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Schwere Vorwürfe gegen die Schweizer Banken

Laut Gabriel Zucman sind 80 Prozent der ausländischen Vermögen unversteuert. Der Ökonom fordert Strafzölle.

Markus Diem Meier

Das En­de der Steu­er­hin­ter­zie­hung und des Bank­ge­heim­nis­ses in der Schweiz sei ein My­thos, sagt der fran­zö­si­sche Öko­nom Gab­ri­el Zuc­man im TA-In­ter­view. Sei­ne Ana­ly­se, für die er sich auf Sta­tis­ti­ken der Na­tio­nal­bank und der Schwei­zer Steu­er­be­hör­den stützt, steht im kras­sen Wi­der­spruch zu al­lem, was wir in der Schweiz über die jüng­ste Ent­wick­lung im Steu­er­streit zu wis­sen glau­ben. So zei­gen die of­fi­zi­el­len Da­ten laut Zuc­man, dass die aus­län­di­schen Ver­mö­gen auf Schwei­zer Kon­ten nicht nur wei­ter zu­ge­nom­men hät­ten, von 2009 bis Herbst 2013 um 14 Pro­zent. Es sei­en auch im­mer noch rund 80 Pro­zent da­von un­ver­steu­ert.

«Viel zu lukrativ»

Der Druck zur Steu­er­ehr­lich­keit be­trifft laut Zuc­man vor al­lem Be­sit­zer mitt­le­rer Ver­mö­gen, die für die Ban­ken oh­ne­hin nicht mehr in­ter­es­sant sei­en. Das Ge­schäft mit den Su­per­rei­chen da­geg­en sei noch im­mer viel zu luk­ra­tiv, um es auf­zu­ge­ben, sagt Zuc­man. Aus­ser den USA übe nie­mand ge­nug Druck aus, um ihm die At­trak­ti­vi­tät zu neh­men. Des­halb for­dert Zuc­man Straf­zöl­le von 30 Pro­zent auf den Aus­fuh­ren der Schweiz, soll­ten die Ban­ken von die­sem Ge­schäft auch wei­ter­hin nicht die Fin­ger las­sen.

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In der Fi­nanz­bran­che er­tönt Kri­tik an den Aus­sa­gen des Wirt­schafts­pro­fes­sors: Von einer «an den Haa­ren her­bei­ge­zo­ge­nen Da­ten­ana­ly­se» ist et­wa die Re­de. «Die Schwei­zer Ban­ken be­ken­nen sich seit Jah­ren zu einem steu­er­kon­for­men Fi­nanz­platz und wol­len nur ver­steu­er­te Ver­mö­gen ak­qui­rie­ren und ver­wal­ten», sagt Da­nie­la Flüc­ki­ger von der Ban­kier­ver­eini­gung. Ähn­lich for­mu­liert es Ma­rio Tuor vom Staats­sek­re­ta­ri­at für in­ter­na­tio­na­le Wirt­schafts­fra­gen: «Der Autor will of­fen­bar nicht wahr­ha­ben, was sich in der Schweiz in den letz­ten Jah­ren ver­än­dert hat: Wir sind ein Fi­nanz­platz, der in­ter­nationale Stan­dards um­setzt und ein­hält.» Doch Tuor ge­steht auch ein: «We­gen un­se­rer Ver­gan­gen­heit glaubt man uns im Aus­land kaum, dass wir und die Ban­ken das heu­te nicht mehr dul­den.»

Mehrere an­ge­frag­te Schwei­zer Fi­nanz­ex­per­ten sa­gen so­gar, es wer­de kaum mög­lich sein, Zuc­mans Ana­ly­se zu wi­der­le­gen. Al­ler­dings wol­len sie nicht zi­tiert wer­den.

Die Ar­bei­ten des an der re­nom­mier­ten Lon­don School of Eco­no­mics leh­ren­den Zu­cman fin­den gros­se Be­ach­tung. Dass der erst 27-Jäh­ri­ge auch mit dem Öko­no­men Tho­mas Pi­ket­ty eng in der Gleich­heits­for­schung zu­sam­men­ar­bei­tet, ver­leiht ihm zu­sätz­lich Ge­wicht.

