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Vergaben unter der Hand: Bund hält Daten zurück

In der Verwaltung schwelt ein Streit, wie weit über Freihandvergaben informiert werden soll.

Von Christian Brönnimann, Bern

Grund­sätz­lich müss­te die Bun­des­ver­wal­tung je­de Ver­ga­be eines Auf­trags an eine ex­ter­ne Fir­ma do­ku­men­tie­ren und auf einer In­ter­net­platt­form pub­li­zie­ren. Dies soll si­cher­stel­len, dass die Öf­fent­lich­keit und nicht be­rück­sich­tig­te An­bie­ter wis­sen, wel­che Fir­ma zu wel­chem Preis einen be­stimm­ten Zu­schlag er­hal­ten hat. Und es soll ver­hin­dern, dass Fir­men un­be­merkt von der Öf­fent­lich­keit eine Vor­zugs­be­hand­lung ge­nies­sen.

Doch der Trans­pa­renz-Grund­satz bleibt oft ein to­ter Buch­sta­be, ge­ra­de bei frei­hän­di­gen Ver­ga­ben, die oh­ne Wett­be­werb di­rekt an einen be­stimm­ten An­bie­ter ge­hen. Des­halb hat der «Ta­ges-An­zei­ger», zu­sätz­lich ge­stützt auf das Öf­fent­lich­keits­recht, Mit­te Ju­ni al­le De­par­te­men­te er­sucht, Trans­pa­renz zu schaf­fen und eine Zu­sam­men­stel­lung der frei­hän­di­gen Ver­ga­ben zu­gäng­lich zu ma­chen. Seit­her sind sie­ben Wo­chen ver­gan­gen. Nun hat das Volks­wirt­schafts­de­par­te­ment mit­ge­teilt, dass es die An­ga­ben nicht lie­fern wer­de.

Gutachten gegen Gutachten

Hinter den Ku­lis­sen ist of­fen­bar ein Streit dar­über ent­brannt, ob den Ge­su­chen des TA ent­spro­chen wer­den soll. Nach de­ren Ein­gang hat­te die Bun­des­kanz­lei das Bun­des­amt für Jus­tiz be­auf­tragt, ein Rechts­gut­ach­ten zu er­stel­len, um zu klä­ren, in­wie­weit die An­ga­ben öf­fent­lich ge­macht wer­den kön­nen. Die Ex­per­ten ka­men An­fang Ju­li zum Schluss, dass die De­par­te­men­te den Ge­su­chen «zü­gig ent­spre­chen» kön­nen, wie aus dem Schrei­ben des Volks­wirt­schafts­de­par­te­ments her­vor­geht. Die je­wei­li­gen Auf­trag­neh­mer müss­ten nicht an­ge­hört wer­den, und auch auf Ge­büh­ren für die Aus­künf­te sei zu ver­zich­ten. Als ein­zi­ges De­par­te­ment hat dar­auf­hin das In­nen­de­par­te­ment die ge­wünsch­ten In­for­ma­tio­nen ge­lie­fert.

Doch das Gut­ach­ten hat nicht al­le Amts­stel­len er­freut. Der Wi­der­stand ist gross. Das Bun­des­amt für Bau­ten und Lo­gis­tik, das im Fi­nanz­de­par­te­ment an­ge­sie­delt ist, hat in­zwi­schen ein Ge­gen­gut­ach­ten ver­fasst mit dem Fa­zit, dass «na­ment­lich An­ga­ben zum Auf­trag­neh­mer nicht pub­li­ziert wer­den soll­ten». Wie es zu die­ser Ein­schät­zung kam, gibt das Amt auf Nach­fra­ge nicht be­kannt, so­lan­ge der Kon­flikt — oder im PR-Jar­gon der «bun­des­in­ter­ne Kon­so­li­die­rungs­pro­zess» — nicht ge­löst ist.

Das Volks­wirt­schafts­de­par­te­ment stützt nun sei­nen ab­schlä­gi­gen Ent­scheid un­ter an­de­rem auf diese zwei­te Ex­per­ti­se. Der «Ta­ges-An­zei­ger» wird den Ent­scheid beim Eid­ge­nös­si­schen Da­ten­schutz- und Öf­fent­lich­keits­be­auf­trag­ten Hans­pe­ter Thür an­fech­ten.

