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Beim System für die Überweisung von AHV- und IV-Renten droht ein Ausfall. Dieses Risiko sieht die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) in ihrem Bericht über die Informatikabteilung der Zentralen Ausgleichsstelle (ZAS), die für die Zahlungen verantwortlich ist. Dabei könnte das Problem längst gelöst sein. Ein Waadtländer IT-Unternehmer hatte im Sommer 2013 anstelle der alten, pannenanfälligen Zahlungsmethode aus den 80er-Jahren ein neues Zahlungssystem fertig programmiert. Für die ZAS, die wichtigste Rentenzahlstelle des Bundes, bot sich die Chance, die alten Schwarzweissbildschirme endlich mit modernen Farbbildschirmen ersetzen zu können. Die neue Applikation war bereits in der Testphase. Die ins Projekt involvierte Bank Postfinance zeigte sich zufrieden. Das Geld kam bei den AHV-Bezügern pünktlich an, der Durchbruch schien geschafft.
Doch Anfang September beschlich die ZAS-Chefetage plötzlich das Gefühl, der IT-Unternehmer habe sensible Daten entwendet, zumal der Server nicht bei der ZAS, sondern in seinem Büro stand. Die Direktion schaltete die Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV) ein, welche die ZAS beaufsichtigt. Diese schickte dem IT-Unternehmer am 7. September 2013 die Bundespolizei (Fedpol) ins Haus (TA vom 28. März). Die zivil gekleideten, aber bewaffneten Polizisten beschlagnahmten den Testserver und fuhren den Mann zur ZAS nach Genf, wo sie ihn im Beisein der Direktion während Stunden befragten. Der Sitzung zugeschaltet war aus Bern auch EFV-Direktor Serge Gaillard.
«Kaum nachvollziehbar»
Harsche Kritik der Finanzkontrolle
(phr)Die Zentrale Ausgleichsstelle (ZAS) in Genf überweist pro Monat eine halbe Milliarde Franken an beinahe 900'000 AHV-Empfänger in der ganzen Welt. Doch das Rentenzahlungssystem beunruhigt die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK). In ihrem Bericht über die Informatikabteilung der ZAS vom 3.Juli schreibt die EFK, «die gesamte systemische Abwicklung der Rentenzahlungen ist kaum nachvollziehbar». Kontrollen könnten «nur rudimentär durchgeführt werden». Zudem würden Zahlungsdaten auf verschiedenen Systemen verarbeitet und gelagert, die den «bundesweiten Sicherheitsanforderungen nicht genügen». Die EFK fordert: «Die Systeme für die Abwicklung der Zahlungen müssen modernisiert werden.»
Der IT-Unternehmer (Name der Redaktion bekannt) sagt heute: «Die Verantwortlichen in der ZAS waren informiert und einverstanden, dass der Testserver mit Daten von Rentenbezügern in meinem Büro stand, behandelten mich aber wie einen Kriminellen.»
Die Vorwürfe gegen ihn lösten sich in Luft auf. Das Problem lag bei der ZAS selbst, was die EFK und die Unternehmensberatungsfirma Ernst & Young in entsprechenden Berichten bestätigten. Sowohl Serge Gaillard als auch die Fedpol betonen: Gegen den IT-Unternehmer gebe es «keine Anschuldigungen».
Der Programmierer hatte den Auftrag bekommen, weil die 70-köpfige IT-Abteilung der ZAS bei der Erneuerung des Überweisungssystems gescheitert war. Doch statt sich bei ihm für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen und die zu günstigen Konditionen (unter 150'000 Franken) programmierte Anwendung wieder zum Funktionieren zu bringen, beschloss die ZAS-Direktion, das Projekt von Grund auf neu zu starten. Dem TA liegt das entsprechende ZAS-interne «Informatik-Mandat» für die Neuentwicklung vor. Der Auftrag ging am 9. Oktober 2013 an die Informatikabteilung, nur wenige Wochen nach der Hausdurchsuchung und obwohl nicht klar war, ob man dem IT-Unternehmer überhaupt etwas vorwerfen kann.
Ob EFV-Direktor Gaillard vom Neustart wusste, ist offen. Er versicherte gegenüber dem TA mehrfach, der IT-Unternehmer habe seine Arbeit nicht umsonst gemacht, man würde versuchen, die Ergebnisse zu nutzen. Doch das Gegenteil scheint der Fall.
Mit den Informationen über das IT-Mandat konfrontiert, bestätigt ZAS-Direktionsadjunkt Markus Odermatt, dass man an einem neuen Rentenzahlsystem arbeite. Gemäss Odermatt soll es 2015 in Betrieb sein. Auf die Frage, warum man nicht auf das funktionierende System zurückgreife, teilte Odermatt mit: Die vom IT-Unternehmer verwendete Programmiersprache Perl entspreche nicht den Standards, zudem gebe es bei der ZAS zu wenig kompetente Leute, um damit umzugehen.
Odermatts Aussage erstaunt, suchte die ZAS doch Mitte Juni 2014 per Stelleninserat nach einem wissenschaftlichen Mitarbeiter mit Kenntnissen ebendieser Programmiersprache. Perl wird gemäss TA-Recherchen auch bei anderen Bundesstellen angewendet.
Laut Direktionsadjunkt Odermatt will die IT-Abteilung der ZAS das Rentenzahlsystem trotz früherer Probleme selbst entwickeln und dieses in ein bereits bestehendes, auf dem Mark erhältliches Produkt integrieren. Weil die Informatikabteilung nun Ergebnisse liefern muss, soll sie gemäss ZAS-internen Quellen erheblich unter Druck stehen.
Diesen Druck hat die Eidgenössische Finanzkontrolle mit aufgebaut. Ihr vor einer Woche publizierter Bericht über den Zustand der Informatikabteilung bei der ZAS ist wenig schmeichelhaft. Der TA berichtete bereits im März ausführlich darüber. Auch die Unternehmensberater der Firma Ernst & Young gehen in zwei Administrativuntersuchungen mit der ZAS hart ins Gericht. Das Fazit ist ernüchternd: Nicht nur wurden sämtliche Informatikbeschaffungen in den letzten Jahren ohne Ausschreibung vergeben. Für die Auftragsvergaben waren gar externe Mitarbeiter verantwortlich, die Projektkosten liefen aus dem Ruder, oft lagen keine Verträge vor. Auch was die Informatik- und Datensicherheit anbelangt, bestehen grosse Mängel.
EFV-Direktor Serge Gaillard und ZAS-Interimsdirektor Jean-Pierre Kuhn schrieben letzte Woche in einer internen Mail, «gewisse Irregularitäten» und «Betriebslücken» seien nun ans Licht gebracht worden. Entsprechend würden Massnahmen getroffen. Die EFK spricht von einer «schwerwiegenden Situation» und hat für Mitte 2015 bereits eine weitere Kontrolle angekündigt. Aller bedenklichen Befunde zum Trotz kündigte die ZAS selbstbewusst an, man strebe eine Zertifizierung für ein Qualitätsmanagementsystem gemäss dem ISO-Standard 9001 an.
Powered by | Stand: 23. Juli 2014 | © Tages Anzeiger |