Interview: Seite 29/30.

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«Das Geschäft bleibt viel zu lukrativ»

Der französische Ökonom Gabriel Zucman ist überzeugt, dass die Schweizer Banken das Geschäft mit der Steuerhinterziehung weiterhin betreiben. Ein echter Wandel sei nur durch harte Sanktionen gegen unser Land zu erzwingen.

Mit Gabriel Zucman sprach Markus Diem Meier
Prof. Zucman
Gabriel Zucman ist 27 Jahre alt und Professor. Mit seiner Arbeit bringt er die Schweiz in Bedrängnis. Foto: Antoine Doyen (Getty Images)

Zusam­men mit Star­öko­nom Tho­mas Pi­ket­ty er­for­schen Sie Un­gleich­heit. In Ih­rer eige­nen Ar­beit fo­kus­sie­ren Sie auf Steu­er­hin­ter­zie­hung. Wie­so?

Wie Tho­mas Pi­ket­ty in­ter­es­siert mich die Er­for­schung von Wohl­stand und Ein­kom­men. Da­für grei­fen wir auf Steu­er­da­ten zu­rück. Durch die Steu­er­hin­ter­zie­hung feh­len uns hier aber Da­ten. Aus­ser­dem woll­te ich die Funk­ti­ons­wei­se der Steu­er­oasen bes­ser ver­ste­hen.

Sie schrei­ben, die Schwei­zer Ban­ken wür­den wei­ter­hin auf das Ge­schäft mit Steu­er­hin­ter­zie­hung set­zen. Da­bei sind wir doch da­ran, das Bank­ge­heim­nis auf­zu­he­ben.

Es gab be­mer­kens­wer­te Fort­schrit­te. Dass sich auch die Schweiz in Rich­tung des auto­ma­ti­schen In­for­ma­ti­ons­aus­tauschs auf Ebe­ne der OECD be­wegt, ist eine gu­te Ent­wick­lung. Doch die Leu­te über­schät­zen ge­wal­tig, was sich bis­her ver­än­dert hat. Die­se Schluss­fol­ge­rung er­gibt sich aus der Be­trach­tung der Da­ten.

Welcher Daten?

Ich ana­ly­sie­re die mo­nat­lich pub­li­zier­ten Da­ten der Schwei­ze­ri­schen Na­tio­nal­bank zu den Off­sho­re-Gel­dern, die Schwei­zer Ban­ken ver­wal­ten. Die­se Ver­mö­gen wach­sen im­mer noch, wenn auch mitt­ler­wei­le et­was lang­sa­mer als in an­de­ren Off­sho­re-Zen­tren wie Sin­ga­pur oder Hong­kong.

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Wie kom­men Sie dar­auf, dass die­se Ver­mö­gen hin­ter­zo­gen wer­den? Es gibt auch noch an­de­re Grün­de, Geld in der Schweiz an­zu­le­gen — et­wa Si­cher­heit und Sta­bi­li­tät.

Stimmt. Nicht al­le Off­sho­re-Gel­der wer­den hin­ter­zo­gen, aber der gröss­te Teil. Be­trach­ten wir die Da­ten: Die mitt­ler­wei­le de­kla­rier­ten Ver­mö­gen aus Län­dern wie Deutsch­land, Frank­reich oder den USA zei­gen, dass nur ein sehr klei­ner An­teil der Off­sho­re-Gel­der in der Schweiz den Be­hör­den of­fen­ge­legt wur­den. Aus den Da­ten zur Rück­for­de­rung von Ver­rech­nungs­steu­ern aus dem Aus­land lässt sich ab­schät­zen, dass bei Kon­to­in­ha­bern aus Euro­pa noch im­mer rund 80 Pro­zent der Ver­mö­gen den Steu­er­be­hör­den nicht ge­mel­det wer­den. Aus den Un­ter­su­chun­gen des US-Se­nats im Fall der UBS und der Cre­dit Suis­se wis­sen wir, dass zwi­schen 90 und 95 Pro­zent der Gel­der von Ame­ri­ka­nern in der Schweiz nicht de­kla­riert wur­den. Mit der Schät­zung von 80 Pro­zent tra­ge ich al­so einer ge­wis­sen Ver­bes­se­rung im Ver­gleich zur Ver­gan­gen­heit Rech­nung.

