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Sepp Blatter drohen nach Fifa-Reform interne Verfahren

Brüder im Geist
Sepp Blatter nach der gestrigen Pressekonferenz am Fifa-Hauptsitz in Zürich.
Foto: Steffen Schmidt (Keystone)

Stolz hat Sepp Blat­ter ges­tern den neu­en Kurs prä­sen­tiert, den er als Fi­fa-Prä­si­dent ein­ge­lei­tet hat: Die Re­form mit einer zwei­ge­teil­ten, un­ab­hän­gi­gen Ethik­kom­mis­sion. Sie soll funk­tio­nie­ren wie eine staat­li­che Straf­jus­tiz und den Welt­ver­band vor Kor­rup­tion schüt­zen.

Auf die neu­en Er­mitt­ler kommt viel Ar­beit zu. Ge­mäss dem neu­en Reg­le­ment ver­jäh­ren Kor­rup­tions­de­lik­te nicht. Da­mit kön­nen Fäl­le wie der Skan­dal um die Zu­ger Sport­rech­te­fir­ma ISL un­ter­sucht wer­den. Un­ter an­de­rem we­gen Kennt­nis von Schmier­geld­zah­lun­gen dro­hen Blat­ter in­ter­ne Ver­fah­ren. Der Ko­dex ver­pflich­tet auch ihn «zu ethi­schem, wür­de­vol­lem, ab­so­lut glaub­wür­di­gem und in­teg­rem Ver­hal­ten».

Ob der Wal­li­ser ge­gen ethi­sche Grund­sät­ze ver­stos­sen hat, weil er jah­re­lang von Be­ste­chung wuss­te, aber nichts da­ge­gen tat, be­ur­tei­len nun die neu ge­schaf­fe­nen In­stan­zen. «Sie müs­sen erst eine Recht­spre­chung ent­wic­keln und ha­ben da­bei einen gros­sen Er­mes­sens­spiel­raum», er­klärt Da­mian Hel­ler, Di­rek­tor des Ba­sel In­sti­tu­te on Go­ver­nan­ce, der die Fi­fa bei ih­rer Re­form be­rät. Die Sank­tio­nen rei­chen von Geld­stra­fe bis zu le­bens­lan­ger Sper­re als Fi­fa-Funk­tio­när.

Harsche Kritik an Blatter

Für Gui­do To­gno­ni, ehe­ma­li­gen Fi­fa-Di­rek­tor und Wahl­kampf­hel­fer Blat­ters, ist klar: «Blat­ter ver­drängt die Vor­fäl­le aus der Ver­gan­gen­heit. Falls es so weit kä­me, dass er von der Ethik­kom­mis­sion der­art hart be­straft wer­den müss­te, dass sein Amt als Prä­si­dent in Ge­fahr wä­re, wür­de er sich auf den Kon­gress be­ru­fen, der ihn ge­wählt hat.» Und dort fän­de er Sup­port: «Blat­ter hat im Kon­gress sehr vie­le Freun­de aus al­len Kon­ti­nen­ten. Die kann er im­mer hin­ter sich brin­gen, das ist Fi­fa-Folk­lo­re.»

Auch der ehe­ma­li­ge Fi­fa-Kom­mu­ni­ka­tions­chef Mar­kus Sieg­ler sagt: «Ich ken­ne kei­nen Raf­fi­nier­te­ren als Sepp Blat­ter. Er ist mit al­len At­tri­bu­ten aus­ge­rüs­tet, die es braucht, um auf die­sen Pos­ten zu ge­lan­gen — und sich dort zu hal­ten.» Für Sieg­ler klam­mert sich Blat­ter aber krampf­haft an ein Amt, das er zwin­gend nie­der­le­gen müss­te, weil er sel­ber Teil des Sys­tems sei: «Es ist pein­lich, wie er sich gibt. Nicht ein­mal mit 76 Jah­ren hat er Rück­grat. Ich bin über­zeugt, dass er viel mehr weiss, als er zu­gibt.» Für Sieg­ler ist ein Rück­tritt über­fäl­lig. Nur glaubt er nicht, dass Blat­ter frei­wil­lig geht: «Al­les, was er macht und an­ord­net, tut er nur für sein eige­nes Über­le­ben bei der Fi­fa.»

