Schlupfloch im Ethikkodex der Fifa
Wenn der grösste aufgeflogene Korruptionsskandal
im Weltfussballverband neu aufgerollt wird,
sind keine Konsequenzen zu erwarten — entgegen der
jüngsten Ankündigung von
Fifa-Präsident Sepp Blatter.
Der neue Fifa-Ethikkodex lässt im ISL-Fall keine Sanktionen
gegen korrupte Sportfunktionäre zu.
Blatter hatte am Dienstag vor den Medien gesagt,
die neue Ethikkommission müsse die Schmiergeldzahlung
der Zuger Sportrechtefirma untersuchen und könne
Schritte einleiten.
Letzteres ist ihr aber untersagt, wie Recherchen
des «Tages-Anzeigers» zeigen.
Zwar kann Fifa-Chefermittler Michael Garcia den ISL-Komplex analysieren.
Bewiesene Verfehlungen können aber nicht bestraft werden.
Der Ethikkodex schliesst Strafen für Taten aus,
die zum Zeitpunkt nicht verboten waren, als sie begangen wurden.
Die Fifa besass lange kein Reglement, das Korruption
und Bestechung untersagte.
Erst 2002, ein Jahr nach dem ISL-Konkurs, traten
entsprechende Bestimmungen in Kraft.
Damit kommen Empfänger von Millionenzahlungen aus Zug wie
Fifa-Ehrenpräsident
João Havelange ungeschoren davon.
* * *
Fifa-Sünder können unbestraft davonkommen
Von Thomas Knellwolf
Entgegen den Angaben von Sepp Blatter müssen weiterhin nicht alle,
die in Korruption verwickelt waren, Sanktionen befürchten.
Sepp Blatter.
Der Entscheid selber überraschte nicht.
Doch die Einstimmigkeit war für Beobachter des
Weltfussballverbands verblüffend —
zumindest auf den ersten Blick:
Ohne Gegenstimme gab sich die Fifa-Exekutive am Dienstag ein neues
Ethikreglement und setzte zwei international anerkannte
Strafrechtler als Chefermittler und obersten Richter ein.
Zuvor waren die Herrscher über den Weltfussball nicht unbedingt
als hartnäckige Kämpfer gegen mögliche Verfehlungen
in den eigenen Reihen aufgefallen.
Zuletzt aber wehrten sich nicht einmal
mehr jene gegen die Reform, welche die Auswirkungen zu fürchten haben.
Das Exekutivkomitee verwarf sogar weniger
weit reichende Varianten und entschied,
dass Korruption und Bestechung nicht mehr verjähren sollten.
Ein, wie er selber sagte, «glücklicher Präsident»
trat vor die Medien.
Voller Stolz kündigte Fifa-Chef Sepp Blatter an,
der grösste bekannte Schmiergeldskandal des Verbands werde
dem neuen Chefermittler übergeben, dem früheren New Yorker
Oberstaatsanwalt und Terroristenjäger Michael Garcia.
Die Ethikkommission könne den ISL-Fall «nach ethisch-moralischen
Kriterien analysieren» und, so betonte Blatter, «falls nötig,
Entscheide fällen und Massnahmen ergreifen».
Der Vater der Reform, die Basler Strafrechtskoryphäe Mark Pieth,
sagte in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»,
Garcia habe es in der Hand, die Rolle der Empfänger
der Millionen der Zuger Sportrechtefirma zu untersuchen
«und unter Umständen das Gericht damit zu befassen».
Grundsatz als Schlupfloch
Genau dies ist aber mit dem neuen Kodex kaum möglich,
wie TA-Recherchen zeigen. Denn es gibt ein Schlupfloch.
Geahndet werden können nur Taten, die bereits zum Zeitpunkt,
als sie begangen wurden, gemäss Fifa-Reglement strafbar waren.
Dies entspricht dem lateinischen Rechtsgrundsatz:
«Nulla poena sine lege» (Keine Strafe ohne Gesetz).
Gerade im ISL-Fall kommen Beteiligte deswegen unbehelligt davon:
Bestimmungen gegen Korruption und Bestechung hat
sich die Fifa erstmals 2002 gegeben.
Die über 140 Millionen an Schwarzgeld aus Zug an Fifa-Offizielle
und andere Sportfunktionäre waren aber zuvor geflossen:
von den 80er-Jahren bis 2001, als die ISL in Konkurs ging.
Dies hat zur Folge, dass die neue Ethikkommission den
grössten bekannten Bestechungsskandal im Sport zwar untersuchen kann.
Sanktionieren kann sie aber aller Voraussicht nach nichts mehr.
Selbst wenn die Ermittler —
wie zuvor die Zuger Staatsanwaltschaft —
Vergehen beweisen können, können sie keine Strafen wie Bussen,
Ausschlüsse oder gar gemeinnützige Arbeit verlangen.
