«Medical Tribune» — Dr. Robert Vieli — 34. Jahrgang • Nr. 51/52 • 21.•Dezember•2001
Die Volksabstimmung vom November 2025 wird uns auf ewig im Gedächtnis haften bleiben. In jenem denkwürdigen Plebiszit lehnte es nämlich die Eidgenossenschaft ab, Englisch zur Landessprache zu machen. Die Stimmbeteiligung betrug 82%, ein Rekord!
Mit härtesten Bandagen war gekämpft worden. Das ‟Be inspired” der Befürworter, das auf den Plakatwänden der Miss Schweiz 2024 in den Mund gelegt wurde, mass sich mit dem Wahlspruch der Gegner, ‟I schnorra, wias mr passt!”, den Mister Schweiz 2025 von sich gab.
Endlich handelte es sich wieder einmal um einen Abstimmungsgegenstand, bei dem jedermann mitreden konnte. Ein volkstümlicher Bundesrat aus dem Emmental fragte besorgt: ‟Dürfen wir es in unserem Land so weit kommen lassen, dass sich im Zeitraum einer Generation jung und alt nicht mehr verstehen!” Doch einige Werbeagenturen hielten kampflustig dagegen mit: ‟Upgrade your life”, ein Satz, mit dem sie sonst für eine Automarke warben, und mit dem Aufruf zu ‟Global Flexibility”, womit sie noch vor kurzem für eine besonders bequeme Polstergruppe Reklame machten.
Zwar war der Ausgang der Abstimmung keineswegs von vornherein klar, eines aber schwante den Anglophilen im Land zu Recht. Wenn sich Rückständigkeit und Hinterwäldlertum mit der Devise ‟Lasst uns reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist”, durchsetzen würden, dann käme ein Sprachsäuberungsprozess in Gang, für den das Ausmisten des Augiasstalls eine milde Untertreibung wäre, Und tatsächlich, die Kassandrarufe bestätigten sich. Kaum stand der Sieg der traditionellen Mundartschnorrer fest, setzte eine wahre Hetze gegen die Schuldigen der Zersetzung der so wohltuend krächzenden Ursprache ein.
Die leidenschaftlichen Befürworter des Frühenglischen in Schulen, Kindergärten und Säuglingshorten verloren Amt und Würde und wanderten zu Tausenden nach Amerika oder Australien aus, wo man sie ihrer schlechten Aussprache wegen kaum verstand.
Eine neu geschaffene Sprachpolizei drang in die Konferenzsäle der Wirtschaftskolosse ein und unterband jeden weiteren Versuch, sich weiterhin englisch übers Ohr zu hauen. Dass sich Welsche und Deutschschweizer nur mittels dieser einzigen, allen geläufigen Fremdsprache verständigen konnten, ging nach dem Volksentscheid vom November 2025 nicht mehr an. Die amerikanischen, indischen, chinesischen und russischen Manager, die unsere Multis mehr und mehr durchsetzten, wurden zwangsweise in Sprachkurse in mindestens einer Landessprache und einem Dialekt abgeführt.
Selbst biederen, einheimischen Anglisten fiel ein Stein vom Herzen, weil ihnen das ‟Swiss Pidgin English”, wie man es mit anderem Lokalkolorit in Indien oder Nigeria spricht, längst ein Dorn im Auge gewesen war. Besser gar nichts als die Verhunzung von Shakespeare. Aus Zürich und Bern würde auch nach Jahrhunderten kein Oxford oder Cambridge.
Doch damit kam die Inquisition erst richtig in Fahrt. Wer war schuld, dass das Schweizerhochdeutsch mit Tausenden von Anglizismen durchsetzt war und zu einem anglogermanohelvetischen Babylon verkam? Wer hatte es zu verantworten, dass der verfassungsmässig garantierte Schutz von Minderheiten nicht auf den kunterbunten Dialektsalat ausgedehnt worden war? Gibt es einen besseren Beweis für die beglückende Mehrsprachigkeit unseres Volkes als die Tatsache, dass jeder Schweizer jeden Dialekt seines Mitbürgers versteht? Wären all die Anstrengungen, Helvetien zu anglifizieren, den vier alten Landessprachen dienlich gemacht worden, hätte man in den oberen Etagen der Multis sogar in Rumantsch Grischun kommunizieren können.
Übrigens gaben sich die Abstimmungssieger nicht so streng, dass sie das Studium des Englischen grundsätzlich verboten hätten. Sprechen aber dürfte man es nur mit englischen Touristen, asiatischen Kaufleuten, afrikanischen Diamantenhändlern und russischen Mafiosi. Vor allem auch in der Armee musste Tacheles geredet werden. Dem Unfug, Englisch als einzig zulässige Kommandosprache zu pflegen, um Missverständnisse auf NATO-Ebene auszuräumen, müsste sofort ein Ende gesetzt werden. Und keiner sollte noch ungestraft vom ‟Swiss-ArmyKnife” reden, das dadurch, dass die Röntgenaugen auf den Flughäfen wachsam blieben, noch immer dem Zugriff feindlicher Spionage entzogen werden konnte. Die ‟Swiss lntelligence Agency” aber brauchte bloss den Namen zu ändern. Hinter den Mauern galt schon vor dem Plebiszit eine einzige Schweizer Mundart als zulässig und zwar Berndeutsch in der urchigen Haslitaler-Variante, die sich als absolut abhörsicher erwies.
Schlecht erging es auch jener Bank, die ihr Institut über Jahre mit dem Spruch ‟Wer den Penny nicht ehrt, ist des Pounds nicht wert”, dem Kleinsparer beliebt machen wollte. Die Kunden plünderten die Konten.