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Fifa-Reformen

Kommentar

Pimp
Ueli Kägi, Sportredaktor, über den neuen Ethikcode der Fifa.
Von Ueli Kägi

Kein Grund, Blatter schon zu feiern

Die brei­te Öf­fent­lich­keit hat star­ke Vor­be­hal­te ge­gen Sepp Blat­ter. Der Fi­fa-Prä­si­dent hat bis vor kur­zem be­haup­tet, von Schmier­geld­zah­lun­gen an eige­ne Funk­tio­näre nichts zu wis­sen — ob­wohl er seit Jah­ren Kennt­nis da­von hat­te. Er half, Un­ter­su­chun­gen der Zu­ger Staats­an­walt­schaft ge­gen die Fi­fa mit einer Mil­lio­nen­zah­lung zur Ein­stel­lung zu brin­gen. Er wird be­schul­digt, TV-Rech­te von Welt­meis­ter­schaf­ten zu Spott­prei­sen an sei­nen ka­ri­bi­schen Ex-Ver­bün­de­ten Jack War­ner ver­ge­ben und als Ge­gen­leis­tung 40 Stim­men im Prä­si­dent­schafts­wahl­kampf er­hal­ten zu ha­ben.

Sepp Blat­ter ist ein Macht­mensch. Nun hat er un­ter Druck und ge­trie­ben vom eige­nen Macht­hun­ger wie­der ein­mal eine ver­blüf­fen­de Dre­hung voll­zo­gen. Er hat die Fi­fa auf Re­form­kurs ge­führt. Die Dis­kre­panz zwi­schen sei­ner Ak­zep­tanz in der Öf­fent­lich­keit und im Welt­fuss­ball-Klün­gel ist be­mer­kens­wert. Der gest­ri­ge Ent­scheid, die Kor­rup­tion im eige­nen Haus zu be­kämp­fen, ist von den Mit­glie­dern des Exe­ku­tiv­ko­mi­tees laut Blat­ter ein­stim­mig ge­fällt wor­den. Und vor einem Jahr wur­de der 76-jäh­ri­ge Wal­li­ser vom Kon­gress mit 186 von 206 Stim­men in sei­ne vier­te Amts­zeit ge­wählt. Die vie­len klei­nen Län­der sind sei­ne Stüt­zen: Wie es ihm ge­lingt, sie kon­stant hin­ter sich zu brin­gen, ist Ge­gen­stand vie­ler Spe­ku­la­tio­nen.

Die Fi­fa hat nun In­stru­men­te ge­schaf­fen, um ver­werf­li­che Hand­lun­gen eige­ner Funk­tio­nä­re auch rück­wir­kend auf­zu­ar­bei­ten und zu ahn­den. Kein Grund, Sepp Blat­ter nun zu fei­ern. Da­für ist sei­ne Ver­gan­gen­heit zu dif­fus, sind sei­ne Hand­lun­gen zu be­rech­nend. Trotz­dem ist die Re­form ein be­acht­li­cher Schritt. Und nicht oh­ne Ri­si­ko für den Prä­si­den­ten selbst.

«Die­sem Reg­le­ment un­ter­stell­te Per­so­nen sind zu ethi­schem, wür­de­vol­lem, ab­so­lut glaub­wür­di­gem und in­teg­rem Ver­hal­ten ver­pflich­tet», steht im neu­en Fi­fa-Ethik­co­vde. Die­sen Wor­ten sind die neu­en un­ab­hän­gi­gen In­stan­zen auch ver­pflich­tet, wenn sie Blat­ters Ver­gan­gen­heit durch­leuch­ten. Der An­klä­ger Mi­cha­el Gar­cia muss um­ge­hend mit Er­mitt­lun­gen be­gin­nen, der Rich­ter Hans-Joa­chim Ec­kert spä­ter nach­voll­zieh­bar ur­tei­len. Von ih­rer Ar­beit hängt ab, ob die Re­form nicht nur gut klingt, son­dern auch glaub­wür­dig ist.

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Viele ungeklärte Fälle warten auf Chef-Ermittler

Der ehemalige Terroristen-Jäger Michael Garcia könnte sich um dubiose WM-Vergaben kümmern oder auch um Sepp Blatters Wahl.