Blatter bleibt verschont
Nicht von Sanktionen bedroht im ISL-Fall ist damit auch Sepp Blatter.
Er gehört nicht zu den Bestochenen, der Fifa-Chef wusste jedoch,
dass Geld an seinen Vorgänger João Havelange geflossen war.
Nach dem Ethikreglement, das in den nächsten Tagen in Kraft tritt,
hätte er den Vorfall sofort der Kommission melden müssen.
Ebenfalls ohne Sanktionen blieben allfällige
Unregelmässigkeiten
bei der Vergabe der WM 2006 im Jahr 2000.
Dubiose Vorfälle in jüngerer Vergangenheit
kann die Ethikkommission hingegen ahnden.
* * *
Fifa Sepp Blatter ist Oberhaupt der weltumspannenden
Fussball-Gemeinschaft und Katholik. Irgendwie logisch.
Von Daniel Foppa
Mann ohne ruhiges Gewissen: Sepp Blatter, Fifa-Chef.
Foto: Andrey Heuler
Sepp Blatter gibt gerne den Katholiken.
Er singt mit Vorliebe das Kirchenlied «Grosser Gott, wir loben dich»,
und sein Beichtvater erteilt ihm regelmässig die Absolution.
So kann der Fifa-Chef seine Verbundenheit mit einem traditionellen
Wertekanon unterstreichen.
Mit einem Kanon, den Gebote, Sünden und Vergebung kennzeichnen.
Entsprechend locker gehen Blatter Worte wie «Moral
und Ethik» über die Lippen.
Bei der Vorstellung der neuen Fifa-Ethikkommission
betonte der Walliser letzte Woche,
es gehe nun um die «ethische Aufarbeitung»
der Schmiergeldaffären.
Rechtlich sei alles erledigt, da Bestechung früher
nicht strafbar gewesen sei.
Andernfalls werde «Moraljustiz» betrieben,
sagte Blatter und verschwieg,
dass die den Fifa-Funktionären vorgeworfene
ungetreue Geschäftsführung
auch früher nicht straffrei war.
Der Gerichtsbarkeit entzogen
Was auch immer Blatter mit der Wortschöpfung
«Moraljustiz» meint —
seine Unverfrorenheit in der Verwendung
moralischer Begriffe ist gewaltig.
Als ihn der TA 2006 fragte, ob er wisse,
für wen die irrtümlich auf einem Fifa-Konto gelandete
Schmiergeldzahlung von einer Million Franken gedacht war,
sagte er wörtlich: «Nein.»
Seit der Publikation der Zuger ISL-Akte ist jedoch amtlich:
Blatter wusste sehr wohl, dass das Geld für seinen Vorgänger
João Havelange bestimmt war.
Im Zuge dieser Veröffentlichungen hat Blatter
gar erstmals eingeräumt,
dass auch ihm Schmiergelder übergeben wurden.
Der Fifa-Chef zahlte die 50'000 Dollar zwar zurück,
tolerierte das korrupte System jedoch.
Was ist davon zu halten, wenn sich jemand zum Moralapostel aufspielt,
der nachweislich nicht die Wahrheit sagt,
Korruption und schamlose Bereicherung zulässt,
Schmiergeldzahlungen «Provisionen»
nennt und immer nur das zugibt,
was nächstens aufzufliegen droht? Eben.
Blatter ist der falsche Mann, um die Fifa auszumisten.
Über Jahre hat er Macht und Millionen geschachert.
Er hat eine geradezu vatikanische
Parallelgesellschaft errichtet,
die der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen scheint —
mit ihm als Oberhaupt, das von einem zwielichtigen Konklave gewählt wird.
«Der Heilige Vater hat 1,2 Milliarden Mitglieder.
Ich, also die Fifa, habe auch 1,2 Milliarden Mitglieder»,
gab der Walliser vor ein paar Jahren zum Besten.
Ein Fall für den Beichtvater
Wird nun alles anders?
Wohl kaum. Man würde Blatter unterschätzen,
wenn man von der Ethikkommission eine lückenlose Aufdeckung
der krummen Geschäfte erwartete.
Wer sich genauer mit den Befugnissen des Gremiums befasst,
sieht sich in seinem Zweifel bestätigt (TA vom Samstag).
Zu stark ist Blatter für dieses System des Gebens und Nehmens verantwortlich,
als dass er an Transparenz interessiert wäre.
Noch vor einer Woche kündigte er an: «Havelange muss weg.»
Er werde dessen Absetzung als Ehrenpräsident beantragen.
An der Medienkonferenz nach der Komiteesitzung räumte Blatter ein,
Havelange sei kein Thema gewesen.
Wer zudem derart nervös und ausweichend wie Blatter die Frage verneint,
ob er von weiteren Schmiergeldzahlungen wisse, hat kein ruhiges Gewissen.
Lange plagen dürfte das den Fifa-Chef nicht.
Für solche Fälle hat ein guter Katholik ja seinen Beichtvater.