TAGES ANZEIGER

Analyse — Dass die Fin­ma ih­ren kri­ti­schen Be­richt über die Cre­dit Suis­se ver­öf­fent­licht hat, grenzt an ein Wun­der. Nor­ma­ler­wei­se scheut die Be­hörde das Licht. Und setzt sich da­mit dem Vor­wurf fal­scher Rück­sicht­nah­men aus. Von Bruno Schletti

Die Finanzaufsicht liebt die Dunkelheit

Finma
Ein bisschen Licht ins Dunkel: Der Sitz der Finanzmarktaufsicht an der Einsteinstrasse in Bern.
Foto: Martin Rütschi (Keystone)

Da er­fährt die schwei­ze­ri­sche Öf­fent­lich­keit, dass die Cre­dit Suis­se jahr­zehn­te­lang un­recht­mäs­sig und wis­sent­lich Tau­sen­den US-Bür­gern ge­hol­fen hat, Gel­der am Fis­kus vor­bei aus­ser Lan­des zu brin­gen. Sie er­fährt es in al­len De­tails in der Nacht von Mon­tag auf Diens­tag — den US-Be­hör­den sei Dank.

An eben­die­sem Diens­tag stellt auch die schwei­ze­ri­sche Fi­nanz­markt­auf­sichts­be­hör­de (Fin­ma) einen Be­richt über das grenz­über­schrei­ten­de Ge­schäft der Cre­dit Suis­se mit US-Kun­den ins Netz. Er geht zu­rück auf eine Un­ter­su­chung, die am 21. Sep­tem­ber 2012 ab­ge­schlos­sen wur­de. Mehr als an­dert­halb Jah­re lang lag der Be­richt mit sei­nen ver­nich­ten­den Be­fun­den in der Dun­kel­kam­mer der Fin­ma. Nie­mand wuss­te da­von. Und sie­he da: Am Tag, als die US-Be­hör­den ih­re Er­kennt­nis­se pub­lik mach­ten, kam auch der Fin­ma-Be­richt plötz­lich ans Licht. Mot­to: «Ätsch! Was die Amis da ver­öf­fent­li­chen, ha­ben wir schon lan­ge ge­wusst.»

TOP

Lei­der, muss man fest­hal­ten, hat das Dun­kel­kam­mer-Prin­zip bei der Fin­ma Sys­tem. Nie­mand er­fuhr, dass die Be­hör­de Mit­te Ja­nu­ar 2011 die Ri­si­ken der Cre­dit Suis­se im US-Ge­schäft zu un­ter­su­chen be­gann. Nie­mand wuss­te, dass die ers­ten Er­kennt­nis­se so alar­mie­rend wa­ren, dass die Un­ter­su­chung im No­vem­ber 2011 in ein En­for­ce­ment­ver­fah­ren mün­de­te — eine ver­tief­te Ab­klä­rung, um fest­zu­stel­len, ob die Bank das Auf­sicht­srecht ver­letzt. Nie­mand wur­de dar­über in­for­miert, dass das Ver­fah­ren im Sep­tem­ber 2012 mit einer Ver­fü­gung ab­ge­schlos­sen wur­de. Und schon gar nichts er­fuhr die Öf­fent­lich­keit über die er­teil­te Rü­ge we­gen schwe­rer Pflicht­ver­let­zun­gen.

Zig Berichte unter Verschluss

Das ist der Nor­mal­fall. Die Fin­ma hat in der glei­chen An­ge­le­gen­heit ge­gen mehr als zwan­zig wei­te­re Ban­ken eben­falls er­mit­telt. Ge­gen wel­che ver­rät sie nicht. Ge­gen eini­ge die­ser Ban­ken wur­den eben­falls Ver­fü­gun­gen er­las­sen. Ge­gen wel­che bleibt un­ter dem Dec­kel. Wes­halb die Fin­ma ge­heim­nis­krä­mert, ist nicht wirk­lich her­aus­zu­fin­den. Spricht man Ver­tre­ter der Be­hör­de dar­auf an, ver­ir­ren sie sich in ne­bu­lö­se Be­grün­dun­gen. Es ist dann et­wa die Re­de da­von, Trans­pa­renz sei nicht im In­ter­es­se des Fi­nanz­plat­zes. In den Schön­wet­ter­tex­ten auf der Web­si­te der Fin­ma lässt sich an­de­res les­en. Et­wa: «Die Fin­ma strebt mög­lichst viel Trans­pa­renz für al­le Markt­teil­neh­mer an.»