Von Thomas Knellwolf

Die neue Er­mitt­lungs­ein­heit der Fi­fa kann sich einer Viel­zahl von Ge­rüch­ten, In­di­zi­en und po­ten­zi­el­len Be­wei­sen aus skan­dal­träch­ti­gen Jahr­zehn­ten im Welt­fuss­ball an­neh­men. Mit Mi­cha­el Gar­cia steht ein er­fah­re­ner Er­mitt­ler an ih­rer Spit­ze. In Diens­ten der US-Re­gie­rung jag­te Gar­cia nach 9/11 Ter­ro­ris­ten der al­Qai­da; als New Yor­ker Staats­an­walt dec­kte er 2008 auf, dass der da­ma­li­ge Gou­ver­neur Eliot Spit­zer in eine Pros­ti­tu­ier­ten­af­fä­re ver­wic­kelt war. Und er ver­folg­te die frü­he­re Sprint-Olym­pia­sie­ge­rin Ma­ri­on Jo­nes we­gen Do­ping­ver­ge­hen.

Bei der Fi­fa wird sich der An­walt vor al­lem mit Kor­rup­tion be­schäf­ti­gen. Das Ethik­reg­le­ment der Fi­fa, das dem TA vor­liegt, ver­bie­tet auch rück­wir­kend die An­nah­me von Ge­schen­ken und Vor­tei­len, die mehr als einen «sym­bo­li­schen oder ge­rin­gen Wert ha­ben». Bei fast al­len be­kann­ten Af­fä­ren im Ver­ein mit Sitz auf dem Zü­rich­berg geht es um Be­ste­chung mit statt­li­chen Sum­men, wie eine un­voll­stän­di­ge Zu­sam­men­stel­lung zeigt.

160 Millionen Bestechungsgeld

Die Schmier­geld­zah­lun­gen der Zu­ger Sport­rech­te-Fir­ma ISL bil­den den gröss­ten auf­ge­flo­ge­nen Fi­fa-Skan­dal. Rund 160 Mil­lio­nen Fran­ken an Be­ste­chungs­geld hat der Zu­ger Staats­an­walt nach­wei­sen kön­nen. Das Geld floss vor al­lem an 16 Fi­fa-Funk­tio­nä­re. Vier Na­men sind seit kur­zem amt­lich be­stä­tigt: die pro­mi­nen­tes­ten sind je­ne des lang­jäh­ri­gen Fi­fa-Prä­si­den­ten João Ha­ve­lan­ge und sei­nes Ex-Schwie­ger­sohns Ri­car­do Tei­xei­ra. Die ISL er­hielt im Ge­gen­zug TV-Rech­te zu­ge­schanzt. Die Zu­ger Staats­an­walt­schaft hat ih­re Er­mitt­lun­gen we­gen un­ge­treu­er Ge­schäfts­füh­rung ein­ge­stellt — wohl kaum, weil die Ta­ten da­mals nicht straf­bar ge­we­sen wä­ren, wie Fi­fa-Prä­si­dent Sepp Blat­ter be­haup­tet. Son­dern weil die bei­den bra­si­lia­ni­schen Funk­tio­nä­re und die Fi­fa 5,5 Mil­lio­nen Fran­ken an Wie­der­gut­ma­chung be­zahlt ha­ben. Er­mitt­ler Gar­cia kann den Fall neu auf­rol­len.

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Ob­wohl Blat­ter und an­de­re Fi­fa-Of­fi­zi­el­le von der Be­stech­lich­keit Ha­ve­lan­ges und des bra­si­lia­ni­schen Ver­bands­prä­si­den­ten Tei­xei­ra wuss­ten, ver­ga­ben sie die WM 2014 nach Bra­si­li­en.

WM-Doppelvergabe
Umstrittene WM-Doppelvergabe an Katar (2022) und Russland (2018).
Foto: Keystone
Jack Warner
Fifa-Vize Jack Warner kam einem Ausschluss durch seinen Rücktritt zuvor.
Foto: Keystone
Grondona
Vergabe der WM 2006: Fifa-Vize Grondona gratuliert Beckenbauer.
Foto: Reuters
Havelange
Ex-Fifa-Präsident João Havelange soll Millionen kassiert haben.
Foto: Keystone

Gekaufte Stimmen

Es gibt Hin­wei­se, dass Stim­men­kauf vor Ab­stim­mun­gen über eine WM-Aus­tra­gung ver­brei­tet war: Blat­ter sel­ber deu­te­te am Wo­chen­en­de an, dass die Ver­ga­be nach Deutsch­land 2006 un­sau­ber ab­ge­lau­fen sei. Be­wei­se blieb er bis­lang schul­dig.