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Kommentar

Maurice Thiriet, Inland-Redaktor, über das Prob­lem der Trans­pa­renz bei Schwei­zer Be­hörden.

Schweigen der Ämter brechen

Wir haben Be­am­te, die frei­hän­di­ge Ver­ga­ben mil­lio­nen­teu­rer Auf­trä­ge nicht wie ge­setz­lich vor­ge­schrie­ben von sich aus ver­öf­fent­li­chen. Und die dann auf Nach­fra­ge den Me­di­en mit­tei­len, man wer­de sich auch auf Ver­lan­gen nicht ans Ge­setz hal­ten. Wir ha­ben Staats­an­walt­schaf­ten und öf­fent­li­che Or­ga­ne, die Ein­blick in Ver­fü­gun­gen von ho­hem öf­fent­li­chem In­ter­es­se ver­wei­gern und da­mit nicht nur mo­ra­li­sches, son­dern oft auch recht­li­ches Fehl­ver­hal­ten ver­meint­li­cher Wür­den- und Amts­trä­ger dec­ken. Wir ha­ben Re­gie­rungs­par­tei­en, die Bar­geld in Kof­fern ent­ge­gen­neh­men und sich par­tout wei­gern, ih­re Fi­nan­zie­rung trans­pa­rent zu ma­chen.

Wer da­bei an ein Ent­wick­lungs­land denkt, liegt nicht ganz falsch. Denn in Sa­chen Trans­pa­renz und In­for­ma­tions­frei­heit ist die Schweiz ge­nau das. Noch im­mer weht der Geist des Re­duits durch die Amts­stu­ben: ein­igeln und ab­weh­ren. Was nicht ex­pli­zit für die Öf­fent­lich­keit ge­dacht ist, bleibt ge­heim, das geht nie­man­den et­was an.

Doch die Be­am­ten füh­ren ein Rück­zugs­ge­fecht, seit vor sechs Jah­ren der tra­di­tio­nel­le Ge­heim­hal­tungs­grund­satz durch das Öf­fent­lich­keits­prin­zip ab­ge­löst wur­de. Je­des von staat­li­chen Stel­len pro­du­zier­te Do­ku­ment ist seit­her grund­sätz­lich von je­der­mann ein­seh­bar, so­fern es nicht aus trif­ti­gen Grün­den von die­ser Be­stim­mung aus­ge­nom­men ist. Da­mit liegt die Schweiz auf ge­setz­li­cher Ebe­ne in Sa­chen In­for­ma­tions­frei­heit im Trend. Ge­wiss: Wir ha­ben kei­ne Tra­di­tion des First Amend­ment wie die USA, die so­gar all ih­re Häft­lin­ge öf­fent­lich re­gi­strie­ren. Wir sind nicht trau­ma­ti­siert von Dik­ta­tur, Be­hör­den­will­kür und Ge­heim­jus­tiz wie Chi­le oder die Phi­lip­pi­nen, wo sich Be­völ­ke­rung und Me­di­en Trans­pa­renz­ge­set­ze müh­sam er­kämpft ha­ben. Aber wir wol­len si­cher sein, dass un­se­re Ver­wal­tung ver­ant­wor­tungs­voll und ge­set­zes­treu mit un­se­ren Res­sour­cen um­geht.

Solan­ge Be­hör­den auf dem Ge­heim­hal­tungs­grund­satz be­har­ren und In­for­ma­tio­nen ver­wei­gern, kön­nen wir ge­nau dar­auf nicht ver­trau­en. Des­halb wer­den sich Bür­ger und NGOs die Da­ten ge­richt­lich durch al­le In­stan­zen er­strei­ten. Und auch wir Jour­na­lis­ten wer­den es tun. Bis die In­for­ma­tions­frei­heit auch in Schwei­zer Amts­stu­ben selbst­ver­ständ­lich ist.

