Kon­kor­danz

( Un­wort des Jah­res 2010 ? )

Kon­kor­danz heisst Eini­gung

(lat.: concor­dan­tia = Über­ein­stim­mung; concor­dia = Ein­tracht / Göt­tin der Ein­tracht; concor­dare = einig sein / einig werden)

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Die Schwei­ze­ri­sche Bun­des­po­li­tik be­ruht da­rauf, dass al­le Mei­nun­gen auf den Tisch ge­legt wer­den. Dann rauft man sich zu­sam­men und einigt sich auf eine für al­le gang­ba­re Lö­sung. Da­bei soll mög­lichst kei­ne Mei­nung von Par­tei­en oder Be­völ­ke­rungs­grup­pen un­ter den Tisch ge­wischt wer­den. Es sol­len al­le da­mit le­ben kön­nen.

Im Ge­gen­satz zu einer Dik­ta­tur der Mehr­heit¹) nennt man das eine «Ei­ni­gungs-De­mo­kra­tie» oder eben eine «Kon­kor­danz-De­mo­kra­tie».

Bundes­rats-Wahlen

Auch bei der Zu­sam­men­set­zung des Bun­des­ra­tes hat man sich ein­mal ge­ei­nigt. Statt nur einen Chef zu wäh­len, der dann mit sei­nen gleich­ge­sinn­ten Günst­lin­gen eine Amts­dauer re­giert und mö­glichst vie­le sei­ner Geg­ner über­fährt, und ge­wit­zigt durch das Tohu­wa­bohu in an­de­ren Län­dern hat man sich für eine Kon­kor­danz-De­mo­kra­tie ent­schie­den. Im Fal­le der Bun­des­rats-Man­da­te hiess dies:

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    Die drei Par­tei­en mit dem gröss­ten Anteil an Par­la­men­ta­riern stel­len zwei Bun­des­rä­te, die viert­gröss­te Par­tei einen.
  2. Die Bun­des­räte sol­len al­le Lan­des­tei­le und Lan­des­kul­tu­ren ver­tre­ten, d.h. in der Re­gel sol­len al­le Bun­des­rä­te aus ver­schie­de­nen Kan­to­nen stam­men, und die “ro­ma­ni­sche” Schweiz soll im­mer im Bun­des­rat ver­tre­ten sein, mög­lichst so­wohl die fran­zö­si­sche als auch die ita­lie­ni­sche oder räto­ro­ma­ni­sche.
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    Al­le Bun­des­räte wer­den von der ver­ei­nig­ten Bun­des­ver­samm­lung ge­wählt, die Par­tei­en schla­gen sie nur vor. Die Par­la­men­ta­rier wäh­len — so­weit zu­mut­bar — aus die­sen Vor­schlä­gen aus. Ist je­doch kein Kan­di­dat für einen Par­la­men­ta­rier “wähl­bar”, so steht es ihm frei²), je­man­den an­ders vor­zu­schla­gen und zu wäh­len. Die­ser “an­de­re” Kan­di­dat soll­te aber nicht ge­gen die ers­ten bei­den Re­geln ver­stos­sen.

Vor eini­gen Jah­ren wur­de die Re­gel der Kan­tons­zu­ge­hö­rig­keit ab­ge­schwächt, weil nicht im­mer die Kan­tons­zu­ge­hö­rig­keit die Viel­falt un­se­rer Kul­tu­ren ab­bil­det. Wirt­schaft­li­che Kom­pe­tenz scheint zu­neh­mend eben­so wich­tig zu sein. So weit, so gut. Schliess­lich re­prä­sen­tie­ren nicht mehr un­be­dingt die Kan­to­ne die Min­der­hei­ten.

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Heu­te wird nur noch von die­ser ein­zi­gen Ei­ni­gung ge­spro­chen, wenn man von Kon­kor­danz re­det, und am lau­tes­ten von den­je­ni­gen, die sie schon seit Jah­ren miss­ach­ten. “Sich eini­gen” ist nicht mehr “in”. Es gilt als Schwä­che. Der Grind muss durch­ge­setzt sein, auch wenn es der gröss­te Blöd­sinn ist. Das er­in­nert schwer an das Ver­hal­ten von ver­gam­mel­ten Ju­gend­li­chen (kommt aber auch im Alters­starr­sinn vor).

Eini­gen tue ich si­cher un­recht, wenn ich die­ses Par­la­ment als ein Hau­fen von “Sau­go­fen” be­trach­te.

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Bun­des­rats­wahl Herbst 2010

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Wie­der ein­mal sind mit­ten in einer Le­gis­la­tur zwei neue Bun­des­rä­te (Bun­des­rä­tin­nen) zu wäh­len. Und das Ge­schrei um die Kon­kor­danz ist rie­sig, aber mit “Eini­gung” hat das nicht im ent­fern­tes­ten et­was zu tun. Im Ge­gen­teil, ge­nau die­je­ni­ge Grup­pe, die den an­de­ren im­mer “Ses­sel­kle­ber” vor­ge­wor­fen hat, und die sich um sol­che Eini­gun­gen bei Be­darf einen Deut küm­mert, ge­nau die­se jam­mert jetzt am lau­tes­ten über ih­ren An­spruch auf einen Sitz.
(Das ist wohl wohl der Schwei­ze­rische Ver­band der Pol­ster­sit­zer.)

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Und erst bei einer Volks­wahl des Bundes­rates, da lies­sen wir uns doch je­den Comic-Helden auf­schwat­zen.


¹) Dik­ta­tur der Mehr­heit lässt sich trotz­dem nicht im­mer ganz ver­mei­den, näm­lich ge­nau dann, wenn eine ech­te Eini­gung nicht mög­lich ist. Das ist in die­sem Fall zwar kei­ne gu­te Lö­sung, aber we­nig­stens die am we­nig­sten schlechte.
²) Recht des Par­la­ments ge­mäss Ver­fas­sung