Auch beim Dop­pel­ent­scheid der Fi­fa-De­le­gier­ten für Rus­sland (2018) und Ka­tar (2022) soll nicht al­les mit rech­ten Din­gen zu und her ge­gan­gen sein. Die «Sun­day Ti­mes» hat auf­ge­deckt, dass meh­re­re Fi­fa-Funk­tio­nä­re ih­re Stim­men ver­äus­sern woll­ten. In­ter­es­se der neu­en Fi­fa-Er­mitt­ler­ein­heit könn­te im Zu­sam­men­hang mit Ka­tar 2022 auch ein we­nig durch­sich­ti­ges, aber mil­lio­nen­schwe­res Netz von Stroh­fir­men wec­ken. Ar­gen­ti­ni­ens Bun­des­an­walt rech­net es dem Fi­fa-Fi­nanz­chef und Blat­ter-Stell­ver­tre­ter Ju­lio Gron­do­na zu.

TV-Rechte zum Vorzugspreis

Dem Fi­fa-Vi­ze­prä­si­den­ten Jack War­ner wur­den jah­re­lang re­gio­na­le TV-Rech­te für Welt­meis­ter­schaf­ten zum Freund­schafts­preis über­las­sen. Da­mit soll sich Blat­ter von War­ner, dem Prä­si­den­ten des Nord- und Mit­tel­ame­ri­ka-Ver­bands, ein 40-Stim­men-Pa­ket für sei­ne Wahl ge­si­chert ha­ben. Der Fi­fa-Prä­si­dent be­strei­tet die­sen und vie­le an­de­re Vor­wür­fe. Es gilt die Un­schulds­ver­mu­tung.

Bei Wah­len ums Fi­fa-Prä­si­di­um be­schul­dig­ten sich Kan­di­da­ten und ihr Um­feld im­mer wie­der ge­gen­sei­tig der Be­ste­chung. Der Ka­ta­rer Mo­ha­med bin Ham­mam, der 2011 ge­gen Blat­ter an­tre­ten woll­te, ging in der Ka­ri­bik zu­sam­men mit Jack War­ner auf Stim­men­kauf. War­ner trat — vor einem dro­hen­den Aus­schluss — aus der Fi­fa-Füh­rung zu­rück. Bin Ham­mam wehrt sich vor dem In­ter­na­tio­na­len Sport­ge­richts­hof CAS ge­gen eine le­bens­lan­ge Sper­re durch den Ver­band.

Wer von der neu­en Ethik­kom­mis­sion ver­ur­teilt wird, könn­te das Sport­ge­richt in Lau­san­ne — und dann das Bun­des­ge­richt — an­ru­fen. Ent­spre­chend hoch sind die for­ma­len An­for­de­run­gen an Mi­cha­el Gar­cia, wenn er statt Ter­ro­ris­ten jetzt Fi­fa-Funk­tio­nä­re jagt.

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Für den Fifa-Präsidenten ist die Welt wieder rund

Sepp Blatter sieht sich als Reformer und ignoriert Rücktrittsforderungen.

Von Peter M. Birrer und Ueli Kägi
Blatter
«Ich bin auf alles vorbereitet»: Sepp Blatter scheint sich vor allfälligen Untersuchungen nicht zu fürchten.
Foto: Freshfocus
Garcia Michael Garcia
Der ehe­ma­li­ge New Yor­ker Ober­staats­an­walt über­nimmt den Vor­sitz der un­ter­suc­hen­den In­stanz.
Eckert Hans-Joachim Eckert
Der Münch­ner Rich­ter wird das recht­spre­chen­de Gre­mium lei­ten.
Pieth Mark Pieth
Der Bas­ler Anti-Kor­rup­tions-Ex­per­te hat die Re­form aus­ge­ar­bei­tet.

Der Prä­si­dent steu­ert in den Saal, um eine Bot­schaft in die Welt zu set­zen, die er als per­sön­li­chen Tri­umph ver­steht. Als er Platz ge­nom­men hat, ruft er in das Mik­ro­fon: «Jetzt ist es so weit.» Das Lä­cheln ver­rät sei­nen Stolz über die neu­ste Rol­le, in der er sich sieht: Es ist die Rol­le des Re­for­vvvvvvmers.

Das Exe­ku­tiv­ko­mi­tee hat sich an sei­ner Sit­zung für den neu­en Ethik­co­de und die Re­form der Ethik­kom­mis­sion aus­ge­spro­chen. Es sind In­stru­men­te, um die Kor­rup­tion in den eige­nen Rei­hen zu be­kämp­fen. Die Exe­ku­ti­ve folgt da­mit den Vor­schlä­gen des Bas­ler An­ti-Kor­rup­tions-Ex­per­ten Mark Pieth.