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Bund foutiert sich um Transparenz bei Vergaben unter der Hand

Die Beschaffungsverordnung
Artikel 28 im Wortlaut

Der Pas­sus, der die Bun­des­ver­wal­tung grund­sätz­lich ver­pflich­tet, al­le Ver­ga­ben zu pub­li­zie­ren, fin­det sich in der 2009 re­vi­dier­ten Ver­ord­nung über das öf­fent­li­che Be­schaf­fungs­we­sen (VöB). Er lau­tet wie folgt: Art. 28 Be­kannt­ma­chung des Zu­schlags — Die Auf­trag­ge­be­rin ver­öf­fent­licht den Zu­schlag, na­ment­lich auch den­je­ni­gen im frei­hän­di­gen Ver­fah­ren, spä­tes­tens 30 Ta­ge nach des­sen Er­tei­lung mit den fol­gen­den An­ga­ben:

  1. Art des Ver­ga­be­ver­fah­rens;
  2. Art und Um­fang der be­stell­ten Leis­tung;
  3. Na­me und Ad­res­se der Auf­trag­ge­be­rin;
  4. Da­tum des Zu­schlags;
  5. Na­me und Ad­res­se des be­rück­sich­tig­ten An­bie­ters oder der be­rück­sich­tig­ten An­bie­te­rin;
  6. Preis des be­rück­sich­tig­ten An­ge­bo­tes; aus­nahms­wei­se kann sie statt­des­sen den tiefs­ten und den höchs­ten Preis der in das Ver­ga­be­ver­fah­ren ein­be­zo­ge­nen An­ge­bote an­ge­ben.
Von Christian Brönnimann, Bern
Bundesrat Schneider
Johann Schneider-Ammanns Volkswirtschafts­departement mag nicht offen­legen, wem es Auf­träge erteilt.

Der Fall ist eigent­lich klar: Das Ge­setz schreibt der Bun­des­ver­wal­tung vor, grund­sätz­lich je­de Auf­trags­ver­ga­be zu pub­li­zie­ren, «na­ment­lich auch die­je­ni­gen im frei­hän­di­gen Ver­fah­ren» — Auf­trä­ge al­so, die die Ver­wal­tung di­rekt an eine ex­ter­ne Fir­ma ver­gibt, oh­ne sie öf­fent­lich aus­zu­schrei­ben. Da­zu hät­ten die Be­am­ten je­weils bis 30 Ta­ge nach Auf­trags­ver­ga­be Zeit.

Neben Art und Um­fang der be­zo­ge­nen Leis­tung müss­ten die Ver­öf­fent­li­chun­gen auch den Na­men des be­rück­sich­tig­ten An­bie­ters, den ver­ein­bar­ten Preis für die Leis­tung und das Da­tum des Zu­schlags ent­hal­ten. So sieht es Ar­ti­kel 28 der Ver­ord­nung über das öf­fent­li­che Be­schaf­fungs­we­sen vor. Mit dem Trans­pa­renz-Ar­ti­kel soll ver­hin­dert wer­den, dass Be­am­te Auf­trä­ge wi­der­recht­lich ver­ge­ben und bei­spiels­wei­se per­sön­lich be­vor­zug­ten Un­ter­neh­men zu­schan­zen. Dass nicht al­le Frei­hand­ver­ga­ben rech­tens sind, ha­ben die Auf­sichts­or­ga­ne ver­schie­dent­lich fest­ge­stellt.

Ämter liegen im Streit

Der Rechts­text bleibt in der Pra­xis oft to­ter Buch­stabe. Auf der Pub­li­ka­tions­platt­form ‹Simap.ch› ist nur ein Teil der Frei­hand­ver­ga­ben zu fin­den. Eine Kon­troll­mög­lich­keit, wel­che Ver­ga­ben feh­len, gibt es nicht. Des­halb hat der «Ta­ges-An­zei­ger» un­ter Be­ru­fung auf das Öf­fent­lich­keits­ge­setz Mit­te Ju­ni bei al­len sie­ben De­par­te­men­ten um eine Zu­sam­men­stel­lung der frei­hän­di­gen Ver­ga­ben der letz­ten Jah­re er­sucht — mit mäs­si­gem Er­folg. Bis an­hin hat erst das De­par­te­ment des In­nern (EDI) die Frei­hand­ver­ga­ben of­fen­ge­legt. Und dies, ob­wohl das Bun­des­amt für Jus­tiz An­fang Ju­li eigens ein Rechts­gut­ach­ten da­zu er­stell­te, den De­par­te­men­ten aus­drück­lich er­laub­te, Aus­kunft zu er­tei­len und ih­nen na­he­leg­te, dem Ge­such «zü­gig» zu ent­spre­chen.