Über harte Be­wei­se für ein kri­mi­nel­les Fehl­ver­hal­ten der Ban­ken ver­fü­gen Sie aber nicht?

Eben hat eine der gröss­ten Schwei­zer Ban­ken in den USA ihr kri­mi­nel­les Fehl­ver­hal­ten ein­ge­stan­den.

Die Strafe be­trifft frü­he­re Jah­re.

Als Öko­nom in­ter­es­sie­ren mich Da­ten und An­rei­ze. Die USA ma­chen sehr viel Druck: Sie ver­lan­gen ho­he Bus­sen, dro­hen mit dem Ent­zug der Li­zenz und ver­fol­gen ein­zel­ne Ban­ker di­rekt. Aber in Euro­pa, den Ent­wick­lungs­län­dern und dem Rest der Welt droht nichts der­glei­chen. Jahr­zehn­te­lang ha­ben Ban­ker rei­chen Kun­den ge­hol­fen, il­le­gal Ver­mö­gen zu ver­stec­ken, und ha­ben so sehr viel Geld ver­dient. Auch jetzt kos­tet die­ses Ver­hal­ten im Ver­gleich zu den Ge­win­nen noch viel zu we­nig. Das Ge­schäft mit der Steu­er­hin­ter­zie­hung bleibt viel zu luk­ra­tiv. Des­halb bin ich skep­tisch, dass sich die Din­ge ra­di­kal ge­än­dert ha­ben.

Gabriel Zucman

Senkrechtstarter

(mdm)

Trotz sei­nem jun­gen Al­ter von 27 Jah­ren ist der Fran­zo­se Zuc­man be­reits As­si­stenz­pro­fes­sor an der re­nom­mier­ten Lon­don School of Eco­no­mics. Sei­ne Ar­bei­ten zum The­ma Steu­er­hin­ter­zie­hung und -op­ti­mi­erung wur­den in Top­fach­ma­ga­zi­nen der Öko­no­men wie der «Ame­ri­can Eco­no­mic Re­vue» pub­li­ziert. Im Ju­li ist beim Suhr­kamp-Ver­lag die deut­sche Aus­ga­be sei­nes Buchs unter dem Ti­tel «Steu­er­oasen» er­schie­nen. Die fran­zö­si­sche Ori­gi­nal­fas­sung war letz­tes Jahr in Frank­reich ein Best­sel­ler. Zuc­man ar­bei­tet eng mit dem «Pop­star der Öko­no­men», Tho­mas Pi­ket­ty, zu­sam­men. Die­se Be­zeich­nung ver­dankt Pi­ket­ty dem in­ter­na­tio­na­len Er­folg sei­nes Buchs «Ca­pi­tal», über die Ent­wick­lung der Un­gleich­heit.

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Die Anreize zur Steu­er­hin­ter­zie­hung sind doch deut­lich ge­sun­ken. Wir hö­ren täg­lich von dras­ti­schen Mass­nah­men ge­gen Ban­ken.

Die Ameri­ka­ner ha­ben er­kannt, wie man Steu­er­oasen an­pac­ken muss. An­ders­wo ge­schieht nur sehr we­nig. Dass eini­ge Ban­ker straf­recht­lich ver­folgt wer­den, ist nichts im Ver­gleich zum jahr­zehn­te­lan­gen Fehl­ver­hal­ten der Bran­che und den da­mit er­ziel­ten Ge­win­nen.

Sie stützen sich haupt­säch­lich auf Sta­tis­ti­ken aus der Schweiz.

Die Schwei­ze­ri­sche Na­tio­nal­bank ist die ein­zi­ge No­ten­bank, die den Um­fang der Off­sho­re-Ver­mö­gen im Land aus­weist. Ich wür­de mir wün­schen, an­de­re No­ten­ban­ken näh­men sich da­ran ein Vor­bild. Den­noch könn­ten auch die Schwei­zer Da­ten noch bes­ser sein: Es zeigt sich et­wa, dass sehr vie­le Ver­mö­gen in der Schweiz aus Län­dern wie den bri­ti­schen Jung­fern­in­seln, aus Jer­sey oder Pa­na­ma stam­men, die für ih­re Schein­fir­men und Hol­dings be­kannt sind. Es ist sehr schwer, zu er­ken­nen, wer letzt­lich Eigen­tü­mer die­ser Ver­mö­gen ist.