TOP

Tat­säch­lich gilt in den Fi­nanz­märk­ten die trans­pa­ren­te Gleich­be­hand­lung al­ler Teil­neh­mer als eher­nes Prin­zip. Ein Prin­zip, das die Fin­ma mit ih­rem Vor­ge­hen ver­letzt. Wäh­rend die Ban­ker um ih­re krum­men Tou­ren und die Er­mitt­lun­gen der Auf­sicht wis­sen, lässt die Fin­ma Bank­kun­den und Ak­tio­nä­re im Dun­keln. Gleich­zei­tig gibt die Be­hör­de aber vor, sich «für den Schutz der Gläu­bi­ger, An­le­ger und Ver­si­cher­ten» ein­zu­set­zen. Manch ein Bank­kun­de hät­te sein De­pot längst ge­räumt, wenn er ge­wusst hät­te, dass die Cre­dit Suis­se nicht Ge­währ für eine ein­wand­freie Ge­schäfts­tä­tig­keit bie­tet. Manch ein Ak­tio­när hät­te sei­ne Ti­tel ver­kauft in Kennt­nis da­von, dass die Bank, de­ren Ka­pi­tal­ge­ber er ist, Auf­sichts­recht ver­letzt.

Wer ist in­ter­es­siert an Ge­heim­nis­krä­me­rei? Die Ant­wort liegt na­he: Die von Er­mitt­lun­gen be­trof­fe­nen Ban­ken.

Wer ist in­ter­es­siert an der Ge­heim­nis­krä­me­rei? Die Ant­wort liegt na­he: die von Er­mitt­lun­gen be­trof­fe­nen Ban­ken. Es ist nicht ima­ge­för­dernd, wenn die Öf­fent­lich­keit er­fährt, dass eine Bank we­gen schwe­rer Ver­let­zun­gen des Auf­sichts­rechts von der Fin­ma ge­rügt wird. Nicht al­le Kun­den und Ak­tio­nä­re füh­len sich bei einer Bank zu Hau­se, von der sie er­fah­ren, dass sie ge­gen aus­län­di­sches Recht ver­stösst. Ein­zig be­trof­fe­ne Ban­ken ha­ben ein In­ter­es­se an Heim­lich­tue­rei. Mit ih­rer Po­li­tik spielt die Fin­ma ihr Spiel mit und macht sich zur Hand­lan­ge­rin aus­ge­rech­net je­ner, die et­was zu ver­ber­gen ha­ben.

TOP

Die Fin­ma ver­mag auch nicht über­zeu­gend zu er­klä­ren, wes­halb sie den En­for­ce­ment-Be­richt über die Cre­dit Suis­se — und nur die­sen — jetzt ver­öf­fent­licht hat. Weil die In­for­ma­tio­nen über das Ge­schäfts­ge­ba­ren der CS im Aus­land — sprich in den USA — ohne­hin pub­lik ge­wor­den sei­en, ist eine Er­klä­rung. Wie auch im­mer: Der Fall zeigt, dass kein Pa­ra­graf die Be­hör­de an einer Pub­li­ka­ti­on hin­dert. Es liegt in ih­rem Er­mes­sen, ih­re eige­nen Grund­sät­ze, für Trans­pa­renz zu sor­gen, um­zu­set­zen.

