Sonntags Zeitung

Korruption: Anklage gegen Bundesbeamten

Bundesanwaltschaft wirft Ex-Informatikchef der Eidgenössischen Steuerverwaltung vor, er habe sich von zwei IT-Unternehmern bestechen lassen

Denis von Burg

Bern — Die Bun­des­an­walt­schaft hat im Zu­sam­men­hang mit dem IT-Be­schaf­fungs­skan­dal In­sie­me An­kla­ge ge­gen den ehe­ma­li­gen In­for­ma­tik­chef der Eid­ge­nös­si­schen Steu­er­ver­wal­tung (ESTV) und zwei Ma­na­ger aus der IT-Bran­che er­ho­ben. Dem In­for­ma­tik­chef wird vor­ge­wor­fen, er ha­be von den bei­den In­for­ma­tik­un­ter­neh­mern «nicht ge­büh­ren­de Vor­tei­le» an­ge­nom­men, «in­dem er sich von Ver­tre­tern er­wähn­ter In­for­ma­tik-Dienst­leis­tungs­fir­men in zahl­rei­chen Fäl­len zu Es­sen und Ver­an­stal­tun­gen ein­la­den liess» und «als Ge­gen­leis­tung wie­der­holt da­für sorg­te, dass die be­tref­fen­den Fir­men zu Ver­trags­ab­schlüs­sen mit der ESTV im Pro­jekt In­sie­me ka­men».

Nach Recher­chen der Sonn­tags­Zei­tung war einer der In­for­ma­tik­un­ter­neh­mer ein ehe­ma­li­ger Ar­beits­kol­le­ge und Freund des In­for­ma­tik­chefs. Zu­dem ha­ben die bei­den In­for­ma­tik­ma­na­ger mit­hil­fe des Bun­des­be­am­ten eigens eine Fir­ma ge­grün­det, um an In­sie­me-Auf­trä­ge zu kom­men. Schliess­lich wur­de der Sohn des In­for­ma­tik­chefs bei den be­vor­teil­ten Fir­men an­ge­stellt.

Nach Über­zeu­gung der Bun­des­an­walt­schaft ist dem Bund «Scha­den von mehr als 100'000 Fran­ken ent­stan­den, vor al­lem aber sei der Markt fak­tisch aus­ge­schal­tet wor­den», so die Er­mitt­ler. Die An­kla­ge lau­tet für den haupt­be­schul­dig­ten In­for­ma­tik­chef auf un­ge­treue Amts­füh­rung, Ur­kun­den­fäl­schung im Amt, sich be­ste­chen las­sen und Vor­teils­an­nah­me, für die an­de­ren zwei Be­schul­dig­ten auf Be­ste­chen so­wie Vor­teils­ge­wäh­rung.

TOP

Für das 2012 ge­stopp­te Pro­jekt In­sie­me wa­ren 116 Mil­lio­nen Fran­ken in den Sand ge­setzt wor­den. 56 Mil­lio­nen da­von kas­sier­ten ex­ter­ne Dienst­leis­ter.

* * *

Sonntags Zeitung
TOP

Insieme-Skandal: Anklage gegen Informatiker

Die Bundesanwaltschaft wirft dem ehemaligen IT-Chef der Eidgenössischen Steuerverwaltung und zwei Partnern Bestechung und Korruption vor.

Eidgenössische Steuerverwaltung
Eidgenössische Steuerverwaltung: 116-Millionen-Desaster bei Informatikprojekt. Auf dem Foto ein Angestellter bei der Arbeit, der nicht in die Affäre verwickelt ist   Foto: Keystone
Denis von Burg

Bern Die Post kam An­fang Wo­che. Ein­ge­schrie­ben er­hiel­ten L.*), ent­las­se­ner In­for­ma­tik­chef der Eid­ge­nös­si­schen Steu­er­ver­wal­tung, W.*), ehe­ma­li­ger Mit­be­sit­zer und Ge­schäfts­füh­rer der IT-Fir­ma BSR & Part­ner AG, so­wie S.*), CEO der In­for­ma­tik­fir­ma At-Point, die An­kla­ge­schrift der Bun­des­an­walt­schaft zu­ge­stellt. Der Vor­wurf lau­tet: Be­ste­chung und Kor­rup­ti­on im Zu­sam­men­hang mit dem 2012 nach einem 116-Mil­lio­nen-Fran­ken-De­sas­ter ge­stopp­ten In­for­ma­tik­pro­jekt In­sie­me.

