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Bern — Die Bundesanwaltschaft hat im Zusammenhang mit dem IT-Beschaffungsskandal Insieme Anklage gegen den ehemaligen Informatikchef der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) und zwei Manager aus der IT-Branche erhoben. Dem Informatikchef wird vorgeworfen, er habe von den beiden Informatikunternehmern «nicht gebührende Vorteile» angenommen, «indem er sich von Vertretern erwähnter Informatik-Dienstleistungsfirmen in zahlreichen Fällen zu Essen und Veranstaltungen einladen liess» und «als Gegenleistung wiederholt dafür sorgte, dass die betreffenden Firmen zu Vertragsabschlüssen mit der ESTV im Projekt Insieme kamen».
Nach Recherchen der SonntagsZeitung war einer der Informatikunternehmer ein ehemaliger Arbeitskollege und Freund des Informatikchefs. Zudem haben die beiden Informatikmanager mithilfe des Bundesbeamten eigens eine Firma gegründet, um an Insieme-Aufträge zu kommen. Schliesslich wurde der Sohn des Informatikchefs bei den bevorteilten Firmen angestellt.
Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft ist dem Bund «Schaden von mehr als 100'000 Franken entstanden, vor allem aber sei der Markt faktisch ausgeschaltet worden», so die Ermittler. Die Anklage lautet für den hauptbeschuldigten Informatikchef auf ungetreue Amtsführung, Urkundenfälschung im Amt, sich bestechen lassen und Vorteilsannahme, für die anderen zwei Beschuldigten auf Bestechen sowie Vorteilsgewährung.
Für das 2012 gestoppte Projekt Insieme waren 116 Millionen Franken in den Sand gesetzt worden. 56 Millionen davon kassierten externe Dienstleister.
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Bern Die Post kam Anfang Woche. Eingeschrieben erhielten L.*), entlassener Informatikchef der Eidgenössischen Steuerverwaltung, W.*), ehemaliger Mitbesitzer und Geschäftsführer der IT-Firma BSR & Partner AG, sowie S.*), CEO der Informatikfirma At-Point, die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft zugestellt. Der Vorwurf lautet: Bestechung und Korruption im Zusammenhang mit dem 2012 nach einem 116-Millionen-Franken-Desaster gestoppten Informatikprojekt Insieme.
Im Zentrum steht L. Sein Job war es, für die Steuerverwaltung Verträge mit externen IT-Dienstleistern auszuhandeln. Der damalige und inzwischen ebenfalls entlassene Direktor der Steuerverwaltung, Urs Ursprung, hatte ihm entgegen den rechtlichen Vorgaben erlaubt, viele Aufträge statt in einem öffentlichen Bewerbungsverfahren freihändig an ausgewählte Firmen zu vergeben. Nutzniesser war auch die Firma BSR & Partner. Sie erhielt immer wieder Aufträge, teils in korrekten öffentlichen Verfahren, oft aber ohne Konkurrenzofferten.
Nach dem Stopp von Insieme fiel das auch in einer internen Untersuchung und später den Ermittlern der Bundesanwaltschaft auf. An Zufall mochte keiner glauben: Denn der Chef von BSR ist ein alter Bekannter, manche meinen Freund, des Informatikchefs. In den Neunzigerjahren hat L. beim Bund mit dem damals unbedeutenden Projektmanager W. zusammengearbeitet. Dieser verliess 2002 den Bundesdienst, heuerte bei IT-Unternehmen an, beteiligte sich 2005 an der Zuger Firma BSR & Partner und erhielt dort als Geschäftsleiter prompt Insieme-Aufträge von seinem Freund L.
Das nicht ohne Gegenleistung, wie die Ermittler des Bundes überzeugt sind. Gemäss Anklage hat sich der Informatikchef immer wieder zu Essen und Veranstaltungen einladen lassen und im Gegenzug dafür gesorgt, dass sein Freund und dessen Firma wiederholt zu Vertragsabschlüssen gekommen sind.