Ver­mut­lich gibt es einen wei­te­ren Grund, wa­rum sich die Fin­ma nicht gern in die Kar­ten schau­en lässt. So­bald sie dies tun wür­de, müss­te sie sich der öf­fent­li­chen Kri­tik stel­len. Dass sie im Be­richt die Cre­dit Suis­se schwe­rer Pflicht­ver­let­zun­gen be­schul­digt, das ober­ste Ma­na­ge­ment und den Ver­wal­tungs­rat aber rein­wäscht, ist nicht nach­voll­zieh­bar und steht ju­ris­tisch auf höchst wac­ke­li­gen Füs­sen. Das riecht nach Rück­sicht­nah­men. Es wer­den Per­so­nen oder ein­zel­ne In­sti­tu­te ge­schützt. Oder man will dem Fi­nanz­platz un­an­ge­neh­me Wahr­hei­ten er­spa­ren. Nichts von al­le­dem ist im In­ter­es­se von Gläu­bi­gern und An­le­gern, de­ren Schutz sich die Fin­ma auf die Fah­ne schreibt.

* * *

TAGES ANZEIGER
TOP

Die US-Schnüffler bei der Credit Suisse

Von Simon Schmid und Walter Niederberger

Der Fi­nanz­re­gu­la­tor von New York in­stal­liert einen Mo­ni­tor bei der Cre­dit Suis­se. Fin­det er neu­es Ma­te­ri­al, könn­te es für die Füh­rung noch ein­mal brenz­lig wer­den.

Die ame­ri­ka­ni­schen Be­hör­den in­stal­lie­ren einen Auf­pas­ser für die Cre­dit Suis­se. Die­ser Mo­ni­tor wird die Bank er­neut durch­leuch­ten und ge­ge­be­nen­falls wei­te­re Mass­nah­men an­ord­nen. So steht es in der Ver­ein­ba­rung zwi­schen der Cre­dit Suis­se und dem De­par­te­ment of Fi­nan­cial Ser­vi­ces (DFS) in New York. Al­ler­dings ist dem Über­wa­cher ein Zu­griff auf die Da­ten der US-Kun­den ver­wehrt, die sich straf­bar mach­ten, wie ein US-An­walt mit Man­da­ten von Schwei­zer Ban­ken und Ban­kern sagt.

Der Mo­ni­tor muss von der Bank be­zahlt wer­den. Er­nannt wird er von DFS-Chef Ben­ja­min Law­sky, der eine sat­te Bus­se von 715 Mil­lio­nen Dol­lar aus­han­deln konn­te. Die­se Mit­tel flies­sen in die Kas­se des Staa­tes New York. Law­sky will einen «ag­gres­si­ven und fai­ren Mo­ni­tor» ein­set­zen, der di­rekt an die Be­hör­de rap­por­tiert. Ob die Wahl der Über­wa­chungs­fir­ma schon er­folgt ist, konn­te der DFS-Me­dien­spre­cher ges­tern nicht klä­ren. Doch soll­te die Bank ein Ve­to­recht ge­gen die Wahl ha­ben, sa­gen An­wäl­te, die den Fall UBS un­ter­sucht hat­ten. Der Mo­ni­tor dürf­te am Haupt­sitz in Zü­rich tä­tig sein und nach Be­darf auch aus­län­di­sche Fi­lia­len be­su­chen.

TOP

Auf­trag ist, die Com­plian­ce-Vor­schrif­ten und -Pro­ze­du­ren zu durch­leuch­ten, die zum Zeit­punkt der Ge­set­zes­brü­che gal­ten. Ge­for­dert ist ein Be­richt über die Be­tei­li­gung von ein­zel­nen An­ge­stell­ten an der Bei­hil­fe zur Steu­er­hin­ter­zie­hung und an­de­ren De­lik­ten — «in­klu­si­ve aber nicht be­schränkt auf ak­tu­el­le und ehe­ma­li­ge lei­ten­de An­ge­stell­te, Di­rek­to­ren und an­de­re An­ge­stell­te», wie es im Be­richt heisst. Rap­por­tie­ren soll der Über­wa­cher fer­ner, ob die Bank ih­re Struk­tu­ren ge­nü­gend rasch und ef­fek­tiv an­ge­passt hat und wel­che wei­te­ren Re­for­men nö­tig sind, um künf­ti­ges Fehl­ver­hal­ten zu un­ter­bin­den.

