumskantone übereinstimme. Für sie ist es unumgänglich, dass in Zürich die Gewinnsteuern für alle Firmen sinken, wenn die Steuerprivilegien für Holdings, Domizil- und gemischte Gesellschaften eliminiert werden. «Wir müssen uns dem Steuerwettbewerb stellen, damit unsere Firmen nicht in andere Kantone oder ins Ausland abwandern.»
Das hat seinen Preis: Gut rechnet mit jährlichen Steuerausfällen von 850 Millionen Franken für Kanton und Gemeinden. Allein der Stadt Zürich droht ein Loch von 350 Millionen. Gut hat die Stadt bereits informiert: «Finanzvorsteher Vollenwyder kennt meine Überlegungen». Dieser hält sich noch bedeckt. Das Steueramt und er bräuchten Zeit, um Guts Zahlen zu «analysieren», lässt er ausrichten.
Gut sieht den Bund in der Pflicht
Für die Regierungsrätin steht der Bund in der Pflicht, die drastischen finanziellen Folgen der Steuersenkung abzufedern. «Wir Zentrumskantone beharren auf Kompensationsleistungen. Der Bund wird einsehen, dass die Zentren nicht so geschwächt werden dürfen. Denn ihnen verdankt das Land viel Innovation und wirtschaftlichen Wohlstand.»
Wirtschaftsverbände und bürgerliche Parteien sind überrascht, dass Zürich so rasch dem Genfer Beispiel folgt. Die Direktorin der Zürcher Handelskammer, Regine Sauter (FDP), begrüsst die Strategie ihrer Parteikollegin. «Der Steuerwettbewerb ist Tatsache.» Für den Geschäftsführer des Gewerbeverbands Martin Arnold (SVP) zeugt Guts Ankündigung von «vorausschauender Politik». Selten sei er über Pläne aus der Finanzdirektion so erfreut gewesen. Ganz anders tönt es beim grünen Finanzspezialisten Ralf Margreiter: «Ursula Gut benützt den Steuerstreit mit der EU als Hebel, um als Gehilfin von Economiesuisse tiefere Unternehmenssteuern durchzuboxen.» Guts Position sei auch wenig überzeugend, weil sie keine Zahlen zum Steueraufkommen der Holdings liefere. «Wenn es weniger als 850 Millionen sind, ist es doch gescheiter, deren Privilegien ersatzlos zu streichen, als Steuergeschenke an alle Firmen zu verteilen.»
Gut weist die Vorwürfe zurück: «Hier geht es um Real-, nicht Klientelpolitik. Es ist auch kein Schnellschuss. Wir kommen nicht darum herum, auf die neue Situation zu reagieren.»
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Die Basler Finanzdirektorin Eva Herzog sagt, im Steuerstreit mit der EU drohten der Schweiz Verluste in Milliardenhöhe, falls sie sich nicht bewege und die Kantone sich nicht einigten. Eine radikale Senkung der Unternehmenssteuern sei aber vermeidbar.
Eva Herzog: «Innenpolitisch eine Lösung zu finden, ist nicht einfacher als mit der EU.»
Foto: Herbert Zimmermann
Eva Herzog (SP) ist seit 2005 Finanzdirektorin des Kantons Basel-Stadt. Sie sitzt im Vorstand der Finanzdirektorenkonferenz und ist Mitglied des politischen Steuerungsorgans der Arbeitsgruppe Unternehmensteuerreform Ⅲ.
Zürich, Genf und Basel haben eine radikale Senkung der Gewinnsteuern zur Diskussion gestellt. Damit könnte eine Lösung im Steuerstreit mit der EU erzielt werden. Die daraus resultierenden Steuerausfälle von rund 2 Milliarden Franken schockieren aber.
Das ist nicht ganz korrekt. Nur Genf hat Pläne zu einer möglichen Senkung der kantonalen Gewinnsteuern präsentiert, gekoppelt mit Forderungen an den Bund, die drohenden Ausfälle zu kompensieren. Wir in Basel und Zürich gehen nicht so weit. Wir befassen uns nur mit möglichen Szenarien, um die Folgekosten abzuschätzen. Gut daran ist, dass die Dimension des Problems jetzt einer breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden ist. Die Lösung aber liegt noch überhaupt nicht vor.
Wie unausweichlich sind kantonale Steuersenkungen im Steuerstreit?
