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SBB behalten die Kondukteure — aber streichen den Billettverkauf im Zug

2000 Menschen kau­fen je­den Tag ein Bil­lett im Zug. Künf­tig gel­ten sie al­le als Schwarz­fah­rer und wer­den in einem Re­gis­ter er­fasst. Der Är­ger ist pro­gram­miert — et­wa we­gen der Aus­nah­men.

Von Angela Barandun
Kondukteur
Die Zug­be­glei­ter ver­kau­fen ab dem Fahr­plan­wech­sel kei­ne Bil­let­te mehr.   Foto: Pixsil

«Stellen Sie sich vor, Sie hät­ten einen wich­ti­gen Ter­min mit Ver­kehrs­mi­nis­te­rin Do­ris Leut­hard», sagt Kurt Schrei­ber. Sie sind knapp dran, für ein Bil­lett reicht es nicht mehr. «Sie müs­sen sich ent­schei­den: Stei­gen Sie oh­ne Bil­lett in den Zug ein, oder kom­men Sie zu spät?», sagt der Chef von Pro Bahn, dem In­ter­es­sen­ver­band der Bahn­kun­den.

Bis jetzt war die Ant­wort klar. Man be­stieg den Zug, war­te­te auf den Kon­trol­leur, kauf­te ein Bil­lett und zahl­te 10 Fran­ken Zu­schlag. Rund 2000 Men­schen ha­ben die­sen Ser­vi­ce je­den Tag in An­spruch ge­nom­men. Mit dem Fahr­plan­wech­sel im De­zem­ber ist es da­mit vor­bei. Wer kein Bil­lett hat, gilt als Schwarz­fah­rer — und zahlt 90 Fran­ken Zu­schlag. Aus­ser­dem wird er von den SBB in einem Schwarz­fah­rer-Re­gis­ter er­fasst und muss als Wie­der­ho­lungs­tä­ter erst 130 Fran­ken, dann 160 Fran­ken zah­len.

20 Millionen aus Zuschlägen

Die SBB wol­len mit der Bil­lett­pflicht no­to­ri­sche Grau­fah­rer zur Kas­se bit­ten — Men­schen, die et­wa auf Strec­ken wie Zü­rich-Aarau dar­auf spe­ku­lie­ren, dass der Kon­duk­teur so­wie­so nicht kommt, kein Bil­lett kau­fen — und meist recht be­hal­ten. Für SBB-Spre­cher Chris­tian Gin­sig eine Fra­ge der Fair­ness: «Die Kos­ten für die Schwarz­fah­rer tra­gen die zah­len­den Kun­den.» Die SBB hof­fen dank der neu­en Re­geln auf Mehr­ein­nah­men in zwei­stel­li­ger Mil­lio­nen­hö­he. Geld­ma­che­rei sei das aber kei­ne: «Im Re­gio­nal­ver­kehr neh­men wir 20 Mil­lio­nen Fran­ken pro Jahr aus Zu­schlä­gen ein. Das deckt die Kos­ten der Kon­trol­len bei wei­tem nicht.» Im Ge­gen­satz zum Re­gio­nal­ver­kehr, wo das Per­so­nal ge­stri­chen wur­de, füh­ren die SBB im Fern­ver­kehr je­doch kei­ne rei­ne Selbst­kon­trol­le ein. Es wird wei­ter­hin in je­dem Zug zwei Zug­be­glei­ter ge­ben, die Bil­let­te über­prü­fen — und Bus­sen ver­tei­len.

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Als zent­ra­les Ele­ment der neu­en Bil­lett­pflicht im Fern­ver­kehr gel­ten die Aus­nah­men — et­wa für Tou­ris­ten oder für Men­schen, die mit den Bil­lett­auto­ma­ten nicht zu­recht­kom­men. Doch wie die­se Ku­lanz­re­geln ge­nau aus­se­hen, wie lan­ge sie gel­ten und wer sie an­wen­den darf — die In­kas­so­stel­le der SBB oder die Zug­be­glei­ter —, ist noch un­klar. Die Eisen­bahn­ge­werk­schaft SEV for­dert, dass die Zug­be­glei­ter ent­schei­den kön­nen — um Kon­flik­ten vor­zu­beu­gen. «Die SBB ha­ben die Zug­be­glei­ter ext­ra für sol­che Si­tua­tio­nen ge­schult, es wä­re ab­surd, sie jetzt zu Zu­schlags­ein­trei­bern zu de­gra­die­ren», sagt Jürg Hur­ni. Die SBB hin­ge­gen wol­len ver­hin­dern, dass es zu Dis­kus­sio­nen in den Zü­gen kommt – da­rum ent­schei­det im Re­gio­nal­ver­kehr die zent­ra­le In­kas­so­stel­le. Pro-Bahn-Prä­si­dent Schrei­ber hin­geg­en hat grund­sätz­li­che Be­den­ken: «Wo zieht man die Gren­zen bei sol­chen Aus­nah­men?»

Recht­lich ist es üb­ri­gens in Ord­nung, al­le bil­lett­lo­sen Bahn­fah­rer in einen Topf zu wer­fen, sagt Rechts­an­walt Marc Sie­gen­tha­ler von der Kanz­lei CMS von Er­lach Hen­ri­ci: «Wie­so je­mand kein Bil­lett hat oder ob er schwarz­fah­ren woll­te, spielt kei­ne Rol­le.» Recht­lich sei das Ver­schul­den nicht re­le­vant. «Trans­port­un­ter­neh­men ver­hän­gen ge­mäss gän­gi­gem Recht kei­ne Bus­sen im straf­recht­li­chen Sinn», er­klärt Sie­gen­tha­ler, «son­dern bloss einen pau­schalen Zu­schlag, um Ver­lus­te und Kos­ten des Schwarz­fah­rens zu kom­pen­sie­ren.»

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