Misstrauensvotum an die Finma

Die Prüf­ge­sell­schaft kann so­mit die ge­sam­te Ver­gan­gen­heit noch ein­mal auf­rol­len. Wirt­schafts­an­wäl­ten zu­fol­ge kön­nen auch al­te Ver­wal­tungs­rats­pro­to­kol­le ge­le­sen und der Mail-Ver­kehr durch­leuch­tet wer­den. Taucht be­las­ten­des Ma­te­ri­al auf, so sei­en Kla­gen oder re­gu­la­to­ri­sche Mass­nah­men ge­gen Ein­zel­per­so­nen bis in die Bank­spit­ze mög­lich. Nach einem hal­ben Jahr ist ein Zwi­schen­be­richt fäl­lig, nach zwei Jah­ren ein Schluss­be­richt.

Die An­ord­nung kann auch als Miss­trau­ens­vo­tum an die Fin­ma auf­ge­fasst wer­den. Fin­ma-Spre­cher To­bias Lux be­tont je­doch, es hand­le sich beim Ein­satz eines Mo­ni­tors «um eine Stan­dard­mass­nah­me, auf die von den US-Be­hör­den re­gel­mäs­sig zu­rück­ge­grif­fen» wer­de. Die Fin­ma hat sich ge­mäss ih­rem gest­ri­gen Be­richt von einem un­ab­hän­gi­gen Prü­fer be­stä­ti­gen las­sen, dass die CS nicht steu­er­kon­for­me Kun­den ent­we­der re­gu­la­ri­siert oder ver­ab­schie­det und zu­dem ein an­ge­mes­se­nes Ri­si­ko­ma­na­ge­ment ein­ge­führt hat.

TOP

Was ein ex­ter­ner Auf­pas­ser be­deu­ten kann, zeig­te sich bei der UBS. Die Bank muss­te 2008 auf eige­ne Kos­ten eine un­ab­hän­gi­ge Un­ter­su­chung über ih­ren Aus­stieg aus dem Ge­schäft mit US-Off­sho­re-Kun­den dul­den. Im Auf­trag einer US-An­walts­kanz­lei flo­gen über ein Dut­zend KPMG-Leu­te von der Schweiz bis nach Aust­ra­li­en und auf die Cay­man Is­lands, um Ak­ten zu durch­fors­ten. Nach acht­zehn Mo­na­ten ver­moch­te die Bank die US-Jus­tiz zu über­zeu­gen, dass man al­le prob­le­ma­ti­schen US-Bür­ger los­ge­wor­den war.

Verweis auf die Schweiz fehlt

Eine Pas­sa­ge aus dem Ver­gleich der UBS lässt auf­hor­chen. «Die Re­gie­rung an­er­kennt, dass der Au­dit-Pro­zess und sämt­li­che Be­rich­te mit den Schwei­zer Ge­set­zen kon­form sein müs­sen», heisst es. Im Do­ku­ment der CS hin­ge­gen ist nur von «gel­ten­dem Recht» die Re­de. Es fehlt al­so der ex­pli­zi­te Ver­weis auf die Schweiz. Die CS müs­se den Zu­griff auf «al­les re­le­van­te Per­so­nal, Do­ku­men­te, Be­rich­te oder Be­wei­se» er­lau­ben, sei dies in New York oder in der Schweiz.

* * *

TAGES ANZEIGER
TOP
(phr)

«Obama will das Boot ruhig halten, in dem er mit den Bankern sitzt»

Die Ex-Ban­ke­rin No­mi Prins kri­ti­siert die en­ge Ver­bun­den­heit des Weis­sen Hau­ses mit den US-Fi­nanz­in­sti­tu­ten.