Sie sind nicht unausweichlich. Wir stehen am Anfang einer Diskussion zwischen den betroffenen Kantonen, dem Bund und den nicht betroffenen Kantonen. Ich hätte es begrüsst, so vorzugehen, wie es geplant war: In der eingesetzten Arbeitsgruppe des Bundes und der Kantone eine Lösung auszuarbeiten und ein reifes Projekt vorzustellen. Was jetzt debattiert wird, sind nicht kohärente Konzepte.
Die EU setzt Druck auf. Die Schweiz soll bis Mitte November eine Lösung vorstellen, damit der EU-Ministerrat diese im Dezember beurteilen kann. Ein ganzes Jahr am Projekt herumzudoktern, geht also nicht.
So ist es nicht. Die EU hat schon mehrere Ultimaten gesetzt. Zuletzt präsentierte die Schweiz im Juli ein Dialog-Mandat. Jetzt wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Berichte werden eingeholt. Die EU weiss genau, dass sie nicht von heute auf morgen eine fertige Lösung verlangen kann.
Der grüne Genfer Finanzdirektor David Hiler stiess vor acht Tagen die Debatte an: Entweder man senke die normalen Gewinnsteuern radikal. Oder man erhöhe den Steuersatz für bisher privilegierte Firmen auf das Normalniveau. Dann aber würden steuerprivilegierte Firmen der Schweiz wohl den Rücken zukehren, sagte Hiler. Der Schaden wäre riesig.
Wir tun jetzt so, als ob es in der Schweiz nur steuerprivilegierte Firmen gäbe. Die Genfer Studie ist zwar nützlich. Sie zeigt die Bedeutung dieser Unternehmen am Standort Genf auf. Ungünstig ist aber, dass aus Hilers Vorschlägen nur die Senkung des kantonalen Steuersatzes Aufmerksamkeit erregt hat. Ohne weitere Massnahmen hätte dies Ausfälle von 450 Millionen Franken alleine für Genf zur Folge. So sieht keine Lösung aus.
Warum ist der Steuersatz der steuerprivilegierten Firmen das Mass, auf das die ordentlichen Gewinnsteuern gesenkt werden sollten?
Eine gute Frage. Die Schweiz muss ihre ordentliche Gewinnbesteuerung überhaupt nicht auf dieses Niveau senken. Wir sollten uns nicht nur an Irland oder Singapur orientieren, sondern auch an den umliegenden Ländern wie Deutschland oder Frankreich. Wir sind schon heute konkurrenzfähig. Die Schweiz hat eine generelle Steuersenkung nicht nötig. Und Steuerprivilegien gibt es auch in EU-Ländern. Wir sollten uns deshalb eine neue Art von privilegierter Besteuerung ausdenken, wie sie dort vorkommt. Die Schweiz bietet eine grossartige Infrastruktur im Verkehr, in der Bildung und politische und soziale Sicherheit. Das alles muss finanziert werden.
Staatsaufgaben haben ihren Preis …
Ja. Darüber hat das Schweizer Volk immer wieder abgestimmt. Auch dafür werden wir von steuerprivilegierten Firmen geschätzt.
Wenn wir so geschätzt werden: Warum wagt Basel nicht, die Gewinne von Pharma und Chemie normal zu besteuern?
Wir sind kein Standort für Beteiligungsgesellschaften. Unsere steuerprivilegierten Gesellschaften sind nicht vom Ausland hergezogen, wie dies in anderen Kantonen der Fall ist. Sie sind historisch gewachsen. Aber heute vergleicht auch ein Verwaltungsrat in Basel die Steuerdomizile. Wenn unsere grossen Firmen nun doppelt so hohe Steuern zahlen müssten, als dies heute der Fall ist, würden sie ihre Haupttätigkeit verlagern. Das ginge zulasten des Standorts.
Auch Basel kann es sich nicht leisten, steuerprivilegierte Firmen deutlich höher zu besteuern.
Nein, das können wir uns nicht leisten. Sich nicht zu bewegen in dieser Lage, wäre fatal.
Wie wichtig sind steuerprivilegierte Firmen für die Schweiz?
Sie sind sehr wichtig. Alleine beim Bund machten ihre Gewinnsteuern 2009 3,8 der 7,8 Milliarden Franken aus.
Das heisst: Sollte ein Teil dieser Firmen abwandern, riskiert die Schweiz ihren Wohlstand?