Die Ethik­kom­mis­sion ist neu ein Zwei­kam­mer­sys­tem, be­ste­hend aus einem un­ter­su­chen­den und einem rechts­spre­chen­den Gre­mi­um. Den Vor­sitz der an­kla­gen­den In­stanz über­nimmt der ehe­ma­li­ge New Yor­ker Ober­staats­an­walt Mi­cha­el Gar­cia, als Rich­ter wur­de der Münch­ner Hans-Joa­chim Ec­kert ge­wählt. Bei­de sind Fi­fa-Un­ab­hän­gi­ge mit ein­wand­frei­em Ruf. «Sie se­hen einen glück­li­chen Prä­si­den­ten vor sich», sagt Blat­ter und strahlt wei­ter, als er von «ein­stim­mig» ge­fäll­ten Ent­schei­den be­rich­tet und an­fügt: «Nur einer in der Ec­ke hat nicht recht ge­wusst, ob sei­ne Hand nach oben soll oder nicht».

Keine Verjährung

Für Blat­ter ist die­ses Re­sul­tat der näch­ste Schritt im Re­form­pro­zess. Dass ihn zu­letzt vor al­lem aus Deutsch­land höch­ste Fuss­ball­funk­tio­nä­re zum Rück­tritt auf­for­der­ten, das lässt er in die­sem Mo­ment an sich ab­pral­len. Er sagt zu­erst: «Wür­de ich je­des Mal re­agie­ren, wenn je­mand sagt, dass ich zu­rück­tre­ten soll, wür­de ich mich grün und blau är­gern.» Der 76-jäh­ri­ge Wal­li­ser hält gleich da­rauf den Zeit­punkt für ide­al, sich für sei­ne Ar­beit zu lo­ben: «Der An­trieb zur Re­form kommt aus mei­ner Kü­che!» Oder: «Es hat funk­tio­niert, der Pro­zess geht vor­wärts!» Oder: «Als ich vor 37 Jah­ren bei der Fi­fa an­fing, ha­ben wir bei null an­ge­fan­gen. Jetzt sind wir eine gros­se In­sti­tu­tion.» Oder: «Mei­ne Ab­set­zung kann ein­zig der Kong­ress be­schlies­sen. Wenn die Ver­bän­de auf­ste­hen und sa­gen, Blat­ter, wir wol­len dich nicht mehr, sage ich: Dan­ke, ich ha­be mei­ne Ar­beit ge­leis­tet, ich ge­he. Oh­ne Wenn und Aber.»

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An­klä­ger Gar­cia hat nun reich­lich zu tun und als Ers­tes die ISL-Af­fä­re auf­zu­ar­bei­ten — eine Ver­jäh­rung für Fäl­le von Kor­rup­tion sieht der Ethik­co­de nicht vor. Bis zu ih­rem Kon­kurs 2001 hat­te die Zu­ger Sport­rech­te-Agen­tur ISL 160 Mil­lio­nen Fran­ken Schmier­gel­der an Blat­ters Vor­gän­ger João Ha­ve­lan­ge, das lang­jäh­ri­ge Exe­ku­tiv­mit­glied Ri­car­do Tei­xei­ra so­wie 14 wei­te­re Per­so­nen aus dem Kreis der höchs­ten Fi­fa-Funk­tio­nä­re be­zahlt. Blat­ter wuss­te schon lan­ge da­von, be­stritt dies aber bis letz­te Wo­che. Jetzt be­haup­tet er, von wei­te­ren Schmier­geld­em­pfän­gern in­ner­halb der Fi­fa nichts zu wis­sen. In den ISL-Ak­ten sind auch die Exe­ku­tiv­ko­mi­tee-Mit­glie­der Ni­co­lás Leoz (Pa­ra­guay) und Is­sa Ha­ya­tou (Ka­me­run) na­ment­lich auf­ge­führt.