Mit Nomi Prins sprach Walter Niederberger in Berkeley

Sie ha­ben die en­gen Be­zie­hun­gen zwi­schen den etab­lier­ten Ban­ken der USA und Prä­si­den­ten der Su­per­macht in den letz­ten hun­dert Jah­ren ana­ly­siert. Ge­ben Sie uns ein Bei­spiel da­für.

Die Frie­dens­ver­hand­lun­gen von Ver­sail­les nach dem Ers­ten Welt­krieg zei­gen an­schau­lich, wie eng die In­ter­es­sen des US-Prä­si­den­ten mit je­nen der Wall­street-Ban­ken ver­bun­den sind. Prä­si­dent Wood­row Wil­son brach­te un­ter an­de­rem Tho­mas La­mont mit, einen Part­ner der mäch­ti­gen Mor­gan Bank. Nach­dem Wil­son zu­rück in die USA ge­reist war, ver­han­del­te La­mont in Euro­pa im Ein­ver­ständ­nis mit dem Prä­si­den­ten über die Re­pa­ra­ti­ons­zah­lun­gen von Deutsch­land. Wil­son räum­te spä­ter zwar ein, sein Bünd­nis mit der Wall­street könn­te vom Volk miss­ver­stan­den wer­den. Doch ha­be er La­mont be­wusst einen Teil sei­ner Po­li­tik ab­ge­tre­ten, um die Ban­ken zu Part­nern des Weis­sen Hau­ses zu ma­chen.

Barack Obama+
Man kennt sich, man ver­steht sich: Prä­si­dent Ba­rack Oba­ma be­grüsst Ja­mie Di­mon, Chef von J.P. Mor­gan.
Foto: Jason Reed (Reuters)
TOP

Ban­ker La­mont über­nahm ef­fek­tiv prä­si­dia­le Auf­ga­ben?

Genau. Euro­päi­sche Län­der wa­ren bei den deut­schen Re­pa­ra­ti­ons­ver­hand­lun­gen mit ih­ren Zen­tral­ban­kern ver­tre­ten, die USA aber mit einem Wall­street-Ban­ker. Die­ses sehr ame­ri­ka­ni­sche Ver­ständ­nis von Welt­po­li­tik hat sich bis heu­te ge­hal­ten.

Auch die Cre­dit Suis­se, ob­gleich kei­ne US-Bank, ist an der Wall­street tä­tig. Wie er­klä­ren Sie die ho­he Bus­se und das er­zwun­ge­ne Schuld­ge­ständ­nis für die Bei­hil­fe zur Steu­er­flucht?

Ganz klar hat sie einen Wett­be­werbs­nach­teil ge­gen­über den etab­lier­ten Ban­ken, die tie­fe­re Wurz­eln in der Re­gie­rung ha­ben. Die Füh­rungs­eta­ge der Cre­dit Suis­se konn­te ganz ein­fach nie die gleich star­ken po­li­tisch-fi­nan­zi­el­len Ban­de ent­wic­keln wie J.P. Mor­gan und die an­de­ren Big Play­ers. Es war Mor­gan, und nicht die Cre­dit Suis­se, die das US-Fi­nanz­mi­ni­ste­ri­um vor hun­dert Jah­ren aus der gros­sen Fi­nanz­kri­se ge­ret­tet hat. Auch wa­ren es die US-Fi­nanz­häu­ser, nicht die Cre­dit Suis­se, die al­le gros­sen Krie­ge fi­nan­zie­ren hal­fen und Fi­lia­len in Län­dern er­öff­net ha­ben, in de­nen die USA ih­re mi­li­tä­ri­sche Prä­senz aus­bau­en woll­ten. Kein Ban­ker der Cre­dit Suis­se ist je­mals als Klas­se-A-Di­rek­tor im Ver­wal­tungs­rat der New Yor­ker No­ten­bank ge­ses­sen, wie Ja­mie Di­mon (Chef der J.P. Mor­gan, d. Red.) und an­de­re Wall­street-Ban­ker dies ta­ten.