Sie würde sicher einen Teil des Wohlstands riskieren. Das Problem ist ernst. Wenn alle diese Firmen wegziehen, verliert die Schweiz insgesamt bis zu fünf Milliarden Franken Steuern und Zehntausende von Arbeitsplätzen. Wenn wir die Steuersätze nach unten anpassen, gehen laut einer Schätzung 2 Milliarden Franken allein in den vier Zentrumskantonen verloren. Aber auch andere Kantone mit relativ hohen Steuern müssten sich anpassen und ihre Steuern senken. Jede Möglichkeit, die bisher diskutiert wurde, bewegt sich also bei den Verlusten im Milliardenbereich.
Wie weit fortgeschritten sind die Pläne für Steuersenkungen? Zürichs Finanzdirektorin Ursula Gut sagte kürzlich, man wolle bis Mitte des nächsten Jahres eine Vorlage präsentieren.
Wir alle sind am Rechnen. Um gegenüber dem Bund unsere Haltung zu klären, müssen wir Szenarien ausarbeiten. Wie wichtig sind Beteiligungsgesellschaften? Welche Abwanderungen sind denkbar? Welche Steuerausfälle sind abschätzbar? Welche Gegenmassnahmen schlagen wir vor? Daran arbeiten wir hinter den Kulissen. Ich aber wäre mit den Modellrechnungen nicht an die Öffentlichkeit getreten. Der Bund muss mit den Kantonen zusammen eine Vorlage ausarbeiten.
Am Ende aber wird das Volk darüber abstimmen.
Klar. Die Steuerreform ist eine Riesenkiste. Wir Zentrumskantone stossen uns schon länger am heutigen Finanzausgleich: Wir tragen hohe Infrastrukturkosten, erheben deswegen höhere Steuern als andere Kantone und zahlen erst noch grosse Summen in den Finanzausgleich. Unsere Zentrumslasten werden nur ungenügend abgegolten und wir finanzieren erst noch die Tiefsteuerpolitik kleiner Kantone. Beantragen wir hier Änderungen, überstimmen sie uns. Wir Zentrumskantone sind innenpolitisch in der Defensive. Eine Lösung im Steuerstreit innenpolitisch zu finden, ist nicht einfacher als mit der EU!
Es kursiert die Meinung, es rolle zurzeit eine neoliberale Welle auf uns zu. Die Schweiz werde zu einem zweiten Irland in Europa. Ist diese Furcht berechtigt?
Das Stimmvolk wird Steuersenkungen im skizzierten Ausmass nie und nimmer zustimmen. Wir haben das kürzlich in Basel erlebt. Eine Mehrheit lehnte eine moderate Steuersenkung der Unternehmenssteuern ab. Moderat hiess ein halbes Prozent pro Jahr über vier Jahre. Wie sollte da erst eine Vorlage zur Halbierung der Gewinnsteuern vor dem Volk bestehen? Wichtig ist jedoch, dass wir ohne Scheuklappen prüfen, ob nicht zum Beispiel die direkte Bundessteuer erhöht werden sollte. Mit dem Mehrertrag beim Bund könnten danach die Steuerausfälle in den betroffenen Kantonen kompensiert werden. Wir wären EU-kompatibel. Und der interkantonale Steuerwettbewerb würde sich nicht noch weiter verschärfen.
Ist den 17 Nehmerkantonen im Finanzausgleich klar, dass auch sie ihren Beitrag leisten müssen, um mit der EU ins Reine zu kommen?
Es gibt auch Nehmerkantone, die stark negativ betroffen wären, zum Beispiel Bern. Und es muss allen klar sein, dass so hohe Steuerausfälle in den Zentrumskantonen negative Auswirkungen auf die ganze Schweiz hätten. Wenn man einfach nichts tut, um den betroffenen Kantonen entgegenzukommen, wird der zu verteilende Betrag im Finanzausgleich sinken. Das würde alle treffen. Den Kantonen dürfte also klar sein, dass sie zur Lösung beitragen müssen.
Wie glücklich ist Ihre Partei, die SP, über Steuersenkungspläne?
Die SP kämpft dafür, dass Bund und Kantone die notwendigen Einnahmen zur Finanzierung der staatlichen Leistungen erhalten.
Der Gewerkschaftsbund lehnt Steuersenkungen ab und rasselt mit dem Säbel. Droht ein Staatsabbau?
So weit darf man es nicht kommen lassen.
Fordern Sie eine Neuverhandlung des Finanzausgleichs?
Nicht des ganzen. Aber der finanzielle Ausgleich der Zentrumslasten muss neu geregelt werden. Das heutige System ist nicht fair. Das zeigten schon die Studien bei der Einführung des aktuellen Finanzausgleichs. Damals war es ein politischer Entscheid.