Offenbar gibt es ver­wal­tungs­in­ter­nen Wi­der­stand und gros­se Dif­fe­ren­zen. Denn in der Zwi­schen­zeit hat das Bun­des­amt für Bau­ten und Lo­gis­tik eine eige­ne Exper­ti­se ver­fasst. Dar­in kommt das im Fi­nanz­de­par­te­ment an­ge­sie­del­te Amt zum Schluss, dass An­ga­ben zu den Auf­trag­neh­mern nicht ver­öf­fent­licht wer­den soll­ten. Die dem Bun­des­amt für Jus­tiz dia­me­tral ent­ge­gen­ste­hen­de Ein­schät­zung mag ein Spre­cher nicht be­grün­den, weil der «bun­des­in­ter­ne Kon­so­li­die­rungs­pro­zess» noch im Gang sei.

Bestärkt durch die zwei­te Ex­per­ti­se, hat nun die­se Wo­che das Volks­wirt­schafts­de­par­te­ment (EVD) be­schie­den, dass es die frei­hän­di­gen Ver­ga­ben aus sei­nem Be­reich nicht of­fen­le­gen wer­de. Im EVD ist der Um­fang der Frei­hand­ver­ga­ben 2011 ge­gen­über 2009 von knapp 24 Mil­lio­nen Fran­ken auf gut 74 Mil­lio­nen ge­stie­gen. Auch die an­de­ren De­par­te­men­te ver­trös­ten sie­ben Wo­chen nach der An­fra­ge auf spä­ter. Un­ter an­de­rem be­grün­den sie dies mit dem gros­sen Auf­wand.

Bloss: Die Be­schaf­fungs­ver­ord­nung schreibt zu­sätz­lich vor, dass die Ver­wal­tung über je­den frei­hän­dig ver­ge­be­nen Auf­trag auch für die in­ter­ne Kon­trol­le einen Be­richt mit den zen­tra­len An­ga­ben zu er­stel­len hat. Soll­ten die An­ga­ben al­so nicht eini­ger­mas­sen ge­ord­net vor­lie­gen, fou­tie­ren sich die Äm­ter auch um die­sen Pas­sus.

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Heikler Fall im Innendepartement

Im Innen­de­par­te­ment (EDI), das bis­lang als Ein­zi­ges Trans­pa­renz ge­schaf­fen hat, wer­den mit Ab­stand am we­nigs­ten Auf­trä­ge frei­hän­dig ver­ge­ben. Der Um­fang der Frei­hand­ver­ga­ben be­trug 2011 im EDI 16,6 Mil­lio­nen Fran­ken, was gut vier Pro­zent der Sum­me der gan­zen Bun­des­ver­wal­tung (376 Mil­lio­nen) ent­spricht. Und selbst in die­ser klei­nen Aus­wahl gibt es Ver­ga­ben, die von Ex­per­ten als hei­kel be­ur­teilt wer­den. Ins­be­son­de­re ein Auf­trag über 2 Mil­lio­nen Fran­ken an die ISS Fa­ci­li­ty Ser­vi­ces AG sticht ins Auge.

Das Bun­des­amt für Kul­tur hat den Auf­trag für Si­cher­heit, Rei­ni­gung und Un­ter­halt von drei Mu­se­en als Er­gän­zung zu einem viel klei­ne­ren, frü­he­ren En­ga­ge­ment der Fir­ma in einem der Mu­se­en frei­hän­dig ver­ge­ben. Für die­sen ers­ten Auf­trag sind laut dem stell­ver­tre­ten­den Amts­di­rek­tor Yves Fi­scher acht Fir­men ein­ge­la­den wor­den. Nur eine ha­be eine Of­fer­te ein­ge­reicht. Weil sich die­se be­währt ha­be und weil man al­le Dienst­leis­tun­gen — Si­cher­heit, Rei­ni­gung und Un­ter­halt — aus einer Hand be­zie­hen wol­le, ha­be man auf eine Aus­schrei­bung des zwei­ten, grös­se­ren Auf­trags ver­zich­tet, er­klärt Fi­scher.