Im Zent­rum steht L. Sein Job war es, für die Steu­er­ver­wal­tung Ver­trä­ge mit ex­ter­nen IT-Dienst­leis­tern aus­zu­han­deln. Der da­ma­li­ge und in­zwi­schen eben­falls ent­las­se­ne Di­rek­tor der Steu­er­ver­wal­tung, Urs Ur­sprung, hat­te ihm ent­ge­gen den recht­li­chen Vor­ga­ben er­laubt, vie­le Auf­trä­ge statt in einem öf­fent­li­chen Be­wer­bungs­ver­fah­ren frei­hän­dig an aus­ge­wähl­te Fir­men zu ver­ge­ben. Nutz­nies­ser war auch die Fir­ma BSR & Part­ner. Sie er­hielt im­mer wie­der Auf­trä­ge, teils in kor­rek­ten öf­fent­li­chen Ver­fah­ren, oft aber oh­ne Kon­kur­renz­of­fer­ten.

TOP

Nach dem Stopp von In­sie­me fiel das auch in einer in­ter­nen Un­ter­su­chung und spä­ter den Er­mitt­lern der Bun­des­an­walt­schaft auf. An Zu­fall moch­te kei­ner glau­ben: Denn der Chef von BSR ist ein al­ter Be­kann­ter, man­che mei­nen Freund, des In­for­ma­tik­chefs. In den Neun­zi­ger­jah­ren hat L. beim Bund mit dem da­mals un­be­deu­ten­den Pro­jekt­ma­na­ger W. zu­sam­men­ge­ar­bei­tet. Die­ser ver­liess 2002 den Bun­des­dienst, heu­er­te bei IT-Un­ter­neh­men an, be­tei­lig­te sich 2005 an der Zu­ger Fir­ma BSR & Part­ner und er­hielt dort als Ge­schäfts­lei­ter prompt In­sie­me-Auf­trä­ge von sei­nem Freund L.

Eidgenössische Steuerverwaltung
Eidgenössische Steuerverwaltung: 116-Millionen-Desaster bei Informatikprojekt. Auf dem Foto ein Angestellter bei der Arbeit, der nicht in die Affäre verwickelt ist   Foto: Keystone

Das nicht oh­ne Ge­gen­leis­tung, wie die Er­mitt­ler des Bun­des über­zeugt sind. Ge­mäss An­kla­ge hat sich der In­for­ma­tik­chef im­mer wie­der zu Es­sen und Ver­an­stal­tun­gen ein­la­den las­sen und im Ge­gen­zug da­für ge­sorgt, dass sein Freund und des­sen Fir­ma wie­der­holt zu Ver­trags­ab­schlüs­sen ge­kom­men sind.

Der Informatikchef war bei der Gründung «beratend involviert»

Das ist noch nicht al­les: Im Ju­li 2008, der Bund hat­te eben das Pro­jekt In­sie­me neu lan­ciert, wur­de in Mün­chen­buch­see im Kan­ton Bern ein neues IT-Un­ter­neh­men ge­grün­det. At-Point heisst die Fir­ma, CEO wur­de S. — ge­mäss Bran­chen­in­si­dern eben­falls ein al­ter Be­kann­ter von W. und dem In­for­ma­tik­chef der Steu­er­ver­wal­tung. W. wur­de Teil­ha­ber bei der neu­en Fir­ma. Der In­for­ma­tik­chef der Steu­er­ab­tei­lung sei­ner­seits war ge­mäss In­for­ma­tio­nen aus der Bun­des­ver­wal­tung bei der Grün­dung der Fir­ma «be­ra­tend in­vol­viert». Die neue Fir­ma ha­be so­fort in aus­ser­ge­wöhn­li­chem Aus­mass Auf­trä­ge er­hal­ten, er­zählt ein Pro­jekt­ken­ner.

TOP

L. ver­tief­te in der Fol­ge die Be­zie­hun­gen zu den be­vor­zug­ten Lie­fer­fir­men. Sein Sohn ab­sol­vier­te bei BSR & Part­ner ein Prak­ti­kum und wur­de 2010 bei der At-Point als Mar­ke­ting­ma­na­ger an­ge­stellt. Im Ge­gen­zug ha­be die Fir­ma wei­te­re Auf­trä­ge er­hal­ten, sagt ein In­si­der. Letz­te­res hat die Bun­des­an­walt­schaft of­fen­bar nicht nach­wei­sen kön­nen. Die Ans­tel­lung des Soh­nes ist je­den­falls nicht Teil des Ver­fah­rens.