Der Druck der EU hilft Ihnen bei der alten, innenpolitischen Forderung, den Finanzausgleich fairer zu gestalten?
Die drohenden Ausfälle müssen abgegolten werden. Das aktuelle Ungleichgewicht verstärkt sich weiter.
Ist es realistisch, dass der Bund aus anderen Töpfen mehr an Universitäten oder den Verkehr zahlt, als er das schon heute tut?
Es wäre keine Kunst, dies zu tun. Das ist eine Frage der politischen Mehrheiten. Es geht auch um Umstellungskosten über eine gewisse Zeit. Wenn der politische Wille da ist, könnte auch ein Weg gefunden werden, um die drohenden Steuerausfälle in Genf, Zürich, Basel und der Waadt auszugleichen.
Sie plädieren für die Einführung von privilegierten Sondersteuern, die sogenannte Lizenzbesteuerung (Lizenzbox). Wie realistisch ist diese Lösung im Kontext der EU?
Sie ist sehr realistisch. England hat die Lizenzbesteuerung in diesem Sommer eben erst eingeführt. Andere Länder kennen sie seit längerem. Es ist falsch, wenn gesagt wird, dass die EU keine Lizenzbesteuerung mehr zulasse. Eine solche würde verhindern, dass die ordentlichen Steuern zu stark gesenkt werden müssen.
Wie funktioniert diese Lizenzbox?
Gewisse Erträge, hier Lizenzerträge, werden tiefer besteuert als Erträge aus anderer Geschäftstätigkeit. Die EU stört heute, dass im Ausland erzielte Gewinne viel tiefer besteuert werden als inländische Gewinne, das sogenannte «Ringfencing». Das wäre bei Lizenzboxen nicht der Fall — und wie schon gesagt, die EU kennt sie selber. Sollte die EU in der Zukunft dieses System abschaffen wollen, so können wir nachziehen. Bis sie so weit ist, wird aber noch viel Wasser den Rhein hinunterfliessen.
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Die Finanzministerin plädiert im Steuerstreit mit der EU für eine nationale Lösung.
Die Finanzministerin plädiert im Steuerstreit mit der EU für eine nationale Lösung.
Das Vorpreschen einzelner Kantone bei der Senkung der Unternehmenssteuern kommt auf eidgenössischer Ebene nicht gut an. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf und Christian Wanner, Präsident der kantonalen Finanzdirektoren, wollen eine nationale Lösung. Sie bedaure, dass einzelne Kantone letzte Woche mit Vorschlägen für die Senkung ihrer Unternehmenssteuern an die Öffentlichkeit gegangen sind, sagte Widmer-Schlumpf gegenüber der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens. Mit den Finanzdirektoren sei vereinbart worden, dass zuerst die Arbeit gemacht und dann kommuniziert werde.
In einem föderalistischen Staat sei es allerdings nicht zu verhindern, dass einzelne Kantone jetzt für sich rechnen, meinte die Finanzministerin weiter. «Wir müssen die Sache nun wieder auf eine sachliche Ebene bringen.»
Christian Wanner, der Präsident der kantonalen Finanzdirektoren, sprach in einem Interview mit dem Schweizer Radio von einer «nicht glücklichen Situation», wenn jeder Kanton nun einzeln vorgehe und die Unternehmenssteuern senken wolle. Wanner räumte aber auch ein, dass die von den Kantonen Zürich und Genf gemachten Vorschläge durchaus Ansätze seien, über die man diskutieren könne.
Die von den Finanzdirektoren eingesetzte Arbeitsgruppe habe allerdings noch keine konkreten Beschlüsse gefasst. Diese sollen im Frühling vorliegen. Man nehme den Druck der EU sehr ernst. «Je höher die Steuern in Westeuropa allerdings steigen, desto attraktiver werde die Schweiz, ohne dass sie etwas dazutut», sagte Wanner.
Unterstützung erhalten die Kantone Zürich und Genf vom Zuger Finanzdirektor Peter Hegglin. «Ich bin froh, dass sich die Kantone Gedanken über die Zukunft machen und verschiedene Szenarien durchrechnen», sagte er gegenüber der «NZZ am Sonntag». Im Kanton Zug selber sieht Hegglin keinen Handlungsbedarf. Zug sei seit längerem auf dem Weg zu einer moderaten Steuerbelastung. Für Unternehmen liege der Satz derzeit bei rund 14,7 Prozent, sagte Hegglin.
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