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Der Schnellzug boomt, der Regionalzug darbt

Auf den inner­italienischen Hoch­geschwindigkeits­strecken locken die Bahnen die Kunden mit immer attrak­tiveren Angeboten. Umso schlechter wird dafür der Service auf Neben­linien. Dazu gehören auch die Strecken von Mailand in die Schweiz.

Von René Lenzin, Savigliano

Italienische Eisnbahnnetz

Dieser Ta­ge über­bie­ten sich die ita­lie­ni­sche Staats­bahn Tren­ita­lia und ih­re pri­va­te Kon­kur­ren­tin Nuo­vo Tra­spor­to Viag­gia­to­ri (NTV) mit Pres­se­kon­fe­ren­zen und Su­per­la­ti­ven. Der An­lass: 2012 lan­ciert NTV die ers­ten Hoch­ge­schwin­dig­keits­zü­ge auf den Strec­ken Turin-Mai­land-Rom-Nea­pel-Sa­ler­no und Rom-Ve­ne­dig (siehe Karte). Bis im Sep­tem­ber will NTV die ge­sam­te Flot­te von 25 Zü­gen im Ein­satz ha­ben, wie ihr Chef Giu­sep­pe Sciar­ro­ne im Als­tom-Werk Sa­vi­glia­no er­klär­te. Dort prä­sen­tier­te er den ers­ten NTV-Zug na­mens Ita­lo.

Bereits letz­te Wo­che hat Tren­ita­lia die neus­te Ge­ne­ra­tion ih­res Hoch­ge­schwin­dig­keits­zugs Frec­cia­ros­sa vor­ge­stellt. Die­ser ist nicht mehr mit dem her­kömm­li­chen Zwei­klas­sen­sys­tem aus­ge­stat­tet, son­dern bie­tet vier Ka­te­go­rien von Sitz­plät­zen an: «Stan­dard», was der heu­ti­gen 2. Klas­se ent­spricht, «Pre­mium», «Bu­si­ness» und «Exe­cu­ti­ve». Die Preis­span­ne für ein Bil­lett Mai­land–Rom ein­fach reicht von 86 bis 200 Euro. Auf dif­fe­ren­zier­te An­ge­bo­te und Prei­se jen­seits der bis­he­ri­gen Un­ter­schie­de zwi­schen 1. und 2. Klas­se setzt auch NTV. Als Plus ge­währt die neue Ge­sell­schaft Gra­tis­in­ter­net im gan­zen Zug.

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Ver­spä­tet, alt und schmut­zig

Da­von kön­nen die Pas­sa­gie­re des re­gio­na­len Zug­ver­kehrs in Ita­lien nur träu­men. Ver­spä­tungen, Zug­aus­fäl­le, ver­al­te­tes oder schlecht un­ter­hal­te­nes Roll­ma­te­rial sind dort an der Ta­ges­ord­nung. In den gros­sen Ag­glo­me­ra­tio­nen gibt es kaum Ta­rif­ver­bün­de für Pend­ler. Ver­schärft wird die pre­kä­re Si­tua­tion durch Sa­nie­rungs­pro­gram­me der Re­gie­rung, die Trans­fer­leis­tun­gen an Re­gio­nen und Ge­mein­den ge­kürzt hat.

«Die Hoch­ge­schwin­dig­keit funk­tio­niert, Prob­le­me hat Ita­lien im Re­gio­nal­ver­kehr», sagt auch NTV-Chef Sciar­ro­ne. Er macht da­für aber nicht in ers­ter Li­nie die feh­len­den Mit­tel ver­ant­wort­lich, son­dern den feh­len­den Wett­be­werb. NTV wür­de sich ger­ne im Re­gio­nal- und Pend­ler­ver­kehr en­ga­gie­ren, wer­de aber nicht zu­ge­las­sen, sagt er. Im No­vem­ber 2009 hat Pie­mont die Kon­zes­sion für den re­gio­na­len öf­fent­li­chen Ver­kehr aus­ge­schrie­ben, doch nach der Wahl des Le­ga­po­li­ti­kers Ro­ber­to Co­ta zum Re­gio­nal­prä­si­den­ten im Früh­jahr 2010 wur­de die Aus­schrei­bung ab­ge­bro­chen. Sciar­ro­ne hofft nun auf die neue ita­lie­ni­sche Re­gie­rung, wel­che «die Re­gio­nen er­mu­ti­gen soll, die Bahn­kon­zes­sio­nen aus­zu­schrei­ben».

Im «Vieh­wagen» in die Schweiz

Das ist je­doch Zu­kunfts­mu­sik. Wäh­rend Kun­den bei den Hoch­ge­schwin­dig­keits­zü­gen bald die Qual der Wahl ha­ben, müs­sen sie auf bes­se­re Leis­tun­gen im Re­gio­nal­ver­kehr war­ten. Das är­gert nicht nur die Pend­ler, son­dern auch die Tou­ris­ti­ker. «Wie soll ich Tou­ris­ten per Bahn ins Velt­lin ho­len, wenn die Zü­ge lang­sam fah­ren, aus­sen ver­sprayt und in­nen schmut­zig sind?», frag­te kürz­lich der Tou­ris­mus­chef der Pro­vinz Sond­rio im «Co­rrie­re del­la Se­ra». Auf den Punkt bringt es ein ita­lie­ni­scher Eisen­bahn­jour­na­list: «Wer von Rom nach Ber­ga­mo oder ins Velt­lin reist, muss in Mai­land in den Vieh­wa­gen um­stei­gen.»

Ähnli­ches lies­se sich auch über die Li­nien von Mai­land Rich­tung Schweiz sa­gen. Die­se sind auf der Prio­ri­tä­ten­lis­te von Tren­ita­lia weit un­ten, was vor al­lem die Rei­sen­den auf der Gott­hard­strec­ke zu spü­ren be­kom­men. Ab dem kom­men­den Wo­chen­en­de gibt es we­ni­ger und erst noch lang­sa­me­re Di­rekt­ver­bin­dun­gen von Zü­rich nach Mai­land. Von der Simp­lon­ach­se hat sich Tren­ita­lia ganz zu­rück­ge­zo­gen (sie­he Ar­ti­kel «Trenitalia bricht Versprechen»). Bes­ser wird das An­ge­bot für Ita­lien­rei­sen­de erst ab Mai­land, zu­min­dest wenn sie nach Flo­renz, Rom oder Tu­rin fah­ren. In die­sem Fall kön­nen sie künf­tig nicht nur zwi­schen Tren­ita­lia und der pri­va­ten Kon­kur­renz von NTV wäh­len. Das An­gebot reicht gar vom ein­fa­chen Sitz­platz bis zur Bu­si­ness­loun­ge.

Zugverkehr zwischen der Schweiz und Italien     Trenitalia bricht Versprechen