Wie ge­lingt es Wall­street-Ban­ken, für ih­re Mis­se­ta­ten im­mer wie­der spe­zi­el­le, re­la­tiv mil­de Rechts­ver­fah­ren zu er­hal­ten und Schuld­ge­ständ­nis­se zu um­ge­hen?

Die US-Ban­ken und die Re­gie­rung wir­ken in einem sich ge­gen­sei­tig ver­stär­ken­den Macht­ver­hält­nis. Ein ak­tu­el­les Bei­spiel: Ex-Fi­nanz­mi­nis­ter Ti­mo­thy Geith­ner be­fin­det sich der­zeit auf Tour­nee, um sei­ne Me­moi­ren «Stress Test» vor­zu­stel­len. Dass er da­bei un­ver­blümt be­haup­ten kann, in der Fi­nanz­kri­se das ein­zig Mög­li­che zur Ret­tung des Fi­nanz­sys­tems ge­tan zu ha­ben und dass die Me­di­en ihn in die­ser Hel­den­rol­le zei­gen, macht deut­lich, wie gut die Eli­te-Ban­ker auch me­di­al ab­ge­si­chert sind. Geith­ner hat nicht die Ban­ken ge­ret­tet, wie er be­haup­tet, son­dern er hat sie grös­ser und da­mit ris­kan­ter ge­macht.

TOP

Den­noch in­sis­tiert er dar­auf, er ha­be sich nie von den Ban­ken der Wall­street ver­ein­nah­men las­sen.

Ist es nicht in­ter­es­sant, dass er seit dem Ab­gang als Fi­nanz­mi­nis­ter für War­burg Pin­cus ar­bei­tet — eine klei­ne Eli­te­bank, die auf Paul War­burg zu­rück­geht? War­burg war einer der Grün­der der Fe­de­ral Re­ser­ve. Und Geith­ner war Chef der New Yor­ker Fi­lia­le der No­ten­bank und di­rek­ter Han­dels­part­ner von der Wall­street, be­vor Prä­si­dent Oba­ma ihn ein­stell­te. Was ich da­mit sa­gen will: Je­ne, die das Geld kon­trol­lie­ren, sei es bei den Ban­ken oder in der Re­gie­rung, sind in den USA oft auf Jahr­zehn­te zu­rück ge­gen­sei­tig ver­bun­den und blei­ben sich ent­spre­chend ver­pflich­tet.

«Für den Bruch zwi­schen dem US-Prä­si­den­ten und den Ban­ken bräuch­te es wohl eine wei­te­re, grös­se­re Kri­se.»

Glau­ben Sie, dass es für das Jus­tiz­mi­ni­ste­ri­um auch aus die­sem Grund ein­fa­cher war, einer Aus­land­bank wie der Cre­dit Suis­se ein Schuld­ge­ständ­nis ab­zu­rin­gen?

Justiz­mi­nis­ter Eric Hol­der wur­de stark kri­ti­siert, weil er nach der Fi­nanz­kri­se nicht här­ter ge­gen die «Big Six» J.P. Mor­gan, Bank of Ame­ri­ca, Ci­ti­group, Mor­gan Stan­ley, Gold­man Sachs und Wells Far­go vor­ge­gan­gen ist. Doch Hol­der wür­de mit einem Straf­ver­fah­ren oder einem Schuld­ge­ständ­nis einer US-Bank die eige­ne Re­gie­rung und die Wall­street ge­gen sich auf­brin­gen. Des­halb hat sich kei­ne ein­zi­ge US-Bank we­gen der Sub­pri­me- und der Kre­dit­kri­se schul­dig be­ken­nen müs­sen.

TOP

Was be­deu­tet das Ge­ständ­nis der Cre­dit Suis­se im ame­ri­ka­ni­schen Selbst­ver­ständ­nis?