Die Mau­sche­lei­en in­ner­halb der Fi­fa — es geht ne­ben den ISL-Schmier­gel­dern auch um an­geb­lich ge­kauf­te Stim­men bei Prä­si­dent­schafts­wah­len und WM-Ver­ga­ben so­wie um den Ver­kauf von TV-Rech­ten — sol­len nun un­ter «mo­ra­li­schen und ethi­schen Ge­sichts­punk­ten» auf­ge­ar­bei­tet wer­den, wie Blat­ter sagt. Am En­de der Un­ter­su­chun­gen steht ein Ur­teil — die Sank­tio­nen rei­chen bis zur le­bens­lan­gen Sper­re der fehl­ba­ren Fi­fa-Funk­tio­nä­re. Was die be­vor­ste­hen­den Un­ter­su­chun­gen an­geht, sagt Blat­ter: «Ich bin auf al­les vor­be­rei­tet.» Und wenn er et­was fürch­tet, was die Auf­ar­bei­tung sei­ner eige­nen Ver­gan­gen­heit an­geht, so lässt er sich dies zu­mindest nicht an­mer­ken.

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«Enjoy the game, enjoy life»

Ihm ist es da­für ein Be­dürf­nis, mit­zu­tei­len, dass ihm die Exe­ku­ti­ve Rück­halt ge­be und die «Fi­fa-Fa­mi­lie» in­takt sei. Nach dem Ja zum neu­en Ethik­co­de hät­ten ihm die Mit­glie­der ge­sagt: «Wir sind mit dir, wir ge­hen mit dir.» Dass eini­ge die­ser Mit­glie­der einen äus­serst zwei­fel­haf­ten Ruf ge­nies­sen, dar­über hält er sich nicht auf. «Wenn ein­zel­ne Mit­glie­der be­las­tet sind, dann wis­sen Sie mehr als ich», sagt er auf eine Fra­ge. Und dann: «Ich bin nicht das See­len­heil ein­zel­ner Mit­glie­der des Exe­ku­tiv­ko­mi­tees.» An­grif­fe auf sei­ne Per­son wehrt er mit gif­ti­gem Blick und bis­si­gem Ton ab. Auf die Fra­ge, wie er dar­auf re­agie­re, dass ihm deut­sche Po­li­ti­ker we­gen sei­ner Äus­se­run­gen zur WM-Ver­ga­be 2006 das Bun­des­ver­dienst­kreuz ab­er­ken­nen wol­len (sie­he Text un­ten), er­wi­dert er: «Dann neh­men sie es mir eben weg.»

Sein Selbst­ver­ständ­nis lei­det un­ter den An­fein­dun­gen kaum. «Die Fi­fa ist et­was Be­son­de­res», sagt er noch, «der Fuss­ball ist ein Be­stand­teil der Ge­sell­schaft. Also gibt es das Bö­se auch im Fuss­ball.» Dann dräng­te er auf den Schluss. Und ver­ab­schie­de­te sich mit Wor­ten: «En­joy the ga­me, en­joy li­fe.» Ge­niesst das Spiel, ge­niesst das Le­ben. Es gibt kei­nen Zwei­fel: Sei­ne Welt ist wie­der im Lot.

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Deutschland glaubt dem Blatter nicht

Von David Nauer, Berlin

Medien, Funktionäre und Politiker sehen die Reformen in der Fifa skeptisch. Einige fordern, dem Präsidenten das Bundesverdienstkreuz abzuerkennen.

Deutsch­land und Sepp Blat­ter — das ist im Mo­ment eine Be­zie­hung von Schlag und Ge­gen­schlag. Erst ver­lang­te Fuss­ball­funk­tio­när Rein­hard Rau­ball den Rück­tritt des Fi­fa-Chefs, dann re­van­chier­te sich Blat­ter mit der An­deu­tung, die WM 2006 in Deutsch­land sei ge­kauft ge­we­sen. Die Em­pö­rung war gross, ges­tern dann mach­te Blat­ter ein Frie­dens­an­ge­bot in der «Bild»-Zei­tung. Er sei nicht rich­tig ver­stan­den wor­den, schrieb er in einem of­fe­nen Brief.