Zudem sei er über­zeugt, dass Kon­kur­ren­ten der ISS auf­grund der spe­zi­fi­schen An­for­de­run­gen auch für den zwei­ten, grös­se­ren Auf­trag nicht in­fra­ge ge­kom­men wä­ren. Ge­mäss einer Aus­wer­tung des In­sti­tuts für Fa­ci­li­ty Ma­na­ge­ment der Zür­cher Fach­hoch­schu­le gibt es je­doch in der Schweiz noch eine zwei­te Fir­ma, die Si­cher­heit, Rei­ni­gung und Un­ter­halt haupt­säch­lich in Eigen­re­gie an­bie­tet.

«Zufriedenheit ist kein Grund»

Zufrieden­heit mit einem An­bie­ter wird häu­fig als Be­grün­dung für Frei­hand­ver­ga­ben an­ge­führt. Die Be­am­ten wol­len den Auf­wand für eine Aus­schrei­bung um­ge­hen, wenn sie ge­nau wis­sen, wem sie auf­grund gu­ter Er­fah­run­gen einen Auf­trag er­tei­len wol­len. Doch ein auf das Be­schaf­fungs­we­sen spe­zia­li­sier­ter Rechts­an­walt schätzt, dass die gel­tend ge­mach­ten Aus­nah­me­be­stim­mun­gen einer rich­ter­li­chen Prü­fung wahr­schein­lich nicht stand­hal­ten wür­den. «Zu­frie­den­heit mit dem bis­he­ri­gen Leis­tungs­er­brin­ger ist kein Grund für eine frei­hän­di­ge Ver­ga­be. Dies wür­de an­sons­ten zu einem Hof­lie­fe­ran­ten­tum füh­ren», sagt er auf An­frage.

Zu einem Rechts­ver­fah­ren kommt es al­ler­dings nur dann, wenn ein nicht be­rück­sich­tig­ter Mit­kon­kur­rent ge­gen einen Be­schaf­fungs­ent­scheid des Bun­des Be­schwer­de ein­legt. Das kommt je­doch nur sel­ten vor: Man hofft lie­ber auf die nächs­te Ge­le­gen­heit, sel­ber zum Zug zu kom­men, und will es sich mit der Ver­wal­tung des­halb nicht ver­scher­zen. Und wenn Auf­trags­ver­ga­ben we­der an­ge­foch­ten noch pub­li­ziert wer­den — dann blei­ben sie der Öf­fent­lich­keit ver­bor­gen.

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Freedom of Information Act

Wenn die öffentliche Kontrolle der Ämter funktioniert

Von Maurice Thiriet

Das Öffentlichkeitsprinzip hat in der angelsächsischen Kultur grosse Bedeutung. In der Schweiz wird es erst zögerlich angewandt.

Staat­li­che Stel­len sind mit we­ni­gen Aus­nah­men ver­pflich­tet, sämt­li­che von ih­nen er­stell­ten Do­ku­men­te her­aus­zu­ge­ben. Vor sechs Jah­ren erst ein­ge­führt, wird das Schwei­zer Öf­fent­lich­keits­ge­setz we­nig ge­nutzt. Ge­ra­de mal 466 Ein­sichts­ge­suche in amt­li­che Do­ku­men­te sind 2011 ge­stellt wor­den. Zum Ver­gleich: In den USA wa­ren es al­lein auf Bun­des­ebe­ne 26'863 Ge­su­che, ein Viel­fa­ches da­von auf Ebe­ne der ein­zel­nen Bun­des­staa­ten. Ent­spre­chend we­nig ver­brei­tet ist in der Schweiz der Wil­le zur Trans­pa­renz der Be­hör­den. Wäh­rend sich in den USA rund 5000 Be­am­te aus­schliess­lich da­rum küm­mern, An­fra­gen ge­mäss dem Free­dom of In­for­ma­tion Act (Foia) zu be­ar­bei­ten, macht das in der Schweiz je­de Amts­stel­le für sich und oft nur un­ter gros­sem ju­ris­ti­schen Druck.

Die breite Ak­zep­tanz des Prin­zips in der an­gel­säch­si­schen Po­lit­kul­tur wur­zelt im ers­ten Zu­satz­ar­ti­kel der US-Ver­fas­sung. Nicht zu­letzt die Me­di­en­schaf­fen­den se­hen die In­for­ma­tions­frei­heit als Grund­la­ge der Re­de­frei­heit an. Welch wich­ti­ge Funk­tion ein breit ak­zep­tier­tes Öf­fent­lich­keits­prin­zip für die Kon­trol­le staat­li­cher Or­ga­ne er­brin­gen kann, il­lust­rie­ren fol­gen­de Bei­spie­le.