Die ame­ri­ka­ni­schen Me­di­en rüc­ken heu­te das Ver­fah­ren ge­gen die Cre­dit Suis­se so ins Bild, als ob Hol­der tat­säch­lich ge­gen die eige­nen «Too Big to Fail»-Ban­ken vor­ge­gan­gen wä­re. Dies ist nicht der Fall, doch sei­ne PR-Kam­pa­gne scheint gut auf­zu­ge­hen.

Aber Prä­si­dent Ba­rack Oba­ma hat die «Fat Cat»-Ban­kers an der Wall­street kri­ti­siert und Re­chen­schaft ge­for­dert.

Das Glei­che hat schon Wood­row Wil­son ge­tan, als er den be­rüch­tig­ten «Mo­ney Trust» an Wall­street an­ge­pran­gert hat. Dies hat ihn nicht da­ran ge­hin­dert, mit eben­die­sen Ban­kern se­geln zu ge­hen. Oba­ma geht mit ih­nen Golf spie­len. Auch bei ihm gibt es einen Un­ter­schied zwi­schen dem, was er sagt, und dem, was er tut. Nie­mand wird be­haup­ten kön­nen, dass er eine wirk­li­che Re-R­egu­lie­rung der Wall­street durch­ge­setzt hat. Prä­si­dent Oba­ma will das Boot ru­hig hal­ten, in dem er mit den Ban­kern sitzt.

Nomi Prins

Sie haben ge­sagt, dass sich kein Ban­ker we­gen der Miss­bräu­che im Hy­po­the­kar- und De­ri­vat­ge­schäft straf­recht­lich ver­ant­wor­ten muss­te. Ist die­ser Man­gel an recht­li­cher Ver­ant­wor­tung neu?

Nein. Die Wall­street wur­de recht­lich im­mer an­ders be­han­delt als an­de­re Bran­chen. Die letz­te und prak­tisch ein­zi­ge Aus­nah­me eines Top­ban­kers, der straf­recht­lich be­langt wur­de, liegt 80 Jah­re zu­rück. Char­les Mit­chell war Chef der Na­tio­nal Ci­ty Bank, da­mals eine der Big-Six-Ban­ken. 1933 muss­te er vor dem Kon­gress we­gen der Fi­nanz­ma­ni­pu­la­tio­nen aus­sa­gen, die zum gros­sen Bör­sen­crash ge­führt hat­ten. Mit­chell war kein Mann der Reue und Ein­sicht. Doch die An­hö­run­gen mach­te das Aus­mass an Gier so deut­lich, dass sich die Öf­fent­lich­keit an­ge­wi­dert ab­wand­te. Mit­chell wur­de schliess­lich we­gen Steu­er­be­trug an­ge­klagt und muss­te ge­hen.

TOP

Nehmen wir die Prä­si­den­ten Ni­xon oder Car­ter. Ha­ben sie sich nicht ge­gen In­ter­ven­tio­nen der Ban­ken in ih­re Aus­sen- oder Fi­nanz­po­li­tik ge­wehrt?

Nur in einem ge­rin­gen Aus­mass. In der Re­gel ak­zep­tier­ten die Prä­si­den­ten nicht nur die Hil­fe und den Ein­fluss der Wall­street-Ban­ken. Sie for­der­ten die Ban­ken so­gar da­zu auf. Bei­spiel Zwei­ter Welt­krieg. Prä­si­dent Roo­se­velt bit­tet die Wall­street, ihm beim Ver­kauf der Kriegs­an­lei­hen ans Volk zu hel­fen. Die Ban­ken sa­gen ger­ne zu, und zwar nicht al­lein aus pat­rio­ti­scher Pflicht. Sie kön­nen so di­rekt wert­vol­le Be­zie­hun­gen zu Mit­tel­stands­fa­mi­li­en auf­bau­en, die ih­nen zu­vor kri­tisch ge­sinnt wa­ren. Die­se bil­de­ten dann nach dem Krieg die Ba­sis für den Wirt­schafts­auf­schwung. Über­haupt brach­ten die Krie­ge die Prä­si­den­ten und die Ban­ken im­mer wie­der nä­her zu­sam­men. Woll­ten die USA eine Welt­macht wer­den und blei­ben, so muss­te das Land al­len an­de­ren auch fi­nan­zi­ell über­le­gen sein. Die­ses Ziel ein­te bei­de Sei­ten.