Doch viel Ver­ständ­nis kann der Wal­li­ser in Deutsch­land oh­ne­hin nicht mehr er­war­ten. Die Mei­nun­gen über ihn sind ge­macht. Me­di­en wie Po­li­ti­ker se­hen selbst die ges­tern be­schlos­se­nen Fi­fa-Re­for­men skep­tisch. «Blat­ter er­nennt sich zum Re­for­mer», ti­tel­te «Spie­gel on­line» iro­nisch. «Blat­ter sitzt die Kri­se aus», stellt der «Stern» fest, und die Web­si­te von «Fo­cus» kom­men­tiert, das Fi­fa-Exe­ku­tiv­ko­mi­tee, «Blat­ters per­sön­li­cher Ak­kla­ma­tion-Ver­ein», ha­be die Re­form durch­ge­winkt. Die Wir­kung hält man frei­lich für be­grenzt. Schliess­lich steck­ten die neu er­nann­ten Kor­rup­tions­wäch­ter eben­falls in einem «Netz aus Ab­hän­gig­kei­ten». Un­ver­söhn­lich zeigt sich auch Fuss­ball­liga-Chef Rau­ball. Er be­kräf­tig­te ges­tern sei­ne Rück­tritts­for­de­rung. Der Prä­si­dent des Deut­schen Fuss­ball-Bun­des (DFB), Wolf­gang Niers­bach, er­neu­er­te sei­ne Kri­tik eben­falls. Er ha­be die Re­ak­tion des Fi­fa-Chefs auf den Schmier­geld­skan­dal rund um das Me­di­en- und Mar­ke­ting­un­ter­neh­men ISL «für to­tal falsch ge­hal­ten».

DFB will Stimmung ausloten

Eine Rück­tritts­for­de­rung wer­de al­ler­dings kei­ne of­fi­zi­el­le For­de­rung des DFB sein, sag­te Niers­bach. «So an­mas­send soll­ten wir nicht sein.» Viel­mehr will er vor dem näch­sten Fi­fa-Kon­gress die Stim­mung bei den ins­ge­samt 209 Mit­glie­dern aus­lo­ten.

In Deutsch­land aber könn­te eine an­de­re Fra­ge ent­schie­den wer­den. Blat­ter soll, so ver­lang­ten ges­tern zahl­rei­che Po­li­ti­ker, das Bun­des­ver­dienst­kreuz ab­er­kannt wer­den. Der Schwei­zer hat den ho­hen deut­schen Or­den 2006 be­kom­men — ans Re­vers ge­hef­tet von Bun­des­kanz­le­rin An­ge­la Mer­kel. Sie zeich­ne­te ihn da­mit für sei­ne Ver­diens­te um die Fuss­ball-WM in Deutsch­land aus.

Die Op­po­si­tion hält das in­zwi­schen für einen Feh­ler. «Sepp Blat­ter steht für en­de­mi­sche Kor­rup­tion bei der Fi­fa», sag­te der grü­ne Euro­pa­po­li­ti­ker Rein­hard Bü­ti­ko­fer. «Des­we­gen soll­te ihm das Bun­des­ver­dienst­kreuz wied­er ent­zo­gen wer­den.» Ähn­lich äus­ser­te sich der ein­fluss­rei­che SPD-Mann Tho­mas Op­per­mann so­wie Ver­tre­ter der Links­par­tei.

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Schweiz schonte Sportverbände bisher bewusst

Von Markus Brotschi, Bern

Das Parlament will endlich auch grosse Sportverbände dem Korruptionsstrafrecht unterstellen. Unter Dach und Fach ist die Vorlage noch nicht.

Kor­rup­tion in der Wirt­schaft, auf staat­li­cher Ebe­ne und selbst die Be­ste­chung von Pri­vat­per­so­nen sind in der Schweiz straf­bar. Kei­ne Straf­ver­fol­gung müs­sen je­doch bis heu­te kor­rup­te Funk­tio­nä­re von Welt­sport­ver­bän­den be­fürch­ten, ob­wohl die­se Ver­bän­de ein Mil­li­ar­den­ge­schäft be­trei­ben. Dass dem so ist, war der Wil­le von Bun­des­rat und Par­la­ment. Als die Schweiz 2004 eine Euro­pa­rat-Kon­ven­tion ge­gen Kor­rup­tion um­setz­te, ver­zich­te­te die Po­li­tik be­wusst dar­auf, Or­ga­ni­sa­tio­nen wie die Fi­fa und das In­ter­na­tio­na­le Olym­pi­sche Ko­mi­tee (IOK) den ver­schärf­ten Be­stim­mun­gen zu un­ter­stel­len. Ge­paart mit der Steu­er­be­frei­ung, soll­te dies die Schweiz für in­ter­na­tio­na­le Sport­ver­bän­de at­trak­tiv er­hal­ten. Doch nun scheint im Par­la­ment die Schon­frist für kor­rup­te Sport­ver­bän­de ab­zu­lau­fen.