Bei einem scharfen Verweis liess man es beim letztjährigen Bundespräsidenten bewenden. Reuig kroch er zu Kreuze und versprach, nie mehr eine Neujahrsansprache oder das Wort zum Tag der Kranken in Englisch zu radebrechen. Wie sehr er frohlockte, künftighin die Nachhilfestunden in dieser Sprache schwänzen zu dürfen, versuchte er wenig überzeugend zu verheimlichen.
Eine Breitseite aber feuerten die Abstimmungssieger gegen die Werbebranche. In ihr wären die Hauptsünder der nun endlich gestoppten Entwicklung auszumachen. Wer in diesem Land weiterhin ‟Finest Walking Shoes” oder solche ‟to go miles” verkaufen wollte, ginge schon bald barfuss in den Konkurs. Wer weiterhin seine ‟Think Systems: Plan, Build, Run” anpriese, dem würde eine nie mehr endende Denkpause verpasst. Und wer Auto mit dem Slogan ‟Active Driving and Safety 4 your own way” auf den Markt würfe, bliebe auf ihnen sitzen.
Übrigens hatte sich im Abstimmungskampf ein Philologe besonders hervorgetan. Er wies nach, dass trotz aller Verbreitung der nun geächteten Fremdsprache kein Schweizer so richtig herzhaft englisch zu fluchen vermochte. Dieser Umstand liess ihn für den Volksentscheid hoffen. Solange der Schweizer nur in seiner ungemein kläffenden Ursprache fluche, sei die helvetische Seele noch intakt, und das Volk gab ihm Recht.
Doch die Sprachsäuberer stellten noch ganz andere Schuldige an den Pranger. Ärzte hatten sich als besonders anfällig für englische Spracheinflüsse erwiesen. Da man aber nicht die ganze medizinische Zunft des Landes verweisen könnte, begnügte man sich damit, ihnen bei Rückfällen die Approbation zu entziehen. Vorbei wären die Zeiten, in denen von ‟Morning Sickness” und ‟Low Dose Therapy” geredet werden durfte. Vorbei die ‟Lipid Intervention Strategy” für ‟Coronary Patients” oder die Empfehlungen eines ‟Clinical Synthesis Panels”. Nie mehr sollte das ‟PlaqueSealing” einem ‟Watchful-Waiting” unterworfen werden. Und niemandem wäre es noch gestattet, ‟back to the roots” zu gehen und vom ‟only good Helicobacter” zu reden. Die ‟Win-Win” Situation im ‟Conflict of interest” müsste ebenso begraben werden wie das ‟Empowerment der Opinion Leaders” in einem ‟Consensus Meeting”.
Nur mit der Jugend wollten es die Sprachbewahrer nicht ganz verderben. Zwar warnten sie vor den englischen Wortfetzen der Rocker und Rapper, hielten aber das Gefahrenmoment für bescheiden, da die Interpreten nur selten verstanden würden. Dass es aber auch anders ginge, bekundeten sie mit einer Lobeshymne auf Gölä.
Wie immer traten auch Kritiker auf den Plan. So bemäkelten Computerspezialisten das Ungenügen sämtlicher Sprachen ausser der englischen für ihr Fach. Doch als ob die Sprachbewahrer auf diesen Einwand nur gewartet hätten, konterten sie sofort. Streng wiesen sie die Kritik zurück und reichten als Gegenbeweis eine rein deutsche Computerbedienungsanleitung, die ein Falk Schönfeld verfasst hatte, nach.
‟Nur auf guter Hartware kann die Weichware schnell laufen. Dafür ist ein gutes Mutterbrett wichtig. Ferner benötigen wir einen 17-Daumenlang-Vorzeiger und ein ordentliches Schlüsselbrett. In der Weichware sollte überdies eine mindestens 32-Riesenbiss-Erinnerung eingebaut sein. Zudem ein 3½ Daumenlang-Schlappscheibentreiber und eine Dichtscheiben-Lese-nur-Erinnerung. Eine Hartscheibe mit vier Gigantischbiss reicht als Erinnerungsplatz für Weichware und Daten. Es empfiehlt sich, ein Betriebssystem mit einem grafischen Benutzer-Zwischengesicht zum Winzigweich-Fenster 3.1. oder 98 zu installieren. Letzteres besteht aus den neuesten Ausgaben der Weichwaren Wort, Übertreff, Kraftpunkt und Zugriff. Damit stehen dem Benutzer alle wichtigen Funktionen wie Wortveredelung, Ausbreitblatt und Datenstützpunkt-Behandlung zur Verfügung”.
Noch steht die Übersetzung dieser sprachlichen Meisterleistung in Mundart aus, doch einer aus der 78-prozentigen Mehrheit wird sich mühelos dafür finden lassen.
Und noch etwas hat der Volksentscheid voller Weisheit vorweggenommen. Neueste Erkenntnisse über genetisch bedingte Sprachstörungen beweisen, dass auch die natürliche Sprachentwicklung gene-tisch zementiert ist. Alles von aussen einer Sprache Übergestülpte steht somit auf schwachen Beinen und lässt sich leicht wieder abschütteln. Wollte man dies verhindern, wäre eine Genmanipulation von Nöten. Soll es einer versuchen! Wie ein Mann träte ihm die 78-prozentige Volksmehrheit entgegen und gegen das Schienbein. Einem so cha-rakterstarken Volk wie dem unseren kann man nicht ungestraft an die Gene gehen wollen.