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Kommentar
Bruno Schletti, Wirtschafts-Redaktor, über die neue «Billett­pflicht» bei den SBB.


Im Zweifel gegen die Kunden

Ab De­zem­ber gilt auf dem gan­zen Schwei­zer Eisen­bahn­netz die «Bil­lett­pflicht im Fern­ver­kehr». Na und? Was schert das uns ehr­li­che Nut­zer des öf­fent­li­chen Ver­kehrs? Mo­ment! Bil­lett­pflicht heisst auf SBB-Deutsch, «dass die Rei­sen­den im Fern­ver­kehr vor Rei­se­an­tritt ihr Bil­lett ge­löst oder ent­wer­tet ha­ben müs­sen». Sonst wirds teu­er. Lö­sen im Zug ist nicht mehr mög­lich.

Aber das ken­nen wir doch längst aus den Vor­orts­zü­gen. Wer mit Fahr­kar­te bes­ser schläft, löst eine sol­che. Wer den Ner­ven­kit­zel liebt, nimmt das Ri­si­ko der Bus­se auf sich.

Als Lieb­ha­ber des öf­fent­li­chen Ver­kehrs las­sen wir ja gar nichts Schlech­tes auf un­se­re SBB kom­men. Wir wis­sen, dass sie im­mer pünkt­lich fah­ren, dass es nie Stell­werk­stö­run­gen gibt, dass es vor den Schal­tern kei­ne War­te­schlan­gen gibt und dass die Auto­ma­ten grund­sätz­lich im­mer funk­tio­nie­ren. Neh­men wir nun aber doch — rein theo­re­tisch — ein­mal an, dass mei­ne S-Bahn mit sechs Mi­nu­ten Ver­spä­tung im Zür­cher Haupt­bahn­hof ein­fährt. «Bil­lett­pflicht im Fern­ver­kehr» über­lässt mich jetzt einer kniff­li­gen Wahl. Ent­we­der schrei­te ich zum nächs­ten Auto­ma­ten, boh­re mein Auge in den Rü­cken mei­nes Vor­der­manns, der sei­nen PIN-Co­de ver­ges­sen hat, ver­zich­te gross­zü­gig, um drei Se­kun­den zu ge­win­nen, auf die Quit­tung, eile zum Per­ron und win­ke mei­nem IC hin­ter­her. Oder ich ent­schei­de mich für «Gring ache u seck­le», ver­set­ze die AHV-Ge­ne­ra­tion in Angst und Schrec­ken, wer­fe mich in letz­ter Se­kun­de in den In­ter­ci­ty und har­re des Zu­schlages, der mich nach dem neu­en Re­gi­me gna­den­los er­ei­len wird.

Bei den SBB heisst das an­ders: «Die Zug­be­glei­ter kön­nen sich künf­tig noch stär­ker auf ih­re Ser­vi­ce- und Gast­ge­ber­rol­le kon­zent­rie­ren.» Aha? Et­wa so:

Der SBB-Kunde: «Tut mir leid, die S-Bahn war ver­spä­tet. Ich konn­te kein Bil­lett mehr nach Bern lö­sen.»

Der Gast­ge­ber: «Ich heis­se Sie herz­lich will­kom­men im IC nach Bern. Ha­ben Sie Halb­tax? Das macht 23.50 plus 90 Fran­ken, wänn Si wänd so guet sii.»

Der Kun­de: «Wes­halb eine Bus­se, wenn die S-Bahn ver­spä­tet war?»

Der Gast­ge­ber: «Wo den­ken Sie hin, mein Herr. Das ist ein Zu­schlag, kei­ne Bus­se. Sie sind ja schliess­lich un­ser Gast!»

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