Haltung des Bundesrates unklar

Den An­stoss hat der Gen­fer SP-Na­tio­nal­rat Car­lo Som­ma­ru­ga ge­ge­ben. Er for­der­te in einer par­la­men­ta­ri­schen Ini­tia­ti­ve, Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen wie die Fi­fa dem Kor­rup­tions­straf­recht zu un­ter­stel­len und die Be­ste­chung von Pri­vat­per­so­nen zum Of­fi­zi­al­de­likt zu ma­chen. Die Rechts­kom­mis­sio­nen bei­der Rä­te stimm­ten der Ver­schär­fung im Ja­nu­ar be­zie­hungs­wei­se im April zu. Nun hat die Na­tio­nal­rats­kom­mis­sion den Auf­trag, in­nert eines Jah­res eine Vor­la­ge aus­zu­ar­bei­ten. Dem Be­kennt­nis der Fi­fa, selbst für Ord­nung zu sor­gen, miss­traut Som­ma­ru­ga. «Der Staat muss ein­grei­fen und da­für sor­gen, dass das Ima­ge der Schweiz nicht wei­ter lei­det.»

Of­fen ist, ob der Bun­des­rat die Un­ter­stel­lung in­ter­na­tio­na­ler Sport­ver­bän­de un­ter das Kor­rup­tions­straf­recht heu­te be­für­wor­tet. Zwar prüft das Bun­des­amt für Jus­tiz der­zeit, wie die Ver­fol­gung von Pri­vat­be­ste­chung er­leich­tert wer­den kann. An­lass ist eine Em­pfeh­lung der An­ti­kor­rup­tions­kom­mis­sion des Euro­pa­rats (Gre­co). Ob Sport­ver­bän­de dem Straf­recht un­ter­stellt wer­den müss­ten, um die Gre­co-Em­pfeh­lun­gen zu er­fül­len, sei noch of­fen, heisst es beim Bun­des­amt für Jus­tiz. Auch das Bun­des­amt für Sport ar­bei­tet an einem Be­richt zur Kor­rup­tions­be­kämp­fung im Sport. Die­ser Be­richt soll En­de Jahr vor­lie­gen.

Die An­ti­kor­rup­tions­or­ga­ni­sa­tion Trans­pa­ren­cy In­ter­na­tio­nal be­fürch­tet, dass die Schwei­zer Po­li­tik auch dies­mal nichts un­ter­nimmt. «Es ist gut mög­lich, dass das Par­la­ment am Schluss doch nichts be­schliesst», sagt Del­phi­ne Cent­liv­res, Ge­schäfts­füh­re­rin von Trans­pa­ren­cy Schweiz. Tat­säch­lich wur­den in den Rechts­ko­mmis­sio­nen bei­der Rä­te auch Be­den­ken vor­ge­bracht: Som­ma­ru­gas Ini­tia­ti­ve un­ter­stel­le jeg­li­che Pr­ivat­or­ga­ni­sa­tio­nen dem Kor­rup­tions­straf­recht, auch Kir­chen und in­län­di­sche Ver­eine, was un­ver­hält­nis­mäs­sig sei.

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Eine letzte Chance für die Fifa

Einer sol­chen Re­ge­lung wür­de Na­tio­nal­rat Ri­no Bü­chel (SVP, SG) kaum zu­stim­men. Er war frü­her selbst für die Fi­fa tä­tig und ge­hört zu je­nen Bür­ger­li­chen, die gros­se Sport­ver­bän­de grund­sätz­lich dem Kor­rup­tions­straf­recht un­ter­stel­len wol­len. «Aber wir dür­fen das Kind nicht mit dem Ba­de aus­schüt­ten», sagt Bü­chel. Er macht sei­ne Ent­schei­dung da­von ab­hän­gig, ob die Fi­fa mit ih­rer Selbst­re­gu­lie­rung et­was er­reicht. Falls al­les beim Al­ten bleibt, könn­te auch die Steu­er­be­frei­ung der Sport­ver­bän­de in-fra­ge ges­tellt wer­den, sagt Bü­chel. Er könn­te sich mit einem Vor­schlag von Straf­rechts­pro­fes­sor Mark Pieth an­freun­den, wo­nach in­ter­na­tio­na­le Sport­ver­bän­de im Straf­recht be­züg­lich Kor­rup­tion in­ter­na­tio­na­len Or­ga­ni­sa­tio­nen wie der UNO gleich­zu­stel­len sind. Die­ser Vor­schlag lag dem Par­la­ment al­ler­dings als Ini­tia­ti­ve von Ani­ta Tha­nei (SP, ZH) schon ein­mal vor — und wur­de wie­der zu­rück­ge­zo­gen.