Ententeich dank Spesengeldern

Eng­li­sche Jour­na­lis­ten er­strit­ten sich auf­grund des 2005 ein­ge­führ­ten Foia Ein­blick in die Spe­sen­ab­rech­nun­gen von Par­la­men­ta­ri­ern. Ein Whist­le­blo­wer er­kann­te, dass in den of­fi­zi­ell her­aus­ge­ge­be­nen Do­ku­men­ten die Ad­res­sen der Par­la­men­ta­rier ge­stri­chen wer­den soll­ten, um zu ver­tu­schen, dass sie ih­re Spe­sen in Zweit­woh­nun­gen in­ves­tiert hat­ten. Die Me­di­en er­hiel­ten dar­auf­hin die Ori­gi­nal­do­ku­men­te zu­ge­spielt. Um die rie­si­ge Mas­se der Spe­sen­be­le­ge auf be­trü­ge­ri­sche Ver­wen­dung von Steu­er­gel­dern hin zu un­ter­su­chen, stell­te der «Guar­dian» zwei Mil­lio­nen Be­le­ge ins In­ter­net. So wur­de et­wa pub­lik, dass ein Par­la­men­ta­ri­er mit Steu­er­gel­dern eine Zier­in­sel im En­ten­teich sei­nes Fe­rien­hau­ses er­rich­ten liess. Meh­re­re Par­la­men­ta­ri­er muss­ten zu­rück­tre­ten oder wur­den straf­recht­lich ver­ur­teilt.

Ein Haus für jede Geliebte

Repor­ter der «Ma­ni­la Ti­mes» konn­ten dem phi­lip­pi­ni­schen Prä­si­den­ten Jo­seph Es­tra­da im Jahr 2000 in­di­rekt Kor­rup­tion nach­wei­sen, in­dem sie meh­re­re sei­ner Im­mo­bi­li­en iden­ti­fi­zier­ten, de­ren Fi­nan­zie­rung er nicht er­klä­ren konn­te. Zur Be­stim­mung der Häu­ser dien­ten den Re­por­tern auch öf­fent­lich auf­lie­gen­de Bau­plä­ne. Est­ra­da hat­te in al­len Häu­sern je eine Ge­lieb­te un­ter­ge­bracht und über­nach­te­te je­de Nacht in einem an­de­ren Haus. Um sich trotz­dem zu Hau­se zu füh­len, liess er je­des Haus ge­nau gleich bau­en und ein­rich­ten. Est­ra­da muss­te zu­rück­tre­ten und wur­de zu einer le­bens­läng­li­chen Ge­fäng­nis­stra­fe ver­ur­teilt.

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Fehlbare Pfleger geschützt

Reporter der «LA Ti­mes» und der Stif­tung Pro Pub­li­ca stell­ten fest, dass wie­der­holt To­des­fäl­le ver­ur­sa­chen­des Pfle­ge­per­so­nal im King/Drew Hos­pi­tal in Los An­ge­les jah­re­lang wei­ter­be­schäf­tigt und ge­deckt wur­de oder nach Ent­zug der Li­zenz in einem an­de­ren Staat ar­bei­te­te. Mit­hil­fe der öf­fent­li­chen Dis­zi­pli­nar­ur­tei­le und der Dar­stel­lung von Ein­zel­fäl­len wie­sen sie nach, dass das ka­li­for­ni­sche Kon­troll­gre­mi­um selbst gra­vie­ren­de Fäl­le bis zu drei Jah­re ver­schlepp­te und des­sen un­qua­li­fi­zier­te Mit­glie­der über­zo­ge­ne Ge­häl­ter er­hiel­ten. Gou­ver­neur Ar­nold Schwar­zen­eg­ger ent­liess die Hälf­te des Auf­sichts­gre­mi­ums. Pro Pub­li­ca zen­tra­li­sier­te in einem eigent­li­chen In­ter­net­pran­ger al­le lan­des­weit er­hält­li­chen Da­ten über Pfle­ge­per­so­nal, das seit 2002 dis­zi­pli­niert wor­den war oder die Li­zenz ver­lo­ren hat­te. Al­le In­for­ma­tio­nen stam­men aus öf­fent­lich ein­seh­ba­ren Lohn- und Straf­re­gis­tern.