Das ist noch nicht alles: Im Juli 2008, der Bund hatte eben das Projekt Insieme neu lanciert, wurde in Münchenbuchsee im Kanton Bern ein neues IT-Unternehmen gegründet. At-Point heisst die Firma, CEO wurde S. — gemäss Brancheninsidern ebenfalls ein alter Bekannter von W. und dem Informatikchef der Steuerverwaltung. W. wurde Teilhaber bei der neuen Firma. Der Informatikchef der Steuerabteilung seinerseits war gemäss Informationen aus der Bundesverwaltung bei der Gründung der Firma «beratend involviert». Die neue Firma habe sofort in aussergewöhnlichem Ausmass Aufträge erhalten, erzählt ein Projektkenner.
L. vertiefte in der Folge die Beziehungen zu den bevorzugten Lieferfirmen. Sein Sohn absolvierte bei BSR & Partner ein Praktikum und wurde 2010 bei der At-Point als Marketingmanager angestellt. Im Gegenzug habe die Firma weitere Aufträge erhalten, sagt ein Insider. Letzteres hat die Bundesanwaltschaft offenbar nicht nachweisen können. Die Anstellung des Sohnes ist jedenfalls nicht Teil des Verfahrens.
Die Beschuldigten, soweit sie von der SonntagsZeitung erreicht werden konnten, sprechen von «Blödsinn» und «Bagatellen» und verweisen dabei auf den, wie sie sagen, «bescheidenen Schaden», der gemäss Anklage dem Bund entstanden sei. Die Rede ist von «mehr als 100'000 Franken» wegen überhöhter Stundensätze.
Vieles spricht dafür, dass die Ermittler längst nicht alles haben nachweisen können, was illegal und zum Vorteil bestimmter Firmen gewesen war. Als die Geschäftsprüfungskommission den Insieme-Flop letztes Jahr untersuchte, kam sie zum Schluss, dass die Stundensätze insgesamt bis zu 30 Prozent über der Norm lagen.
Recherchen der SonntagsZeitung in den für die Informatikbeschaffungen zuständigen Abteilungen des Bundes legen nahe, dass der Korruptionssumpf bei der Informatikbeschaffung weit grösser ist, als die Bundesanwaltschaft derzeit nachweisen kann.
BSR-Chef W. und sein befreundeter Informatikchef der Steuerabteilung, L., galten zusammen mit weiteren Vertretern aus der Informatikbranche in der Bundesverwaltung als die «Bielersee-Connection». Beide besassen Motorboote auf dem Bielersee. In einem anonymen Schreiben war schon 2006 der Vorwurf erhoben worden, der Informatikchef habe für einen Auftrag ein teures Motorboot geschenkt erhalten. Bewiesen wurde die Anschuldigung nie.
Mitarbeiter der Bundesverwaltung berichten zudem, dass im Zusammenhang mit Informatikprojekten immer wieder von teuren Geschenken für gute Aufträge gesprochen worden sei. Von den besten Notebooks sei die Rede gewesen, einmal von einem teuren Auto. Ein Mitarbeiter einer Informatikabteilung erzählt gar, dass ihm offen Geld angeboten worden sei. «Man hat mich aufgefordert, meine Bankverbindung anzugeben, damit man mich im Falle eines Vertragsabschlusses belohnen könne.» Der Mann hat abgelehnt. Aus Angst, sein Vorgesetzter könnte an den Bestechungsversuchen beteiligt sein, habe er intern nichts gemeldet.
Ein anderer berichtet, dass ihm nach einem Geschäftsessen ein Bordellbesuch angeboten worden sei. Er habe abgelehnt, später aber erfahren, dass sich andere Einkäufer gerne mal ins Puff hätten einladen lassen .
Das alles scheint nicht in die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft eingeflossen zu sein. Die Anklage beschränkt sich auf einige wenige Vorkommnisse rund um Insieme, für die sich die Angeklagten verantworten müssen. Ob das W. tut, ist indes nicht klar. Er ist 2013 bei BSR ausgeschieden und lebt inzwischen in Thailand.
*) | Namen der Redaktion bekannt. |
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