Gereicht uns die Trans­pa­renz der Sta­tis­ti­ken jetzt zum Nach­teil?

Ich inter­es­sie­re mich nicht nur we­gen der gu­ten Da­ten­la­ge für die Schweiz. Sie be­her­bergt nach mei­nen Be­rech­nun­gen mit 2,4 Bil­lio­nen Dol­lar rund ein Drit­tel der welt­wei­ten Off­sho­re-Gel­der von rund 7,6 Bil­lio­nen. Die­se 7,6 Bil­lio­nen ma­chen wie­der­um rund 8 Pro­zent des welt­wei­ten Fi­nanz­ver­mö­gens aus.

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Sie schrei­ben in Ih­rem Buch, die Hin­ter­zie­hung loh­ne sich nur für mitt­le­re Ver­mö­gen nicht mehr.

Wenn Sie das To­tal der of­fen­ge­leg­ten Ver­mö­gen durch die An­zahl ih­rer Be­sit­zer tei­len, dann er­hal­ten Sie einen Durch­schnitt von 500'000^nbsp;€ pro Per­son. Das ist nicht viel und be­deu­tet, dass es den sehr ho­hen hin­ter­zo­ge­nen Ver­mö­gen noch im­mer sehr gut ge­hen muss. Da­zu passt, dass sich die Ban­ken neu haupt­säch­lich auf die Al­ler­reich­sten kon­zen­trie­ren — hier liegt das gröss­te Wachs­tum. Das zeigt sich auch da­ran, dass welt­weit die Ver­mö­gens­un­gleich­heit stark zu­nimmt. Die Wachs­tums­ra­te von Ver­mö­gen im Um­fang von 50 Mil­lio­nen und mehr Dol­lar, Fran­ken oder Euro ist sehr viel hö­her als das Wachs­tum der Durch­schnitts­ver­mö­gen.

Wie muss man sich das Vor­ge­hen der Reich­sten denn vor­stel­len?

Heute läuft die Steu­er­hin­ter­zie­hung nicht mehr ein­fach so, dass Sie ein Bank­kon­to in einem an­de­ren Land er­öff­nen. Gleich­zei­tig braucht es eine An­zahl von Tech­ni­ken, um die Be­sitz­ver­hält­nis­se zu ver­schlei­ern. Man schafft et­wa Schein­fir­men, Hol­ding-Ge­sell­schaf­ten, Trusts oder Stif­tun­gen. Die­se Ak­ti­vi­tä­ten ha­ben in den letz­ten Jah­ren sehr stark zu­ge­nom­men. Be­sitzt man nur eini­ge Hun­dert­tau­send Dol­lar, ist das zu teu­er.

Sie fordern Zöl­le von 30 Pro­zent auf un­se­re Ex­por­te, um die Schwei­zer Ban­ken zu zwin­gen, das Ge­schäft mit der Steu­er­hin­ter­zie­hung auf­zu­ge­ben. Das wür­den wir hier als sehr un­fair em­pfin­den.

Es reicht nicht, die Pro­fi­teu­re der Steu­er­hin­ter­zie­hung freund­lich zu bit­ten, sich zu än­dern. Das hat nie funk­tio­niert. Mit dem Fehl­ver­hal­ten lässt sich wie ge­sagt zu viel Geld ver­die­nen. Es geht dar­um, die An­rei­ze zu än­dern. Man muss den Steu­er­oasen Kos­ten auf­er­le­gen, die min­des­tens dem Um­fang ent­spre­chen, den an­de­re Län­der durch de­ren Ver­hal­ten ver­lie­ren. Zöl­le sind da­für eine Mög­lich­keit. Es gibt auch an­de­re, wie die sehr ef­fi­zien­ten Mass­nah­men der USA zei­gen. Es ist schlicht un­rea­lis­tisch, dass die Ban­ken sonst das luk­ra­ti­ve Ge­schäft der Steu­er­hin­ter­zie­hung auf­ge­ben.