Barack Obama kam als Aus­sen­sei­ter an die Macht. Wa­rum ha­ben die Wall­street-Ban­ken ihn schon 2008 un­ter­stützt?

Obama ist ein gu­tes Bei­spiel da­für, dass es aus Sicht von der Wall­street nicht dar­auf an­kommt, wer Prä­si­dent ist, wenn die al­ten Seil­schaf­ten be­ste­hen blei­ben. Leu­te wie Ro­bert Ru­bin — Ex-Top-Ban­ker und Fi­nanz­mi­nis­ter un­ter Bill Clin­ton — sorg­ten da­für, dass Oba­ma für sei­ne Fi­nanz­pos­ten fast durch­wegs wie­der die glei­chen Leu­te ein­stell­te, die be­reits für den an der Wall­street sehr be­lieb­ten Bill Clin­ton ge­ar­bei­tet hat­ten. Lar­ry Sum­mers wur­de Wirt­schafts­be­ra­ter. Dass Oba­ma ihn auch zum No­ten­bank­chef ma­chen woll­te, zeigt nur, wie stark die­se Seil­schaft war. Ti­mo­thy Geith­ner wur­de Fi­nanz­mi­ni­ster, weil er zu­vor schon bei der No­ten­bank mit Ro­bert Ru­bin zu­sam­men­ge­ar­bei­tet hat­te, der wie­der­um zu­sam­men mit Sum­mers die De­re­gu­lie­rung der Ban­ken un­ter Clin­ton for­ciert hat­te. Auch der jet­zi­ge Fi­nanz­mi­nis­ter Jack Lew war schon für Clin­ton tä­tig, eben­so No­ten­bank­che­fin Ja­net Yel­len.

TOP

Sie schlies­sen Ihr neu­es Buch mit der Aus­sa­ge ab, dass die­se Al­lianz ge­bro­chen wer­den müs­se, be­vor sie uns bre­che. Was mei­nen Sie da­mit?

Es wird nicht oh­ne wei­te­res zum Bruch zwi­schen den US-Prä­si­den­ten und den Ban­kern kom­men. Da­für bräuch­te es wohl eine wei­te­re, grös­se­re Kri­se. Ähn­lich wie in den 30er-Jah­ren müss­te es da­für eine ex­tre­me wirt­schaft­li­che De­pres­si­on ge­ben, die eine Mehr­heit der Be­völ­ke­rung er­fasst und durch­schüt­telt. Was es aber vor al­lem braucht, sind ech­te Füh­rungs­fi­gu­ren, Aus­nah­me­ta­len­te wie Win­throp Ald­rich, den Prä­si­den­ten der Cha­se Bank in der De­pres­si­on. Sei­ne so­zia­le Ver­ant­wor­tung sag­te ihm, dass ris­kan­tes In­vest­ment­ban­king vom tra­di­tio­nel­len Leih- und Spar­ge­schäft zu tren­nen ist. Er setz­te sich ge­gen die eige­ne Bran­che durch und un­ter­stütz­te die Ban­ken­re­form, die sich 60 Jah­re lang be­währt hat.

Wagen Sie eine Pro­gno­se, wann die näch­ste gros­se Kri­se an der Wall­street kommt?

Viele sa­gen, die Kri­se ste­he un­mit­tel­bar be­vor. Ich rech­ne da­mit in et­wa drei Jah­ren, und zwar des­halb, weil die Tief­zins­po­li­tik der No­ten­bank die Ris­se in den Ban­ken vor­über­ge­hend zu­ge­deckt hat. Doch der Bruch zwi­schen den mit bil­li­gem Geld ge­pol­ster­ten Ban­ken und der Real­wirt­schaft ist so gross, dass es kra­chen muss.

* * *