Die Be­schul­dig­ten, so­weit sie von der Sonn­tags­Zei­tung er­reicht wer­den konn­ten, spre­chen von «Blöd­sinn» und «Ba­ga­tel­len» und ver­wei­sen da­bei auf den, wie sie sa­gen, «be­schei­de­nen Scha­den», der ge­mäss An­kla­ge dem Bund ent­stan­den sei. Die Re­de ist von «mehr als 100'000 Fran­ken» we­gen über­höh­ter Stun­den­sät­ze.

Vieles spricht da­für, dass die Er­mitt­ler längst nicht al­les ha­ben nach­wei­sen kön­nen, was il­le­gal und zum Vor­teil be­stimm­ter Fir­men ge­we­sen war. Als die Ge­schäfts­prü­fungs­kom­mis­si­on den In­sie­me-Flop letz­tes Jahr un­ter­such­te, kam sie zum Schluss, dass die Stun­den­sät­ze ins­ge­samt bis zu 30 Pro­zent über der Norm la­gen.

TOP

Die Bielersee-Connection war in der Branche bekannt

Recher­chen der Sonn­tags­Zei­tung in den für die In­for­ma­tik­be­schaf­fun­gen zu­stän­di­gen Ab­tei­lun­gen des Bun­des le­gen na­he, dass der Kor­rup­ti­ons­sumpf bei der In­for­ma­tik­be­schaf­fung weit grös­ser ist, als die Bun­des­an­walt­schaft der­zeit nach­wei­sen kann.

BSR-Chef W. und sein be­freun­de­ter In­for­ma­tik­chef der Steu­er­ab­tei­lung, L., gal­ten zu­sam­men mit wei­te­ren Ver­tre­tern aus der In­for­ma­tik­bran­che in der Bun­des­ver­wal­tung als die «Bie­ler­see-Con­nec­ti­on». Bei­de be­sas­sen Mo­tor­boo­te auf dem Bie­ler­see. In einem ano­ny­men Schrei­ben war schon 2006 der Vor­wurf er­ho­ben wor­den, der In­for­ma­tik­chef ha­be für einen Auf­trag ein teu­res Mo­tor­boot ge­schenkt er­hal­ten. Be­wie­sen wur­de die An­schul­di­gung nie.

Die Rede ist von teuren Notebooks und Puffbesuchen

Mitarbei­ter der Bun­des­ver­wal­tung be­rich­ten zu­dem, dass im Zu­sam­men­hang mit In­for­ma­tik­pro­jek­ten im­mer wie­der von teu­ren Ge­schen­ken für gu­te Auf­trä­ge ge­spro­chen wor­den sei. Von den bes­ten No­te­books sei die Re­de ge­we­sen, ein­mal von einem teu­ren Auto. Ein Mit­ar­bei­ter einer In­for­ma­tik­ab­tei­lung er­zählt gar, dass ihm of­fen Geld an­ge­bo­ten wor­den sei. «Man hat mich auf­ge­for­dert, mei­ne Bank­ver­bin­dung an­zu­ge­ben, da­mit man mich im Fal­le eines Ver­trags­ab­schlus­ses be­loh­nen kön­ne.» Der Mann hat ab­ge­lehnt. Aus Angst, sein Vor­ge­setz­ter könn­te an den Be­ste­chungs­ver­su­chen be­tei­ligt sein, ha­be er in­tern nichts ge­mel­det.

TOP

Ein an­de­rer be­rich­tet, dass ihm nach einem Ge­schäfts­ess­en ein Bor­dell­be­such an­ge­bo­ten wor­den sei. Er ha­be ab­ge­lehnt, spä­ter aber er­fah­ren, dass sich an­de­re Ein­käu­fer ger­ne mal ins Puff hät­ten ein­la­den las­sen .

Das al­les scheint nicht in die Er­mitt­lun­gen der Bun­des­an­walt­schaft ein­ge­flos­sen zu sein. Die An­kla­ge be­schränkt sich auf eini­ge we­ni­ge Vor­komm­nis­se rund um In­sie­me, für die sich die An­ge­klag­ten ver­ant­wor­ten müs­sen. Ob das W. tut, ist in­des nicht klar. Er ist 2013 bei BSR aus­ge­schie­den und lebt in­zwi­schen in Thai­land.


*) Namen der Redaktion bekannt.

* * *