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Mit solchen Zöl­len wür­den Sie eine Be­völ­ke­rung be­stra­fen, von der eine Mehr­heit das Ver­hal­ten der Ban­ken nicht ge­bil­ligt hat.

Ich bin über­zeugt, dass die Mehr­heit der Schwei­zer über die Steu­er­hin­ter­zie­hung em­pört ist. Des­halb bin ich grund­sätz­lich ge­gen Zöl­le und für den frei­en Han­del. Eigent­lich müss­te die Ko­ope­ra­ti­on in Steu­er­fra­gen das Er­geb­nis eines de­mo­kra­ti­schen Pro­zes­ses sein. Aber für den Fall, dass dies nicht ge­schieht, brau­chen wir einen Plan. Das gilt üb­ri­gens nicht nur für die Schweiz, son­dern für al­le Steu­er­oasen.

Sie bestreiten in Ihrem Buch, dass die Steu­er­oasen in Kon­kur­renz zu­ein­an­der ste­hen.

Die Schweiz, Lu­xem­burg, Sin­ga­pur und die klei­ne­ren Oasen er­gän­zen sich ge­gen­sei­tig. Und an all die­sen Or­ten sind es ge­nau die glei­chen Ban­ken, die das Ge­schäft aus­füh­ren: sol­che aus der Schweiz, den USA, Deutsch­land oder Gross­bri­tan­ni­en. In der Schweiz fo­kus­sie­ren sie sich auf die Ver­mö­gens­ver­wal­tung, in Lu­xem­burg auf die Fonds, in Jer­sey auf die Bil­dung von Trusts. Über­all nut­zen sie da­bei die ent­spre­chen­de Rechts­la­ge aus. Es geht um eine in­ter­na­tio­na­le Ar­beits­tei­lung der Steu­er­hin­ter­zie­hung, bei der die Spe­zia­li­tät je­der Steu­er­oase aus­ge­nutzt wird.

Die Speziali­tät des Schwei­zer Fi­nanz­plat­zes ist al­so nicht die Ver­tu­schung?

Nein. Schein­fir­men zur Ver­schleie­rung der Eigen­tums­ver­hält­nis­se zu schaf­fen, ist seit Jahr­zehn­ten die Spe­zia­li­tät von klei­nen Oasen wie den bri­ti­schen Jung­fern­in­seln oder Pa­na­ma, aber auch von US-Staa­ten wie De­la­wa­re, Wyo­ming oder Ne­va­da. Die Spe­zia­li­tät der Schweiz ist es, die­se Ver­mö­gen zu ma­na­gen.

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Wieso stehen Fi­nanz­plät­ze wie ge­wis­se US-Staa­ten nicht un­ter einem ähn­li­chen in­ter­na­tio­na­len Druck wie die Schweiz?

Das ist ein gros­ses Prob­lem. Die USA ha­ben auf die Schweiz sehr viel Druck aus­ge­übt. Aber nicht ge­nug auf die an­de­ren Steu­er­oasen und die eige­nen Mit­glieds­staa­ten, die Geld­wä­sche und Steu­er­hin­ter­zie­hung mög­lich ma­chen. Ich kann nur hof­fen, dass sich das künf­tig än­dert.

Noch här­ter als mit der Schweiz ge­hen Sie mit Lu­xem­burg ins Ge­richt. In Ih­rem Buch for­dern Sie das Land zum Ver­las­sen der EU auf.

Die Finanz­in­du­strie hat einen An­teil von 40 Pro­zent an der Wirt­schafts­leis­tung. In der Schweiz liegt die­ser An­teil zwi­schen 7 und 8 Pro­zent. Auch in Lu­xem­burg lebt nicht die gan­ze Fi­nanz­in­du­strie von Steu­er­hin­ter­zie­hung oder Steu­er­op­ti­mie­rung, aber ein gros­ser Teil. Die EU kann lang­fris­tig nicht funk­tio­nie­ren, wenn in ih­rem Her­zen ein Land ist, dass sei­ne Nach­barn um um­fas­sen­de Steu­er­ein­künf­te be­raubt.

Was dachten Sie, als Jean-Clau­de Junc­ker zum Prä­si­den­ten der EU-Kom­mis­si­on ge­wählt wur­de?

Seine Leis­tung als Pre­mi­er Lu­xem­burgs und Chef der Euro­gru­ppe wäh­rend der Euro­kri­se war ext­rem schlecht. Ich fand es da­her über­ra­schend, dass man ihn für die­sen Pos­ten aus­ge­wählt hat. Ich kann nur hof­fen, dass er als Kom­mis­si­ons­prä­si­dent bes­ser ist. Wir müs­sen zu­min­dest ge­nau hin­schau­en, wie die Un­ter­su­chung der EU-Kom­mis­si­on ver­läuft, die die Prak­ti­ken Lu­xem­burgs in punc­to Steu­er­op­ti­mie­rung von mul­ti­na­tio­na­len Kon­zer­nen ana­ly­siert. Und wir müs­sen ge­nau hin­schau­en, was die EU wei­ter­hin un­ter­nimmt, um die Steu­er­hin­ter­zie­hung zu ver­un­mög­li­chen. Ge­mes­sen an den Er­fah­run­gen mit Junc­ker, bin ich nicht sehr op­ti­mis­tisch.

Sie haben die Steuer­op­ti­mie­rung der Un­ter­ne­hmen an­ge­spro­chen. Wie be­deut­sam ist die­se?

Die ent­gan­ge­nen Steu­er­ein­nah­men sind noch grös­ser als bei der Steu­er­hin­ter­zie­hung durch die Rei­chen. Der gros­se Un­ter­schied ist, dass die Hin­ter­zie­hung il­le­gal ist, die Steu­er­op­ti­mie­rung da­ge­gen nicht. Hier wird ag­gres­siv ver­sucht, Steu­er­schlupf­lö­cher aus­zu­nut­zen. Es ist sehr wich­tig, das zu än­dern.

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Welche Bedeutung ha­ben Steu­er­hin­ter­zie­hung und -op­ti­mie­rung für das Prob­lem der Staats­ver­schul­dung?

Die öf­fent­li­chen Schul­den in Grie­chen­land und an­de­ren Län­dern wä­ren oh­ne die jahr­zehn­te­lan­ge Steu­er­hin­ter­zie­hung sehr viel ge­rin­ger. Aber auch die Aus­sen­ver­schul­dung un­ter Ein­be­zug des Pri­vat­sek­tors wird durch die Steuver­hin­ter­zie­hung stark ver­zerrt. Laut of­fi­zi­el­len Da­ten sind die Net­to­schul­den vie­ler euro­päi­scher Län­der und der USA sehr hoch. Be­rück­sich­tigt man die nicht ge­mel­de­ten Ver­mö­gen, sind die rei­chen Län­der ge­gen­über Chi­na und an­de­ren Schwel­len­län­dern Net­to­gläu­bi­ger.

Als Lösung für die Hin­ter­zie­hung schla­gen Sie ein in­ter­na­tio­na­les Ver­mö­gens­re­gis­ter vor und — wie Tho­mas Pi­ket­ty — eine Steu­er auf Ver­mö­gen. Wel­che Chan­cen hat das?

Ein in­ter­na­tio­na­les Ver­mö­gens­re­gis­ter und die ent­spre­chen­de Steu­er auf den Ver­mö­gen er­gän­zen sich. Sie wer­den kaum in nächs­ter Zeit ein­ge­führt. Aber bei­de Lö­sun­gen sind rea­lis­tisch. Wie Bei­spie­le ein­zel­ner Län­der zei­gen, wä­re es tech­nisch mach­bar. Noch vor we­ni­gen Jah­ren hät­ten es die meis­ten so­ge­nann­ten Ex­per­ten auch noch für un­mög­lich ge­hal­ten, dass sich der auto­ma­ti­sche Aus­tausch von Steu­er­in­for­ma­tio­nen in­ter­na­tio­nal durch­set­zen könn­te. Jetzt sind wir auf dem Weg da­zu. Las­sen wir uns al­so über­ra­schen.

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